Urteil vom Finanzgericht Baden-Württemberg - 1 K 1195/13

Tenor

1. Die Umsatzsteuerbescheide 2006 bis 2008 vom 17. Februar 2014 werden dahingehend abgeändert, dass die steuerpflichtigen Umsätze um ... EUR im Jahr 2006, um ... EUR im Jahr 2007 und um ... EUR im Jahr 2008 herabgesetzt werden.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

5. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500 EUR, hat die Klägerin in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruches Sicherheit zu leisten. Bei einem vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruch bis zur Höhe von 1.500 EUR kann der Beklagte der vorläufigen Vollstreckung widersprechen, wenn die Klägerin nicht zuvor in Höhe des vollstreckbaren Kostenanspruchs Sicherheit geleistet hat.

Tatbestand

 
Streitig ist, ob beim Verkauf von Gegenständen ein Entgelt für Gewährleistungsübernahmen der Umsatzsteuer unterliegt.
Die Klägerin ist eine GmbH, deren Unternehmensgegenstand insbesondere die Entwicklung, die Fertigung und der -weltweite- Vertrieb von X-geräten ist.
Die Klägerin gewährte beim Verkauf der Geräte an Kunden mit Sitz in der Europäischen Union in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) grundsätzlich eine einjährige Gewährleistungsfrist. Davon abweichend vereinbarte die Klägerin teilweise individuell eine Verlängerung der Gewährleistungsfrist auf bis zu fünf Jahre.
Bei Kunden mit Sitz im Drittland bezog die Klägerin ihre AGB üblicherweise nicht in den Kaufvertrag mit ein. Die Gewährleistungsfrist richtete sich grundsätzlich nach dem jeweils vereinbarten Recht (z.B. schweizerisches Recht in den Streitjahren: ein Jahr, UN-Kaufrecht: zwei Jahre), wurde aber auch hier in den Kaufverträgen im Einzelfall individuell verlängert.
Für die Gewinnermittlung bestimmte die Klägerin einen Anteil des Verkaufspreises, der auf die Gewährleistung mit einer Frist von über einem Jahr entfiel (etwa 3 % bis 5 % des Auftragswertes pro Jahr der Verlängerung), und verteilte diesen über einen passiven Rechnungsabgrenzungsposten („Abgrenzung Wartungsverträge“) auf die Dauer der Verlängerung. Im wirtschaftlichen Ergebnis wirkten sich die von der Klägerin der Verlängerung der Gewährleistungsfrist zugeordneten Entgelte damit erst im Zeitraum der verlängerten Gewährleistungsfrist gewinnerhöhend aus.
Bei der Umsatzsteuer behandelte die Klägerin die Verlängerung der Gewährleistungsleistungsfrist als unselbständige Nebenleistung zur Lieferung der Geräte, die deren Schicksal teilt. Demgemäß behandelte sie den gesamten Kaufpreis als steuerfrei, wenn die Lieferung des Geräts -als Ausfuhrlieferung oder innergemeinschaftliche Lieferung- steuerfrei war.
Im Rahmen einer bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung sah der Prüfer die Verlängerung der Gewährleistungsfrist dagegen als selbständige Hauptleistung an und unterwarf die in dem passiven Rechnungsabgrenzungsposten („Abgrenzung Wartungsverträge“) verbuchten Entgelte der Umsatzsteuer. Dabei addierte er die Beträge, die die Klägerin ihren Kunden aus dem Ausland zugeordnet hatte, und rechnete aus den Summen die Umsatzsteuer heraus (Bericht vom 19. Dezember 2011, Tz. 45).
Der Beklagte (das Finanzamt -FA-) folgte der Beurteilung des Prüfers in den geänderten Umsatzsteuerbescheiden 2005 bis 2008 vom 21. Februar 2012 und erhöhte die steuerpflichtigen Umsätze um xxx EUR im Jahr 2005, um xxx EUR im Jahr 2006, um xxx EUR im Jahr 2007 und um xxx EUR im Jahr 2008.
Mit dem dagegen erhobenen Einspruch machte die Klägerin geltend, die Verlängerung der Gewährleistungsfrist werde dem Kunden nicht gesondert verkauft, sondern anstelle eines Preisnachlasses eingeräumt, um den Listenpreis durchsetzen zu können. Für die Verlängerung der Gewährleistungsfrist werde kein gesondertes Entgelt vereinbart und auch nicht in der Rechnung ausgewiesen. Das Entgelt werde lediglich für ertragsteuerliche Zwecke auf die Lieferung des Gerätes und die Verlängerung der Gewährleistungsfrist aufgeteilt.
10 
Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 7. März 2013 als unbegründet zurückgewiesen.
11 
Mit der am 4. April 2013 erhobenen Klage trägt die Klägerin erstmals vor, es sei zwischen -neben den Kaufverträgen abgeschlossenen- Serviceverträgen und der -in den Kaufverträgen vereinbarten- Verlängerung der Gewährleistungsfrist zu unterscheiden. Mit manchen Kunden seien gesonderte Serviceverträge abgeschlossen worden, die je nach Ausgestaltung (es gebe neun verschiedene Arten von Serviceverträgen) u.a. eine Telefonhotline oder eine Wartung des Gerätes beim Kunden vor Ort umfassten. Für die Serviceleistungen werde eine gesonderte Rechnung erteilt, wobei bei Kunden mit Sitz im Ausland keine Umsatzsteuer ausgewiesen werde. Die Klägerin meint, die Serviceleistungen seien neben den Lieferungen der Geräte selbständige Leistungen, deren Leistungsort nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (UStG a.F.) bzw. § 3a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 12 oder Nr. 14 UStG a.F. (tatsächlicher Tätigkeitsort des leistenden Unternehmers bzw. sonstige Leistungen auf dem Gebiet der Telekommunikation oder auf elektronischem Weg erbrachte sonstige Leistungen) im Ausland liege; sie seien daher in Deutschland nicht steuerbar.
12 
Soweit keine Serviceverträge abgeschlossen worden seien, habe sich die gesetzliche Gewährleistungsfrist grundsätzlich aus dem jeweils anwendbaren Recht ergeben. Bei Kunden mit Sitz in der Europäischen Union habe ohne Rechtswahlvereinbarung deutsches Recht gegolten. Hier habe sie in ihren Auftragsbestätigungen grundsätzlich auf ihre einjährige Gewährleistungspflicht in den AGB (statt der gesetzlichen Gewährleistungsfrist von zwei Jahren) verwiesen. Davon abweichend seien individuell Gewährleistungszeiträume von zwei bis fünf Jahren vereinbart worden. Bei Kunden mit Sitz im Drittland seien die üblicherweise vereinbarten AGB nicht einbezogen worden, sondern die Gewährleistungsfrist habe sich zunächst nach dem jeweils vereinbarten Recht gerichtet, z.B. ein Jahr nach schweizerischem Recht (Rechtslage in den Streitjahren) und zwei Jahre nach UN-Kaufrecht. Darüber hinaus seien auch mit Kunden mit Sitz im Drittland längere Gewährleistungsfristen individuell vereinbart worden.
13 
Zur Gewährleistung trägt die Klägerin weiter vor, die Verlängerung der Gewährleistungsfrist sei teilweise auch nur für einzelne Gerätekomponenten (insbesondere für die X) vereinbart worden. Der Gewährleistungsanspruch der Käufer habe ausschließlich gegen sie bestanden. Sie habe sich verpflichtet, mangelhafte Teile nachzubessern oder neu zu liefern. Erforderliche Nachbesserungen seien durch eigene Mitarbeiter vor Ort beim Kunden vorgenommen worden. Es werde „aus Kulanz“ kein Nachweis darüber verlangt, ob der Mangel bereits bei Gefahrübergang im Gerät angelegt war. Der Gesamtpreis für das Gerät einschließlich der Gewährleistungsfrist seien jeweils individuell ausgehandelt worden. Ausgangspunkt für die Preisverhandlungen bildeten interne -dem Kunden nicht bekannte- Listenpreise, die keine Einzelpreise für Gewährleistungsübernahmen enthielten. Es sei jedenfalls kein Nachlass auf den internen Listenpreis allein deshalb gewährt worden, weil der Kunde die einjährige Gewährleistungsfrist akzeptiert habe. In den Rechnungen sei kein gesondertes Entgelt für die Verlängerung der Gewährleistungsfrist ausgewiesen worden. Der von ihr gebildete passive Rechnungsabgrenzungsposten „Abgrenzung Wartungsverträge“ umfasse sowohl die Zahlungen aus den Serviceverträgen als auch die -kalkulatorisch ermittelten- Entgelte für die Verlängerung der Gewährleistungsfrist aus den Kaufverträgen.
14 
Die Klägerin vertritt weiterhin die Auffassung, die Lieferung des Gerätes und die Verlängerung der Gewährleistungsfrist seien so eng miteinander verbunden, dass sie objektiv einen einzigen wirtschaftlichen Vorgang bildeten, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Die Leistungen seien aufgrund eines einheitlichen Vertrags erbracht worden. Die Kunden hätten ausschließlich gegen sie einen Gewährleistungsanspruch erworben; Dritte hätten die Reparaturleistungen mangels Besitzes der erforderlichen Kenntnisse nicht erbringen können. Die Gewährleistung würde ohne Bezug auf einen bestimmten Liefergegenstand ins Leere laufen. Es sei ein Gesamtpreis für die Lieferung des Geräts einschließlich einer bestimmten Gewährleistungsdauer vereinbart worden. Einzelpreise für Gewährleistungsübernahmen gebe es nicht. Für die -aufgrund § 250 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs geforderte- Bildung des passiven Rechnungsabgrenzungspostens würden die auf die Gewährleistungsübernahmen entfallenden Entgelte lediglich pauschal ermittelt; diese seien jedoch für die umsatzsteuerliche Bewertung nicht maßgeblich. Im Übrigen habe das Finanzgericht Münster die Streitfrage in ihrem Sinne entschieden (Hinweis auf Urteil vom 8. Juni 2009  5 K 3002/05 U, Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 2009, 2068) und der Bundesfinanzhof (BFH) habe dieses Urteil bestätigt (Hinweis auf Beschluss nach § 126a der Finanzgerichtsordnung -FGO- vom 29. September 2010 XI R 23/09, n.v.).
15 
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuerbescheide 2006 bis 2008 vom 17. Februar 2014 dahin abzuändern, dass die steuerpflichtigen Umsätze um xxx EUR im Jahr 2006, um xxx EUR im Jahr 2007 und um xxx EUR im Jahr 2008 herabgesetzt werden.
16 
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
17 
Es teilt die Auffassung der Klägerin, dass die Zahlungen aus den Serviceverträgen nicht der Umsatzsteuer unterliegen und hat der Klage mit den geänderten Umsatzsteuerbescheiden 2005 bis 2008 vom 17. Februar 2014 für das Jahr 2005 vollständig und für die übrigen Jahre teilweise abgeholfen. Die Beteiligten haben den Rechtsstreit wegen Umsatzsteuer 2005 in der Hauptsache für erledigt erklärt; das Gericht hat in den abgetrennten Verfahren mit Beschluss vom 27. November 2014 nur noch über die Kosten entschieden.
18 
Zur Gewährleistungsübernahme meint das FA, die Geräte seien auch ohne die Verlängerung der Gewährleistungsfrist in gleichem Umfang nutzbar. Die Verlängerung der Gewährleistungsfrist sei ausdrücklich vereinbart worden. Für einen Durchschnittsverbraucher sei erkennbar, dass eine Gewährleistungsverlängerung nicht unentgeltlich zu bekommen war, sondern hierfür eine zusätzliche Gegenleistung zu leisten war. Die Klägerin habe nicht nur eine verlängerte Gewährleistungsfrist eingeräumt, sondern eine Herstellergarantie abgegeben. Für die Entscheidung des FG Münster sei die Qualifizierung der Verlängerung der Gewährleistungsfrist als unselbständige Nebenleistung oder eigenständige Hauptleistung nicht entscheidungserheblich gewesen, weil die Verlängerung der Gewährleistungsfrist auch bei Annahme einer eigenständigen Hauptleistung unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) nicht nach § 4 Nr. 8 Buchst. g UStG steuerfrei sei.
19 
Die Klägerin hat im Klageverfahren beispielhaft mehrere Auftragsbestätigungen bzw. Verträge (mit der [ … ]) vorgelegt.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die Klage ist begründet. Die Umsatzsteuerbescheide 2006 bis 2008 vom 17. Februar 2014 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, soweit darin ein Entgelt für Gewährleistungsübernahmen besteuert wurde (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Lieferung der X-geräte und die Gewährleistungsübernahme bilden eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung, die als Ausfuhrlieferung oder innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei ist.
21 
1.Bei einem Umsatz, der ein Leistungsbündel darstellt, ist in der Regel davon auszugehen, dass jede Leistung als eine selbständige Leistung anzusehen ist. Eine einheitliche Leistung liegt dagegen vor, wenn zwei oder mehr Handlungen oder Einzelleistungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Dabei ist der dominierende Bestandteil auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers zu bestimmen (EuGH-Urteil vom 21. Februar 2013 C-18/12, Stadt Zamberk/Senftenberg, Umsatzsteuerrundschau -UR- 2013, 338, Tz. 28-30; BFH-Urteil vom 21. Februar 2013 V R 10/12, BFH/NV 2013, 1635).
22 
Außerdem liegt eine einheitliche Leistung vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung bilden, andere Teile dagegen als eine oder mehrere Nebenleistungen anzusehen sind, die das steuerrechtliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist insbesondere dann als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kunden keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (EuGH-Urteil vom 27. September 2012 C-392/11,Field Fisher Waterhouse, UR 2012, 964, Tz.17).
23 
Um festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem Verbraucher -verstanden als Durchschnittsverbraucher- mehrere eigenständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, sind die charakteristischen Bestandteile des fraglichen Umsatzes zu ermitteln und sämtliche Umstände zu berücksichtigen, unter denen er abgewickelt wird (EuGH-Urteil vom 2. Dezember 2010 C-276/09, Everything Everywhere, UR 2011, 261, Tz. 26).
24 
Für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung spricht die Aufnahme mehrerer Leistungen in einem einzigen Vertrag, wenn auch dies für sich genommen kein entscheidender Faktor ist (EuGH-Urteil vom 27. September 2012 C-392/11, Field Fisher Waterhouse, UR 2012, 964, Tz. 25; BFH-Urteil vom 19. März 2009 V R 50/07, BFHE 225, 224, BStBl II 2010, 78). Verfügt der Leistungsempfänger über die Möglichkeit, die Lieferanten und/oder die Nutzungsmodalitäten der in Rede stehenden Gegenstände oder Dienstleistungen auszuwählen, können die Leistungen, die sich auf diese Gegenstände oder Dienstleistungen beziehen, grundsätzlich als getrennt angesehen werden (EuGH-Urteil vom 16. April 2015 C-42/14, Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie, UR 2015, 427, Tz. 39). Auf der anderen Seite lässt der Umstand, dass eine der mehreren Leistungen grundsätzlich von einem Dritten erbracht werden könnte, nicht den Schluss zu, dass diese nicht eine einheitliche Leistung darstellen können (EuGH-Urteil vom 27. September 2012 C-392/11, Field Fisher Waterhouse, UR 2012, 964, Tz. 24).
25 
Außerdem können die Rechnungsstellungs- und Preisbildungsmodalitäten Hinweise auf die Einheitlichkeit einer Leistung liefern. Dabei sprechen eine gesonderte Rechnungsstellung und eine eigenständige Bildung des Leistungspreises für das Vorliegen selbständiger Leistungen, ohne dass diesen Faktoren allerdings eine entscheidende Bedeutung zukäme (EuGH-Urteile vom 25. Februar 1999 C-349/96, Card Protection Plan, UR 1999, 254, Tz. 31; vom 17. Januar 2013 C-224/11, BGZ Leasing, UR 2013, 262, Tz. 44; BFH-Urteil vom 19. März 2009 V R 50/07, BFHE 225, 224, BStBl II 2010, 78).
26 
2. Nach diesen Maßstäben sind die Lieferung der X-geräte und die Gewährleistungsübernahme als eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung anzusehen (im Ergebnis ebenso FG Münster, Urteil vom 8. Juni 2009  5 K 3002/05 U, EFG 2009, 2068; bestätigt durch BFH-Beschluss nach § 126a FGO vom 29. September 2010 XI R 23/09, n.v., zum sog. Händlermodell im Pkw-Handel).
27 
Der Käufer erwirbt in einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang letztlich ein X-gerät mit einer bestimmten Gewährleistungsfrist. Die Verpflichtung des Verkäufers zur Gewährleistung ist dem Verkauf eines jeden -neuen- Gegenstands immanent, weil das jeweils einschlägige Kaufrecht -abgesehen von Unterschieden bei der Verteilung der Beweislast beim Nachweis von Mängeln und der Dauer der Gewährleistung etc.- den Käufer mit entsprechenden Rechten ausstattet. Die Lieferung eines Gegenstandes und die Verpflichtung des Verkäufers zur Gewährleistung sind im Vertragstyp „Kaufvertrag“ untrennbar miteinander verbunden. Die Rechtsordnungen selbst bestimmen aber auch, welche Sachmängelregelungen zwingend sind und ob und unter welchen Voraussetzungen die Vorschriften von den Kaufvertragsparteien abgeändert werden können. Die Dienstleistung der Klägerin erschöpft sich vor diesem Hintergrund darin, dass die kaufvertraglichen Regelungen zugunsten des Käufers mehr oder weniger stark modifiziert werden: So wird der Zeitraum, bis zu dem Mängel an den Geräten geltend gemacht werden können, verlängert, und -sollten tatsächlich Garantien zugesagt worden sein- der Erwerber im Einzelfall von der Pflicht befreit, das Vorhandensein des Mangels bereits im Zeitpunkt der Lieferung (Gefahrübergang) zu beweisen. Weitergehende Ansprüche, die üblicherweise nicht mehr dem Regime der Sachmängelgewährleistung unterfallen, wie z.B. entgangener Gewinn, werden von der Klägerin ausgeschlossen.
28 
Im Streitfall kann dahinstehen, ob die Klägerin lediglich verlängerte Gewährleistungsfristen oder darüber hinaus Garantieleistungen zugesagt hat. In ihren Auftragsbestätigungen und Verträgen verwendet die Klägerin die Begriffe „Gewährleistung“ und „Garantie“ (in der englischen Fassung der Auftragsbestätigungen „warranty“ und „guarantee“) ohne ersichtliche Differenzierung. Nach ihren Angaben verzichtet sie „aus Kulanz“ -ohne Rechtsanspruch des Kunden- auf den Nachweis, dass der Mangel bereits bei Gefahrübergang im Gerät angelegt war und räumt damit nach deutschem Rechtsverständnis zumindest faktisch Garantien ein. Für die umsatzsteuerliche Beurteilung spielt es aber ohnehin keine Rolle, ob das nationale Zivilrecht -wie in Deutschland- zwischen Gewährleistung (vgl. § 434 des Bürgerlichen Gesetzbuchs -BGB-) und Garantie (vgl. § 443 BGB) differenziert und in welchem Zeitraum die entsprechenden gesetzlichen Rechte bestehen (z.B. UN-Kaufrecht: zwei Jahre, deutsches Recht: zwei Jahre, schweizerisches Recht in den Streitjahren: ein Jahr). Denn die Unterwerfung eines bestimmten Umsatzes unter die Umsatzsteuer kann nicht davon abhängen, wie er nach nationalem (Zivil-)Recht qualifiziert wird (vgl. EuGH-Urteil vom 11. Januar 2001 C-76/99, Kommission/Frankreich, UR 2001, 62, Tz. 26; BFH-Urteil vom 16. Januar 2014 V R 22/13, BFH/NV 2014, 736).
29 
Eine Aufspaltung dieses Leistungsbündels in eine Lieferung und eine Dienstleistung ist augenscheinlich z.B. dann gekünstelt, wenn -wie in Deutschland- ohne die Einbeziehung der AGB die gesetzliche zweijährige Gewährleistungsfrist (vgl. § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB) gilt und die AGB dahin abbedungen werden, dass wiederum die gesetzliche Gewährleistungsfrist von zwei Jahren gilt. In diesem Fall würde nach Auffassung des FA ein Teil des Entgelts von dem Gesamtentgelt abgespalten und bei der Anwendung von Steuerbefreiungen, des ermäßigten Steuersatzes oder des Ortes der Leistung eigenen Regeln unterworfen werden, obwohl letztlich die gesetzliche Gewährleistungsfrist gilt.
30 
Anhaltspunkte für eine einheitliche Leistung liefern vorliegend auch die Modalitäten der Vertragsgestaltung, der Preisbildung und der Rechnungsstellung. Anders als bei den Serviceverträgen, die -was zwischen den Beteiligten unstreitig ist- gegenüber der Gerätelieferung selbständige (Haupt-)Leistungen zum Gegenstand haben, sind der Verkauf des Geräts einschließlich der Bedingungen über die Gewährleistung in einem einheitlichen Vertrag geregelt. Wie aus den komplexen Auftragsbestätigungen und Verträgen hervorgeht, sind die Gewährleistungsbedingungen nur einer von vielen im Vertrag zu klärenden Punkten. Die Klägerin hat in den Rechnungen an die Erwerber kein Entgelt für eine bestimmte Gewährleistungsfrist gesondert ausgewiesen. In den internen Preislisten der Klägerin sind keine Einzelpreise für Gewährleistungsübernahmen enthalten, sondern lediglich für einzelne Gerätekomponenten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerin beispielhaft vorgelegten Auftragsbestätigungen. Lediglich in der Auftragsbestätigung an Y (Schweiz) wird ein Einzelpreis für die „Verlängerung Systemgarantie 36 Monate“ von 3 % des Gesamtpreises pro Jahr ausgewiesen; dieser geht aber im anschließend eingeräumten Rabatt von 28,3 % auf den Gesamtkaufpreis wieder auf. Laut den übrigen Auftragsbestätigungen waren keine Einzelpreise für Gewährleistung gesondert vereinbart, sondern bloß ein Gesamtkaufpreis.
31 
Als weiterer, für eine einheitliche Leistung sprechender Umstand kommt hinzu, dass die Käufer den Gewährleistungsanspruch ausschließlich gegen die Klägerin haben. Ein Reparaturkostenersatzanspruch gegen einen Dritten (Versicherer) bestand nicht. Teilweise wurde ausdrücklich geregelt, dass die Gewährleistungspflicht der Klägerin erlischt, wenn der Käufer Reparaturen etc. von eine anderen Person als der Klägerin ausführen lässt. Der Kunde hat im Übrigen -schon wegen der Marktführerschaft der Klägerin und der Eigenart der Geräte, die auf der wissenschaftlichen Forschungsarbeit der Klägerin beruhen- praktisch keine Möglichkeit, einen anderen Dienstleister als die Klägerin für die in Rede stehende Gewährleistungsübernahme auszuwählen (vgl. EuGH-Urteil vom 16. April 2015 C-42/14, Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie, UR 2015, 427, Tz. 39). Darin unterscheidet sich der Streitfall von Fallgestaltungen, bei denen der Käufer eines Gegenstands einen Garantieanspruch nicht nur gegen den Verkäufer, sondern zusätzlich gegen einen Dritten (Versicherer) hat (vgl. BFH-Urteil vom 16. Januar 2003 V R 16/02, BFHE 201, 343, BStBl II 2003, 445, unter II.2., zum sog. Kombinationsmodell im Pkw-Handel, insoweit nicht durch BFH-Urteil vom 10. Februar 2010 XI R 49/07, BFHE 228, 456, BStBl II 2010, 1109, Tz. 45 ff. aufgehoben), oder der Leasingnehmer bei Kaskoschäden einen Versicherungsanspruch gegen einen Versicherer erwirbt (vgl. EuGH-Urteil vom 17. Januar 2013 C-224/11, BGZ Leasing, UR 2013, 262, Tz. 42). In diesen Fällen wird das Dienstleistungselement in dem Leistungsbündel zu einer eigenständigen (Haupt-)Leistung aufgewertet, weil durch das Einräumen eines weiteren Anspruchs gegen den Dritten insbesondere das Insolvenzrisiko des Verkäufers ausgeschaltet wird und sich der Käufer bei einem Vertrauensverlust gegenüber dem Verkäufer auch an eine andere Werkstatt wenden kann.
32 
Der Streitfall weist schließlich die Besonderheit auf, dass die Klägerin ein bilanzierendes Unternehmen ist und nur für ertragsteuerliche Zwecke einen passiven Rechnungsabgrenzungsposten gebildet hat, auf dessen Werte der Prüfer für die Bemessung der seiner Meinung nach umsatzsteuerpflichtigen Gewährleistungsübernahme zurückgegriffen hat. Dieses Vorgehen ist in doppelter Hinsicht zu beanstanden.
33 
Zum einen berücksichtigt der Ansatz der Werte aus dem passiven Rechnungsabgrenzungsposten den Charakter der Umsatzsteuer als eine den Verbraucher (Leistungsempfänger) belastende Steuer nicht hinreichend (vgl. dazu EuGH-Urteil vom 3. Oktober 2006 C-475/03, Banca Popolare di Cremona, UR 2007, 545, Tz. 22). Denn die Höhe des passiven Rechnungsabgrenzungspostens spiegelt den mutmaßlichen Reparaturaufwand der Klägerin wieder, nicht jedoch den Aufwand (Entgelt) des Leistungsempfängers. Gegenleistung der Umsatzsteuer ist jedoch das Entgelt, das der leistende Unternehmer vom Leistungsempfänger (und ggf. einem Dritten) erhält, und nicht ein nach objektiven Maßstäben angesetzter Wert (vgl. EuGH-Urteil vom 23. November 1988 Rs. 230/87, Naturally Yours Cosmetics, UR 1990, 307, Tz. 16). Dementsprechend wäre auch eine Gesamtgegenleistung im Ausgangspunkt nach diesem Maßstab in Teilentgelte für die Lieferung und für die Dienstleistung aufzuteilen und nicht nach einem lediglich aus der Buchführung des leistenden Unternehmers ersichtlichen objektiven Wert zu bemessen.
34 
Zum anderen lässt der Rückgriff auf die Werte des passiven Rechnungsabgrenzungspostens außer Acht, dass im Europäischen Binnenmarkt die Bilanzierungsvorschriften nicht vereinheitlicht sind. So sind in den einzelnen Mitgliedstaaten die Vorschriften, nach denen Unternehmer zur Bilanzierung verpflichtet sind und -innerhalb der bilanzierenden Unternehmer- passive Rechnungsabgrenzungsposten bilden müssen, höchst unterschiedlich ausgestaltet. Um sämtliche Unternehmer zur Vermeidung von durch die Umsatzsteuer veranlassten Wettbewerbsverzerrungen in dieser Frage gleich zu behandeln (vgl. dazu EuGH-Urteil vom 11. Juni 2015 C-256/14, Lisboagas GDL, UR 2015, 510, Tz. 36), müsste ein allgemeingültiger Aufteilungsmaßstab frei von ertragsteuerlichen Bezugnahmen gefunden werden, der auch von nicht bilanzierenden Unternehmern leicht befolgt werden könnte. Hierbei wäre die einfachstmögliche Berechnungs- oder Bewertungsmethode zu verwenden (EuGH-Urteil vom 25. Februar 1999 C-349/96, Card Protection Plan, UR 1999, 254, Tz. 31). Eine Aufteilung nach den tatsächlichen Kosten der Eigenleistungen würde eine Reihe komplexer Aufschlüsselungsvorgänge erfordern und wäre somit für den Unternehmer mit einem beträchtlichen Mehraufwand verbunden; sie scheidet als Aufteilungsmaßstab aus (EuGH-Urteil vom 22. Oktober 1998 C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin, UR 1999, 38, Tz. 45). Die andere Methode der Aufteilung, die Heranziehung des Marktwertes der Eigenleistungen, ist einfach und damit an sich vorzugswürdig (EuGH-Urteil vom 22. Oktober 1998 C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin, UR 1999, 38, Tz. 45), lässt sich aber im Streitfall nicht anwenden, da sich ein Marktpreis für die von der Klägerin übernommene Gewährleistung kaum finden lässt. Die unmögliche bzw. mit enormen Schwierigkeiten verbundene Aufteilung des Gesamtentgelts zeigt nochmals, dass die Lieferung und die Gewährleistungsübernahme eine einheitliche Leistung darstellen, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.
35 
Die umsatzsteuerrechtliche Qualifizierung einer einheitlichen Leistung verlangt sodann eine Bestimmung der dominierenden Bestandteile (EuGH-Urteil vom 29. März 2007 C-111/05, Aktiebolaget, UR 2007, 420, Tz. 36). Im Streitfall dominiert die Lieferung im Vergleich zur Dienstleistung, da die Käufer den Kaufvertrag zum Erwerb des Gerätes abschließen. Die Gewährleistungsübernahme modifiziert dagegen nur die gesetzlichen Regelungen und kommt darüber hinaus nur im Schadensfall zum Tragen.
36 
Da die Gewährleistungsübernahme der Klägerin in der Lieferung der Geräte aufgeht, kommt es nicht darauf an, ob die Einstandspflicht als eigenständige Leistung nach § 4 Nr. 10 UStG oder nach Art. 13 Teil B Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (6. EG-Richtlinie) bzw. -ab dem Jahr 2007- nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) als Versicherungsumsatz steuerfrei sein könnte.
37 
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und §§ 709, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
38 
4. Die Klägerin beantragte, die Zuziehung des Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären. Dem Verfahren lag ein Sachverhalt zugrunde, der in rechtlicher Hinsicht nicht von vornherein als einfach zu beurteilen war. Die Klägerin durfte sich daher eines Rechtskundigen bedienen, um eine erfolgversprechende Rechtsverfolgung zu erreichen. Der Senat hält hiernach die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig (vgl. § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
39 
5. Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, da höchstrichterlich noch nicht eindeutig entschieden ist, ob die Lieferung eines Gegenstands zusammen mit einer Gewährleistungsübernahme als einheitliche Leistung (Lieferung) angesehen werden kann.

Gründe

 
20 
Die Klage ist begründet. Die Umsatzsteuerbescheide 2006 bis 2008 vom 17. Februar 2014 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, soweit darin ein Entgelt für Gewährleistungsübernahmen besteuert wurde (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Lieferung der X-geräte und die Gewährleistungsübernahme bilden eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung, die als Ausfuhrlieferung oder innergemeinschaftliche Lieferung steuerfrei ist.
21 
1.Bei einem Umsatz, der ein Leistungsbündel darstellt, ist in der Regel davon auszugehen, dass jede Leistung als eine selbständige Leistung anzusehen ist. Eine einheitliche Leistung liegt dagegen vor, wenn zwei oder mehr Handlungen oder Einzelleistungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Dabei ist der dominierende Bestandteil auf der Grundlage einer Gesamtbetrachtung aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers zu bestimmen (EuGH-Urteil vom 21. Februar 2013 C-18/12, Stadt Zamberk/Senftenberg, Umsatzsteuerrundschau -UR- 2013, 338, Tz. 28-30; BFH-Urteil vom 21. Februar 2013 V R 10/12, BFH/NV 2013, 1635).
22 
Außerdem liegt eine einheitliche Leistung vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung bilden, andere Teile dagegen als eine oder mehrere Nebenleistungen anzusehen sind, die das steuerrechtliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist insbesondere dann als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kunden keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (EuGH-Urteil vom 27. September 2012 C-392/11,Field Fisher Waterhouse, UR 2012, 964, Tz.17).
23 
Um festzustellen, ob der Steuerpflichtige dem Verbraucher -verstanden als Durchschnittsverbraucher- mehrere eigenständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt, sind die charakteristischen Bestandteile des fraglichen Umsatzes zu ermitteln und sämtliche Umstände zu berücksichtigen, unter denen er abgewickelt wird (EuGH-Urteil vom 2. Dezember 2010 C-276/09, Everything Everywhere, UR 2011, 261, Tz. 26).
24 
Für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung spricht die Aufnahme mehrerer Leistungen in einem einzigen Vertrag, wenn auch dies für sich genommen kein entscheidender Faktor ist (EuGH-Urteil vom 27. September 2012 C-392/11, Field Fisher Waterhouse, UR 2012, 964, Tz. 25; BFH-Urteil vom 19. März 2009 V R 50/07, BFHE 225, 224, BStBl II 2010, 78). Verfügt der Leistungsempfänger über die Möglichkeit, die Lieferanten und/oder die Nutzungsmodalitäten der in Rede stehenden Gegenstände oder Dienstleistungen auszuwählen, können die Leistungen, die sich auf diese Gegenstände oder Dienstleistungen beziehen, grundsätzlich als getrennt angesehen werden (EuGH-Urteil vom 16. April 2015 C-42/14, Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie, UR 2015, 427, Tz. 39). Auf der anderen Seite lässt der Umstand, dass eine der mehreren Leistungen grundsätzlich von einem Dritten erbracht werden könnte, nicht den Schluss zu, dass diese nicht eine einheitliche Leistung darstellen können (EuGH-Urteil vom 27. September 2012 C-392/11, Field Fisher Waterhouse, UR 2012, 964, Tz. 24).
25 
Außerdem können die Rechnungsstellungs- und Preisbildungsmodalitäten Hinweise auf die Einheitlichkeit einer Leistung liefern. Dabei sprechen eine gesonderte Rechnungsstellung und eine eigenständige Bildung des Leistungspreises für das Vorliegen selbständiger Leistungen, ohne dass diesen Faktoren allerdings eine entscheidende Bedeutung zukäme (EuGH-Urteile vom 25. Februar 1999 C-349/96, Card Protection Plan, UR 1999, 254, Tz. 31; vom 17. Januar 2013 C-224/11, BGZ Leasing, UR 2013, 262, Tz. 44; BFH-Urteil vom 19. März 2009 V R 50/07, BFHE 225, 224, BStBl II 2010, 78).
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2. Nach diesen Maßstäben sind die Lieferung der X-geräte und die Gewährleistungsübernahme als eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung anzusehen (im Ergebnis ebenso FG Münster, Urteil vom 8. Juni 2009  5 K 3002/05 U, EFG 2009, 2068; bestätigt durch BFH-Beschluss nach § 126a FGO vom 29. September 2010 XI R 23/09, n.v., zum sog. Händlermodell im Pkw-Handel).
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Der Käufer erwirbt in einem einheitlichen wirtschaftlichen Vorgang letztlich ein X-gerät mit einer bestimmten Gewährleistungsfrist. Die Verpflichtung des Verkäufers zur Gewährleistung ist dem Verkauf eines jeden -neuen- Gegenstands immanent, weil das jeweils einschlägige Kaufrecht -abgesehen von Unterschieden bei der Verteilung der Beweislast beim Nachweis von Mängeln und der Dauer der Gewährleistung etc.- den Käufer mit entsprechenden Rechten ausstattet. Die Lieferung eines Gegenstandes und die Verpflichtung des Verkäufers zur Gewährleistung sind im Vertragstyp „Kaufvertrag“ untrennbar miteinander verbunden. Die Rechtsordnungen selbst bestimmen aber auch, welche Sachmängelregelungen zwingend sind und ob und unter welchen Voraussetzungen die Vorschriften von den Kaufvertragsparteien abgeändert werden können. Die Dienstleistung der Klägerin erschöpft sich vor diesem Hintergrund darin, dass die kaufvertraglichen Regelungen zugunsten des Käufers mehr oder weniger stark modifiziert werden: So wird der Zeitraum, bis zu dem Mängel an den Geräten geltend gemacht werden können, verlängert, und -sollten tatsächlich Garantien zugesagt worden sein- der Erwerber im Einzelfall von der Pflicht befreit, das Vorhandensein des Mangels bereits im Zeitpunkt der Lieferung (Gefahrübergang) zu beweisen. Weitergehende Ansprüche, die üblicherweise nicht mehr dem Regime der Sachmängelgewährleistung unterfallen, wie z.B. entgangener Gewinn, werden von der Klägerin ausgeschlossen.
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Im Streitfall kann dahinstehen, ob die Klägerin lediglich verlängerte Gewährleistungsfristen oder darüber hinaus Garantieleistungen zugesagt hat. In ihren Auftragsbestätigungen und Verträgen verwendet die Klägerin die Begriffe „Gewährleistung“ und „Garantie“ (in der englischen Fassung der Auftragsbestätigungen „warranty“ und „guarantee“) ohne ersichtliche Differenzierung. Nach ihren Angaben verzichtet sie „aus Kulanz“ -ohne Rechtsanspruch des Kunden- auf den Nachweis, dass der Mangel bereits bei Gefahrübergang im Gerät angelegt war und räumt damit nach deutschem Rechtsverständnis zumindest faktisch Garantien ein. Für die umsatzsteuerliche Beurteilung spielt es aber ohnehin keine Rolle, ob das nationale Zivilrecht -wie in Deutschland- zwischen Gewährleistung (vgl. § 434 des Bürgerlichen Gesetzbuchs -BGB-) und Garantie (vgl. § 443 BGB) differenziert und in welchem Zeitraum die entsprechenden gesetzlichen Rechte bestehen (z.B. UN-Kaufrecht: zwei Jahre, deutsches Recht: zwei Jahre, schweizerisches Recht in den Streitjahren: ein Jahr). Denn die Unterwerfung eines bestimmten Umsatzes unter die Umsatzsteuer kann nicht davon abhängen, wie er nach nationalem (Zivil-)Recht qualifiziert wird (vgl. EuGH-Urteil vom 11. Januar 2001 C-76/99, Kommission/Frankreich, UR 2001, 62, Tz. 26; BFH-Urteil vom 16. Januar 2014 V R 22/13, BFH/NV 2014, 736).
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Eine Aufspaltung dieses Leistungsbündels in eine Lieferung und eine Dienstleistung ist augenscheinlich z.B. dann gekünstelt, wenn -wie in Deutschland- ohne die Einbeziehung der AGB die gesetzliche zweijährige Gewährleistungsfrist (vgl. § 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB) gilt und die AGB dahin abbedungen werden, dass wiederum die gesetzliche Gewährleistungsfrist von zwei Jahren gilt. In diesem Fall würde nach Auffassung des FA ein Teil des Entgelts von dem Gesamtentgelt abgespalten und bei der Anwendung von Steuerbefreiungen, des ermäßigten Steuersatzes oder des Ortes der Leistung eigenen Regeln unterworfen werden, obwohl letztlich die gesetzliche Gewährleistungsfrist gilt.
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Anhaltspunkte für eine einheitliche Leistung liefern vorliegend auch die Modalitäten der Vertragsgestaltung, der Preisbildung und der Rechnungsstellung. Anders als bei den Serviceverträgen, die -was zwischen den Beteiligten unstreitig ist- gegenüber der Gerätelieferung selbständige (Haupt-)Leistungen zum Gegenstand haben, sind der Verkauf des Geräts einschließlich der Bedingungen über die Gewährleistung in einem einheitlichen Vertrag geregelt. Wie aus den komplexen Auftragsbestätigungen und Verträgen hervorgeht, sind die Gewährleistungsbedingungen nur einer von vielen im Vertrag zu klärenden Punkten. Die Klägerin hat in den Rechnungen an die Erwerber kein Entgelt für eine bestimmte Gewährleistungsfrist gesondert ausgewiesen. In den internen Preislisten der Klägerin sind keine Einzelpreise für Gewährleistungsübernahmen enthalten, sondern lediglich für einzelne Gerätekomponenten. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerin beispielhaft vorgelegten Auftragsbestätigungen. Lediglich in der Auftragsbestätigung an Y (Schweiz) wird ein Einzelpreis für die „Verlängerung Systemgarantie 36 Monate“ von 3 % des Gesamtpreises pro Jahr ausgewiesen; dieser geht aber im anschließend eingeräumten Rabatt von 28,3 % auf den Gesamtkaufpreis wieder auf. Laut den übrigen Auftragsbestätigungen waren keine Einzelpreise für Gewährleistung gesondert vereinbart, sondern bloß ein Gesamtkaufpreis.
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Als weiterer, für eine einheitliche Leistung sprechender Umstand kommt hinzu, dass die Käufer den Gewährleistungsanspruch ausschließlich gegen die Klägerin haben. Ein Reparaturkostenersatzanspruch gegen einen Dritten (Versicherer) bestand nicht. Teilweise wurde ausdrücklich geregelt, dass die Gewährleistungspflicht der Klägerin erlischt, wenn der Käufer Reparaturen etc. von eine anderen Person als der Klägerin ausführen lässt. Der Kunde hat im Übrigen -schon wegen der Marktführerschaft der Klägerin und der Eigenart der Geräte, die auf der wissenschaftlichen Forschungsarbeit der Klägerin beruhen- praktisch keine Möglichkeit, einen anderen Dienstleister als die Klägerin für die in Rede stehende Gewährleistungsübernahme auszuwählen (vgl. EuGH-Urteil vom 16. April 2015 C-42/14, Wojskowa Agencja Mieszkaniowa w Warszawie, UR 2015, 427, Tz. 39). Darin unterscheidet sich der Streitfall von Fallgestaltungen, bei denen der Käufer eines Gegenstands einen Garantieanspruch nicht nur gegen den Verkäufer, sondern zusätzlich gegen einen Dritten (Versicherer) hat (vgl. BFH-Urteil vom 16. Januar 2003 V R 16/02, BFHE 201, 343, BStBl II 2003, 445, unter II.2., zum sog. Kombinationsmodell im Pkw-Handel, insoweit nicht durch BFH-Urteil vom 10. Februar 2010 XI R 49/07, BFHE 228, 456, BStBl II 2010, 1109, Tz. 45 ff. aufgehoben), oder der Leasingnehmer bei Kaskoschäden einen Versicherungsanspruch gegen einen Versicherer erwirbt (vgl. EuGH-Urteil vom 17. Januar 2013 C-224/11, BGZ Leasing, UR 2013, 262, Tz. 42). In diesen Fällen wird das Dienstleistungselement in dem Leistungsbündel zu einer eigenständigen (Haupt-)Leistung aufgewertet, weil durch das Einräumen eines weiteren Anspruchs gegen den Dritten insbesondere das Insolvenzrisiko des Verkäufers ausgeschaltet wird und sich der Käufer bei einem Vertrauensverlust gegenüber dem Verkäufer auch an eine andere Werkstatt wenden kann.
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Der Streitfall weist schließlich die Besonderheit auf, dass die Klägerin ein bilanzierendes Unternehmen ist und nur für ertragsteuerliche Zwecke einen passiven Rechnungsabgrenzungsposten gebildet hat, auf dessen Werte der Prüfer für die Bemessung der seiner Meinung nach umsatzsteuerpflichtigen Gewährleistungsübernahme zurückgegriffen hat. Dieses Vorgehen ist in doppelter Hinsicht zu beanstanden.
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Zum einen berücksichtigt der Ansatz der Werte aus dem passiven Rechnungsabgrenzungsposten den Charakter der Umsatzsteuer als eine den Verbraucher (Leistungsempfänger) belastende Steuer nicht hinreichend (vgl. dazu EuGH-Urteil vom 3. Oktober 2006 C-475/03, Banca Popolare di Cremona, UR 2007, 545, Tz. 22). Denn die Höhe des passiven Rechnungsabgrenzungspostens spiegelt den mutmaßlichen Reparaturaufwand der Klägerin wieder, nicht jedoch den Aufwand (Entgelt) des Leistungsempfängers. Gegenleistung der Umsatzsteuer ist jedoch das Entgelt, das der leistende Unternehmer vom Leistungsempfänger (und ggf. einem Dritten) erhält, und nicht ein nach objektiven Maßstäben angesetzter Wert (vgl. EuGH-Urteil vom 23. November 1988 Rs. 230/87, Naturally Yours Cosmetics, UR 1990, 307, Tz. 16). Dementsprechend wäre auch eine Gesamtgegenleistung im Ausgangspunkt nach diesem Maßstab in Teilentgelte für die Lieferung und für die Dienstleistung aufzuteilen und nicht nach einem lediglich aus der Buchführung des leistenden Unternehmers ersichtlichen objektiven Wert zu bemessen.
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Zum anderen lässt der Rückgriff auf die Werte des passiven Rechnungsabgrenzungspostens außer Acht, dass im Europäischen Binnenmarkt die Bilanzierungsvorschriften nicht vereinheitlicht sind. So sind in den einzelnen Mitgliedstaaten die Vorschriften, nach denen Unternehmer zur Bilanzierung verpflichtet sind und -innerhalb der bilanzierenden Unternehmer- passive Rechnungsabgrenzungsposten bilden müssen, höchst unterschiedlich ausgestaltet. Um sämtliche Unternehmer zur Vermeidung von durch die Umsatzsteuer veranlassten Wettbewerbsverzerrungen in dieser Frage gleich zu behandeln (vgl. dazu EuGH-Urteil vom 11. Juni 2015 C-256/14, Lisboagas GDL, UR 2015, 510, Tz. 36), müsste ein allgemeingültiger Aufteilungsmaßstab frei von ertragsteuerlichen Bezugnahmen gefunden werden, der auch von nicht bilanzierenden Unternehmern leicht befolgt werden könnte. Hierbei wäre die einfachstmögliche Berechnungs- oder Bewertungsmethode zu verwenden (EuGH-Urteil vom 25. Februar 1999 C-349/96, Card Protection Plan, UR 1999, 254, Tz. 31). Eine Aufteilung nach den tatsächlichen Kosten der Eigenleistungen würde eine Reihe komplexer Aufschlüsselungsvorgänge erfordern und wäre somit für den Unternehmer mit einem beträchtlichen Mehraufwand verbunden; sie scheidet als Aufteilungsmaßstab aus (EuGH-Urteil vom 22. Oktober 1998 C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin, UR 1999, 38, Tz. 45). Die andere Methode der Aufteilung, die Heranziehung des Marktwertes der Eigenleistungen, ist einfach und damit an sich vorzugswürdig (EuGH-Urteil vom 22. Oktober 1998 C-308/96 und C-94/97, Madgett und Baldwin, UR 1999, 38, Tz. 45), lässt sich aber im Streitfall nicht anwenden, da sich ein Marktpreis für die von der Klägerin übernommene Gewährleistung kaum finden lässt. Die unmögliche bzw. mit enormen Schwierigkeiten verbundene Aufteilung des Gesamtentgelts zeigt nochmals, dass die Lieferung und die Gewährleistungsübernahme eine einheitliche Leistung darstellen, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.
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Die umsatzsteuerrechtliche Qualifizierung einer einheitlichen Leistung verlangt sodann eine Bestimmung der dominierenden Bestandteile (EuGH-Urteil vom 29. März 2007 C-111/05, Aktiebolaget, UR 2007, 420, Tz. 36). Im Streitfall dominiert die Lieferung im Vergleich zur Dienstleistung, da die Käufer den Kaufvertrag zum Erwerb des Gerätes abschließen. Die Gewährleistungsübernahme modifiziert dagegen nur die gesetzlichen Regelungen und kommt darüber hinaus nur im Schadensfall zum Tragen.
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Da die Gewährleistungsübernahme der Klägerin in der Lieferung der Geräte aufgeht, kommt es nicht darauf an, ob die Einstandspflicht als eigenständige Leistung nach § 4 Nr. 10 UStG oder nach Art. 13 Teil B Buchst. a der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (6. EG-Richtlinie) bzw. -ab dem Jahr 2007- nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) als Versicherungsumsatz steuerfrei sein könnte.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und §§ 709, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
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4. Die Klägerin beantragte, die Zuziehung des Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären. Dem Verfahren lag ein Sachverhalt zugrunde, der in rechtlicher Hinsicht nicht von vornherein als einfach zu beurteilen war. Die Klägerin durfte sich daher eines Rechtskundigen bedienen, um eine erfolgversprechende Rechtsverfolgung zu erreichen. Der Senat hält hiernach die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig (vgl. § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
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5. Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, da höchstrichterlich noch nicht eindeutig entschieden ist, ob die Lieferung eines Gegenstands zusammen mit einer Gewährleistungsübernahme als einheitliche Leistung (Lieferung) angesehen werden kann.

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