Urteil vom Finanzgericht Baden-Württemberg - 14 K 3317/13

Tenor

1. Die Umsatzsteuerbescheide für 2009 vom 24. Mai 2012 und für 2010 vom 16. Januar 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung werden dahingehend geändert, dass die Umsätze aus der Lieferung von Feuerschalen (Bruttobetrag in 2009: xx.xxx,xx EUR, Bruttobetrag in 2010: xx.xxx,xx EUR) nicht dem Regelsteuersatz, sondern dem ermäßigten Steuersatz (7%) unterworfen werden.

2. Die Neuberechnung der Umsatzsteuer 2009 und 2010 wird dem Beklagten übertragen.

3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

4. Die Zuziehung eines Bevollmächtigen zum Vorverfahren wird für notwendig erklärt.

5. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Ermöglicht der zu erlassende Kostenfestsetzungsbeschluss eine Vollstreckung im Wert von mehr als 1.500,- EUR, hat der Kläger in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit zu leisten. Liegt der vollstreckbare Kostenerstattungsanspruch im Wert bei 1.500,- EUR oder darunter, ist das Urteil hinsichtlich der Kosten ohne Sicherheitsleistung vollstreckbar. In diesem Fall kann der Beklagte der Vollstreckung widersprechen, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in Höhe des vollstreckbaren Kostenerstattungsanspruchs Sicherheit geleistet hat.

Tatbestand

 
Der Kläger ist freischaffender Metallbildhauer. Sein Studium der Bildhauerei hat er erfolgreich an der X Hochschule für Kunst mit dem Diplom abgeschlossen.
Der Kläger stellt sowohl Feuerschalen als auch Bronzeskulpturen her. Dazu hat er eine eigene Werkstatt mit Atelier in Y, die sich in einem umgebauten Stall befindet und in 2009 fertiggestellt worden war. Bei den Feuerschalen handelt es sich um aus Stahl gefertigte, etwa 50 cm hohe Objekte, jeweils in der Form eines schalenartigen Gefäßes (Durchmesser bis zu 80 cm). Sie haben einen stilisierten Flammenrand, einen mittig eingesetzten Fackeleinsatz und einen Standfuß. Die Objekte können wahlweise mit Festbrennstoffen (Holz) oder dem noch mit flüssigen Brennstoffen (Bioethanol, Spiritus) zu befüllenden Fackeleinsatz benutzt werden. Sie sind zur Verwendung im Innen- und Außenbereich bestimmt. Grundlage für die Feuerschalen sind ausgediente Expansionsgefäße aus Stahl, die der Kläger von Schrottplätzen erwirbt. In einem ersten Arbeitsschritt werden die Expansionsgefäße durch Abbrennen von ihrer Lackschicht befreit. Dann wird der Flammenrand ausgebrannt und zum Schluss der Stahlfuß angeschweißt. Jede Feuerschale ist ein Unikat. Die Flammenränder werden freihändig mit einem Schweißgerät ausgebrannt. Die einzelnen Ausfertigungen werden in Bezug auf Höhe, Flammenrand und Form, in Abhängigkeit vom verwendeten Ausgangsobjekt, jedes Mal neu, manuell und ohne schablonenhafte Vorlage gefertigt. Je nach verfügbarer Zeit werden mehrere Feuerschalen pro Woche hergestellt.
Der Kläger bezeichnet die Feuerschalen auch als Feuerskulpturen. Bereits während seines Bildhauereistudiums habe das Element Feuer eine große Rolle gespielt. Die Objekte seien in erster Linie als stilisiertes „kaltes Feuer“ und insofern als Feuerskulptur zu verstehen. Durch den individuell gestalteten Flammenrand werde auch ohne Befeuerung das Element Feuer optisch in Erscheinung gebracht. Während seines Studiums sei er zu der Überzeugung gekommen, dass die Kunst nicht nur Bedeutung für das Individuum, sondern auch einen Einfluss auf die Gesellschaft haben müsse. Aufgrund dessen sei auch die Idee eines weitgespannten Friedensnetzwerkes entstanden. Dieses ermögliche es Menschen, an einem bestimmten Termin, örtlich getrennt, jedoch verbunden durch eine gemeinsame Aktion, mit Hilfe der Feuerskulpturen dem Wunsch nach Frieden Ausdruck zu verleihen.
Seine Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre, die am 11. März 2011 (für 2009) und am 5. Juli 2012 (für 2010) beim Beklagten eingingen, enthalten die folgenden Angaben:
2009
Umsätze zum allgemeinen Steuersatz aus sonstigen Leistungen nach § 3 Abs. 9a Umsatzsteuergesetz in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (UStG)
xxx,xx EUR
Umsätze zum ermäßigten Steuersatz aus Lieferungen und sonstigen Leistungen
xx.xxx,xx EUR
Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG
 x.xxx,xx EUR
Umsatzsteuer 2009
         ./. x.xxx,xx EUR
2010
Umsätze zum allgemeinen Steuersatz aus Lieferungen und sonstigen Leistungen
x.xxx,xx EUR
Umsätze zum allgemeinen Steuersatz aus sonstigen Leistungen nach § 3 Abs. 9a UStG
xxx,xx EUR
Umsätze zum ermäßigten Steuersatz aus Lieferungen und sonstigen Leistungen
xx.xxx,xx EUR
Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG
x.xxx,xx EUR
Umsatzsteuer 2010
           ./. xxx,xx EUR
Der Beklagte folgte den Angaben des Klägers in seinen Umsatzsteuererklärungen nicht. In den Umsatzsteuerbescheiden für 2009 (vom 24. Mai 2012) und 2010 (vom 29. Januar 2013) setzte er Umsatzsteuer 2009 in Höhe von ./. x.xxx,xx EUR und Umsatzsteuer 2010 in Höhe von x.xxx,xx EUR fest. Dabei legte er folgende Besteuerungsgrundlagen zu Grunde:
2009
Umsätze zum allgemeinen Steuersatz aus Lieferungen und sonstigen Leistungen
xx.xxx,xx EUR
Umsätze zum allgemeinen Steuersatz aus sonstigen Leistungen nach § 3 Abs. 9a UStG
xxx,xx EUR
Umsätze zum ermäßigten Steuersatz aus Lieferungen und sonstigen Leistungen
xx.xxx,xx EUR
Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG
x.xxx,xx EUR
2010
Umsätze zum allgemeinen Steuersatz aus Lieferungen und sonstigen Leistungen
xx.xxx,xx EUR
Umsätze zum allgemeinen Steuersatz aus sonstigen Leistungen nach § 3 Abs. 9a UStG
xxx,xx EUR
Umsätze zum ermäßigten Steuersatz aus Lieferungen und sonstigen Leistungen
   x.xxx,xx EUR
Vorsteuerbeträge nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG
 x.xxx,xx EUR
10 
Das Vorgehen des Beklagten beruhte auf den Erkenntnissen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung für 2009 und die beiden ersten Quartale des Jahres 2010 in 2012 (s. Prüfungsbericht vom 9. Mai 2012 nebst Anlagen, worauf im Einzelnen verwiesen wird). Die Prüferin kam unter anderem zu dem Ergebnis, dass die Umsätze aus der Lieferung der Feuerschalen dem Regelsteuersatz unterlägen. Auf einen Antrag auf unverbindliche Zolltarifauskunft für Umsatzsteuerzwecke beim Bundes- und Wissenschaftszentrum der Bundesfinanzverwaltung (BWZ) hin seien die Feuerschalen als „den Kohlebecken ähnliche, nicht elektrische Haushaltsgeräte, für Feuerung mit Festbrennstoffen“ (= Wärmegefäße) der Codenummer 7321 8900 00 0 des elektronischen Zolltarifs zugeordnet worden (s. unverbindliche Zolltarifauskunft für Umsatzsteuerzwecke des BWZ vom 9. Februar 2012).
11 
Die Einsprüche des Klägers gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2009 und 2010 blieben erfolglos (s. Einspruchsentscheidung vom 28. August 2013). Eine nochmalige Überprüfung des Sachverhalts durch das BWZ hatte das Ergebnis der unverbindlichen Zolltarifauskunft für Umsatzsteuerzwecke vom 9. Februar 2012 bestätigt (s. Schreiben des BWZ vom 20. Dezember 2012).
12 
Mit Schreiben vom 27. September 2013, das am 1. Oktober 2013 beim Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg einging, erhob der Kläger Klage. Zur Begründung betont er, als Haushaltsgeräte zur täglichen Nutzung seien seine Feuerschalen völlig ungeeignet. Die gelegentliche Nutzung als behelfsmäßiges Behältnis für ein Feuer sei im Gegensatz zur stilisierten künstlerischen Darstellung des Feuers zweitrangig. Der untergeordnete mögliche Gebrauchswert spiele hier keine Rolle. Die Darstellung des stilisierten Feuer-elements herrsche vor und gebe den Objekten den prägenden Charakter. Bei allen Objekten handle es sich um eine individuelle Interpretation des Themas Feuer. Die Objekte stünden daher nicht im Wettbewerb mit industriell gefertigten Waren und seien deshalb keine Handelswaren.
13 
Der Kläger beantragt,

1. die Umsatzsteuerbescheide für 2009 vom 24. Mai 2012 und für 2010 vom 16. Januar 2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung dahingehend zu ändern, dass die Umsätze aus der Lieferung von Feuerschalen (Bruttobetrag in 2009: xx.xxx,xx EUR, Bruttobetrag in 2010: xx.xxx,xx EUR) nicht dem Regelsteuersatz, sondern dem ermäßigten Steuersatz (7%) unterworfen werden und
2. die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
14 
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
15 
Zur Begründung verweist er auf seine Einspruchsentscheidung vom 28. August 2013. Ergänzend betont er, der subjektive Wille und der idealistische Zweck könnten bei der Beurteilung, ob die Lieferung von Feuerschalen dem ermäßigten Steuersatz unterliegen oder nicht, nicht berücksichtigt werden. Auch könne in die Beurteilung nicht einbezogen werden, in welchem Rahmen die Erwerber die Objekte nutzten, zumal das nicht bekannt sei. Maßgebend sei, ob sich diese in einer zumindest potentiellen wirtschaftlichen Wettbewerbssituation mit anderen ähnlichen Erzeugnissen industrieller oder handwerklicher Herstellung befinden. Dies treffe auf die vom Kläger gefertigten Feuerschalen zu, auch wenn sie durch den Flammenrand eine persönliche Note des Klägers enthalten. Im Übrigen habe der Kläger in 2009 XX und in 2010 XXX Feuerschalen geliefert.
16 
Im Laufe des Klageverfahrens erging mit Datum vom 16. Januar 2014 ein geänderter Umsatzsteuerbescheid für 2010. Die festgesetzte Umsatzsteuer 2010 reduzierte sich auf x.xxx,xx EUR. Die Änderung beruht auf einem anderen Ansatz der Netto-Umsätze (zu 19%: xx.xxx,xx EUR anstelle von xx.xxx,xx EUR, zu 7%: x.xxx,xx EUR anstelle von x.xxx,xx EUR).
17 
Auf die dem Gericht vorgelegten Photographien von Feuerschalen wird im Einzelnen verwiesen (Finanzgerichtsakte Blatt 26 bis 36).
18 
Am 20. Januar 2015 fand ein Erörterungstermin statt (s. Sitzungsniederschrift). In diesem führte der Kläger aus, sein Wunsch sei es, die Welt zu verbessern. Die Aspekte Schönheit und Ästhetik seien für ihn sehr wichtig. Das sei mit ein Grund gewesen, sich mit Kunst zu beschäftigen. Zudem gehe es darum, welchen persönlichen Beitrag er in Bezug auf den Frieden leisten könne. In diesem Zusammenhang habe er einen Impuls setzen wollen. Zudem gehe es ihm um die Wertschätzung und den Respekt sowie eine „Rückverbindung“ zu „unseren“ Wurzeln, so dem Feuer.
19 
Der Kläger betonte, er sei leidenschaftlicher Schrottplatzgänger. Die auf den Schrottplätzen gefundenen Gegenstände wähle er aus einem ästhetischen Aspekt aus. Wenn er für sie zahlen müsse, zahle er grundsätzlich nach Kilo. Die Expansionsgefäße lieferten die Schrottplatzhändler schon von sich aus. Bei den Gegenständen in seinem Atelier trenne er die Form von der Funktion. Er wolle der Welt etwas zur Verfügung stellen, das es so zuvor noch nicht gegeben habe. Ein Expansionsgefäß sei eine Kugel. Zunächst müsse er das Gefäß in der Mitte trennen, um die Membran und die technischen Anschlüsse herauszuschneiden. Im Idealfall habe er dann zwei Halbkugeln. An-schließend werde der Lack abgeflext. Er wolle damit den Stahl blank bekommen. Der rostige Charakter solle zum Ausdruck kommen. Das verdeutliche das Archaische. Einerseits durch die Formensprache (die einzelne Flamme des Schalenrandes - entweder ruhiger oder unruhiger) und andererseits durch die Farbe der Schale werde das Ursprüngliche sichtbar. Die Formensprache (Gestaltung des Schalenrandes als Flamme) bringe das Feuer zum Ausdruck. Bei der Gestaltung der Ränder habe er kein Konzept, sondern er lasse sich leiten und führen. Er arbeite einfach und lese später. Er habe kein bestimmtes Motiv. Vielmehr entstehe die Form in einem Prozess zwischen drei und sechs Stunden. Er wolle damit einen Ausdruck für das Feuer darstellen. Er lege nicht vorher fest, wie ein Flammenrand auszusehen hat. Das ergebe sich aus dem Schaffungsprozess. Es komme auch vor, dass eine Feuerschale auf Bestellung gefertigt wird. In diesem Fall gehe es im Wesentlichen um die individuelle Größe (Arrangement im Garten des Bestellers) und die Ausgestaltung. Die Feuerschalen hätten aufgrund der Ausgestaltung, auch ohne dass sie als solche in Gebrauch sind, eine eigene Bedeutung, da sie wegen des Flammenrandes bereits das Feuer symbolisierten.
20 
In dem Erörterungstermin erklärten sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch den Berichterstatter einverstanden.
21 
Die von der Klägerseite mit Schreiben vom 12. Februar 2015 mitgeteilten Bruttoeinnahmen aus der Lieferung von Feuerschalen sind zwischen den Beteiligten unstreitig (s. Schreiben des Beklagten vom 6. März 2015).

Entscheidungsgründe

 
22 
1. Die Klage ist begründet. Die Umsätze aus der Lieferung der vom Kläger geschaffenen Feuerschalen unterliegen dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Nr. 53 Buchst. c der Anlage 2. Die Feuerschalen sind Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst im Sinne der Position 9703 des gemeinsamen Zolltarifs (GZT).
23 
Zwar beträgt die Umsatzsteuer gemäß § 12 Abs. 1 UStG für jeden steuerpflichtigen Umsatz 19% der Bemessungsgrundlage. Allerdings ermäßigt sie sich nach der spezielleren Norm des § 12 Abs. 2 UStG auf 7%, wenn einer der hierin abschließend aufgeführten Tatbestände vorliegt. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG kommt der ermäßigte Steuersatz auf die Lieferung der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände zur Anwendung. Nach Nr. 53 Buchst. c dieser Anlage fallen hierunter Kunstgegenstände, und zwar Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst, aus Stoffen aller Art. Ergänzend verweist Nr. 53 Buchst. c der Anlage 2 auf Position 9703 GZT. Für die Auslegung der Formulierung „Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst“ kommt es insoweit allein auf die zolltariflichen Begriffe und Vorschriften an (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. Januar 2003 VII R 11/02, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2003, 875).
24 
Präzisiert wird die Position 9703 GZT durch die vorangestellte Anmerkung 3 zu Kapitel 97 GZT. Danach gehören zu dieser Position „nicht Bildhauerarbeiten, die den Charakter einer Handelsware haben (Serienerzeugnisse, Abgüsse und handwerkliche Erzeugnisse), selbst wenn diese Waren von Künstlern entworfen oder gestaltet wurden“.
25 
a. Die vom Kläger gelieferten Feuerschalen sind, entsprechend dem Wortsinn des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Nr. 53 Buchst. c der Anlage 2 sowie Position 9703 GZT, Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst. Trotz ihrer Funktionalität als „Wärmegefäß“ bzw. als Gefäß zum Entzünden eines Feuers, handelt es sich primär um Kunstgegenstände.
26 
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist die Bildhauerkunst oder Plastik (griechisch plastikae = die Formende/Geformte) der Oberbegriff für eine der drei Hauptarten der bildenden Kunst. Sie verwirklicht sich in aus festen Stoffen geschaffenen körperhaften Gebilden, die dreidimensional oder als Reliefs möglich sind. Die Plastik im engeren Sinne umfasst Werke aus modellierbaren Stoffen, wie beispielsweise Ton, und aus gießbarem Material, wie z.B. Metall (Bambach-Horst u. a., in: Der Brockhaus Kunst, 2. Auflage 2001, Stichwort „Bildhauerei“). Dementsprechend versteht man unter Originalerzeugnissen der Bildhauerkunst aus Stoffen aller Art Plastiken alten oder modernen Stils, die, wie im Streitfall, vom Bildhauer als Originale hergestellt wurden, unabhängig vom Herstellungsverfahren (vgl. BFH-Urteil vom 8. Januar 2003 VII R 11/02, a.a.O.; Tz.166 Nr. 3 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 5. August 2004 IV B 7-S 7220-46/04, Bundessteuerblatt - BStBl - I 2004, 638).
27 
Entsprechend der Anmerkung 3 zu Kapitel 97 GZT sind von der Begünstigung jedoch Gegenstände ausgenommen, die den Charakter einer Handelsware haben. Auch künstlerische Unikate können diesen Charakter aufweisen (vgl. Urteil des FG Brandenburg vom 7. November 2006 1 K 1613/04, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2007, 1197). Hierfür spricht einerseits der Wortlaut der Anmerkung 3 zu Kapitel 97 GZT, der gerade nicht voraussetzt, dass die Gegenstände Handelswaren sind. Vielmehr lässt er es ausreichen, dass sie den Charakter einer Handelsware haben, d.h. der Handelsware wesensähnlich und mithin vergleichbar sind. Auch aus den exemplifizierenden und im Übrigen nicht abschließenden Klammerzusätzen Serienerzeugnisse, Abgüsse und handwerkliche Erzeugnisse lässt sich nicht entnehmen, dass es sich bei Handelswaren um Massenwaren im Gegensatz zu einzelangefertigten Stücken handeln muss. Im Gegenteil spricht gerade das Beispiel „handwerkliche Erzeugnisse“ im Zusammenhang mit dem Nebensatz „selbst wenn diese Waren von Künstlern entworfen oder gestaltet wurden“ dafür, dass auch Unikate Handelswaren sein können. Schließlich erfasst, in Abgrenzung zu den beiden anderen Beispielen, die Formulierung „handwerkliche Erzeugnisse“ gerade nicht die Situation der Massenproduktion, die bereits unter den Begriff „Serienerzeugnisse“ fällt, und auch nicht Kopien oder Reproduktionen bereits vorhandener Erzeugnisse, die durch den Begriff „Abgüsse“ exemplarisch erfasst sind. Für den Begriff „handwerkliche Erzeugnisse“ bleibt als Anwendungsfall daher gerade die Erst- und Einzelanfertigung einer Ware. Der Nebensatz in dieser Anmerkung stellt darüber hinaus klar, dass es für die Beurteilung grundsätzlich keinen Unterschied macht, ob die Ware von einem Künstler oder einem (Kunst-)Handwerker angefertigt wurde, weil die erstmalige Fertigung eines Werkes immer ein Mindestmaß an schöpferischer Phantasie, kreativer Gestaltung sowie individuellem ästhetischen Ideal enthält. Ausdrücklich klargestellt ist damit, dass auch Künstler Handelswaren herstellen können. Ausdrücklich klargestellt ist des Weiteren, dass nicht jede individuelle künstlerische Schöpfung schon allein deshalb nicht den Charakter einer Handelsware aufweist (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - vom 13. Dezember 1989 C-1/89, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1990, 1416; Rüsken, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht, 2. Aufl. 2012, Seite 553 ff.).
28 
Die Abgrenzung von Handelswaren zu begünstigten Originalerzeugnissen der Bildhauerkunst kann somit nicht (allein) nach dem Vorliegen eines künstlerischen Eindrucks erfolgen, sondern durch Gegenüberstellung mit vergleichbaren industriellen oder handwerklichen Produkten. Sie hat ausschließlich anhand objektiv erkennbarer Kriterien und äußerer Merkmale und unabhängig von einem etwaigen „Wert“ oder der „Qualität“ der Kunst zu erfolgen. Die Position 9703 GZT ist weit auszulegen und im Zweifelsfall anzuwenden. Im Zweifel liegt also keine Handelsware vor. Überwiegt nach dem Gesamtbild des Gegenstands, d.h. seiner äußeren Gestaltung, der Charakter als Handelsware, tritt er somit zumindest potentiell in einen wirtschaftlichen Wettbewerb mit vergleichbaren industriellen oder handwerklichen Erzeugnissen, liegt jedoch die Position 9703 GZT nicht vor (EuGH-Urteil vom 18. September 1990 C-228/89, NJW 1991, 1469; BFH-Urteil vom 8. Januar 2003 VII R 11/02, a.a.O.).
29 
Die Finanzverwaltung nimmt in Umsetzung der Kriterien der Rechtsprechung des EuGH dann das Vorliegen von Originalerzeugnissen der Bildhauerkunst an, wenn der künstlerische Eindruck des Gegenstands vorherrschend ist und das objektive Erscheinungsbild prägt. Demgegenüber qualifiziert sie regelmäßig alle Gegenstände als Handelswaren, die, ungeachtet ihres künstlerischen Werts, einen eigenen charakterbestimmenden Gebrauchswert aufweisen, es sei denn, dieser tritt ausnahmsweise hinter dem vorherrschenden künstlerischen Eindruck zurück (beispielhaft aufgeführt werden Gitter, Türgriffe, Trinkgefäße, Leuchter, Schmuck und Vasen; s. Tz. 170 des BMF-Schreibens vom 5. August 2004 IV B 7-S 7220-46/04, a.a.O.). Diese Einordnung ist so pauschal allerdings im Hinblick auf den Wortlaut der Position 9703 GZT einschließlich der Anmerkung 3 zu Kapitel 97 nicht zu halten. Dort findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass Gebrauchsgegenstände von vornherein nicht begünstigte Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst sein können. Im Gegenteil kann gerade aus dem Abgrenzungsbedürfnis zu den exemplarisch aufgeführten Handelswaren geschlossen werden, dass Gebrauchskunst nicht von vornherein von der Begünstigung ausgeschlossen ist. Schließlich werden Handelswaren, zumal sie das Bestehen eines Marktes voraussetzen, üblicherweise Gebrauchsgegenstände sein. Der Gebrauchswert des Gegenstands ist deshalb lediglich eines von mehreren in Frage kommenden objektiven Merkmalen zur Abgrenzung von Handelswaren gegenüber Originalerzeugnissen der Bildhauerkunst.
30 
So geht auch die Rechtsprechung davon aus, dass der praktische Zweck eines Gegenstands nicht zwangsläufig zu seiner Einordnung als Handelsware führt (BFH-Urteil vom 26. November 1996 VII R 54/96, BFH/NV 1997, 724). Schließlich wäre ansonsten Gebrauchskunst per se von der Begünstigung ausgeschlossen.
31 
Im Ergebnis hat hiernach also eine Gesamtwürdigung des äußeren Erscheinungsbildes zu erfolgen, bei der zu beurteilen ist, ob es sich bei dem Werk um eine höchst persönliche Schöpfung handelt, mit der der Künstler einem ästhetischen Ideal Ausdruck verleiht (vgl. Beschlüsse des BFH vom 28. Februar 2014 V B 76/13, BFH/NV 2014, 900; 12. September 2013 VII B 5/13, BFH/NV 2014,78 und vom 12. September 2007 VII S 61/06 (PKH), BFH/NV 2008, 121) und bei dem daher der künstlerische Eindruck prägend ist oder ob es wegen seines überwiegenden Gebrauchswerts oder anderer objektiver Merkmale mit vergleichbaren industriellen oder handwerklichen Erzeugnissen in (potentiellen) wirtschaftlichen Wettbewerb tritt.
32 
b. Der oben dargestellten Abgrenzung stehen auch Sinn und Zweck der Privilegierung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Nr. 53 Buchst. c der Anlage 2 in Verbindung mit der Position 9703 GZT nicht entgegen.
33 
Sinn und Zweck der Steuerermäßigung für Kunstgegenstände ist die Förderung der Kunst durch die Schaffung steuerlicher Anreize für den Erwerb von Kunst (EuGH-Urteil vom 13. Dezember 1989 C-1/89, a.a.O.). Dieser Zweck erlangt auch und gerade für Gebrauchskunst erhebliche Bedeutung. Immerhin ist der Erwerb von Kunst erheblich teurer und mithin wirtschaftlich „unvernünftiger“ als der Erwerb funktionsgleicher Industrie- oder Handwerksprodukte. Durch die ermäßigte Besteuerung soll dieses Preisgefälle abgemildert und dadurch Mäzenatentum gefördert werden.
34 
Erforderlich ist aber nicht zwingend die Begünstigung jedes Gegenstands, der künstlerisch motiviert und Ausdruck des individuellen ästhetischen Ideals ist. Denn nicht nur im Hinblick auf den künstlerischen Eindruck des Werkes, sondern auch hinsichtlich des Preisgefälles stellt sich der Übergang zwischen (Kunst-)Handwerk und Kunst fließend dar, so dass irgendwo eine Grenzziehung erfolgen muss.
35 
c. Die Systematik der Norm steht dieser Beurteilung ebenfalls nicht entgegen. Zwar stehen § 12 Abs. 1 und Abs. 2 UStG in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis, so dass unter diesem Gesichtspunkt § 12 Abs. 2 UStG grundsätzlich eng auszulegen ist. Dies darf jedoch nicht zur Verletzung europarechtlicher Vorgaben führen. Ihre Grenze findet die Auslegung erst am Wortlaut der Norm. Da die oben unter a. vorgenommene Auslegung der Position 9703 GZT auf die im Wortlaut identische Nr. 53 Buchst. c der Anlage 2 zum UStG übertragbar ist und diese zur Auslegung gerade auch auf den GZT verweist, entstehen keine systematischen Widersprüche, wenn nicht jede, sondern nur bestimmte Kunst über § 12 Abs. 2 UStG begünstigt wird.
36 
d. Bei Anwendung dieser Grundsätze sind zu der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Gerichts (§ 96 Finanzgerichtsordnung - FGO) die vom Kläger gelieferten Feuerschalen als Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst zu qualifizieren. Nach den gesamten äußeren Umständen ist der künstlerische Eindruck für sie, bei denen es sich unstreitig um dreidimensionale Gegenstände handelt, prägend. Sie haben nicht den Charakter einer Handelsware.
37 
Der künstlerische Eindruck herrscht vor. Die selbstverständlich auch bestehende Nutzungsmöglichkeit als „Wärmegefäß“ schließt es nicht aus, dass es jenseits des Gebrauchszwecks einen prägenden künstlerischen Eindruck geben kann. Aus einem schlichten äußeren Erscheinungsbild von Objekten kann nicht darauf geschlossen werden, dass deshalb die Funktionalität augenfällig in den Vordergrund gerückt wird. Denn dies liefe auf eine Bewertung der Kunst als solche und eine Diskriminierung minimalistischer Kunst gegenüber opulenten Werken hinaus. Gerade diese Bewertung hat jedoch zu unterbleiben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass vor allem durch eine schlichte Gestaltung der Künstler sein ästhetisches Ideal verwirklicht sieht.
38 
Auch aus dem Umstand, dass durch die Art und Weise der künstlerischen Gestaltung der Gebrauchswert eines Gegenstands nicht beeinträchtigt wird, kann nicht geschlossen werden, der künstlerische Eindruck sei nicht prägend. Bei einer derartigen Beurteilung gebe es keine Gebrauchskunst. Denn der Künstler müsste, um aus einem Gebrauchsgegenstand Kunst zu machen, dessen Nutzungsmöglichkeiten gegenüber entsprechender Industrie- oder Handelsware zumindest einschränken, was dem Sinn von Gebrauchskunst zuwider liefe, die ja gerade praktisch verwendet werden soll.
39 
Bei den Feuerschalen ergibt sich der dominierende künstlerische Eindruck aus ihrer Gestaltung als Flammen, die für den Kläger das Archaische/Ursprüngliche versinnbildlichen. Sowohl die Farbe der Objekte als auch deren Form stilisieren ein Feuer. Ohne sie in Gebrauch zu nehmen, also in ihnen ein Feuer zu entzünden, sind sie als Flammen/(„kaltes“) Feuer zu erkennen. Dadurch, dass der Kläger zunächst die den Feuerschalen zugrundeliegenden Expansionsgefäße durch Abbrennen von ihrer Lackschicht befreit, kommt blanker Stahl (= Rost) zum Vorschein, wobei die Farbe dieses Materials (= rot) den Bezug zum Feuer, das ebenfalls rote Farbnuancen enthält, herstellt. Auch die Form der Feuerschalen steht für das Element Feuer. Die Schalen sind alle aufstrebend gefertigt. Der individuell im Rahmen eines klägerischen Schaffungsprozesses gefertigte (ruhigere oder unruhigere) Flammenrand unterstützt die aufstrebende Bewegung. Die Schalenform und mögliche Nutzung als „Wärmegefäß“ bzw. Gefäß zum Entzünden eines Feuers tritt daneben zurück.
40 
Nach allem haben die Feuerschalen einen über die schlichte Reproduktion hinausreichenden individuellen schöpferischen Charakter, der Ausdruck des ästhetischen Empfindens des Klägers ist.
41 
e. Entgegen der Auffassung des Beklagten spricht die Menge der in den Streitjahren gelieferten Feuerschalen (nach den Ausführungen des Beklagten hat der Kläger in 2009 XX und in 2010 XXX Feuerschalen geliefert) nicht gegen die Einordnung der einzelnen Feuerschale als Originalerzeugnis der Bildhauerkunst. So hat der BFH bspw. entschieden, dass zwar die Anzahl der bspw. in einer Auflage hergestellten Skulpturen ein Anhaltspunkt für den fehlenden Originalcharakter eines Werkes sein könne. Jedoch sei die Anzahl der Nachbildungen nicht allein entscheidend, auch wenn es in Betracht komme, dass ab einem gewissen Umfang der Auflage in einem Reproduktionsverfahren hergestellter Skulpturen sich der Originalcharakter eines Werkes verflüchtigt. Erforderlich sei eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls (Beschluss des BFH vom 9. September 2010 VII B 63/10, BFH/NV 2011, 325 - in diesem Fall waren Bronzeskulpturen in Auflagen von 1.000 Stück hergestellt worden). Im Streitfall handelt es sich jedoch nicht um Reproduktionen eines Objekts, sondern um jeweils individuell hergestellte, sich nicht gleichende Erzeugnisse.
42 
f. Die vom Beklagten eingeholte unverbindliche Zolltarifauskunft für Umsatzsteuerzwecke steht dem Ergebnis des Gerichts nicht entgegen. Anders als verbindliche Zolltarifauskünfte für Zollzwecke sind unverbindliche Zolltarifauskünfte für Umsatzsteuerzwecke keine Verwaltungsakte mit rechtlicher Bindungswirkung (vgl. Husmann in Rau/Dürrwächter, UStG, Stand: Januar 2015, § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Tz. 107).
43 
2. Die aufgrund der vorstehenden Ausführungen gebotene Festsetzung der Umsatzsteuer 2009 und 2010 wird dem Beklagten übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
44 
3. Nachdem das Einverständnis beider Beteiligter vorlag, hielt es das Gericht für sachgerecht, gemäß §§ 90 Abs. 2, 79a Abs. 3, 4 FGO ohne mündliche Verhandlung durch die Berichterstatterin zu entscheiden.
45 
4. Die Klägerseite beantragte, die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären. Dem Verfahren lag ein Sachverhalt zugrunde, der in rechtlicher Hinsicht nicht von vornherein als einfach zu beurteilen war. Die Klägerseite durfte sich daher eines Rechtskundigen bedienen, um eine erfolgversprechende Rechtsverfolgung zu erreichen. Das Gericht hält hiernach die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
46 
5. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709, 711 Zivilprozessordnung.

Gründe

 
22 
1. Die Klage ist begründet. Die Umsätze aus der Lieferung der vom Kläger geschaffenen Feuerschalen unterliegen dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Nr. 53 Buchst. c der Anlage 2. Die Feuerschalen sind Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst im Sinne der Position 9703 des gemeinsamen Zolltarifs (GZT).
23 
Zwar beträgt die Umsatzsteuer gemäß § 12 Abs. 1 UStG für jeden steuerpflichtigen Umsatz 19% der Bemessungsgrundlage. Allerdings ermäßigt sie sich nach der spezielleren Norm des § 12 Abs. 2 UStG auf 7%, wenn einer der hierin abschließend aufgeführten Tatbestände vorliegt. Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG kommt der ermäßigte Steuersatz auf die Lieferung der in der Anlage 2 bezeichneten Gegenstände zur Anwendung. Nach Nr. 53 Buchst. c dieser Anlage fallen hierunter Kunstgegenstände, und zwar Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst, aus Stoffen aller Art. Ergänzend verweist Nr. 53 Buchst. c der Anlage 2 auf Position 9703 GZT. Für die Auslegung der Formulierung „Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst“ kommt es insoweit allein auf die zolltariflichen Begriffe und Vorschriften an (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. Januar 2003 VII R 11/02, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2003, 875).
24 
Präzisiert wird die Position 9703 GZT durch die vorangestellte Anmerkung 3 zu Kapitel 97 GZT. Danach gehören zu dieser Position „nicht Bildhauerarbeiten, die den Charakter einer Handelsware haben (Serienerzeugnisse, Abgüsse und handwerkliche Erzeugnisse), selbst wenn diese Waren von Künstlern entworfen oder gestaltet wurden“.
25 
a. Die vom Kläger gelieferten Feuerschalen sind, entsprechend dem Wortsinn des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Nr. 53 Buchst. c der Anlage 2 sowie Position 9703 GZT, Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst. Trotz ihrer Funktionalität als „Wärmegefäß“ bzw. als Gefäß zum Entzünden eines Feuers, handelt es sich primär um Kunstgegenstände.
26 
Im allgemeinen Sprachgebrauch ist die Bildhauerkunst oder Plastik (griechisch plastikae = die Formende/Geformte) der Oberbegriff für eine der drei Hauptarten der bildenden Kunst. Sie verwirklicht sich in aus festen Stoffen geschaffenen körperhaften Gebilden, die dreidimensional oder als Reliefs möglich sind. Die Plastik im engeren Sinne umfasst Werke aus modellierbaren Stoffen, wie beispielsweise Ton, und aus gießbarem Material, wie z.B. Metall (Bambach-Horst u. a., in: Der Brockhaus Kunst, 2. Auflage 2001, Stichwort „Bildhauerei“). Dementsprechend versteht man unter Originalerzeugnissen der Bildhauerkunst aus Stoffen aller Art Plastiken alten oder modernen Stils, die, wie im Streitfall, vom Bildhauer als Originale hergestellt wurden, unabhängig vom Herstellungsverfahren (vgl. BFH-Urteil vom 8. Januar 2003 VII R 11/02, a.a.O.; Tz.166 Nr. 3 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen - BMF - vom 5. August 2004 IV B 7-S 7220-46/04, Bundessteuerblatt - BStBl - I 2004, 638).
27 
Entsprechend der Anmerkung 3 zu Kapitel 97 GZT sind von der Begünstigung jedoch Gegenstände ausgenommen, die den Charakter einer Handelsware haben. Auch künstlerische Unikate können diesen Charakter aufweisen (vgl. Urteil des FG Brandenburg vom 7. November 2006 1 K 1613/04, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 2007, 1197). Hierfür spricht einerseits der Wortlaut der Anmerkung 3 zu Kapitel 97 GZT, der gerade nicht voraussetzt, dass die Gegenstände Handelswaren sind. Vielmehr lässt er es ausreichen, dass sie den Charakter einer Handelsware haben, d.h. der Handelsware wesensähnlich und mithin vergleichbar sind. Auch aus den exemplifizierenden und im Übrigen nicht abschließenden Klammerzusätzen Serienerzeugnisse, Abgüsse und handwerkliche Erzeugnisse lässt sich nicht entnehmen, dass es sich bei Handelswaren um Massenwaren im Gegensatz zu einzelangefertigten Stücken handeln muss. Im Gegenteil spricht gerade das Beispiel „handwerkliche Erzeugnisse“ im Zusammenhang mit dem Nebensatz „selbst wenn diese Waren von Künstlern entworfen oder gestaltet wurden“ dafür, dass auch Unikate Handelswaren sein können. Schließlich erfasst, in Abgrenzung zu den beiden anderen Beispielen, die Formulierung „handwerkliche Erzeugnisse“ gerade nicht die Situation der Massenproduktion, die bereits unter den Begriff „Serienerzeugnisse“ fällt, und auch nicht Kopien oder Reproduktionen bereits vorhandener Erzeugnisse, die durch den Begriff „Abgüsse“ exemplarisch erfasst sind. Für den Begriff „handwerkliche Erzeugnisse“ bleibt als Anwendungsfall daher gerade die Erst- und Einzelanfertigung einer Ware. Der Nebensatz in dieser Anmerkung stellt darüber hinaus klar, dass es für die Beurteilung grundsätzlich keinen Unterschied macht, ob die Ware von einem Künstler oder einem (Kunst-)Handwerker angefertigt wurde, weil die erstmalige Fertigung eines Werkes immer ein Mindestmaß an schöpferischer Phantasie, kreativer Gestaltung sowie individuellem ästhetischen Ideal enthält. Ausdrücklich klargestellt ist damit, dass auch Künstler Handelswaren herstellen können. Ausdrücklich klargestellt ist des Weiteren, dass nicht jede individuelle künstlerische Schöpfung schon allein deshalb nicht den Charakter einer Handelsware aufweist (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - vom 13. Dezember 1989 C-1/89, Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1990, 1416; Rüsken, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht, 2. Aufl. 2012, Seite 553 ff.).
28 
Die Abgrenzung von Handelswaren zu begünstigten Originalerzeugnissen der Bildhauerkunst kann somit nicht (allein) nach dem Vorliegen eines künstlerischen Eindrucks erfolgen, sondern durch Gegenüberstellung mit vergleichbaren industriellen oder handwerklichen Produkten. Sie hat ausschließlich anhand objektiv erkennbarer Kriterien und äußerer Merkmale und unabhängig von einem etwaigen „Wert“ oder der „Qualität“ der Kunst zu erfolgen. Die Position 9703 GZT ist weit auszulegen und im Zweifelsfall anzuwenden. Im Zweifel liegt also keine Handelsware vor. Überwiegt nach dem Gesamtbild des Gegenstands, d.h. seiner äußeren Gestaltung, der Charakter als Handelsware, tritt er somit zumindest potentiell in einen wirtschaftlichen Wettbewerb mit vergleichbaren industriellen oder handwerklichen Erzeugnissen, liegt jedoch die Position 9703 GZT nicht vor (EuGH-Urteil vom 18. September 1990 C-228/89, NJW 1991, 1469; BFH-Urteil vom 8. Januar 2003 VII R 11/02, a.a.O.).
29 
Die Finanzverwaltung nimmt in Umsetzung der Kriterien der Rechtsprechung des EuGH dann das Vorliegen von Originalerzeugnissen der Bildhauerkunst an, wenn der künstlerische Eindruck des Gegenstands vorherrschend ist und das objektive Erscheinungsbild prägt. Demgegenüber qualifiziert sie regelmäßig alle Gegenstände als Handelswaren, die, ungeachtet ihres künstlerischen Werts, einen eigenen charakterbestimmenden Gebrauchswert aufweisen, es sei denn, dieser tritt ausnahmsweise hinter dem vorherrschenden künstlerischen Eindruck zurück (beispielhaft aufgeführt werden Gitter, Türgriffe, Trinkgefäße, Leuchter, Schmuck und Vasen; s. Tz. 170 des BMF-Schreibens vom 5. August 2004 IV B 7-S 7220-46/04, a.a.O.). Diese Einordnung ist so pauschal allerdings im Hinblick auf den Wortlaut der Position 9703 GZT einschließlich der Anmerkung 3 zu Kapitel 97 nicht zu halten. Dort findet sich kein Anhaltspunkt dafür, dass Gebrauchsgegenstände von vornherein nicht begünstigte Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst sein können. Im Gegenteil kann gerade aus dem Abgrenzungsbedürfnis zu den exemplarisch aufgeführten Handelswaren geschlossen werden, dass Gebrauchskunst nicht von vornherein von der Begünstigung ausgeschlossen ist. Schließlich werden Handelswaren, zumal sie das Bestehen eines Marktes voraussetzen, üblicherweise Gebrauchsgegenstände sein. Der Gebrauchswert des Gegenstands ist deshalb lediglich eines von mehreren in Frage kommenden objektiven Merkmalen zur Abgrenzung von Handelswaren gegenüber Originalerzeugnissen der Bildhauerkunst.
30 
So geht auch die Rechtsprechung davon aus, dass der praktische Zweck eines Gegenstands nicht zwangsläufig zu seiner Einordnung als Handelsware führt (BFH-Urteil vom 26. November 1996 VII R 54/96, BFH/NV 1997, 724). Schließlich wäre ansonsten Gebrauchskunst per se von der Begünstigung ausgeschlossen.
31 
Im Ergebnis hat hiernach also eine Gesamtwürdigung des äußeren Erscheinungsbildes zu erfolgen, bei der zu beurteilen ist, ob es sich bei dem Werk um eine höchst persönliche Schöpfung handelt, mit der der Künstler einem ästhetischen Ideal Ausdruck verleiht (vgl. Beschlüsse des BFH vom 28. Februar 2014 V B 76/13, BFH/NV 2014, 900; 12. September 2013 VII B 5/13, BFH/NV 2014,78 und vom 12. September 2007 VII S 61/06 (PKH), BFH/NV 2008, 121) und bei dem daher der künstlerische Eindruck prägend ist oder ob es wegen seines überwiegenden Gebrauchswerts oder anderer objektiver Merkmale mit vergleichbaren industriellen oder handwerklichen Erzeugnissen in (potentiellen) wirtschaftlichen Wettbewerb tritt.
32 
b. Der oben dargestellten Abgrenzung stehen auch Sinn und Zweck der Privilegierung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit Nr. 53 Buchst. c der Anlage 2 in Verbindung mit der Position 9703 GZT nicht entgegen.
33 
Sinn und Zweck der Steuerermäßigung für Kunstgegenstände ist die Förderung der Kunst durch die Schaffung steuerlicher Anreize für den Erwerb von Kunst (EuGH-Urteil vom 13. Dezember 1989 C-1/89, a.a.O.). Dieser Zweck erlangt auch und gerade für Gebrauchskunst erhebliche Bedeutung. Immerhin ist der Erwerb von Kunst erheblich teurer und mithin wirtschaftlich „unvernünftiger“ als der Erwerb funktionsgleicher Industrie- oder Handwerksprodukte. Durch die ermäßigte Besteuerung soll dieses Preisgefälle abgemildert und dadurch Mäzenatentum gefördert werden.
34 
Erforderlich ist aber nicht zwingend die Begünstigung jedes Gegenstands, der künstlerisch motiviert und Ausdruck des individuellen ästhetischen Ideals ist. Denn nicht nur im Hinblick auf den künstlerischen Eindruck des Werkes, sondern auch hinsichtlich des Preisgefälles stellt sich der Übergang zwischen (Kunst-)Handwerk und Kunst fließend dar, so dass irgendwo eine Grenzziehung erfolgen muss.
35 
c. Die Systematik der Norm steht dieser Beurteilung ebenfalls nicht entgegen. Zwar stehen § 12 Abs. 1 und Abs. 2 UStG in einem Regel-Ausnahme-Verhältnis, so dass unter diesem Gesichtspunkt § 12 Abs. 2 UStG grundsätzlich eng auszulegen ist. Dies darf jedoch nicht zur Verletzung europarechtlicher Vorgaben führen. Ihre Grenze findet die Auslegung erst am Wortlaut der Norm. Da die oben unter a. vorgenommene Auslegung der Position 9703 GZT auf die im Wortlaut identische Nr. 53 Buchst. c der Anlage 2 zum UStG übertragbar ist und diese zur Auslegung gerade auch auf den GZT verweist, entstehen keine systematischen Widersprüche, wenn nicht jede, sondern nur bestimmte Kunst über § 12 Abs. 2 UStG begünstigt wird.
36 
d. Bei Anwendung dieser Grundsätze sind zu der aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung des Gerichts (§ 96 Finanzgerichtsordnung - FGO) die vom Kläger gelieferten Feuerschalen als Originalerzeugnisse der Bildhauerkunst zu qualifizieren. Nach den gesamten äußeren Umständen ist der künstlerische Eindruck für sie, bei denen es sich unstreitig um dreidimensionale Gegenstände handelt, prägend. Sie haben nicht den Charakter einer Handelsware.
37 
Der künstlerische Eindruck herrscht vor. Die selbstverständlich auch bestehende Nutzungsmöglichkeit als „Wärmegefäß“ schließt es nicht aus, dass es jenseits des Gebrauchszwecks einen prägenden künstlerischen Eindruck geben kann. Aus einem schlichten äußeren Erscheinungsbild von Objekten kann nicht darauf geschlossen werden, dass deshalb die Funktionalität augenfällig in den Vordergrund gerückt wird. Denn dies liefe auf eine Bewertung der Kunst als solche und eine Diskriminierung minimalistischer Kunst gegenüber opulenten Werken hinaus. Gerade diese Bewertung hat jedoch zu unterbleiben. Es ist nicht ausgeschlossen, dass vor allem durch eine schlichte Gestaltung der Künstler sein ästhetisches Ideal verwirklicht sieht.
38 
Auch aus dem Umstand, dass durch die Art und Weise der künstlerischen Gestaltung der Gebrauchswert eines Gegenstands nicht beeinträchtigt wird, kann nicht geschlossen werden, der künstlerische Eindruck sei nicht prägend. Bei einer derartigen Beurteilung gebe es keine Gebrauchskunst. Denn der Künstler müsste, um aus einem Gebrauchsgegenstand Kunst zu machen, dessen Nutzungsmöglichkeiten gegenüber entsprechender Industrie- oder Handelsware zumindest einschränken, was dem Sinn von Gebrauchskunst zuwider liefe, die ja gerade praktisch verwendet werden soll.
39 
Bei den Feuerschalen ergibt sich der dominierende künstlerische Eindruck aus ihrer Gestaltung als Flammen, die für den Kläger das Archaische/Ursprüngliche versinnbildlichen. Sowohl die Farbe der Objekte als auch deren Form stilisieren ein Feuer. Ohne sie in Gebrauch zu nehmen, also in ihnen ein Feuer zu entzünden, sind sie als Flammen/(„kaltes“) Feuer zu erkennen. Dadurch, dass der Kläger zunächst die den Feuerschalen zugrundeliegenden Expansionsgefäße durch Abbrennen von ihrer Lackschicht befreit, kommt blanker Stahl (= Rost) zum Vorschein, wobei die Farbe dieses Materials (= rot) den Bezug zum Feuer, das ebenfalls rote Farbnuancen enthält, herstellt. Auch die Form der Feuerschalen steht für das Element Feuer. Die Schalen sind alle aufstrebend gefertigt. Der individuell im Rahmen eines klägerischen Schaffungsprozesses gefertigte (ruhigere oder unruhigere) Flammenrand unterstützt die aufstrebende Bewegung. Die Schalenform und mögliche Nutzung als „Wärmegefäß“ bzw. Gefäß zum Entzünden eines Feuers tritt daneben zurück.
40 
Nach allem haben die Feuerschalen einen über die schlichte Reproduktion hinausreichenden individuellen schöpferischen Charakter, der Ausdruck des ästhetischen Empfindens des Klägers ist.
41 
e. Entgegen der Auffassung des Beklagten spricht die Menge der in den Streitjahren gelieferten Feuerschalen (nach den Ausführungen des Beklagten hat der Kläger in 2009 XX und in 2010 XXX Feuerschalen geliefert) nicht gegen die Einordnung der einzelnen Feuerschale als Originalerzeugnis der Bildhauerkunst. So hat der BFH bspw. entschieden, dass zwar die Anzahl der bspw. in einer Auflage hergestellten Skulpturen ein Anhaltspunkt für den fehlenden Originalcharakter eines Werkes sein könne. Jedoch sei die Anzahl der Nachbildungen nicht allein entscheidend, auch wenn es in Betracht komme, dass ab einem gewissen Umfang der Auflage in einem Reproduktionsverfahren hergestellter Skulpturen sich der Originalcharakter eines Werkes verflüchtigt. Erforderlich sei eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls (Beschluss des BFH vom 9. September 2010 VII B 63/10, BFH/NV 2011, 325 - in diesem Fall waren Bronzeskulpturen in Auflagen von 1.000 Stück hergestellt worden). Im Streitfall handelt es sich jedoch nicht um Reproduktionen eines Objekts, sondern um jeweils individuell hergestellte, sich nicht gleichende Erzeugnisse.
42 
f. Die vom Beklagten eingeholte unverbindliche Zolltarifauskunft für Umsatzsteuerzwecke steht dem Ergebnis des Gerichts nicht entgegen. Anders als verbindliche Zolltarifauskünfte für Zollzwecke sind unverbindliche Zolltarifauskünfte für Umsatzsteuerzwecke keine Verwaltungsakte mit rechtlicher Bindungswirkung (vgl. Husmann in Rau/Dürrwächter, UStG, Stand: Januar 2015, § 12 Abs. 2 Nr. 1 und 2 Tz. 107).
43 
2. Die aufgrund der vorstehenden Ausführungen gebotene Festsetzung der Umsatzsteuer 2009 und 2010 wird dem Beklagten übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2 FGO).
44 
3. Nachdem das Einverständnis beider Beteiligter vorlag, hielt es das Gericht für sachgerecht, gemäß §§ 90 Abs. 2, 79a Abs. 3, 4 FGO ohne mündliche Verhandlung durch die Berichterstatterin zu entscheiden.
45 
4. Die Klägerseite beantragte, die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Vorverfahren für notwendig zu erklären. Dem Verfahren lag ein Sachverhalt zugrunde, der in rechtlicher Hinsicht nicht von vornherein als einfach zu beurteilen war. Die Klägerseite durfte sich daher eines Rechtskundigen bedienen, um eine erfolgversprechende Rechtsverfolgung zu erreichen. Das Gericht hält hiernach die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig (§ 139 Abs. 3 Satz 3 FGO).
46 
5. Der Ausspruch der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709, 711 Zivilprozessordnung.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen

This content does not contain any references.