Urteil vom Finanzgericht Baden-Württemberg - 1 K 3504/15

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Streitig ist, ob die Klägerin im Rahmen der Rückabwicklung der sog. Bauträgerfälle weiterhin die Umsatzsteuer aus an sie erbrachten Bauleistungen schuldet.
Die Klägerin ist eine GmbH, die überwiegend als Bauträgerin tätig ist. Sie erwirbt Grundstücke, lässt diese bebauen, teilt die Gebäude in Wohnungen auf und verkauft diese.
Die Klägerin, die ihre Umsätze nach vereinbarten Entgelten versteuert, setzte in ihren Umsatzsteuererklärungen 2011 und 2012 vom 11. Dezember 2012 und vom 19. Dezember 2013 sowie in den monatlichen Umsatzsteuervoranmeldungen für das Jahr 2013 die Bemessungsgrundlage i. S. von § 13b Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 Nr. 4 des Umsatz-steuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (UStG) für Bauleistungen an, die sie für nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfreie Grundstückslieferungen verwendete.
Die Beteiligten folgten dabei der damaligen Verwaltungsauffassung, nach der Unternehmer, die eigene Grundstücke zum Zweck des Verkaufs bebauen (z.B. Bauträger), nur dann nicht nach § 13b UStG als Steuerschuldner für die von anderen Unternehmern an sie erbrachten Bauleistungen anzusehen waren, wenn sie ausschließlich Grundstücksgeschäfte tätigten, bei denen es sich nicht um Werklieferungen handelte (vgl. für die Streitjahre: Schreiben des Bundesministeriums für Finanzen -BMF- vom 16. Oktober 2009, Deutsches Steuerrecht -DStR- 2009, 2197, unter 7.). Hierzu zählte die Klägerin nicht.
Im Anschluss an das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. August 2013 V R 37/10 (BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128), nach dem § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG (bis zum 30. Juni 2010: § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG) einschränkend dahingehend auszulegen ist, dass es für die Verlagerung der Steuerschuld darauf ankommt, ob der Leistungsempfänger die an ihn erbrachte Werklieferung oder sonstige Leistung, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dient, seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwendet, berichtigte die Klägerin ihre Umsatzsteuererklärungen 2011 und 2012. Nunmehr berücksichtigte sie die Leistungen, die sie nach § 13b Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 Nr. 4 UStG versteuert hatte, nicht mehr. Entsprechend verfuhr sie mit ihrer -erstmaligen- Umsatzsteuererklärung 2013 vom 23. Juli 2014. Außerdem forderte die Klägerin die danach -ihrer Ansicht nach- zu Unrecht gezahlte Umsatzsteuer zurück.
Der Beklagte (das Finanzamt -FA-) forderte -insoweit den Vorgaben im BMF-Schreiben vom 31. Juli 2014 (BStBl I 2014, 1073, Rz. 10) folgend- von der Klägerin mit Schreiben vom 4. September 2014 zur Bearbeitung des „Erstattungsantrags“ die folgenden Angaben:
                 
„-    
Name, Anschrift und Steuernummer des leistenden Unternehmers,
-       
Rechnungsdatum, Rechnungsnummer, Bezeichnung der erbrachten Bauleistung, Entgelt und -soweit die Rechnung bereits berichtigt wurde- Steuersatz und Steuerbetrag, Zeitpunkt der Zahlung und/oder der Schlusszahlung der hierüber erteilten Rechnungen oder Gutschriften,
-       
Zeitpunkt und Höhe der geleisteten Anzahlungen oder Teilzahlungen sowie Rechnungsdatum und Rechnungsnummer der hierüber erteilten Rechnungen oder Gutschriften,
-       
Zuordnung der bezogenen Bauleistung bzw. der geleisteten Anzahlung zu dem jeweiligen Ausgangsumsatz unter Angabe des konkreten Ausgangsumsatzes (Bauvorhabens) als objektbezogenen Nachweis dafür, dass die Eingangsleistung nicht zur Erbringung von selbst erbrachten Bauleistungen verwendet wurde.“
Die Klägerin bat zunächst mehrmals um Fristverlängerung für die Zusammenstellung der Unterlagen und lehnte schließlich mit Schreiben vom 28. Mai 2015 die Vorlage ab, weil die ihr auferlegten Pflichten unverhältnismäßig seien. Wie aus den Akten ersichtlich sei, bebaue sie als Bauträgerin ausschließlich eigene Grundstücke. Sie schulde die Umsatzsteuer daher nach der neuen Rechtsprechung (Hinweis auf BFH-Urteil vom 22. August 2013 V R 37/10, BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 128) nicht. Sie treffe keine erhöhten Mitwirkungspflichten. Bei der Erklärung der nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG steuerpflichtigen Umsätze seien Angaben zum leistenden Unternehmer nicht erforderlich gewesen. Bei der Erstattung dürfe nichts anderes gelten.
Das FA lehnte daraufhin die Änderungsanträge zur Umsatzsteuer 2011 und 2012 mit Bescheid vom 20. August 2015 ab und unterwarf die an die Klägerin ausgeführten Bauleistungen im erstmaligen -unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden- Umsatzsteuerbescheid 2013 vom 1. September 2015 weiterhin nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG der Umsatzsteuer. Dagegen legte die Klägerin am 18. September 2015 Einsprüche ein.
Während des Einspruchsverfahrens wurde der Umsatzsteuerbescheid 2013 am 21. Oktober 2015 geändert. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
10 
Das FA wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 13. November 2015 als unbegründet zurück. Es meint, die Klägerin habe ihre Mitwirkungspflichten verletzt. Diese sei gemäß § 93 der Abgabenordnung (AO) verpflichtet, dem FA die für die Festsetzung der Umsatzsteuer beim leistenden Unternehmer erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Der Änderungsantrag der Klägerin sei über § 174 Abs. 4 AO mit der Umsatzsteuerfestsetzung beim leistenden Unternehmer verknüpft. Das Auskunftsverlangen sei in Anbetracht der Höhe des von der Klägerin begehrten Erstattungsbetrags auch verhältnismäßig. Die Klägerin schulde die Umsatzsteuer z.B. auch dann, wenn der leistende Unternehmer im Ausland ansässig sei. Da die Klägerin keine Auskünfte erteile, gingen nach § 162 AO verbleibende Zweifel zu ihren Lasten. Die Vorbehalte der Nachprüfung blieben bestehen.
11 
Mit der dagegen am 10. Dezember 2015 erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin, keine Umsatzsteuer für an sie erbrachte Bauleistungen festzusetzen. Sie verlange eine gesetzeskonforme Besteuerung. Die originäre Steuerschuld treffe den leistenden Unternehmer. Ihren Umsatzsteuererklärungen könne entnommen werden, dass -neben Bauleistungen nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG- kein anderer Fall der Verlagerung der Steuerschuld einschlägig sei. Sie könne nicht auf § 27 Abs. 19 UStG verwiesen werden, da dieser nur das Verhältnis zwischen dem leistenden Unternehmer und dem Fiskus regele.
12 
Im Jahr 2011 habe sie eine Steuer für Leistungen nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG in Höhe von xx.xxx,xx EUR erklärt, die sie aufgrund steuerfreier Ausgangsleistungen nicht als Vorsteuer abgezogen habe. Mit der Klage fordere sie daher diesen Betrag zurück.
13 
Für das Jahr 2012 habe sie in der Umsatzsteuererklärung vom 19. Dezember 2013 eine Steuer für Leistungen nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG von xxx.xxx,xx EUR und Vorsteuern nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG von xx.xxx,xx EUR angegeben. In der berichtigten Umsatzsteuererklärung 2012 vom 23. Juli 2014 habe sie -aus Versehen- weder Steuern noch Vorsteuern aus dem Übergang der Steuerschuld erklärt. Sie schulde jedoch weiterhin eine Steuer für Leistungen nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG von xx.xxx,xx EUR, die als Vorsteuer wieder abziehbar sei. Mit der Klage begehre sie somit die Herabsetzung der Steuer um xxx.xxx,xx EUR (xxx.xxx,xx EUR ./. xx.xxx,xx EUR).
14 
Im Jahr 2013 habe sie in der Umsatzsteuererklärung vom 23. Juli 2014 eine Steuer für Leistungen nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG von x.xxx,xx EUR erklärt, während das FA die Steuer im geänderten Umsatzsteuerbescheid vom 21. Oktober 2015 mit xxx.xxx,xx EUR angesetzt habe. Die Steuer solle um die Differenz von xxx.xxx,xx EUR niedriger festgesetzt werden (xxx.xxx,xx EUR ./. x.xxx,xx EUR).
15 
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuerbescheide 2011 bis 2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. November 2015 dahingehend abzuändern, dass die Umsatzsteuer für Leistungen nach § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG wie folgt herabgesetzt wird:
16 
Jahr   
Umsatzsteuer
2011   
xx.xxx,xx EUR
2012   
xxx.xxx,xx EUR
2013   
xxx.xxx,xx EUR
17 
Das FA bleibt bei seiner Rechtsauffassung und beantragt,
die Klage abzuweisen.
18 
Es beanstandet zudem, dass die Klägerin gegenüber dem Fiskus die Anwendung des § 13b UStG rückgängig machen wolle, aber gegenüber den leistenden Bauunternehmer weiterhin an der Vereinbarung eines Nettobetrags festhalten wolle.
19 
In der Rechtssache hat am 22. April 2016 ein Erörterungstermin stattgefunden. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

 
20 
Die Klage ist unbegründet. Die Ablehnungsbescheide zur Umsatzsteuer 2011 und 2012 vom 20. August 2015 sowie der geänderte Umsatzsteuerbescheid 2013 vom 21. Oktober 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. November 2015 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Die Klägerin schuldet die Umsatzsteuer aus den von ihr bezogenen Bauleistungen weiterhin zu Recht.
21 
1.Den Antrag der Klägerin entnimmt der Senat der Bemessungsgrundlage, die das FA in den angefochtenen Steuerbescheiden angesetzt hat einerseits, und dem Schriftsatz der Klägerin vom 9. Mai 2016 andererseits. Wie sich diese Beträge errechnen, ergibt sich aus der folgenden Übersicht:
22 
Jahr      
Bemessungsgrundlage nach § 13b UStG 
Umsatzsteuer hierauf 
Vorsteuer 
Klageantrag
2011   
bisher
                                   
        
korrigiert
                                   
2012   
bisher
                                   
        
korrigiert
                                   
2013   
bisher
                                   
        
korrigiert
                                   
23 
2. Vorliegend ist nicht die Rechtmäßigkeit eines Auskunftsersuchens nach § 93 AO streitig, auch wenn das FA diese Rechtsgrundlage im Schriftsatz vom 26. Juni 2015 und in der Einspruchsentscheidung vom 13. November 2015 nennt. In diesem Verfahren sind ausschließlich Umsatzsteuerbescheide Streitgegenstand (siehe Einspruchsentscheidung vom 13. November 2015: „Umsatzsteuer 2011, 2012 und 2013“). Es kommt daher nicht auf die -von beiden Beteiligten diskutierte- Frage an, ob ein solches Auskunftsverlangen ermessensgerecht wäre. Diese Frage wäre in einem gesonderten Verfahren über ein Auskunftsersuchen zu klären. Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung eines Auskunftsersuchens richten sich nach §§ 328 ff. AO.
24 
Auch aus § 174 Abs. 4 AO folgt nicht, dass der Änderungsantrag auf Herabsetzung der Steuerfestsetzung beim Bauträger nur dann begründet wäre, wenn die Steuer beim leistenden Unternehmer entsprechend höher festgesetzt wird.Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO können aus einem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden, wenn auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wurde. Die Vorschrift setzt gerade voraus, dass in einem ersten Schritt beim Steuerpflichtigen (hier: beim Bauträger) aufgrund eines Rechtsbehelfs oder Antrags die Steuer zutreffend festgesetzt wird, um anschließend in einem zweiten Schritt die richtigen steuerlichen Folgerungen zu ziehen (hier: beim leistenden Bauunternehmer).
25 
3. Die Klägerin war in den Streitjahren nicht nach § 13b Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 Nr. 4 UStG Steuerschuldnerin für die von ihr bezogenen Bauleistungen.
26 
Gemäß § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG schuldet in den in § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG genannten Fällen der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer ist, der Leistungen im Sinne des § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG erbringt. Leistungen im Sinne des § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG sind Werklieferungen und sonstige Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen.
27 
Ein Wechsel der Steuerschuldnerschaft kommt nach diesen Vorschriften nicht in Betracht, wenn der Leistungsempfänger keine steuerpflichtigen bauwerksbezogenen sonstigen Leistungen oder Werklieferungen erbringt, weil er als Bauträger die empfangenen Leistungen (ausschließlich) für nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfreie Grundstückslieferungen verwendet (BFH-Urteile vom 22. August 2013 BFH V R 37/10, BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 28; vom 11. Dezember 2013 XI R 21/11, BFHE 244, 115, BStBl II 2014, 425; Heuermann in Sölch/Ringleb, UStG, § 13b Rz. 128; Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 27 Rz. 54). Die Finanzverwaltung hat sich dem unter Aufgabe ihrer ursprünglichen Auffassung angeschlossen (BMF-Schreiben vom 5. Februar 2014, BStBl I 2014, 233, unter 1. Buchst. f).
28 
Im Streitfall hat die Klägerin selbst Grundstücke erworben, bebauen lassen, in Wohnungen aufgeteilt und anschließend steuerfrei verkauft (siehe Bilanzakten und Umsatzsteuererklärungen). Die Feststellungslast für den Ansatz steuerpflichtiger Leistungen trägt das FA. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin selbst Bauleistungen erbracht hat. Die Klägerin hat auch keine -nach § 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG vom Leistungsempfänger zu versteuernden- Leistungen ausländischer Unternehmer erklärt. Somit ist die Klägerin unabhängig von der Kenntnis der Identität der leistenden Bauunternehmer nicht Steuerschuldnerin.
29 
4. Der von der Klägerin beantragten Steuerfestsetzung steht jedoch der entsprechend anwendbare § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG entgegen.
30 
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen, wenn sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geändert hat. Die Berichtigung ist nach § 17 Abs. 1 Satz 7 UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist.
31 
Gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG gilt § 17 Abs. 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb uneinbringlich geworden ist. Wird das Entgelt nachträglich vereinnahmt, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut zu berichtigen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG).
32 
Der BFH hat mit Beschluss vom 27. Januar 2016 V B 87/15 (DStR 2016, 470 mit Anmerkung Heuermann, DStR 2016, 472, und Schulze, DStR 2016, 561) in einem Aussetzungsverfahren eine analoge Anwendung der Vorschrift mit folgender Begründung bejaht:
33 
„Die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG liegen zwar nicht vor. Uneinbringlich i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG ist nicht das vereinbarte Entgelt ..., sondern allenfalls der sich auf die Leistung beziehende Steuerbetrag. Eine entsprechende Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG könnte demgegenüber auf der durch die Verwaltungsanweisung verursachten Uneinbringlichkeit des materiell-rechtlich geschuldeten Steuerbetrags beruhen.
34 
Der Antragsteller (Anmerkung des Gerichts: Bauunternehmer) und die GmbH (Anmerkung des Gerichts: Bauträger) haben als Gegenleistung für die von ihm zu erbringenden Leistungen ein Entgelt ohne Umsatzsteuer vereinbart und damit eine sog. Nettoabrede getroffen. Ursächlich dafür war die im Streitzeitraum ... niedergelegte Verwaltungsauffassung. Die für eine entsprechende Anwendung der Norm erforderliche Regelungslücke mag darin liegen, dass mit § 27 Abs. 19 UStG lediglich eine verfahrensrechtliche Vorschrift geschaffen wurde, die nur im Rahmen einer Änderung des Steuerbescheids -nicht aber auch bei erstmaligen Steuerfestsetzungen- anwendbar ist.
35 
Bei entsprechender Anwendung von § 17 Abs. 2 Nr. 1 Sätze 1 und 2 UStG hat der Bauunternehmer die an den Bauträger erbrachten Leistungen erst dann zu versteuern, wenn er den darauf entfallenden Umsatzsteuerbetrag vereinnahmt.
36 
Zu erheblichen Steuerausfällen käme es dann nicht. Der Rückforderung der -zu Unrecht an das FA abgeführten- Umsatzsteuer durch den Leistungsempfänger könnte eine entsprechend § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG -zeitgleich auch beim Leistungsempfänger- vorzunehmende Berichtigung entgegenstehen. ... Die vom Bauträger und Bauunternehmer übereinstimmend -entsprechend der damaligen Verwaltungsauffassung angenommene Steuerschuld des Bauträgers- entfiele dann entsprechend § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erst aufgrund einer Zahlung des Steuerbetrags durch den Bauträger (Leistungsempfänger) an den Bauunternehmer (Leistender).“
37 
Das Verfahren beim BFH betraf die Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuerfestsetzung beim leistenden Bauunternehmer im Hinblick auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit des § 27 Abs. 19 UStG. Die Rechtsausführungen des BFH beschränken sich aber nicht auf den Bauunternehmer, sondern beziehen -in einem obiter dictum- den Leistungsempfänger (Bauträger) ausdrücklich mit ein. Die analoge Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG greift nicht nur in den Fällen einer geänderten Steuerfestsetzung, bei denen § 27 Abs. 19 UStG den Vertrauensschutz beim leistenden Bauunternehmer ausschaltet, sondern auch bei der erstmaligen Steuerfestsetzung (BFH-Beschluss vom 27. Januar 2016 V B 87/15, DStR 2016, 470, Rz. 16).
38 
Im Streitfall führt die analoge Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG zur Steuerschuld der Klägerin, bis sie den Steuerbetrag an die leistenden Bauunternehmer zahlt. Die Klägerin hat die Umsatzsteuer in den Streitjahren nicht an die Bauunternehmer gezahlt. In diesem Klageverfahren könnte diese Zahlung nicht mehr berücksichtigt werden, da die Steuer erst in dem Zeitraum zu berücksichtigen ist, in dem die Zahlung erfolgt (§ 17 Abs. 1 Satz 7 UStG).
39 
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Der BFH kann nach dem Beschluss vom 27. Januar 2016 V B 87/15 (DStR 2016, 470) in einem Hauptsacheverfahren über die analoge Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG befinden (kritisch: Kessens, Mehrwertsteuerrecht -MwStR- 2016, 226, unter 6.2; Lippross, DStR 2016, 993, unter 5.3.4; Reiß, MwStR 2016, 361, unter 4.4; Hummel, Umsatzsteuerrundschau 2016, 289). Das Gericht entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung durch Urteil.

Gründe

 
20 
Die Klage ist unbegründet. Die Ablehnungsbescheide zur Umsatzsteuer 2011 und 2012 vom 20. August 2015 sowie der geänderte Umsatzsteuerbescheid 2013 vom 21. Oktober 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. November 2015 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-). Die Klägerin schuldet die Umsatzsteuer aus den von ihr bezogenen Bauleistungen weiterhin zu Recht.
21 
1.Den Antrag der Klägerin entnimmt der Senat der Bemessungsgrundlage, die das FA in den angefochtenen Steuerbescheiden angesetzt hat einerseits, und dem Schriftsatz der Klägerin vom 9. Mai 2016 andererseits. Wie sich diese Beträge errechnen, ergibt sich aus der folgenden Übersicht:
22 
Jahr      
Bemessungsgrundlage nach § 13b UStG 
Umsatzsteuer hierauf 
Vorsteuer 
Klageantrag
2011   
bisher
                                   
        
korrigiert
                                   
2012   
bisher
                                   
        
korrigiert
                                   
2013   
bisher
                                   
        
korrigiert
                                   
23 
2. Vorliegend ist nicht die Rechtmäßigkeit eines Auskunftsersuchens nach § 93 AO streitig, auch wenn das FA diese Rechtsgrundlage im Schriftsatz vom 26. Juni 2015 und in der Einspruchsentscheidung vom 13. November 2015 nennt. In diesem Verfahren sind ausschließlich Umsatzsteuerbescheide Streitgegenstand (siehe Einspruchsentscheidung vom 13. November 2015: „Umsatzsteuer 2011, 2012 und 2013“). Es kommt daher nicht auf die -von beiden Beteiligten diskutierte- Frage an, ob ein solches Auskunftsverlangen ermessensgerecht wäre. Diese Frage wäre in einem gesonderten Verfahren über ein Auskunftsersuchen zu klären. Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung eines Auskunftsersuchens richten sich nach §§ 328 ff. AO.
24 
Auch aus § 174 Abs. 4 AO folgt nicht, dass der Änderungsantrag auf Herabsetzung der Steuerfestsetzung beim Bauträger nur dann begründet wäre, wenn die Steuer beim leistenden Unternehmer entsprechend höher festgesetzt wird.Nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO können aus einem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheids die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden, wenn auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen ist, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wurde. Die Vorschrift setzt gerade voraus, dass in einem ersten Schritt beim Steuerpflichtigen (hier: beim Bauträger) aufgrund eines Rechtsbehelfs oder Antrags die Steuer zutreffend festgesetzt wird, um anschließend in einem zweiten Schritt die richtigen steuerlichen Folgerungen zu ziehen (hier: beim leistenden Bauunternehmer).
25 
3. Die Klägerin war in den Streitjahren nicht nach § 13b Abs. 5 Satz 2, Abs. 2 Nr. 4 UStG Steuerschuldnerin für die von ihr bezogenen Bauleistungen.
26 
Gemäß § 13b Abs. 5 Satz 2 UStG schuldet in den in § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG genannten Fällen der Leistungsempfänger die Steuer, wenn er ein Unternehmer ist, der Leistungen im Sinne des § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG erbringt. Leistungen im Sinne des § 13b Abs. 2 Nr. 4 UStG sind Werklieferungen und sonstige Leistungen, die der Herstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen, mit Ausnahme von Planungs- und Überwachungsleistungen.
27 
Ein Wechsel der Steuerschuldnerschaft kommt nach diesen Vorschriften nicht in Betracht, wenn der Leistungsempfänger keine steuerpflichtigen bauwerksbezogenen sonstigen Leistungen oder Werklieferungen erbringt, weil er als Bauträger die empfangenen Leistungen (ausschließlich) für nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfreie Grundstückslieferungen verwendet (BFH-Urteile vom 22. August 2013 BFH V R 37/10, BFHE 243, 20, BStBl II 2014, 28; vom 11. Dezember 2013 XI R 21/11, BFHE 244, 115, BStBl II 2014, 425; Heuermann in Sölch/Ringleb, UStG, § 13b Rz. 128; Klenk in Sölch/Ringleb, UStG, § 27 Rz. 54). Die Finanzverwaltung hat sich dem unter Aufgabe ihrer ursprünglichen Auffassung angeschlossen (BMF-Schreiben vom 5. Februar 2014, BStBl I 2014, 233, unter 1. Buchst. f).
28 
Im Streitfall hat die Klägerin selbst Grundstücke erworben, bebauen lassen, in Wohnungen aufgeteilt und anschließend steuerfrei verkauft (siehe Bilanzakten und Umsatzsteuererklärungen). Die Feststellungslast für den Ansatz steuerpflichtiger Leistungen trägt das FA. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin selbst Bauleistungen erbracht hat. Die Klägerin hat auch keine -nach § 13b Abs. 2 Nr. 1 UStG vom Leistungsempfänger zu versteuernden- Leistungen ausländischer Unternehmer erklärt. Somit ist die Klägerin unabhängig von der Kenntnis der Identität der leistenden Bauunternehmer nicht Steuerschuldnerin.
29 
4. Der von der Klägerin beantragten Steuerfestsetzung steht jedoch der entsprechend anwendbare § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG entgegen.
30 
Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 UStG hat der Unternehmer, der diesen Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu berichtigen, wenn sich die Bemessungsgrundlage für einen steuerpflichtigen Umsatz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG geändert hat. Die Berichtigung ist nach § 17 Abs. 1 Satz 7 UStG für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist.
31 
Gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG gilt § 17 Abs. 1 UStG sinngemäß, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Lieferung, sonstige Leistung oder einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb uneinbringlich geworden ist. Wird das Entgelt nachträglich vereinnahmt, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut zu berichtigen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG).
32 
Der BFH hat mit Beschluss vom 27. Januar 2016 V B 87/15 (DStR 2016, 470 mit Anmerkung Heuermann, DStR 2016, 472, und Schulze, DStR 2016, 561) in einem Aussetzungsverfahren eine analoge Anwendung der Vorschrift mit folgender Begründung bejaht:
33 
„Die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG liegen zwar nicht vor. Uneinbringlich i.S. des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG ist nicht das vereinbarte Entgelt ..., sondern allenfalls der sich auf die Leistung beziehende Steuerbetrag. Eine entsprechende Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG könnte demgegenüber auf der durch die Verwaltungsanweisung verursachten Uneinbringlichkeit des materiell-rechtlich geschuldeten Steuerbetrags beruhen.
34 
Der Antragsteller (Anmerkung des Gerichts: Bauunternehmer) und die GmbH (Anmerkung des Gerichts: Bauträger) haben als Gegenleistung für die von ihm zu erbringenden Leistungen ein Entgelt ohne Umsatzsteuer vereinbart und damit eine sog. Nettoabrede getroffen. Ursächlich dafür war die im Streitzeitraum ... niedergelegte Verwaltungsauffassung. Die für eine entsprechende Anwendung der Norm erforderliche Regelungslücke mag darin liegen, dass mit § 27 Abs. 19 UStG lediglich eine verfahrensrechtliche Vorschrift geschaffen wurde, die nur im Rahmen einer Änderung des Steuerbescheids -nicht aber auch bei erstmaligen Steuerfestsetzungen- anwendbar ist.
35 
Bei entsprechender Anwendung von § 17 Abs. 2 Nr. 1 Sätze 1 und 2 UStG hat der Bauunternehmer die an den Bauträger erbrachten Leistungen erst dann zu versteuern, wenn er den darauf entfallenden Umsatzsteuerbetrag vereinnahmt.
36 
Zu erheblichen Steuerausfällen käme es dann nicht. Der Rückforderung der -zu Unrecht an das FA abgeführten- Umsatzsteuer durch den Leistungsempfänger könnte eine entsprechend § 17 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG -zeitgleich auch beim Leistungsempfänger- vorzunehmende Berichtigung entgegenstehen. ... Die vom Bauträger und Bauunternehmer übereinstimmend -entsprechend der damaligen Verwaltungsauffassung angenommene Steuerschuld des Bauträgers- entfiele dann entsprechend § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erst aufgrund einer Zahlung des Steuerbetrags durch den Bauträger (Leistungsempfänger) an den Bauunternehmer (Leistender).“
37 
Das Verfahren beim BFH betraf die Aussetzung der Vollziehung der Umsatzsteuerfestsetzung beim leistenden Bauunternehmer im Hinblick auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit des § 27 Abs. 19 UStG. Die Rechtsausführungen des BFH beschränken sich aber nicht auf den Bauunternehmer, sondern beziehen -in einem obiter dictum- den Leistungsempfänger (Bauträger) ausdrücklich mit ein. Die analoge Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG greift nicht nur in den Fällen einer geänderten Steuerfestsetzung, bei denen § 27 Abs. 19 UStG den Vertrauensschutz beim leistenden Bauunternehmer ausschaltet, sondern auch bei der erstmaligen Steuerfestsetzung (BFH-Beschluss vom 27. Januar 2016 V B 87/15, DStR 2016, 470, Rz. 16).
38 
Im Streitfall führt die analoge Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG zur Steuerschuld der Klägerin, bis sie den Steuerbetrag an die leistenden Bauunternehmer zahlt. Die Klägerin hat die Umsatzsteuer in den Streitjahren nicht an die Bauunternehmer gezahlt. In diesem Klageverfahren könnte diese Zahlung nicht mehr berücksichtigt werden, da die Steuer erst in dem Zeitraum zu berücksichtigen ist, in dem die Zahlung erfolgt (§ 17 Abs. 1 Satz 7 UStG).
39 
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Der BFH kann nach dem Beschluss vom 27. Januar 2016 V B 87/15 (DStR 2016, 470) in einem Hauptsacheverfahren über die analoge Anwendung des § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG befinden (kritisch: Kessens, Mehrwertsteuerrecht -MwStR- 2016, 226, unter 6.2; Lippross, DStR 2016, 993, unter 5.3.4; Reiß, MwStR 2016, 361, unter 4.4; Hummel, Umsatzsteuerrundschau 2016, 289). Das Gericht entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung durch Urteil.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen

This content does not contain any references.