Urteil vom Finanzgericht Baden-Württemberg - 11 K 544/16

Tenor

1. Die zusammen mit der Prüfungsverfügung vom 21. Oktober 2015 versandte Aufklärungsanordnung wird aufgehoben, soweit die Klägerin darin verpflichtet wird, Firma und Anschrift ihrer jeweiligen Auftraggeber mitzuteilen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer die Kontrolle des Mindestlohngesetzes (MiLoG) betreffenden Prüfungsverfügung und weiterer Anordnungen zu deren Durchführung.
Die Klägerin, die Firma X, A, Slowakische Republik ist ein international tätiges Logistikunternehmen. Am 23. September 2015 führte das beklagte Hauptzollamt (HZA) auf dem Parkplatz des Y-Werks in B eine Prüfung gem. § 2 Abs. 1 des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetzes (SchwarzArbG) durch. Im Rahmen dieser Prüfung wurde ein LKW-Fahrer der Klägerin, W., befragt (Bl. 1 f. HZA-Akte). Dieser gab an, bei der Klägerin seit dem 23. Oktober 2014 beschäftigt zu sein, einen Monatslohn von 700 EUR zu beziehen und an zwei bis drei Tagen in der Woche jeweils acht bis neun Stunden zu arbeiten. Etwa ein bis zwei Mal pro Monat liefere er Waren beim Y-Werk an, wobei er ausschließlich mit dem Kleintransporter unterwegs sei.
Unter dem 21. Oktober 2015 richtete das HZA zwei Schreiben an die Klägerin. Zum einen ordnete es mit einem als „Prüfungsverfügung“ bezeichneten Schreiben an, dass gem. §§ 2 ff. SchwarzArbG eine Prüfung durchgeführt werde, und nannte die Prüfungsgegenstände nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 - 5 SchwarzArbG, darunter unter Punkt 5. die „Arbeitsbedingungen nach Maßgabe des Mindestlohngesetzes“ (Bl. 11 ff. HZA-Akte). Zum anderen verwies es in seinem zweiten – mit „Durchführung des Mindestlohngesetzes“ betitelten – Schreiben auf die vorgenannte „Prüfungsverfügung“ und führte im Übrigen aus, nach §§ 2 ff. SchwarzArbG und §§ 14 ff. MiLoG solle geprüft werden, ob die Klägerin ihren Arbeitnehmern für die Zeit, in der diese in Deutschland tätig gewesen seien, ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des geltenden Mindestlohns gezahlt habe (vgl. Bl. 9 f. HZA-Akte). Hierzu forderte es die Klägerin auf, für ihren Arbeitnehmer W. für den Zeitraum vom 1. Juli 2015 bis 30. September 2015 folgende Unterlagen zu übersenden:
        - Arbeitsverträge        
        - Lohnabrechnungen        
        - Nachweise über die Zahlung der Löhne        
        - Arbeitszeitaufzeichnungen        
        - Firma und Anschrift der jeweiligen Auftraggeber.        
Zwischen den Beteiligten steht nicht im Streit, dass die Klägerin zwar keine Kabotagetransporte (d.h. Beförderungen innerhalb eines Mitgliedstaats), wohl aber grenzüberschreitende Transporte nach und aus Deutschland mit Be- oder Entladung des Fahrzeugs im Inland durchführt.
Unter dem 4. November 2015 richtete die Klägerin ein Schreiben an das beklagte HZA, mit dem sie geltend machte, aufgrund unklarer Gesetzgebung und derzeit laufender Überprüfung durch die EU-Kommission sei man nicht in der Lage, die angeforderten Dokumente vorzulegen. Wenn die EU-Kommission die Rechtmäßigkeit der deutschen Gesetzgebung bestätigen sollte, werde man der Aufforderung zur Vorlage der Dokumente nachkommen. Ihre Mitarbeiter würden gesetzeskonform entlohnt (Bl. 19 HZA-Akte).
Das beklagte HZA wertete das Schreiben als Einspruch gegen die Prüfungsverfügung und die darauf bezogene Aufklärungsanordnung und wies diesen mit Entscheidung vom 29. Januar 2016 als unbegründet zurück (Bl. 21 ff. HZA-Akte).
Hiergegen ließ die Klägerin am 24. Februar 2016 Klage erheben sowie einen Antrag auf gerichtliche Aussetzung der Vollziehung stellen. Den Aussetzungsantrag hat die Klägerin am 11. März 2016 zurückgenommen, nachdem das beklagte HZA am 9. März 2016 „ohne Anerkennung von Rechtsgründen“ Aussetzung der Vollziehung bis zur Entscheidung im Klageverfahren gewährt hatte.
Mit ihrer Klage macht die Klägerin geltend, die Prüfungsverfügung vom 21. Oktober 2015 sei rechtswidrig, da das MiLoG auf Transportunternehmen aus anderen EU-Ländern – wie sie – nicht anwendbar sei.
Die Regelungen des MiLoG müssten von ausländischen Transportfirmen nur dann beachtet werden, wenn es sich bei den grenzüberschreitenden Transportfahrten ihrer Fahrer in der Bundesrepublik Deutschland um eine „Entsendung“ im Sinne des Arbeitnehmerentsendegesetzes (AEntG) der Bundesrepublik Deutschland bzw. der Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (ABl. L 18 vom 21. Januar 1997, S. 1 - 6, – Entsenderichtlinie –) handele.
10 
Bei den Lenkzeiten der Fahrer im grenzüberschreitenden Güterkraftverkehr handele es sich nicht um eine arbeitsrechtliche Entsendung im Sinne dieser Vorschriften. Dies ergebe sich eindeutig aus Erwägungsgrund 17 der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs (ABl. L 300 vom 14. November 2009, S. 72 - 87) sowie Erwägungsgrund 11 der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 (ABl. L 300 vom 14. November 2009, S. 88 - 105), wo es heiße:
11 
„Die Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen gilt für Verkehrsunternehmen, die Kabotagebeförderungen durchführen.“
12 
Daraus ergebe sich, dass die rechtlichen Voraussetzungen für eine Entsendung – wenn überhaupt – nur im Falle der Kabotagebeförderung erfüllt sein könnten, was vorliegend nicht der Fall sei. Außerdem enthalte die Entsenderichtlinie selbst im Erwägungsgrund 16 die Möglichkeit, von den Mindestlohnsätzen abzuweichen.
13 
Die Anwendung des MiLoG auf Transportunternehmer aus anderen EU-Ländern verstoße zudem gegen die Grundfreiheiten der Europäischen Union, weshalb von der EU-Kommission auch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet worden sei.
14 
Auch wenn es sich beim MiLoG um eine sog. Eingriffsnorm im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (ABl. L 177 vom 4. Juli 2008, S. 6 - 16, – Rom I-VO –) handeln sollte, müsse diese restriktiv ausgelegt werden. Die in Art. 9 Abs. 1 der Rom I-VO genannten Ziele seien nicht tangiert, wenn Fahrern von Transportunternehmen aus anderen EU-Ländern beim grenzüberschreitenden Warenverkehr nicht der in der Bundesrepublik Deutschland geltende Mindestlohn gezahlt würde, da diese Fahrer nach den in ihrem jeweiligen Heimatland, in dem sie ihren Lebensmittelpunkt hätten, geltenden Lebensverhältnissen entlohnt würden.
15 
Die Vorschriften des MiLoG seien darüber hinaus zu unbestimmt und daher mit Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) nicht vereinbar.
16 
Die Klägerin verweist schließlich zur Begründung ihrer Rechtsauffassung auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 3. April 2008 (C-346/06, Rüffert, Slg 2008, I-1989-2044) und vom 18. September 2014 (C-549/13, Bundesdruckerei, ECLI:EU:C:2014:2235) sowie auf den Beschluss des Finanzgerichts (FG) Berlin-Brandenburg vom 7. Februar 2018 (1 V 1175/17,NZA-RR 2018, 184) und das Urteil des Amtsgerichts (AG) Weißenburg vom 11. August 2017 (1 C 435/16). Außerdem macht sie geltend, die Entsenderichtlinie sei nach ihrer Neufassung auf das Transportgewerbe nicht (mehr) anwendbar.
17 
Hinsichtlich des klägerischen Vortrags im Einzelnen wird auf die Schriftsätze vom 24. Februar und 10. März 2016 sowie vom 16. Mai und 6. Juli 2018 samt Anlagen verwiesen.
18 
Die Klägerin beantragt,
die Prüfungsverfügung vom 21. Oktober 2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Januar 2016 aufzuheben, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
19 
Sie regt darüber hinaus an, die Frage der Anwendbarkeit des MiLoG auf Transportunternehmen aus anderen EU-Ländern dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens zur Entscheidung vorzulegen.
20 
Das HZA beantragt,
die Klage abzuweisen.
21 
Arbeitnehmer, die in Deutschland tätig seien, hätten seit dem 1. Januar 2015 nach § 1 MiLoG Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts von derzeit 8,50 EUR (brutto) je Zeitstunde. Die Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns (§ 20 MiLoG) gelte auch gegenüber Arbeitnehmern, die ausschließlich mobile Tätigkeiten ausübten, solange diese ihre Arbeitsleistung – auch nur kurzzeitig – auf deutschem Staatsgebiet erbrächten. Ob der Arbeitnehmer W. in Bezug auf die von ihm in Deutschland durchgeführten Fahrten mindestlohnpflichtig gewesen sei und ob die Klägerin diese Pflicht ihm gegenüber erfüllt habe, könne nur durch die Überprüfung der mit der Prüfungsverfügung angeforderten Unterlagen festgestellt werden.
22 
Die Ermächtigungsgrundlage für diese Prüfungsverfügung ergebe sich aus § 2 SchwarzArbG i.V.m. § 15 Satz 1 Nr. 1 MiLoG. Nach § 15 Satz 1 Nr. 1 MiLoG seien die Behörden der Zollverwaltung befugt, Einsicht in Arbeitsverträge, Niederschriften nach § 2 des Nachweisgesetzes und andere Geschäftsunterlagen zu nehmen, die mittelbar oder unmittelbar Auskunft über die Einhaltung des Mindestlohns gäben.
23 
Grundsätzlich sei die Klägerin als Arbeitgeberin im Speditions- und Transportgewerbe nach § 17 Abs. 2 MiLoG verpflichtet, die für die Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohnes erforderlichen Unterlagen in Deutschland in deutscher Sprache für die gesamte Dauer der tatsächlichen Beschäftigung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland bereitzuhalten. Gemäß § 5 Abs. 1 SchwarzArbG habe sie die Prüfung zu dulden und dabei mitzuwirken, insbesondere die für die Prüfung erheblichen Auskünfte zu erteilen und die in den §§ 3 und 4 SchwarzArbG und § 15 MiLoG genannten Unterlagen vorzulegen.
24 
Soweit die Klägerin die Auffassung vertrete, dass wegen des gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens das MiLoG ausgesetzt werden müsse, gehe ihr Einwand fehl. Trotz des Vertragsverletzungsverfahrens seien das MiLoG und die hierzu ergangenen Rechtsvorschriften nach wie vor auch im Verkehrssektor geltendes deutsches Recht. Insofern stehe das Vertragsverletzungsverfahren der angefochtenen Prüfungsverfügung nicht entgegen.
25 
Da die vorgesehene Prüfmaßnahme auf einen bestimmten Prüfzeitraum und Personenkreis begrenzt gewesen sei und keine milderen Mittel zur Überprüfung der Einhaltung des Mindestlohnes zur Verfügung gestanden hätten, bestünden hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Prüfmaßnahme keine Bedenken.
26 
Entgegen der Auffassung der Klägerin ergebe sich weder aus Erwägungsgrund Nr. 15 noch aus Art. 3 der Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG (ABl. L 173 vom 9. Juli 2018, S. 16 - 24) die Nichtanwendbarkeit der Entsenderichtlinie auf die Entsendung von Kraftfahrern im Straßenverkehrssektor. Die Entsenderichtlinie bleibe, wie sich aus Art. 3 Abs. 3 der Änderungsrichtlinie ergebe, im Straßenverkehrssektor in ihrer seit dem Jahr 1996 gültigen Fassung unverändert anwendbar.
27 
Hinsichtlich des Vortrags des HZA im Einzelnen wird auf dessen Schriftsätze vom 9. März 2016 sowie vom 10. Juli 2018 verwiesen.
28 
Am 17. Juli 2018 wurde die Sache mündlich verhandelt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
I.
29 
Gegenstand der vorliegenden Klage ist sowohl die „Prüfungsverfügung“ des HZA vom 21. Oktober 2015 als auch die in dem mit „Durchführung des Mindestlohngesetzes“ betitelten Schreiben des HZA vom selben Tag enthaltene Aufklärungsanordnung. Wenngleich beide Schreiben inhaltlich aufeinander Bezug nehmen, handelt es sich nach Auffassung des Senats dennoch um zwei eigenständige Verwaltungsakte. Während die als Prüfungsverfügung bezeichnete Regelung gegenüber der Klägerin anordnet, dass bei ihr unter anderem die Einhaltung der Vorschriften des MiLoG geprüft werden soll, dient die Anforderung bestimmter Unterlagen im zweiten Schreiben bereits der Umsetzung der ersten Verfügung. Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass die Klägerin beide Verfügungen angefochten hat; dahingehend ist auch ihr Klageantrag, obwohl dieser sich seinem Wortlaut nach lediglich auf die Prüfungsverfügung des HZA bezieht, rechtsschutzgewährend auszulegen. Die Klägerin hat sich nämlich bereits mit ihrem als Einspruch zu wertenden Schreiben vom 4. November 2015 (Bl. 19 HZA-Akte) nicht nur gegen die Anordnung einer Prüfung als solcher gewandt, sondern gerade auch gegen die Verpflichtung, „die notwendigen Dokumente zu übermitteln.“
II.
30 
Die so verstandene Klage ist zulässig, sie ist jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
31 
1. Soweit sich die Klägerin mit ihrer Klage gegen die Anordnung einer Prüfung dem Grunde nach wendet, ist die Klage unbegründet.
32 
a) Die Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Prüfungsverfügung vom 21. Oktober 2015 findet sich in § 15 Satz 1 MiLoG i.V.m. § 2 SchwarzArbG, der zwar nicht ausdrücklich zum Erlass einer Prüfungsverfügung ermächtigt, der jedoch die Prüfungsaufgaben der Zollverwaltung im Einzelnen auflistet und damit die Möglichkeit, eine solche Prüfung anzuordnen, gleichsam voraussetzt (FG Hamburg, Beschluss vom 21. September 2011 – 4 V 148/11, juris). Besondere Anforderungen an die Prüfungsanordnung stellt das Gesetz nicht (BFH, Beschluss vom 17. April 2013 – VII B 41/12, BFH/NV 2013, 1131; FG Münster, Urteil vom 12. Februar 2014 – 6 K 2434/13 AO, EFG 2014, 864). Die Anordnung einer Prüfung i.S.d. § 15 Abs. 1 MiLoG i.V.m. § 2 SchwarzArbG steht daher im Ermessen der Finanzbehörde. Sie ist in aller Regel ermessensgerecht, wenn sie dem Gesetzeszweck, d.h. der Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften des MiLoG dient, es sei denn, es lägen Anhaltspunkte für ein unverhältnismäßiges, sachwidriges oder willkürliches Verhalten der Finanzbehörde vor (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. November 2009 – 7 K 7024/07, EFG 2010, 463 unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 21. Juni 1994 – VIII R 54/92, BFHE 174, 397, BStBl II 1994, 678, 679 zu einer Außenprüfung nach den §§ 193 ff. AO; ebenso BFH, Beschluss vom 15. Februar 2008 – II B 79/07, BFH/NV 2008, 1102, der die Grenze für eine Prüfung nach §§ 2 ff. SchwarzArbG ebenfalls im Willkürverbot sieht).
33 
b) Die streitgegenständliche Prüfungsverfügung genügt diesen Anforderungen.
34 
aa) Die Klägerin ist taugliche Adressatin der angefochtenen Prüfungsverfügung. Hierfür ist unerheblich, dass sie ihren Sitz in der Slowakischen Republik hat. Denn die Verpflichtung, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmern den Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 MiLoG zu zahlen, besteht nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 20 MiLoG für Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland in gleicher Weise (vgl. Ferme/Carsten, MiLoG, § 20 Rn. 1, 28). Dasselbe gilt für die sich aus §§ 15, 17 Abs. 1 und 2 MiLoG i.V.m. § 2a Abs. 1 Nr. 4 SchwarzArbG ergebende Verpflichtung, die für die Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohns erforderlichen Unterlagen zu erstellen, aufzubewahren und auf Anforderung den Zollbehörden vorzulegen.
35 
bb) Die Prüfungsverfügung hat auch die Einhaltung des Mindestlohns im Hinblick auf einen „im Inland beschäftigten Arbeitnehmer“ im Sinne des § 20 MiLoG – nämlich den auf dem Parkplatz des Y-Werks in B angetroffenen LKW-Fahrer der Klägerin W. – zum Gegenstand.
36 
In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob dem Beschäftigungsverhältnis ein Arbeitsvertrag nach deutschem Recht zugrunde gelegen hatte. Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71/EG sollen die Mitgliedstaaten nämlich unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht dem entsandten Arbeitnehmer bestimmte Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften bzw. durch allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge garantieren. Die Richtlinie 96/71/EG beansprucht für den Straßenverkehrssektor in ihrer bisherigen Fassung nach wie vor Gültigkeit. Zwar haben – worauf die Klägerin zutreffend hinweist – am 28. Juni 2018 das Europäisches Parlament und der Rat der Europäischen Union die Richtlinie (EU) 2018/957 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen erlassen (ABl. L 173 vom 9. Juli 2018, S. 16 - 24). Die (Änderungs-)Richtlinie gilt für den Straßenverkehrssektor allerdings erst ab dem Geltungsbeginn eines Gesetzgebungsakts zur Änderung der Richtlinie 2006/22/EG bezüglich der Durchsetzungsanforderungen und zur Festlegung spezifischer Regeln im Zusammenhang mit der Richtlinie 96/71/EG und der Richtlinie 2014/67/EU für die Entsendung von Kraftfahrern im Straßenverkehrssektor (Art. 3 Abs. 3 Richtlinie [EU] 2018/957). Bis zu diesem noch in der Zukunft liegenden Zeitpunkt ist die Richtlinie 96/71/EG weiterhin in der Fassung anwendbar, die vor den eingeführten Änderungen galt (Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 Richtlinie [EU] 2018/957).
37 
Nach § 2 Nr. 1 AEntG, der die Entsenderichtlinie 96/71/EG in nationales Recht umsetzt, finden die in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften enthaltenen Regelungen über Mindestentgeltsätze auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zwingend Anwendung. Bei dem in §§ 1 und 20 MiLoG geregelten gesetzlichen Mindestlohn handelt es sich um einen solchen zwingenden Mindestentgeltsatz im Sinne des § 2 Nr. 1 AEntG und Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/71/EG (vgl. BT-Drs. 18/1558, S. 42, Thüsing in Thüsing, MiLoG/AEntG, § 2 AEntG Rn. 7, Lakies, MiLoG, § 20 Rn. 1, 10).
38 
Mit dem Begriff „zwingend“ wird klargestellt, dass es sich bei § 2 AEntG um eine Eingriffsnorm im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Rom I-VO handelt, die nach den Grundsätzen des Internationalen Privatrechts auch dann einzuhalten ist, wenn das Arbeitsverhältnis eines entsandten Arbeitnehmers oder einer entsandten Arbeitnehmerin im Übrigen dem Recht eines anderen Staates unterliegt (vgl. Thüsing in Thüsing, MiLoG/AEntG, § 2 AEntG Rn. 2 m.w.N.). Zwar ist für das Vorliegen einer Eingriffsnorm nicht ausreichend, dass die betreffende Norm als Arbeitnehmerschutznorm einseitig zwingend und für Arbeitnehmer günstiger als die nach dem an sich anwendbaren ausländischen Recht einschlägige Vorschrift ist. Erforderlich ist vielmehr, dass die Vorschrift nicht nur auf den Schutz von Individualinteressen der Arbeitnehmer gerichtet ist, sondern mit ihr zumindest auch öffentliche Gemeinwohlinteressen verfolgt werden (Bundesarbeitsgericht - BAG -, Urteil vom 18. April 2012 – 10 AZR 200/11, BAGE 141, 129; sowie zu Art. 34 EGBGB: Urteile vom 13. November 2007 – 9 AZR 134/07, BAGE 125, 24; vom 12. Dezember 2001 – 5 AZR 255/00, BAGE 100, 130; vom 3. Mai 1995 – 5 AZR 15/94, BAGE 80, 84). Dies indes ist bei der allgemeinen Mindestlohnpflicht der Fall, denn ausweislich der Gesetzesbegründung dient die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns nicht nur dem Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor unangemessen niedrigen Löhnen, sondern auch der Schaffung fairer und funktionierender Wettbewerbsbedingungen sowie der finanziellen Stabilität der sozialen Sicherungssysteme (vgl. BT-Drs. 18/1558, S. 2). Bei §§ 1, 20 MiLoG i.V.m. § 2 Nr. 1 AEntG handelt es sich damit um Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom-I VO, die ungeachtet der auf den jeweiligen Arbeitsvertrag anzuwendenden Rechtsordnung auf jede Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Inland anzuwenden sind (Bayreuther in Thüsing, MiLoG/AEntG, § 1 MiLoG Rn. 67; Franzen in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 20 MiLoG Rn. 1; Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 20 Rn. 5; Sittard, NZA 2015, 78; Bissels/Falter/Ewers, ArbRAktuell 2015, 4; vgl. auch BAG, Urteile vom 25. Januar 2005 – 9 AZR 154/04, NZA 2005, 1376 und vom 20. Juli 2004 – 9 AZR 343/03, BAGE 111, 247 zum AEntG).
39 
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus dem Urteil des Österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 29. November 2016 (9 ObA 53/16h, NZA-RR 2017, 180). Die Entscheidung betraf den Fall eines bei einem Mietwagenunternehmen mit Sitz in Österreich angestellten Arbeitnehmers, dessen Hauptarbeitsleistung darin bestand, Kunden von Salzburg zum Flughafen München zu fahren bzw. sie von dort wieder zurück nach Salzburg zu bringen. Der Österreichische Oberste Gerichtshof kam unter Berücksichtigung von Art und Zweck der Normen sowie unter Abwägung der Folgen, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden, zu dem Ergebnis, dass den Vorschriften der §§ 1, 20 MiLoG nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO im konkreten Fall keine Wirkung zu verleihen sei, wobei er offenbar davon ausgegangen war, dass mangels entsprechenden Vorbringens durch den dortigen Kläger – anders als hier (s.u.) – nicht von einem Entsendetatbestand i.S.d. Art. 1 Abs. 3 Buchst. a bis c der Entsenderichtlinie auszugehen sei.
40 
Unabhängig davon, ob der Österreichische Oberste Gerichtshof die Wirkungsverleihung zu Recht abgelehnt hat, hatte er jedenfalls über die Anwendung einer – aus seiner Sicht und bezogen auf das gültige Arbeitsvertragsstatut – ausländischen Norm, nämlich das deutsche MiLoG, zu entscheiden. Dagegen stellt Art. 9 Abs. 2 der Rom I-VO klar, dass die Verordnung nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts berührt; der erkennende Senat hat damit das MiLoG als inländisches zwingendes Recht (lex fori) anzuwenden (Martiny in Münchener Kommentar zum BGB, Rom I-VO, Art. 9 Rn. 52, 104, Art. 8 Rn. 139).
41 
Abgesehen davon folgt die Anwendbarkeit der §§ 1, 20 MiLoG vorliegend bereits aus Art. 23 Rom I-VO, wonach die Anwendung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die in besonderen Bereichen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse enthalten, unberührt bleibt. Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/71/EG verlangt von den nationalen Gesetzgebern, dass staatliche Mindestentgeltbestimmungen als Eingriffsnormen ausgestaltet werden. Das richtlinienkonforme zwingende Recht setzt sich dann, wie sich aus Erwägungsgrund 34 der Rom I-VO ergibt, gegenüber den Kollisionsnormen der Rom I-VO für Individualarbeitsverträge durch (Martiny in Münchener Kommentar zum BGB, Rom I-VO, Art. 9 Rn. 27, 104, Art. 8 Rn. 134; Art. 23 Rn. 3, 17; Sittard, NZA 2015, 78, 79; vgl. im Ergebnis auch Deinert, FS Martiny, 2014, 277, 289; Rauscher/v. Hein, EuZPR/EuIPR, Art. 8 Rn. 10; Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798, 1804, nach denen bereits die Entsenderichtlinie als vorrangige Kollisionsnorm i.S.d. Art. 23 Rom I-VO für vertragliche Schuldverhältnisse anzusehen ist).
42 
Die Vorschriften des MiLoG sind damit unter kollisionsrechtlichen Gesichtspunkten auf die Klägerin anwendbar.
43 
cc) Die aus §§ 1 und 20 MiLoG folgende Mindestlohnpflicht ist nach Auffassung des erkennenden Senats vorliegend auch nicht vor dem Hintergrund einschränkend auszulegen, dass im Bereich der Beförderung von Gütern und Personen die entsandten Arbeitnehmer ggf. nur kurzzeitig im Inland tätig werden.
44 
aaa) In der Literatur wird in diesem Zusammenhang vertreten, dass eine Auslegung, nach der die Mindestlohnzahlungspflicht des § 20 MiLoG sowie die diese ergänzenden Dokumentations-, Aufbewahrungs- und Bereithaltungspflichten nach §§ 16 und 17 MiLoG auch bei nur kurzfristiger Tätigkeit im Inland zur Anwendung kämen, einen unzulässigen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit der Art. 56 ff. AEUV und die Warenverkehrsfreiheit der Art. 28 ff. AEUV darstelle. Außerdem sei der Regelungszweck des MiLoG, existenzgefährdende Niedriglöhne zu verhindern und einen Mindestschutz der Arbeitnehmer zu erreichen, nur dann berührt, wenn ein Arbeitnehmer nicht nur gelegentlich deutschen Lebenshaltungskosten unterliege, da nur dann ein Bedürfnis bestehe, den deutschen Mindestlohn zu erhalten (so Sittard, NZA 2015, 78; Bissels/Falter/Ewers, ArbRAktuell 2015, 4). Es wird daher teilweise vorgeschlagen, die Anwendung des MiLoG von einer Mindestbeschäftigungsdauer im Inland abhängig zu machen oder jedenfalls die reinen Transitfahrten aus dem Anwendungsbereich des MiLoG auszunehmen (Bissels/Falter/Ewers, ArbRAktuell 2015, 4; Sittard, NZA 2015, 78, 82: analoge Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 1 AEntG).
45 
Die EU-Kommission prüft derzeit, ob das MiLoG, soweit der Verkehrssektor betroffen ist, mit EU-Recht im Einklang steht. Hierzu hat sie am 19. Mai 2015 nach Art. 258 AEUV ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet (vgl. Ferme/Carsten, MiLoG § 16 Rn. 62, § 20 Rn. 28; Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 20 Rn. 27 f.). Sie vertritt die Auffassung, dass die Anwendung des Mindestlohns auf bestimmte grenzüberschreitende Beförderungsleistungen, die nur einen geringen Bezug zum Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufweisen, nicht zu rechtfertigen sei, weil dadurch unangemessene Verwaltungshürden geschaffen würden, die ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts behinderten (Pressemitteilung der EU-Kommission vom 16. Juni 2016, abrufbar unter https://ec.europa.eu). In ihrer Gesetzesinitiative vom 31. Mai 2017 schlägt sie vor, für den grenzüberschreitenden Verkehr Fahrer als entsandte – und damit dem Sozialschutz des Staates, in dem sie vorübergehend tätig werden, unterliegende – Arbeitnehmer zu betrachten, wenn sie sich mindestens drei Tage innerhalb eines Kalendermonats auf dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten. Bei der Kabotage soll dies bereits ab dem ersten Tag und unabhängig von der Dauer der Entsendung gelten (Pressemitteilung der EU-Kommission vom 31. Mai 2017, abrufbar unter https://ec.europa.eu).
46 
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat die Bedenken der EU-Kommission aufgegriffen und bis zur Klärung der unionsrechtlichen Fragen zur Anwendung des MiLoG entschieden, dass – begrenzt auf den Bereich des reinen Transitverkehrs – die Kontrollen durch die staatlichen Behörden zur Überprüfung des MiLoG ausgesetzt werden und diesbezügliche Einsatzplanungen nicht (mehr) vorgelegt werden müssen. Diese vorübergehende Regelung für den Transitverkehr umfasst alle Verkehrsträger bzw. Verkehre mit Start- und Zielort außerhalb Deutschlands, die Deutschland durchqueren, ohne dabei in Deutschland Waren auf- oder abzuladen bzw. Passagiere aufzunehmen oder abzusetzen (vgl. Ferme/Carsten, MiLoG, § 20 Rn. 14; Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 20 Rn. 28; Pressemeldung des BMAS vom 30. Januar 2015).
47 
bbb) Der erkennende Senat ist der Auffassung, dass ausländische Arbeitgeber jedenfalls insoweit den Vorschriften des MiLoG unterliegen, als ihre Arbeitnehmer über reine Transitfahrten hinaus Transporte aus oder nach einem anderen Mitgliedstaat mit Be- oder Entladung in Deutschland oder Kabotagefahrten durchführen.
48 
(1) Nach Art. 2 Abs. 1 der Entsenderichtlinie 96/71/EG gilt als entsandter Arbeitnehmer nämlich jeder Arbeitnehmer, der während eines begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als demjenigen erbringt, in dessen Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet. Eine zeitliche Mindestdauer der Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat sieht die Entsenderichtlinie – abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Sonderfall der 8-Tage-Regelung bei Erstmontage oder Einbauarbeiten (Art. 3 Abs. 2 der Entsenderichtlinie) – nicht vor (vgl. auch Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 20 Rn. 19 f., die zudem mit beachtlichen Gründen eine einschränkende Auslegung des § 20 MiLoG bei kurzzeitigen Tätigkeiten sowohl in Entsende- wie auch Nicht-Entsendefällen ablehnen). Aus Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 96/71/EG ergibt sich vielmehr umgekehrt, dass ein "harter Kern" klar definierter Schutzbestimmungen vom Dienstleistungserbringer unabhängig von der Dauer der Entsendung des Arbeitnehmers einzuhalten ist.
49 
(2) Soweit die Klägerin aus Erwägungsgrund 17 der VO (EG) Nr. 1072/2009 etwas anderes ableitet, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Zwar ist dort die Geltung der Entsenderichtlinie ausdrücklich nur für – im Streitfall nicht vorliegende – Kabotagebeförderungen ausgesprochen. Der Senat sieht hierin – anders als die Klägerin – jedoch lediglich eine Klarstellung dahingehend, dass auch nach der Neuregelung der Kabotage durch die VO (EG) Nr. 1072/2009 (bis dahin galt für den Bereich der Kabotage die Verordnung [EWG] Nr. 3118/93 als Übergangsregelung) die Entsenderichtlinie auf Verkehrsunternehmen, die Kabotagebeförderungen durchführen, anwendbar ist. Es finden sich nämlich in der VO (EG) Nr. 1072/2009 keine Anhaltspunkte dafür, dass die Entsenderichtlinie für grenzüberschreitende Verkehre nicht gelten soll.
50 
(3) Auch das Urteil des EuGH vom 18. September 2014 (C-549/13, Bundesdruckerei, ECLI:EU:C:2014:2235) steht – anders als die Klägerin meint – dieser Beurteilung nicht entgegen. Der EuGH hat darin nämlich lediglich entschieden, dass eine Lohnschutzregelung – in jenem Fall § 4 Abs. 3 des Tariftreue- und Vergabegesetzes Nordrhein-Westfalen –, die ein festes Mindestentgelt vorgebe, das keinen Bezug zu den in dem Mitgliedstaat, in dem die Leistungen ausgeführt werden, bestehenden Lebenshaltungskosten habe, über das hinausgehe, was erforderlich sei, um zu gewährleisten, dass das Ziel des Arbeitnehmerschutzes erreicht werde, und daher eine – nicht gerechtfertigte – Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Art. 56 AEUV darstelle. Die EuGH-Entscheidung kann auf die Frage der Anwendbarkeit des MiLoG bei kurzfristiger Tätigkeit in Deutschland bereits deshalb nicht übertragen werden, weil in dem vom EuGH entschiedenen Sachverhalt die Arbeitsleistung komplett in Polen erbracht wurde (zutreffend Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 20 Rn. 21 f.). Abgesehen davon ist aus den Ausführungen des EuGH zu schließen, dass die Anwendung nationaler Mindestlohnvorschriften auf ausländische Arbeitnehmer jedenfalls dann gerechtfertigt ist, wenn diese in nennenswertem Umfang deutschen Lebenshaltungskosten unterliegen (vgl. Sittard, NZA 2015, 78, 81). Dies aber wird in den Fällen des grenzüberschreitenden Straßenverkehrs mit Be- oder Entladung in Deutschland und in den Fällen der Kabotage nicht von vornherein auszuschließen sein.
51 
Die von der Klägerin ebenfalls angeführte Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Rüffert (Urteil vom 3. April 2008 – C-346/06, ECLI:EU:C:2008:189) trifft zu der hier entscheidungserheblichen Frage, ob das MiLoG bei nur kurzzeitiger Tätigkeit im Inland unionsrechtskonform einschränkend auszulegen ist, überhaupt keine Aussage. Der Fall ist im Übrigen mit dem vorliegenden Sachverhalt schon deshalb nicht vergleichbar, weil der EuGH in der Rechtssache Rüffert die Vereinbarkeit einer Tariftreueregelung mit europäischem Recht zu überprüfen hatte, die – anders als das MiLoG – mangels eines für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages bereits keinen Mindestlohnsatz im Sinne von Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c der Entsenderichtlinie 96/71/EG darstellte und die zudem in Bezug auf die Höhe des Arbeitslohns über den Mindestlohnstandard hinausging, der sich für den dortigen Fall aus dem AEntG ergab.
52 
(4) Soweit schließlich das AG Weißenburg (Bay) in seinem Urteil vom 11. August 2017 (1 C 435/16, BeckRS 2017, 144415) entschieden hat, der Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) durch die Vorschriften des MiLoG sei für einen „einmaligen Transport im Sinne einer kurzzeitigen Kabotagefahrt“ nicht verhältnismäßig, spricht dies ebenfalls nicht gegen die hier vertretene Rechtsauffassung. Zum einen hat das AG bei seiner Entscheidung die Entsenderichtlinie als europäisches Sekundärrecht nicht geprüft und daher unzutreffender Weise nicht berücksichtigt, dass die Richtlinie 96/71/EG – wie bereits dargelegt – vom Sonderfall des Art. 3 Abs. 2 abgesehen kein zeitliches Element als Tatbestandsvoraussetzung vorsieht. Zum anderen hat die Klägerin bisher weder vorgetragen noch belegt, dass ihr Fahrer W. im Prüfungszeitraum in einem vergleichbaren zeitlichen Umfang in Deutschland tätig war. Selbst wenn, wäre das HZA berechtigt gewesen, diese Angaben zu überprüfen.
53 
Da W. auf dem Parkplatz des Y-Werks in B angetroffen worden war und angegeben hatte, ein bis zwei Mal pro Monat das Werk zu beliefern, durfte das beklagte HZA davon ausgehen, dass die Klägerin diesen jedenfalls im grenzüberschreitenden Straßenverkehr mit Be- oder Entladung in Deutschland eingesetzt hatte. Es war daher nach den oben dargelegten Rechtsgrundsätzen nicht auszuschließen, dass das MiLoG auf die Klägerin Anwendung findet. Die Aufklärung der hierfür bedeutsamen tatsächlichen Umstände war und ist daher – legitimes – Ziel der angefochtenen Prüfungsverfügung.
54 
dd) Die Prüfungsverfügung ist schließlich auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Vorschriften des MiLoG gegen Verfassungsrecht verstoßen (vgl. Thüsing in Thüsing, MiLoG/AEntG, Einleitung Rn. 31 ff.; Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, Einführung Rn. 106 ff.; Lakies, MiLoG, Einleitung Rn. 24 ff.; Barczak, Mindestlohngesetz und Verfassung, RdA 2014, 290, die die Verfassungsmäßigkeit allgemein bejahen).
55 
Insbesondere vermag der erkennende Senat den von der Klägerin geltend gemachten Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht festzustellen. Das Rechtsstaatsprinzip gebietet, grundrechtsrelevante Vorschriften in ihren Voraussetzungen und ihrem Inhalt so klar zu formulieren, dass die Rechtslage für den Betroffenen erkennbar ist und er sein Verhalten danach einrichten kann (z.B. BVerfG, Beschluss vom 23. April 1974 – 1 BvR 6/74, BVerfGE 37, 132; Burghart in Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 681 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Das Gebot der Normenklarheit zwingt den Gesetzgeber aber nicht, Regelungstatbestände für jeden denkbaren Einzelfall mit genau erfassbaren Maßstäben zu schaffen. An die tatbestandliche Fixierung dürfen keine nach der konkreten Sachlage unerfüllbaren Anforderungen gestellt werden. Es ist Aufgabe der Fachgerichte, die bei der Gesetzesanwendung auf den konkreten Einzelfall auftauchenden Rechtsfragen mit Hilfe anerkannter Auslegungsmethoden zu klären. Eine solche Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit nimmt einer gesetzlichen Regelung noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit (BVerfG, Beschlüsse vom 11. Mai 2007 – 2 BvR 543/06, NJW 2007, 2753; vom 9. Mai 1989 – 1 BvL 35/86, BVerfGE 80, 103; vom 24. November 1981 – 2 BvL 4/80, BVerfGE 59, 104; vom 23. April 1974 – 1 BvR 6/74, BVerfGE 37, 132; vom 12. Januar 1967 – 1 BvR 169/63, BVerfGE 21, 73).
56 
Dies gilt auch für die Vorschriften des MiLoG, insbesondere für den von der Klägerin monierten (vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung, S. 4) Begriff der im „Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ in § 20 MiLoG. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift besteht die Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns für Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland unabhängig von der auf den einzelnen Arbeitsvertrag anwendbaren Rechtsordnung für jede – auch kurzzeitige – Beschäftigung von Arbeitnehmern im Inland, sofern diese in den persönlichen Anwendungsbereich (§ 22) des MiLoG fallen (Thüsing in Thüsing, MiLoG/AEntG, § 2 AEntG Rn. 7; Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 20 Rn. 6, 15; Lakies, MiLoG, § 20 Rn. 1 - 5; Sittard, NZA 2015, 78, 79). Mit §§ 1, 20 MiLoG wird daher eine hinreichend bestimmte Verpflichtung des Arbeitgebers begründet. Hiervon zu unterscheiden ist die – vom Senat verneinte (s.o.) – Frage, ob die Vorschriften unter verfassungs- und/oder europarechtlichen Gesichtspunkten einschränkend auszulegen sind.
57 
Entsprechend wird – soweit die Verfassungsmäßigkeit des MiLoG überhaupt als problematisch angesehen wird – diese allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG), der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG), der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) sowie des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG), nicht aber der Bestimmtheit des Gesetzes diskutiert und – zu Recht – ganz überwiegend bejaht (vgl. Thüsing in Thüsing, MiLoG/AEntG, Einleitung Rn. 31 ff.; Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, Einführung Rn. 106 ff.; Lakies, MiLoG, Einleitung Rn. 24 ff.; Barczak, Mindestlohngesetz und Verfassung, RdA 2014, 290; einschränkend Zeising/Weigert, Verfassungsmäßigkeit des Mindestlohngesetzes, NZA 2015, 15 hinsichtlich des zeitlichen Anwendungsbereichs). Auch das Bundesarbeitsgericht hat in seinen zum MiLoG bislang ergangenen Entscheidungen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes nicht in Frage gestellt (zuletzt Urteil vom 17. Januar 2018 – 5 AZR 69/17, NZA 2018, 781 m.w.N. aus der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung).
58 
ee) Da die Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes mithin grundsätzlich verfassungs- und europarechtskonform und die Klägerin nach den konkreten Umständen taugliche Adressatin dieser Verpflichtung ist, ist die Prüfungsverfügung vom 21. Oktober 2015 rechtmäßig.Sie ist insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden, weil sie sich auf einen Prüfungszeitraum von drei Monaten beschränkt, lediglich einen Arbeitnehmer der Klägerin betrifft und weil schließlich kein milderes Mittel zur Überprüfung der Einhaltung der Arbeitsbedingungen nach Maßgabe des MiLoG ersichtlich ist.
59 
2. Soweit sich die Klägerin mit ihrer Klage auch gegen die unter demselben Datum erlassene Aufklärungsanordnung wendet, mit der ihr aufgegeben wurde, bezogen auf ihren Arbeitnehmer W. und für den Zeitraum 1. Juli bis 30. September 2015 bestimmte Unterlagen vorzulegen bzw. Auskünfte zu erteilen, ist die Klage dagegen teilweise begründet.
60 
a)Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 SchwarzArbG prüfen die Behörden der Zollverwaltung unter anderem, ob Arbeitsbedingungen nach Maßgabe des Mindestlohngesetzes eingehalten werden oder wurden. Hierzu können sie gem. § 15 Satz 1 Nr. 1 MiLoG Einsicht in Arbeitsverträge, Niederschriften nach § 2 des Nachweisgesetzes und andere Geschäftsunterlagen nehmen, die mittelbar oder unmittelbar Auskunft über die Einhaltung des Mindestlohns geben. Nach § 15 Satz 1 Nr. 2 MiLoG können sie darüber hinaus die nach § 5 Abs. 1 des SchwarzArbG zur Mitwirkung Verpflichteten – also auch die Klägerin als Arbeitgeberin des W. – zur Vorlage dieser Unterlagen verpflichten.
61 
b) Dem steht vorliegend nicht entgegen, dass seit dem Erlass der Aufklärungsanordnung am 21. Oktober 2015 mittlerweile mehr als zwei Jahre vergangen sind. Nach § 17 Abs. 2 MiLoG haben Arbeitgeber die für die Kontrolle der Einhaltung der Verpflichtungen nach § 20 in Verbindung mit § 2 erforderlichen Unterlagen im Inland in deutscher Sprache für die gesamte Dauer der tatsächlichen Beschäftigung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Geltungsbereich dieses Gesetzes, mindestens für die Dauer der gesamten Werk- oder Dienstleistung, insgesamt jedoch nicht länger als zwei Jahre, bereitzuhalten. § 17 Abs. 2 MiLoG regelt damit lediglich die Bereithaltungspflicht von Unterlagen im Inland und nicht die Verpflichtung zur Vorlage von Unterlagen. Letztere kann, wie sich u.a. aus Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2014/67/EU vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG (ABl. L 159 vom 28. Mai 2014, S. 11 - 31) ergibt, nach der Entsendung fortbestehen. Eine Vorlagepflicht besteht – auch nach Ablauf der in § 17 Abs. 2 MiLoG geregelten Bereithaltungspflicht – jedenfalls hinsichtlich solcher Unterlagen, die tatsächlich (etwa, weil sie nach den Rechtsvorschriften des Entsendestaates weiter aufzubewahren sind) noch vorhanden sind. Eine zeitliche Beschränkung der Verpflichtung zur Vorlage von Unterlagen lässt sich auch nicht aus § 17 Abs. 1 Satz 1 MiLoG herleiten, der für Arbeitszeitaufzeichnungen eine Aufbewahrungsdauer von „mindestens“ zwei Jahren anordnet. Aus dem Wortlaut der Vorschrift „mindestens“ ist zu schließen, dass in Einzelfällen – hierzu zählt der Senat auch die vorliegende Situation, dass der Arbeitgeber ein Rechtsmittel gegen die Prüfungsverfügung einlegt – die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Arbeitszeitaufzeichnungen und damit auch zu deren Vorlage über den Zeitraum von zwei Jahren hinaus besteht.
62 
c) Die Prüfungsbefugnisse der Zollverwaltung einerseits und Mitwirkungsverpflichtungen des Arbeitgebers nach dem MiLoG andererseits sind auch europa- und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (z.B. Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 14 Rn. 7 f.; Lakies, MiLoG, § 14 Rn. 5 jeweils m.w.N.). Sie sind letztlich als Umsetzung von Art. 5 der Entsenderichtlinie 96/71/EG sowie der Durchsetzungsrichtlinie 2014/67/EU zu sehen. Die Durchsetzungsrichtlinie gibt in Art. 10 Abs. 1 den Mitgliedstaaten auf, sicherzustellen, dass geeignete und wirksame Kontroll- und Überwachungsmechanismen eingesetzt werden. Zudem sind die nach nationalem Recht benannten Behörden aufgerufen, in ihrem Hoheitsgebiet wirksame und angemessene Prüfungen durchführen, um die Einhaltung der Bestimmungen und Vorschriften der Entsenderichtlinie zu kontrollieren und zu überwachen. Auch nach Ansicht des EuGH schließt es die Garantie der Dienstleistungsfreiheit nicht aus, dass ein Mitgliedstaat ein Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, verpflichtet, während des Zeitraums der Betätigung im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats Personal- und Arbeitsunterlagen bereitzuhalten, wenn diese Maßnahme erforderlich ist, um ihm eine effektive Kontrolle der Beachtung seiner durch die Wahrung des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer gerechtfertigten Regelungen zu ermöglichen (vgl. EuGH, Urteile vom 23. November 1999 – C-369/96, Arblade, ECLI:EU:C:1999:575; vom 25. Oktober 2001 – C-49/98, C-50/98, C-52/98 bis C-54/98, C-68/98 bis C-71/98, Finalarte,ECLI:EU:C:2001:564). Die zuständigen Behörden haben ihre Befugnisse nach pflichtgemäßem Ermessen auszuüben. Dementsprechend dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden, die zum Schutz der Arbeitnehmer geeignet und erforderlich sowie im Hinblick auf die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels angemessen sind (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Durchsetzungsrichtlinie 2014/67/EU). Die zuständigen Behörden müssen daher auch prüfen, ob sie ihre Aufsichtsfunktion ohne die angeforderten Informationen nicht wirksam ausüben können oder weniger restriktive Maßnahmen nicht sicherstellen würden, dass die Ziele der Kontrollmaßnahme erreicht werden (vgl. Erwägungsgrund 23 der Durchsetzungsrichtlinie 2014/67/EU).
63 
d) Diesen Anforderungen genügt die angefochtene Aufklärungsanordnung nur zum Teil.
64 
Soweit das HZA Arbeitsverträge, Lohnabrechnungen, Nachweise über die Zahlung der Löhne sowie Arbeitszeitaufzeichnungen angefordert hat, handelt es sich um Unterlagen, die mittelbar oder unmittelbar Auskunft über die Einhaltung des Mindestlohns geben. Deren Vorlage ist für die Prüfung, ob die Klägerin ihren Arbeitnehmern während der Zeit, in der diese in Deutschland tätig waren, ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des geltenden Mindestlohns gezahlt hat, sowohl geeignet als auch erforderlich und verhältnismäßig. Es versteht sich von selbst, dass die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohnes nur dann geprüft werden kann, wenn die Zollbehörde Kenntnis sowohl vom zeitlichen Umfang der im Inland ausgeführten Tätigkeit als auch von der Höhe des vereinbarten und im jeweiligen Prüfungszeitraum tatsächlich bezogenen Lohnes erhält. Hierfür sind die genannten Arbeitsverträge, Arbeitszeitaufzeichnungen, Lohnabrechnungen und Zahlungsnachweise essentiell (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Durchsetzungsrichtlinie 2014/67/EU, der diese Unterlagen ausdrücklich nennt).
65 
Dagegen erschließt sich dem erkennenden Senat nicht, welche Relevanz Firma und Anschrift des jeweiligen Auftraggebers des Transports für die Überprüfung der Einhaltung des Mindestlohns durch die Klägerin haben soll. Sofern das HZA geltend macht, dass sich aus diesen Informationen Rückschlüsse darauf ziehen ließen, ob der Arbeitnehmer im Transitverkehr, im grenzüberschreitenden Verkehr mit Be- oder Entladung in Deutschland oder im Kabotageverkehr eingesetzt gewesen sei, mag dies im Einzelfall zutreffen.
66 
Zwingend ist dies indes nicht, denn der Auftraggeber bzw. dessen Anschrift muss mit dem inländischen Be- oder Entladeort der (für ihn) transportierten Waren nicht identisch sein. Jedenfalls aber lässt sich die Frage, um welche Art von Transport es sich im Einzelfall gehandelt hat, einfacher und zuverlässiger durch Einsichtnahme in die Frachtunterlagen (z.B. den CMR-Frachtbrief) aufklären. Diese sind vom Fahrer ohnehin mitzuführen und hätten bereits bei der Standkontrolle am 23. September 2015 vor Ort überprüft werden können. Dieses Vorgehen wäre als geeigneteres und milderes Mittel nach Auffassung des Senats vorzuziehen gewesen, sodass sich die Aufklärungsanordnung insoweit als ermessensfehlerhaft erweist. Im Übrigen vermag auch der Gesichtspunkt einer möglichen Auftraggeberhaftung nach § 21 Abs. 2 MiLoG die Aufforderung, Firma und Anschrift der jeweiligen Auftraggeber mitzuteilen, zum Zeitpunkt des Erlasses der Aufklärungsanordnung nicht zu rechtfertigen, da eine solche Haftung erst dann in Betracht käme, wenn – was vorliegend gerade noch nicht festgestellt ist – ein Verstoß gegen die Vorschriften des MiLoG vorläge.
67 
Die Aufklärungsanordnung vom 21. Oktober 2015 war daher aufzuheben, soweit das HZA die Klägerin darin zur Mitteilung der Firma und der Anschrift ihrer jeweiligen Auftraggeber aufgefordert hat.
68 
___________         ___________        ___________
69 
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Sätze 1 und 3 i.V.m. § 143 Abs. 1 FGO.
70 
Danach sind die Kosten grundsätzlich gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen, wenn ein Beteiligter – wie hier – teils obsiegt, teils unterliegt (§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO). Abweichend hiervon können einem Beteiligten die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist (§ 136 Abs. 1 Satz 3 FGO). Was unter einem „geringen Teil“ zu verstehen ist, wird in der FGO gesetzlich nicht definiert. Der Senat erachtet in Ausübung des ihm hierbei zustehenden Ermessens (vgl. Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 136 FGO Rn. 17) vorliegend einen Fall des § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO für gegeben. Das rechtliche Interesse der Klägerin war in der Hauptsache darauf gerichtet, dass bereits die an sie gerichtete Prüfungsverfügung vom 21. Oktober 2015 aufgehoben wird, weil sie als ausländisches Transportunternehmen keine taugliche Adressatin einer solchen sei. Mit diesem Begehren war sie vollständig unterlegen. Soweit das HZA in Umsetzung dieser Prüfungsverfügung mit seiner Aufklärungsanordnung die Grenzen des Übermaßverbotes überschritten hat, betraf dies nur einen geringen Teil der angeforderten Unterlagen bzw. Informationen. Ganz überwiegend jedoch hatte auch der gegen die Aufklärungsanordnung gerichtete Teil der Klage keinen Erfolg.
71 
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
72 
3. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) zugelassen. Der Rechtsstreit bietet dem BFH Gelegenheit, zu der höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Frage, was unter einer Beschäftigung im Inland nach § 20 MiLoG zu verstehen ist und ob die Mindestlohnpflicht für ausländische Unternehmen der Transportbranche mit Verfassungs- und Unionsrecht vereinbar ist, Stellung zu nehmen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Juni 2015 – 1 BvR 555/15, NZA 2015, 864, Rn. 12).

Gründe

 
I.
29 
Gegenstand der vorliegenden Klage ist sowohl die „Prüfungsverfügung“ des HZA vom 21. Oktober 2015 als auch die in dem mit „Durchführung des Mindestlohngesetzes“ betitelten Schreiben des HZA vom selben Tag enthaltene Aufklärungsanordnung. Wenngleich beide Schreiben inhaltlich aufeinander Bezug nehmen, handelt es sich nach Auffassung des Senats dennoch um zwei eigenständige Verwaltungsakte. Während die als Prüfungsverfügung bezeichnete Regelung gegenüber der Klägerin anordnet, dass bei ihr unter anderem die Einhaltung der Vorschriften des MiLoG geprüft werden soll, dient die Anforderung bestimmter Unterlagen im zweiten Schreiben bereits der Umsetzung der ersten Verfügung. Nach Aktenlage ist davon auszugehen, dass die Klägerin beide Verfügungen angefochten hat; dahingehend ist auch ihr Klageantrag, obwohl dieser sich seinem Wortlaut nach lediglich auf die Prüfungsverfügung des HZA bezieht, rechtsschutzgewährend auszulegen. Die Klägerin hat sich nämlich bereits mit ihrem als Einspruch zu wertenden Schreiben vom 4. November 2015 (Bl. 19 HZA-Akte) nicht nur gegen die Anordnung einer Prüfung als solcher gewandt, sondern gerade auch gegen die Verpflichtung, „die notwendigen Dokumente zu übermitteln.“
II.
30 
Die so verstandene Klage ist zulässig, sie ist jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
31 
1. Soweit sich die Klägerin mit ihrer Klage gegen die Anordnung einer Prüfung dem Grunde nach wendet, ist die Klage unbegründet.
32 
a) Die Rechtsgrundlage für die streitgegenständliche Prüfungsverfügung vom 21. Oktober 2015 findet sich in § 15 Satz 1 MiLoG i.V.m. § 2 SchwarzArbG, der zwar nicht ausdrücklich zum Erlass einer Prüfungsverfügung ermächtigt, der jedoch die Prüfungsaufgaben der Zollverwaltung im Einzelnen auflistet und damit die Möglichkeit, eine solche Prüfung anzuordnen, gleichsam voraussetzt (FG Hamburg, Beschluss vom 21. September 2011 – 4 V 148/11, juris). Besondere Anforderungen an die Prüfungsanordnung stellt das Gesetz nicht (BFH, Beschluss vom 17. April 2013 – VII B 41/12, BFH/NV 2013, 1131; FG Münster, Urteil vom 12. Februar 2014 – 6 K 2434/13 AO, EFG 2014, 864). Die Anordnung einer Prüfung i.S.d. § 15 Abs. 1 MiLoG i.V.m. § 2 SchwarzArbG steht daher im Ermessen der Finanzbehörde. Sie ist in aller Regel ermessensgerecht, wenn sie dem Gesetzeszweck, d.h. der Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften des MiLoG dient, es sei denn, es lägen Anhaltspunkte für ein unverhältnismäßiges, sachwidriges oder willkürliches Verhalten der Finanzbehörde vor (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. November 2009 – 7 K 7024/07, EFG 2010, 463 unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 21. Juni 1994 – VIII R 54/92, BFHE 174, 397, BStBl II 1994, 678, 679 zu einer Außenprüfung nach den §§ 193 ff. AO; ebenso BFH, Beschluss vom 15. Februar 2008 – II B 79/07, BFH/NV 2008, 1102, der die Grenze für eine Prüfung nach §§ 2 ff. SchwarzArbG ebenfalls im Willkürverbot sieht).
33 
b) Die streitgegenständliche Prüfungsverfügung genügt diesen Anforderungen.
34 
aa) Die Klägerin ist taugliche Adressatin der angefochtenen Prüfungsverfügung. Hierfür ist unerheblich, dass sie ihren Sitz in der Slowakischen Republik hat. Denn die Verpflichtung, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmern den Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 MiLoG zu zahlen, besteht nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 20 MiLoG für Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland in gleicher Weise (vgl. Ferme/Carsten, MiLoG, § 20 Rn. 1, 28). Dasselbe gilt für die sich aus §§ 15, 17 Abs. 1 und 2 MiLoG i.V.m. § 2a Abs. 1 Nr. 4 SchwarzArbG ergebende Verpflichtung, die für die Kontrolle der Einhaltung des Mindestlohns erforderlichen Unterlagen zu erstellen, aufzubewahren und auf Anforderung den Zollbehörden vorzulegen.
35 
bb) Die Prüfungsverfügung hat auch die Einhaltung des Mindestlohns im Hinblick auf einen „im Inland beschäftigten Arbeitnehmer“ im Sinne des § 20 MiLoG – nämlich den auf dem Parkplatz des Y-Werks in B angetroffenen LKW-Fahrer der Klägerin W. – zum Gegenstand.
36 
In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob dem Beschäftigungsverhältnis ein Arbeitsvertrag nach deutschem Recht zugrunde gelegen hatte. Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 96/71/EG sollen die Mitgliedstaaten nämlich unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht dem entsandten Arbeitnehmer bestimmte Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften bzw. durch allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträge garantieren. Die Richtlinie 96/71/EG beansprucht für den Straßenverkehrssektor in ihrer bisherigen Fassung nach wie vor Gültigkeit. Zwar haben – worauf die Klägerin zutreffend hinweist – am 28. Juni 2018 das Europäisches Parlament und der Rat der Europäischen Union die Richtlinie (EU) 2018/957 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen erlassen (ABl. L 173 vom 9. Juli 2018, S. 16 - 24). Die (Änderungs-)Richtlinie gilt für den Straßenverkehrssektor allerdings erst ab dem Geltungsbeginn eines Gesetzgebungsakts zur Änderung der Richtlinie 2006/22/EG bezüglich der Durchsetzungsanforderungen und zur Festlegung spezifischer Regeln im Zusammenhang mit der Richtlinie 96/71/EG und der Richtlinie 2014/67/EU für die Entsendung von Kraftfahrern im Straßenverkehrssektor (Art. 3 Abs. 3 Richtlinie [EU] 2018/957). Bis zu diesem noch in der Zukunft liegenden Zeitpunkt ist die Richtlinie 96/71/EG weiterhin in der Fassung anwendbar, die vor den eingeführten Änderungen galt (Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 Richtlinie [EU] 2018/957).
37 
Nach § 2 Nr. 1 AEntG, der die Entsenderichtlinie 96/71/EG in nationales Recht umsetzt, finden die in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften enthaltenen Regelungen über Mindestentgeltsätze auch auf Arbeitsverhältnisse zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zwingend Anwendung. Bei dem in §§ 1 und 20 MiLoG geregelten gesetzlichen Mindestlohn handelt es sich um einen solchen zwingenden Mindestentgeltsatz im Sinne des § 2 Nr. 1 AEntG und Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/71/EG (vgl. BT-Drs. 18/1558, S. 42, Thüsing in Thüsing, MiLoG/AEntG, § 2 AEntG Rn. 7, Lakies, MiLoG, § 20 Rn. 1, 10).
38 
Mit dem Begriff „zwingend“ wird klargestellt, dass es sich bei § 2 AEntG um eine Eingriffsnorm im Sinne des Art. 9 Abs. 1 der Rom I-VO handelt, die nach den Grundsätzen des Internationalen Privatrechts auch dann einzuhalten ist, wenn das Arbeitsverhältnis eines entsandten Arbeitnehmers oder einer entsandten Arbeitnehmerin im Übrigen dem Recht eines anderen Staates unterliegt (vgl. Thüsing in Thüsing, MiLoG/AEntG, § 2 AEntG Rn. 2 m.w.N.). Zwar ist für das Vorliegen einer Eingriffsnorm nicht ausreichend, dass die betreffende Norm als Arbeitnehmerschutznorm einseitig zwingend und für Arbeitnehmer günstiger als die nach dem an sich anwendbaren ausländischen Recht einschlägige Vorschrift ist. Erforderlich ist vielmehr, dass die Vorschrift nicht nur auf den Schutz von Individualinteressen der Arbeitnehmer gerichtet ist, sondern mit ihr zumindest auch öffentliche Gemeinwohlinteressen verfolgt werden (Bundesarbeitsgericht - BAG -, Urteil vom 18. April 2012 – 10 AZR 200/11, BAGE 141, 129; sowie zu Art. 34 EGBGB: Urteile vom 13. November 2007 – 9 AZR 134/07, BAGE 125, 24; vom 12. Dezember 2001 – 5 AZR 255/00, BAGE 100, 130; vom 3. Mai 1995 – 5 AZR 15/94, BAGE 80, 84). Dies indes ist bei der allgemeinen Mindestlohnpflicht der Fall, denn ausweislich der Gesetzesbegründung dient die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns nicht nur dem Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vor unangemessen niedrigen Löhnen, sondern auch der Schaffung fairer und funktionierender Wettbewerbsbedingungen sowie der finanziellen Stabilität der sozialen Sicherungssysteme (vgl. BT-Drs. 18/1558, S. 2). Bei §§ 1, 20 MiLoG i.V.m. § 2 Nr. 1 AEntG handelt es sich damit um Eingriffsnormen i.S.d. Art. 9 Abs. 1 Rom-I VO, die ungeachtet der auf den jeweiligen Arbeitsvertrag anzuwendenden Rechtsordnung auf jede Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern im Inland anzuwenden sind (Bayreuther in Thüsing, MiLoG/AEntG, § 1 MiLoG Rn. 67; Franzen in Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, § 20 MiLoG Rn. 1; Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 20 Rn. 5; Sittard, NZA 2015, 78; Bissels/Falter/Ewers, ArbRAktuell 2015, 4; vgl. auch BAG, Urteile vom 25. Januar 2005 – 9 AZR 154/04, NZA 2005, 1376 und vom 20. Juli 2004 – 9 AZR 343/03, BAGE 111, 247 zum AEntG).
39 
Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht aus dem Urteil des Österreichischen Obersten Gerichtshofs vom 29. November 2016 (9 ObA 53/16h, NZA-RR 2017, 180). Die Entscheidung betraf den Fall eines bei einem Mietwagenunternehmen mit Sitz in Österreich angestellten Arbeitnehmers, dessen Hauptarbeitsleistung darin bestand, Kunden von Salzburg zum Flughafen München zu fahren bzw. sie von dort wieder zurück nach Salzburg zu bringen. Der Österreichische Oberste Gerichtshof kam unter Berücksichtigung von Art und Zweck der Normen sowie unter Abwägung der Folgen, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden, zu dem Ergebnis, dass den Vorschriften der §§ 1, 20 MiLoG nach Art. 9 Abs. 3 Rom I-VO im konkreten Fall keine Wirkung zu verleihen sei, wobei er offenbar davon ausgegangen war, dass mangels entsprechenden Vorbringens durch den dortigen Kläger – anders als hier (s.u.) – nicht von einem Entsendetatbestand i.S.d. Art. 1 Abs. 3 Buchst. a bis c der Entsenderichtlinie auszugehen sei.
40 
Unabhängig davon, ob der Österreichische Oberste Gerichtshof die Wirkungsverleihung zu Recht abgelehnt hat, hatte er jedenfalls über die Anwendung einer – aus seiner Sicht und bezogen auf das gültige Arbeitsvertragsstatut – ausländischen Norm, nämlich das deutsche MiLoG, zu entscheiden. Dagegen stellt Art. 9 Abs. 2 der Rom I-VO klar, dass die Verordnung nicht die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts berührt; der erkennende Senat hat damit das MiLoG als inländisches zwingendes Recht (lex fori) anzuwenden (Martiny in Münchener Kommentar zum BGB, Rom I-VO, Art. 9 Rn. 52, 104, Art. 8 Rn. 139).
41 
Abgesehen davon folgt die Anwendbarkeit der §§ 1, 20 MiLoG vorliegend bereits aus Art. 23 Rom I-VO, wonach die Anwendung von Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, die in besonderen Bereichen Kollisionsnormen für vertragliche Schuldverhältnisse enthalten, unberührt bleibt. Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c der Richtlinie 96/71/EG verlangt von den nationalen Gesetzgebern, dass staatliche Mindestentgeltbestimmungen als Eingriffsnormen ausgestaltet werden. Das richtlinienkonforme zwingende Recht setzt sich dann, wie sich aus Erwägungsgrund 34 der Rom I-VO ergibt, gegenüber den Kollisionsnormen der Rom I-VO für Individualarbeitsverträge durch (Martiny in Münchener Kommentar zum BGB, Rom I-VO, Art. 9 Rn. 27, 104, Art. 8 Rn. 134; Art. 23 Rn. 3, 17; Sittard, NZA 2015, 78, 79; vgl. im Ergebnis auch Deinert, FS Martiny, 2014, 277, 289; Rauscher/v. Hein, EuZPR/EuIPR, Art. 8 Rn. 10; Clausnitzer/Woopen, BB 2008, 1798, 1804, nach denen bereits die Entsenderichtlinie als vorrangige Kollisionsnorm i.S.d. Art. 23 Rom I-VO für vertragliche Schuldverhältnisse anzusehen ist).
42 
Die Vorschriften des MiLoG sind damit unter kollisionsrechtlichen Gesichtspunkten auf die Klägerin anwendbar.
43 
cc) Die aus §§ 1 und 20 MiLoG folgende Mindestlohnpflicht ist nach Auffassung des erkennenden Senats vorliegend auch nicht vor dem Hintergrund einschränkend auszulegen, dass im Bereich der Beförderung von Gütern und Personen die entsandten Arbeitnehmer ggf. nur kurzzeitig im Inland tätig werden.
44 
aaa) In der Literatur wird in diesem Zusammenhang vertreten, dass eine Auslegung, nach der die Mindestlohnzahlungspflicht des § 20 MiLoG sowie die diese ergänzenden Dokumentations-, Aufbewahrungs- und Bereithaltungspflichten nach §§ 16 und 17 MiLoG auch bei nur kurzfristiger Tätigkeit im Inland zur Anwendung kämen, einen unzulässigen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit der Art. 56 ff. AEUV und die Warenverkehrsfreiheit der Art. 28 ff. AEUV darstelle. Außerdem sei der Regelungszweck des MiLoG, existenzgefährdende Niedriglöhne zu verhindern und einen Mindestschutz der Arbeitnehmer zu erreichen, nur dann berührt, wenn ein Arbeitnehmer nicht nur gelegentlich deutschen Lebenshaltungskosten unterliege, da nur dann ein Bedürfnis bestehe, den deutschen Mindestlohn zu erhalten (so Sittard, NZA 2015, 78; Bissels/Falter/Ewers, ArbRAktuell 2015, 4). Es wird daher teilweise vorgeschlagen, die Anwendung des MiLoG von einer Mindestbeschäftigungsdauer im Inland abhängig zu machen oder jedenfalls die reinen Transitfahrten aus dem Anwendungsbereich des MiLoG auszunehmen (Bissels/Falter/Ewers, ArbRAktuell 2015, 4; Sittard, NZA 2015, 78, 82: analoge Anwendung des § 6 Abs. 1 Satz 1 AEntG).
45 
Die EU-Kommission prüft derzeit, ob das MiLoG, soweit der Verkehrssektor betroffen ist, mit EU-Recht im Einklang steht. Hierzu hat sie am 19. Mai 2015 nach Art. 258 AEUV ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet (vgl. Ferme/Carsten, MiLoG § 16 Rn. 62, § 20 Rn. 28; Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 20 Rn. 27 f.). Sie vertritt die Auffassung, dass die Anwendung des Mindestlohns auf bestimmte grenzüberschreitende Beförderungsleistungen, die nur einen geringen Bezug zum Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufweisen, nicht zu rechtfertigen sei, weil dadurch unangemessene Verwaltungshürden geschaffen würden, die ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts behinderten (Pressemitteilung der EU-Kommission vom 16. Juni 2016, abrufbar unter https://ec.europa.eu). In ihrer Gesetzesinitiative vom 31. Mai 2017 schlägt sie vor, für den grenzüberschreitenden Verkehr Fahrer als entsandte – und damit dem Sozialschutz des Staates, in dem sie vorübergehend tätig werden, unterliegende – Arbeitnehmer zu betrachten, wenn sie sich mindestens drei Tage innerhalb eines Kalendermonats auf dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten. Bei der Kabotage soll dies bereits ab dem ersten Tag und unabhängig von der Dauer der Entsendung gelten (Pressemitteilung der EU-Kommission vom 31. Mai 2017, abrufbar unter https://ec.europa.eu).
46 
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat die Bedenken der EU-Kommission aufgegriffen und bis zur Klärung der unionsrechtlichen Fragen zur Anwendung des MiLoG entschieden, dass – begrenzt auf den Bereich des reinen Transitverkehrs – die Kontrollen durch die staatlichen Behörden zur Überprüfung des MiLoG ausgesetzt werden und diesbezügliche Einsatzplanungen nicht (mehr) vorgelegt werden müssen. Diese vorübergehende Regelung für den Transitverkehr umfasst alle Verkehrsträger bzw. Verkehre mit Start- und Zielort außerhalb Deutschlands, die Deutschland durchqueren, ohne dabei in Deutschland Waren auf- oder abzuladen bzw. Passagiere aufzunehmen oder abzusetzen (vgl. Ferme/Carsten, MiLoG, § 20 Rn. 14; Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 20 Rn. 28; Pressemeldung des BMAS vom 30. Januar 2015).
47 
bbb) Der erkennende Senat ist der Auffassung, dass ausländische Arbeitgeber jedenfalls insoweit den Vorschriften des MiLoG unterliegen, als ihre Arbeitnehmer über reine Transitfahrten hinaus Transporte aus oder nach einem anderen Mitgliedstaat mit Be- oder Entladung in Deutschland oder Kabotagefahrten durchführen.
48 
(1) Nach Art. 2 Abs. 1 der Entsenderichtlinie 96/71/EG gilt als entsandter Arbeitnehmer nämlich jeder Arbeitnehmer, der während eines begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als demjenigen erbringt, in dessen Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet. Eine zeitliche Mindestdauer der Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat sieht die Entsenderichtlinie – abgesehen von dem hier nicht einschlägigen Sonderfall der 8-Tage-Regelung bei Erstmontage oder Einbauarbeiten (Art. 3 Abs. 2 der Entsenderichtlinie) – nicht vor (vgl. auch Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 20 Rn. 19 f., die zudem mit beachtlichen Gründen eine einschränkende Auslegung des § 20 MiLoG bei kurzzeitigen Tätigkeiten sowohl in Entsende- wie auch Nicht-Entsendefällen ablehnen). Aus Erwägungsgrund 14 der Richtlinie 96/71/EG ergibt sich vielmehr umgekehrt, dass ein "harter Kern" klar definierter Schutzbestimmungen vom Dienstleistungserbringer unabhängig von der Dauer der Entsendung des Arbeitnehmers einzuhalten ist.
49 
(2) Soweit die Klägerin aus Erwägungsgrund 17 der VO (EG) Nr. 1072/2009 etwas anderes ableitet, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Zwar ist dort die Geltung der Entsenderichtlinie ausdrücklich nur für – im Streitfall nicht vorliegende – Kabotagebeförderungen ausgesprochen. Der Senat sieht hierin – anders als die Klägerin – jedoch lediglich eine Klarstellung dahingehend, dass auch nach der Neuregelung der Kabotage durch die VO (EG) Nr. 1072/2009 (bis dahin galt für den Bereich der Kabotage die Verordnung [EWG] Nr. 3118/93 als Übergangsregelung) die Entsenderichtlinie auf Verkehrsunternehmen, die Kabotagebeförderungen durchführen, anwendbar ist. Es finden sich nämlich in der VO (EG) Nr. 1072/2009 keine Anhaltspunkte dafür, dass die Entsenderichtlinie für grenzüberschreitende Verkehre nicht gelten soll.
50 
(3) Auch das Urteil des EuGH vom 18. September 2014 (C-549/13, Bundesdruckerei, ECLI:EU:C:2014:2235) steht – anders als die Klägerin meint – dieser Beurteilung nicht entgegen. Der EuGH hat darin nämlich lediglich entschieden, dass eine Lohnschutzregelung – in jenem Fall § 4 Abs. 3 des Tariftreue- und Vergabegesetzes Nordrhein-Westfalen –, die ein festes Mindestentgelt vorgebe, das keinen Bezug zu den in dem Mitgliedstaat, in dem die Leistungen ausgeführt werden, bestehenden Lebenshaltungskosten habe, über das hinausgehe, was erforderlich sei, um zu gewährleisten, dass das Ziel des Arbeitnehmerschutzes erreicht werde, und daher eine – nicht gerechtfertigte – Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs im Sinne von Art. 56 AEUV darstelle. Die EuGH-Entscheidung kann auf die Frage der Anwendbarkeit des MiLoG bei kurzfristiger Tätigkeit in Deutschland bereits deshalb nicht übertragen werden, weil in dem vom EuGH entschiedenen Sachverhalt die Arbeitsleistung komplett in Polen erbracht wurde (zutreffend Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 20 Rn. 21 f.). Abgesehen davon ist aus den Ausführungen des EuGH zu schließen, dass die Anwendung nationaler Mindestlohnvorschriften auf ausländische Arbeitnehmer jedenfalls dann gerechtfertigt ist, wenn diese in nennenswertem Umfang deutschen Lebenshaltungskosten unterliegen (vgl. Sittard, NZA 2015, 78, 81). Dies aber wird in den Fällen des grenzüberschreitenden Straßenverkehrs mit Be- oder Entladung in Deutschland und in den Fällen der Kabotage nicht von vornherein auszuschließen sein.
51 
Die von der Klägerin ebenfalls angeführte Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Rüffert (Urteil vom 3. April 2008 – C-346/06, ECLI:EU:C:2008:189) trifft zu der hier entscheidungserheblichen Frage, ob das MiLoG bei nur kurzzeitiger Tätigkeit im Inland unionsrechtskonform einschränkend auszulegen ist, überhaupt keine Aussage. Der Fall ist im Übrigen mit dem vorliegenden Sachverhalt schon deshalb nicht vergleichbar, weil der EuGH in der Rechtssache Rüffert die Vereinbarkeit einer Tariftreueregelung mit europäischem Recht zu überprüfen hatte, die – anders als das MiLoG – mangels eines für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrages bereits keinen Mindestlohnsatz im Sinne von Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c der Entsenderichtlinie 96/71/EG darstellte und die zudem in Bezug auf die Höhe des Arbeitslohns über den Mindestlohnstandard hinausging, der sich für den dortigen Fall aus dem AEntG ergab.
52 
(4) Soweit schließlich das AG Weißenburg (Bay) in seinem Urteil vom 11. August 2017 (1 C 435/16, BeckRS 2017, 144415) entschieden hat, der Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 ff. AEUV) durch die Vorschriften des MiLoG sei für einen „einmaligen Transport im Sinne einer kurzzeitigen Kabotagefahrt“ nicht verhältnismäßig, spricht dies ebenfalls nicht gegen die hier vertretene Rechtsauffassung. Zum einen hat das AG bei seiner Entscheidung die Entsenderichtlinie als europäisches Sekundärrecht nicht geprüft und daher unzutreffender Weise nicht berücksichtigt, dass die Richtlinie 96/71/EG – wie bereits dargelegt – vom Sonderfall des Art. 3 Abs. 2 abgesehen kein zeitliches Element als Tatbestandsvoraussetzung vorsieht. Zum anderen hat die Klägerin bisher weder vorgetragen noch belegt, dass ihr Fahrer W. im Prüfungszeitraum in einem vergleichbaren zeitlichen Umfang in Deutschland tätig war. Selbst wenn, wäre das HZA berechtigt gewesen, diese Angaben zu überprüfen.
53 
Da W. auf dem Parkplatz des Y-Werks in B angetroffen worden war und angegeben hatte, ein bis zwei Mal pro Monat das Werk zu beliefern, durfte das beklagte HZA davon ausgehen, dass die Klägerin diesen jedenfalls im grenzüberschreitenden Straßenverkehr mit Be- oder Entladung in Deutschland eingesetzt hatte. Es war daher nach den oben dargelegten Rechtsgrundsätzen nicht auszuschließen, dass das MiLoG auf die Klägerin Anwendung findet. Die Aufklärung der hierfür bedeutsamen tatsächlichen Umstände war und ist daher – legitimes – Ziel der angefochtenen Prüfungsverfügung.
54 
dd) Die Prüfungsverfügung ist schließlich auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Vorschriften des MiLoG gegen Verfassungsrecht verstoßen (vgl. Thüsing in Thüsing, MiLoG/AEntG, Einleitung Rn. 31 ff.; Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, Einführung Rn. 106 ff.; Lakies, MiLoG, Einleitung Rn. 24 ff.; Barczak, Mindestlohngesetz und Verfassung, RdA 2014, 290, die die Verfassungsmäßigkeit allgemein bejahen).
55 
Insbesondere vermag der erkennende Senat den von der Klägerin geltend gemachten Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht festzustellen. Das Rechtsstaatsprinzip gebietet, grundrechtsrelevante Vorschriften in ihren Voraussetzungen und ihrem Inhalt so klar zu formulieren, dass die Rechtslage für den Betroffenen erkennbar ist und er sein Verhalten danach einrichten kann (z.B. BVerfG, Beschluss vom 23. April 1974 – 1 BvR 6/74, BVerfGE 37, 132; Burghart in Leibholz/Rinck, Grundgesetz, Art. 20 Rn. 681 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Das Gebot der Normenklarheit zwingt den Gesetzgeber aber nicht, Regelungstatbestände für jeden denkbaren Einzelfall mit genau erfassbaren Maßstäben zu schaffen. An die tatbestandliche Fixierung dürfen keine nach der konkreten Sachlage unerfüllbaren Anforderungen gestellt werden. Es ist Aufgabe der Fachgerichte, die bei der Gesetzesanwendung auf den konkreten Einzelfall auftauchenden Rechtsfragen mit Hilfe anerkannter Auslegungsmethoden zu klären. Eine solche Auslegungsfähigkeit und -bedürftigkeit nimmt einer gesetzlichen Regelung noch nicht die rechtsstaatlich gebotene Bestimmtheit (BVerfG, Beschlüsse vom 11. Mai 2007 – 2 BvR 543/06, NJW 2007, 2753; vom 9. Mai 1989 – 1 BvL 35/86, BVerfGE 80, 103; vom 24. November 1981 – 2 BvL 4/80, BVerfGE 59, 104; vom 23. April 1974 – 1 BvR 6/74, BVerfGE 37, 132; vom 12. Januar 1967 – 1 BvR 169/63, BVerfGE 21, 73).
56 
Dies gilt auch für die Vorschriften des MiLoG, insbesondere für den von der Klägerin monierten (vgl. Protokoll über die mündliche Verhandlung, S. 4) Begriff der im „Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ in § 20 MiLoG. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift besteht die Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns für Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland unabhängig von der auf den einzelnen Arbeitsvertrag anwendbaren Rechtsordnung für jede – auch kurzzeitige – Beschäftigung von Arbeitnehmern im Inland, sofern diese in den persönlichen Anwendungsbereich (§ 22) des MiLoG fallen (Thüsing in Thüsing, MiLoG/AEntG, § 2 AEntG Rn. 7; Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 20 Rn. 6, 15; Lakies, MiLoG, § 20 Rn. 1 - 5; Sittard, NZA 2015, 78, 79). Mit §§ 1, 20 MiLoG wird daher eine hinreichend bestimmte Verpflichtung des Arbeitgebers begründet. Hiervon zu unterscheiden ist die – vom Senat verneinte (s.o.) – Frage, ob die Vorschriften unter verfassungs- und/oder europarechtlichen Gesichtspunkten einschränkend auszulegen sind.
57 
Entsprechend wird – soweit die Verfassungsmäßigkeit des MiLoG überhaupt als problematisch angesehen wird – diese allenfalls unter dem Gesichtspunkt der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG), der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG), der Eigentumsgarantie (Art. 14 Abs. 1 GG), der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) sowie des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG), nicht aber der Bestimmtheit des Gesetzes diskutiert und – zu Recht – ganz überwiegend bejaht (vgl. Thüsing in Thüsing, MiLoG/AEntG, Einleitung Rn. 31 ff.; Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, Einführung Rn. 106 ff.; Lakies, MiLoG, Einleitung Rn. 24 ff.; Barczak, Mindestlohngesetz und Verfassung, RdA 2014, 290; einschränkend Zeising/Weigert, Verfassungsmäßigkeit des Mindestlohngesetzes, NZA 2015, 15 hinsichtlich des zeitlichen Anwendungsbereichs). Auch das Bundesarbeitsgericht hat in seinen zum MiLoG bislang ergangenen Entscheidungen die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes nicht in Frage gestellt (zuletzt Urteil vom 17. Januar 2018 – 5 AZR 69/17, NZA 2018, 781 m.w.N. aus der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung).
58 
ee) Da die Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohnes mithin grundsätzlich verfassungs- und europarechtskonform und die Klägerin nach den konkreten Umständen taugliche Adressatin dieser Verpflichtung ist, ist die Prüfungsverfügung vom 21. Oktober 2015 rechtmäßig.Sie ist insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden, weil sie sich auf einen Prüfungszeitraum von drei Monaten beschränkt, lediglich einen Arbeitnehmer der Klägerin betrifft und weil schließlich kein milderes Mittel zur Überprüfung der Einhaltung der Arbeitsbedingungen nach Maßgabe des MiLoG ersichtlich ist.
59 
2. Soweit sich die Klägerin mit ihrer Klage auch gegen die unter demselben Datum erlassene Aufklärungsanordnung wendet, mit der ihr aufgegeben wurde, bezogen auf ihren Arbeitnehmer W. und für den Zeitraum 1. Juli bis 30. September 2015 bestimmte Unterlagen vorzulegen bzw. Auskünfte zu erteilen, ist die Klage dagegen teilweise begründet.
60 
a)Nach § 2 Abs. 1 Nr. 5 SchwarzArbG prüfen die Behörden der Zollverwaltung unter anderem, ob Arbeitsbedingungen nach Maßgabe des Mindestlohngesetzes eingehalten werden oder wurden. Hierzu können sie gem. § 15 Satz 1 Nr. 1 MiLoG Einsicht in Arbeitsverträge, Niederschriften nach § 2 des Nachweisgesetzes und andere Geschäftsunterlagen nehmen, die mittelbar oder unmittelbar Auskunft über die Einhaltung des Mindestlohns geben. Nach § 15 Satz 1 Nr. 2 MiLoG können sie darüber hinaus die nach § 5 Abs. 1 des SchwarzArbG zur Mitwirkung Verpflichteten – also auch die Klägerin als Arbeitgeberin des W. – zur Vorlage dieser Unterlagen verpflichten.
61 
b) Dem steht vorliegend nicht entgegen, dass seit dem Erlass der Aufklärungsanordnung am 21. Oktober 2015 mittlerweile mehr als zwei Jahre vergangen sind. Nach § 17 Abs. 2 MiLoG haben Arbeitgeber die für die Kontrolle der Einhaltung der Verpflichtungen nach § 20 in Verbindung mit § 2 erforderlichen Unterlagen im Inland in deutscher Sprache für die gesamte Dauer der tatsächlichen Beschäftigung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Geltungsbereich dieses Gesetzes, mindestens für die Dauer der gesamten Werk- oder Dienstleistung, insgesamt jedoch nicht länger als zwei Jahre, bereitzuhalten. § 17 Abs. 2 MiLoG regelt damit lediglich die Bereithaltungspflicht von Unterlagen im Inland und nicht die Verpflichtung zur Vorlage von Unterlagen. Letztere kann, wie sich u.a. aus Art. 9 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2014/67/EU vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG (ABl. L 159 vom 28. Mai 2014, S. 11 - 31) ergibt, nach der Entsendung fortbestehen. Eine Vorlagepflicht besteht – auch nach Ablauf der in § 17 Abs. 2 MiLoG geregelten Bereithaltungspflicht – jedenfalls hinsichtlich solcher Unterlagen, die tatsächlich (etwa, weil sie nach den Rechtsvorschriften des Entsendestaates weiter aufzubewahren sind) noch vorhanden sind. Eine zeitliche Beschränkung der Verpflichtung zur Vorlage von Unterlagen lässt sich auch nicht aus § 17 Abs. 1 Satz 1 MiLoG herleiten, der für Arbeitszeitaufzeichnungen eine Aufbewahrungsdauer von „mindestens“ zwei Jahren anordnet. Aus dem Wortlaut der Vorschrift „mindestens“ ist zu schließen, dass in Einzelfällen – hierzu zählt der Senat auch die vorliegende Situation, dass der Arbeitgeber ein Rechtsmittel gegen die Prüfungsverfügung einlegt – die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Arbeitszeitaufzeichnungen und damit auch zu deren Vorlage über den Zeitraum von zwei Jahren hinaus besteht.
62 
c) Die Prüfungsbefugnisse der Zollverwaltung einerseits und Mitwirkungsverpflichtungen des Arbeitgebers nach dem MiLoG andererseits sind auch europa- und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (z.B. Riechert/Nimmerjahn, MiLoG, § 14 Rn. 7 f.; Lakies, MiLoG, § 14 Rn. 5 jeweils m.w.N.). Sie sind letztlich als Umsetzung von Art. 5 der Entsenderichtlinie 96/71/EG sowie der Durchsetzungsrichtlinie 2014/67/EU zu sehen. Die Durchsetzungsrichtlinie gibt in Art. 10 Abs. 1 den Mitgliedstaaten auf, sicherzustellen, dass geeignete und wirksame Kontroll- und Überwachungsmechanismen eingesetzt werden. Zudem sind die nach nationalem Recht benannten Behörden aufgerufen, in ihrem Hoheitsgebiet wirksame und angemessene Prüfungen durchführen, um die Einhaltung der Bestimmungen und Vorschriften der Entsenderichtlinie zu kontrollieren und zu überwachen. Auch nach Ansicht des EuGH schließt es die Garantie der Dienstleistungsfreiheit nicht aus, dass ein Mitgliedstaat ein Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist und vorübergehend Arbeiten im ersten Staat ausführt, verpflichtet, während des Zeitraums der Betätigung im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats Personal- und Arbeitsunterlagen bereitzuhalten, wenn diese Maßnahme erforderlich ist, um ihm eine effektive Kontrolle der Beachtung seiner durch die Wahrung des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer gerechtfertigten Regelungen zu ermöglichen (vgl. EuGH, Urteile vom 23. November 1999 – C-369/96, Arblade, ECLI:EU:C:1999:575; vom 25. Oktober 2001 – C-49/98, C-50/98, C-52/98 bis C-54/98, C-68/98 bis C-71/98, Finalarte,ECLI:EU:C:2001:564). Die zuständigen Behörden haben ihre Befugnisse nach pflichtgemäßem Ermessen auszuüben. Dementsprechend dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden, die zum Schutz der Arbeitnehmer geeignet und erforderlich sowie im Hinblick auf die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Ziels angemessen sind (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Durchsetzungsrichtlinie 2014/67/EU). Die zuständigen Behörden müssen daher auch prüfen, ob sie ihre Aufsichtsfunktion ohne die angeforderten Informationen nicht wirksam ausüben können oder weniger restriktive Maßnahmen nicht sicherstellen würden, dass die Ziele der Kontrollmaßnahme erreicht werden (vgl. Erwägungsgrund 23 der Durchsetzungsrichtlinie 2014/67/EU).
63 
d) Diesen Anforderungen genügt die angefochtene Aufklärungsanordnung nur zum Teil.
64 
Soweit das HZA Arbeitsverträge, Lohnabrechnungen, Nachweise über die Zahlung der Löhne sowie Arbeitszeitaufzeichnungen angefordert hat, handelt es sich um Unterlagen, die mittelbar oder unmittelbar Auskunft über die Einhaltung des Mindestlohns geben. Deren Vorlage ist für die Prüfung, ob die Klägerin ihren Arbeitnehmern während der Zeit, in der diese in Deutschland tätig waren, ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des geltenden Mindestlohns gezahlt hat, sowohl geeignet als auch erforderlich und verhältnismäßig. Es versteht sich von selbst, dass die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohnes nur dann geprüft werden kann, wenn die Zollbehörde Kenntnis sowohl vom zeitlichen Umfang der im Inland ausgeführten Tätigkeit als auch von der Höhe des vereinbarten und im jeweiligen Prüfungszeitraum tatsächlich bezogenen Lohnes erhält. Hierfür sind die genannten Arbeitsverträge, Arbeitszeitaufzeichnungen, Lohnabrechnungen und Zahlungsnachweise essentiell (vgl. auch Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Durchsetzungsrichtlinie 2014/67/EU, der diese Unterlagen ausdrücklich nennt).
65 
Dagegen erschließt sich dem erkennenden Senat nicht, welche Relevanz Firma und Anschrift des jeweiligen Auftraggebers des Transports für die Überprüfung der Einhaltung des Mindestlohns durch die Klägerin haben soll. Sofern das HZA geltend macht, dass sich aus diesen Informationen Rückschlüsse darauf ziehen ließen, ob der Arbeitnehmer im Transitverkehr, im grenzüberschreitenden Verkehr mit Be- oder Entladung in Deutschland oder im Kabotageverkehr eingesetzt gewesen sei, mag dies im Einzelfall zutreffen.
66 
Zwingend ist dies indes nicht, denn der Auftraggeber bzw. dessen Anschrift muss mit dem inländischen Be- oder Entladeort der (für ihn) transportierten Waren nicht identisch sein. Jedenfalls aber lässt sich die Frage, um welche Art von Transport es sich im Einzelfall gehandelt hat, einfacher und zuverlässiger durch Einsichtnahme in die Frachtunterlagen (z.B. den CMR-Frachtbrief) aufklären. Diese sind vom Fahrer ohnehin mitzuführen und hätten bereits bei der Standkontrolle am 23. September 2015 vor Ort überprüft werden können. Dieses Vorgehen wäre als geeigneteres und milderes Mittel nach Auffassung des Senats vorzuziehen gewesen, sodass sich die Aufklärungsanordnung insoweit als ermessensfehlerhaft erweist. Im Übrigen vermag auch der Gesichtspunkt einer möglichen Auftraggeberhaftung nach § 21 Abs. 2 MiLoG die Aufforderung, Firma und Anschrift der jeweiligen Auftraggeber mitzuteilen, zum Zeitpunkt des Erlasses der Aufklärungsanordnung nicht zu rechtfertigen, da eine solche Haftung erst dann in Betracht käme, wenn – was vorliegend gerade noch nicht festgestellt ist – ein Verstoß gegen die Vorschriften des MiLoG vorläge.
67 
Die Aufklärungsanordnung vom 21. Oktober 2015 war daher aufzuheben, soweit das HZA die Klägerin darin zur Mitteilung der Firma und der Anschrift ihrer jeweiligen Auftraggeber aufgefordert hat.
68 
___________         ___________        ___________
69 
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Sätze 1 und 3 i.V.m. § 143 Abs. 1 FGO.
70 
Danach sind die Kosten grundsätzlich gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen, wenn ein Beteiligter – wie hier – teils obsiegt, teils unterliegt (§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO). Abweichend hiervon können einem Beteiligten die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist (§ 136 Abs. 1 Satz 3 FGO). Was unter einem „geringen Teil“ zu verstehen ist, wird in der FGO gesetzlich nicht definiert. Der Senat erachtet in Ausübung des ihm hierbei zustehenden Ermessens (vgl. Schwarz in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 136 FGO Rn. 17) vorliegend einen Fall des § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO für gegeben. Das rechtliche Interesse der Klägerin war in der Hauptsache darauf gerichtet, dass bereits die an sie gerichtete Prüfungsverfügung vom 21. Oktober 2015 aufgehoben wird, weil sie als ausländisches Transportunternehmen keine taugliche Adressatin einer solchen sei. Mit diesem Begehren war sie vollständig unterlegen. Soweit das HZA in Umsetzung dieser Prüfungsverfügung mit seiner Aufklärungsanordnung die Grenzen des Übermaßverbotes überschritten hat, betraf dies nur einen geringen Teil der angeforderten Unterlagen bzw. Informationen. Ganz überwiegend jedoch hatte auch der gegen die Aufklärungsanordnung gerichtete Teil der Klage keinen Erfolg.
71 
2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 709, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
72 
3. Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) und zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) zugelassen. Der Rechtsstreit bietet dem BFH Gelegenheit, zu der höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Frage, was unter einer Beschäftigung im Inland nach § 20 MiLoG zu verstehen ist und ob die Mindestlohnpflicht für ausländische Unternehmen der Transportbranche mit Verfassungs- und Unionsrecht vereinbar ist, Stellung zu nehmen (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25. Juni 2015 – 1 BvR 555/15, NZA 2015, 864, Rn. 12).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen

This content does not contain any references.