Urteil vom Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt (4. Senat) - 4 K 354/08
Tenor
Der Bescheid vom 30. Januar 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07. Februar 2008 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für seine Tochter … im Kalenderjahr 2003 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Der Kläger begehrt für seine am 11. Juni 1982 geborene Tochter … für das Streitjahr 2003 Kindergeld.
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Er bezog zunächst Kindergeld für seine sich in Ausbildung zum gehobenen Polizeivollzugsdienst befindliche Tochter. Mit Bescheid vom 30. Januar 2007 hob die Beklagte die Festsetzung wegen Überschreitung des Grenzbetrages nach § 32 Abs. 4 Satz 2 Einkommensteuergesetz in der für das Streitjahr 2003 gültigen Fassung (EStG) auf und forderte den gezahlten Betrag in Höhe von 1.848 € zurück.
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Hiergegen richtete sich der Einspruch vom 09. Februar 2007. Der Kläger vertrat die Ansicht, dass die Einkünfte den Jahresgrenzbetrag nicht übersteigen würden, und legte eine Liste mit Werbungskosten vor. Weiter machte er den Abzug von Krankenversicherungsbeiträgen geltend.
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Die Beklagte erkannte die geltend gemachten Aufwendungen nur teilweise an und kam demgemäß zu einer Überschreitung des Grenzbetrages. Streitig blieb insbesondere der Ansatz von Aufwendungen für eine angemietete Wohnung in O. zum Besuch der dort stattfindenden Lehrgänge an der … Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege, Fachbereich Polizei, und damit im Zusammenhang stehende weitere Aufwendungen (Umzugskosten, Strom, Heimfahrten). Mit Einspruchsentscheidung vom 07. Februar 2008 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück.
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Hiergegen hat der Kläger am 05. März 2008 Klage erhoben und unter dem Aktenzeichen 4 V 355/08 die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung beantragt. Er begehrt weiterhin den erhöhten Ansatz von Aufwendungen und ist der Ansicht, dass mit diesen Aufwendungen der Jahresgrenzbetrag unterschritten werde. Insbesondere seien die Mietaufwendungen als Werbungskosten zu berücksichtigen.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid vom 30. Januar 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 07. Februar 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für … im Kalenderjahr 2003 in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen und
für den Fall des Unterliegens die Revision zuzulassen.
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Die Beklagte ist der Ansicht, dass bestimmte Aufwendungen nicht und andere nur teilweise – wie in der Einspruchsentscheidung geschehen – in Ansatz gebracht werden könnten, so dass insgesamt der Jahresgrenzbetrag überschritten werde.
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Dem gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gab das Gericht mit Beschluss vom 29. Oktober 2008 (EFG 2009, 338) statt und führte aus, dass die geltend gemachten Werbungskosten insbesondere hinsichtlich der angemieteten Wohnung in Ansatz gebracht werden könnten. Das Gericht ließ gegen den Beschluss die Beschwerde zu, die jedoch von der Beklagten nicht eingelegt wurde.
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Nachfolgend hält die Beklagte an ihrer Auffassung fest, dass die Unterkunftskosten nicht abzugsfähig seien. Mehrkosten einer auswärtigen Unterbringung seien nicht zu berücksichtigen, da diese bereits im Grenzbetrag im Rahmen des Familienleistungsausgleichs enthalten seien. Eine zusätzliche Berücksichtigung der Miet- und Verpflegungsaufwendungen im Rahmen des Werbungskostenabzuges würde im Kindergeldrecht zu einer unzulässigen doppelten Berücksichtigung führen. Zudem handele es sich nach Auffassung der Beklagten nicht um Reisekosten, da Mietaufwendungen nicht dasselbe wie Reisekosten seien.
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Dem Senat hat ein Band Kindergeldakte der Beklagten vorgelegen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist begründet. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid in Ge-stalt der Einspruchsentscheidung verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Kläger hat im Kalenderjahr 2003 für seine Tochter … einen Anspruch auf Kindergeld nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG, da die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind und die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht übersteigen.
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1) Die Tochter des Klägers befand sich im ganzen Streitjahr 2003 unstreitig in Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) zum gehobenen Polizeivollzugsdienst im Land … und bezog Einkünfte und Bezüge in Höhe von insgesamt 12.442.79 €.
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2) Der Begriff der Einkünfte entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit – wie hier –, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen.
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Im Streitfall können – über die von der Beklagten in der Einspruchsentscheidung bereits berücksichtigten Werbungskosten in Höhe von 3.811,20 € und Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in Höhe von 416,27 € hinaus – weitere Werbungskosten in Form von Mietaufwendungen für die in O. angemietete Wohnung in Höhe von insgesamt 1.740,00 € (sechs Monate á 290 €) in Abzug gebracht werden. Insgesamt ergeben sich damit Einkünfte in Höhe von 6.475,02 €, die unter dem Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG des Streitjahres in Höhe von 7.188,00 € liegen.
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a) Diese Mietaufwendungen sind (ausschließlich) im Streitjahr 2003 als Werbungskosten zu qualifizieren. Denn nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 20. Juli 2006 (VI R 20/04, BFH/NV 2006, 2068) ist in Übereinstimmung mit dem BMF-Schreiben vom 30. Juni 2004 (BStBl. I 2004, 582) Abschnitt 43 Abs. 5 der Lohnsteuerrichtlinien 2004 (LStR) trotz der Änderung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG durch das Steueränderungsgesetz 2003 (StÄndG 2003) weiterhin anzuwenden, und zwar für Veranlagungszeiträume bis einschließlich 2003. Dem folgt der Senat ausdrücklich nur insoweit hier das Streitjahr 2003 betroffen ist. Dies ist kein Präjudiz für andere Streitjahre oder Streitfälle.
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Bei Arbeitnehmern ohne eigenen Hausstand gilt ein Wohnungswechsel an den Beschäftigungsort oder in dessen Nähe als doppelte Haushaltsführung, wenn er den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen in seiner Wohnung am bisherigen Wohnort beibehält und sich in einem Ausbildungsdienstverhältnis befindet, und zwar für die gesamte Dauer der Ausbildung (R 43 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 und 2 b) LStR 2003 und 2004 und zur Rechtslage bis 2003). Diese Voraussetzungen der zeitlich befristeten sogenannten unechten oder quasi doppelten Haushaltsführung sind im Streitfall unstreitig erfüllt. Bei Beibehaltung ihres bisherigen Wohnortes und Lebensmittelpunktes hat die Tochter des Klägers für die Zeitdauer der Lehrgänge an der Fachhochschule eine Wohnung angemietet und es sind ihr dadurch Mietaufwendungen entstanden. Demnach sind als notwendige Mehraufwendungen u.a. die tatsächlichen Kosten der Wohnung am Beschäftigungsort zu berücksichtigen (R 43 Abs. 6 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 LStR). Dies sind die monatlichen Bruttomietzahlungen i.H.v. 290,00 € laut Mietvertrag vom 25. September 2001.
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Insoweit kommen auch nur die Mietaufwendungen zum Ansatz, die von der Tochter des Klägers während ihres Aufenthaltes in der Wohnung tatsächlich geleistet worden sind. Durch die Untervermietung der Wohnung in den lehrgangsfreien Zeiten (vergleiche Bestätigung der Vermieter vom 18. September 2006, Bl. 31 der Gerichtsakte) sind keine weiteren Aufwendungen entstanden und hat die Tochter zur Überzeugung des Senats aufgezeigt, dass sie an einer Reduzierung der Gesamtkosten interessiert war und die Wohnung in O. tatsächlich (nur) während der Lehrgänge an der Fachhochschule genutzt hat und während der anderen Ausbildungsabschnitte weiterhin ihren Lebensmittelpunkt in der Wohnung des Klägers hatte. Die Anmietung der Wohnung in O. führte für den Kläger im Rahmen des Familienleistungsausgleichs auch zu keiner Entlastung eigener Kosten am Heimatort, da die Wohnmöglichkeiten sowohl am Wochenende wie in den lehrgangsfreien Zeiten weiter aufrecht erhalten werden mussten.
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Die Beklagte kann sich für ihre gegenteilige Meinung auch nicht auf das von ihr zitierte Urteil des BFH vom 21. Juli 2000 (VI R 153/99, BStBl. II 2000, S. 566) berufen. Zwar hat der BFH in diesem Urteil und an anderer Stelle wiederholt entschieden, dass bei der Ermittlung der eigenen Einkünfte und Bezüge eines Kindes Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung nicht abgezogen werden dürfen (z.B. Urteil vom 27.10.2004 - VIII R 8/04, BFH/NV 2005, 536, Beschluss vom 28.04.2004 - VIII B 222/03; BFH/NV 2004, 1260, sowie Urteile vom 25.07.2001 - VI R 78/00, BFH/NV 2001, 1558, und 14.11.2000 - VI R 52/98, BStBl. II 2001, 489).
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Diese Entscheidungen befassen sich aber alle mit der – hier nicht relevanten – Frage, welche Einkünfte oder Bezüge bei der Prüfung des Grenzbetrages des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG außer Ansatz zu lassen sind, weil sie für ausbildungsbedingten über die übliche Lebensführung hinausgehenden Mehrbedarf i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG verwendet worden sind. Denn bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge sind zunächst von den steuerpflichtigen Einnahmen die Werbungskosten und von den Bezügen der Pauschbetrag von 180 € abzuziehen. Erst anschließend sind die so ermittelten Einkünfte und Bezüge um ausbildungsbedingte Mehraufwendungen zu kürzen, soweit diese nicht bereits als Werbungskosten berücksichtigt worden sind (BFH-Urteil vom 25.07.2001 - VI R 78/00, a.a.O.).
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Im Streitfall geht es demgegenüber um die (logisch vorrangige) Ermittlung der Einkünfte der Tochter des Klägers i.S.d. § 2 i.V.m. § 19 EStG, also des Überschusses der Einnahmen über die Werbungskosten. Insoweit ist auf die Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG abzustellen. Denn der BFH hat in seinem Urteil vom 21. Juli 2000 (VI R 153/99, a.a.O.) ausdrücklich entschieden, dass der Begriff der Einkünfte in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht abweichend von dieser Vorschrift interpretiert werden dürfe. Der Begriff „Einkünfte“ im Sinne dieser Vorschrift könne nicht als „Einkommen“ i.S.d. § 2 Abs. 4 EStG oder als „zu versteuerndes Einkommen“ i.S.d. § 2 Abs. 5 EStG verstanden werden (vgl. auch Loschelder in Schmidt, EStG, 27. Auflage 2008, § 32 Rz. 51 m.w.N.). Demnach sind auch die in § 2 Abs. 2 EStG genannten Vorschriften über die Ermittlung der Einkünfte (§§ 4 bis 7k und 8 bis 9a EStG) in ihrer Gesamtheit anzuwenden. Denn der Begriff der Einkünfte wird im Einkommensteuergesetz einheitlich verwendet (BFH-Beschluss vom 15.05.2002 - I B 73/01, BFH/NV 2002, 1295). Auch der Gesetzgeber hat im 2. Gesetz zur Familienförderung vom 16. August 2001 (2. FamFördG, BGBl. 2001 I, 2074) diese Unterscheidung bei dem mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2002 eingefügten § 32 Abs. 4 Satz 4 EStG beachtet. Er hat die dort neu eingeführten Abweichungen von der einkommensteuerlichen Ermittlung der Einkünfte ausdrücklich als Erhöhung der Bezüge des Kindes und nicht als Erhöhung seiner Einkünfte ausgestaltet.
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Dies bedeutet nach Überzeugung des Senats aber auch, dass Aufwendungen, die nach den genannten Vorschriften als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden können, zugleich bei der Ermittlung der Einkünfte i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG uneingeschränkt zum Abzug zugelassen werden müssen, sogenannter bereinigter Grenzbetrag. Die Nichtberücksichtigung von Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung als ausbildungsbedingte Mehraufwendungen muss deshalb auf die Ermittlung der Bezüge im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG begrenzt bleiben (gl.A. Loschelder in Schmidt, EStG, 27. Auflage 2008, § 32 EStG Rz. 58).
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Dazu steht das BFH-Urteil vom 14. November 2001 (VI R 128/00, BStBl. II 2001, 495) nicht in Widerspruch. Zwar lehnt der BFH in dieser Entscheidung im zweiten Leitsatz die Berücksichtigung eines erhöhten Lebensbedarfs für Unterkunft und Verpflegung ab, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG ebenso wie unter dem Aspekt der besonderen Ausbildungskosten i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG. Aus den Gründen des Urteils ergibt sich aber, dass der BFH sehr wohl zwischen der Ermittlung der Einkünfte i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG und der Kürzung der Einkünfte und Bezüge um ausbildungsbedingte Mehraufwendungen gemäß § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG differenziert. Für die Ermittlung der Einkünfte betont er ausdrücklich die Geltung der in § 2 Abs. 2 EStG enthaltenen Definition (2. a) der Gründe). Lediglich bei der Prüfung, ob ausbildungsbedingte Mehraufwendungen vorliegen, verneint er die Abzugsfähigkeit der Kosten für Unterkunft und Verpflegung (2. b) der Gründe).
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Der scheinbare Widerspruch zum zweiten Leitsatz löst sich nach Verständnis des Senats dadurch auf, dass dort nicht der Abzug von Werbungskosten von im gleichen Zeitraum zugeflossenen positiven Einnahmen gemeint ist, sondern der Abzug vorweggenommener Werbungskosten in Form von Fortbildungskosten, denen keine positiven Einnahmen gegenüberstehen. Solche vorweggenommenen Werbungskosten sind mit der Summe aus Bezügen und positiven Einkünften zu verrechnen (BFH Urteil vom 20.07.2000 - VI R 121/98, BStBl. II 2001, 107).
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Soweit sich aus den Urteilen des VIII. Senats des BFH vom 25. Mai und 24. August 2004 (VIII R 104/03, BFH/NV 2004, 1525, und VIII R 16/04, Haufe-Index 1252343) etwas anderes ergeben sollte, folgt der Senat dem aus den vorstehenden Gründen nicht. Denn in diesen Entscheidungen verweist der BFH zur Begründung der Nichtberücksichtigung der streitigen Mietaufwendungen lediglich auf sein Urteil vom 22. Mai 2002 (VIII R 74/01, BStBl. II 2002, 695). In dieser Entscheidung ging es jedoch gerade nicht um den Abzug von Werbungskosten bei den Einkünften i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG, sondern um den Ansatz ausbildungsbedingter Mehraufwendungen i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 5 EStG. Im Übrigen hat der VIII. Senat in einer früheren Entscheidung vom 23. Juli 2002 (VIII R 63/00, BFH/NV 2003, 24) Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung bei der Ermittlung der Einkünfte aus einem Ausbildungsdienstverhältnis zum Abzug zugelassen (Die Einnahmen aus diesem Dienstverhältnis von 18.238 DM abzüglich Werbungskosten i.H.v. 7.847 DM – in denen Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung von 5.975 DM enthalten waren – ergeben die unter II. a) dieser Entscheidung vom BFH als Einkünfte ermittelte Ausbildungsvergütung von 10.391 DM).
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Auch im Urteil des BFH vom 29. Mai 2008 – III R 33/06, BFH/NV 2008, 1664, kommt dieser unter Ziffer 3. der Gründe zum Ergebnis, dass die dort geltend gemachten Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung vorrangig als Werbungskosten zu berücksichtigen seien. Dem folgt der hier erkennende Senat.
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b) Unabhängig vom Vorliegen einer unechten doppelten Haushaltsführung kommt der Abzug der Mietaufwendungen als Reisekosten nach § 4 Abs. 5 Nr. 5 EStG als Werbungskosten alternativ auch unter dem Gesichtspunkt einer beruflich veranlassten Auswärtstätigkeit in Betracht. Eine beruflich veranlasste Auswärtstätigkeit ist im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer zu Fortbildungszwecken vorübergehend eine Ausbildungs- oder Fortbildungsstätte außerhalb seiner regelmäßigen Arbeitsstätte im Betrieb des Arbeitgebers aufsucht. Eine Bildungseinrichtung wird daher auch dann nicht zu einer regelmäßigen Arbeitsstätte, wenn ein vollbeschäftigter Arbeitnehmer eine längerfristige, jedoch vorübergehende berufliche Fortbildungsmaßnahme durchführt (selbst wenn die Bildungseinrichtung längerfristig über vier Jahre aufgesucht wird – vgl. BFH, Urteil vom 10. April 2008, VI R 66/05, BStBl. II 2008, 825). Die auswärtige Tätigkeitsstelle wird auch nicht durch bloßen Zeitablauf nach drei Monaten zu einer (weiteren) regelmäßigen Tätigkeitsstätte. Im Streitfall hat die Tochter des Klägers im Rahmen ihrer dreijährigen Ausbildung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst an verschiedenen Dienststellen ihre Ausbildung absolviert. Neben der praktischen Ausbildung in der Heimatdienststelle (und anderen Dienstorten) erfolgten jeweils für sechs Monate Abordnungen zu den fachtheoretischen Lehrgängen an der Fachhochschule. Diese Abordnungen führen nicht dazu, dass eine regelmäßige Tätigkeitsstätte bei der Fachhochschule begründet worden ist. Vielmehr handelt es sich insoweit um eine beruflich veranlasste Auswärtstätigkeit mit der Folge der Abzugsmöglichkeit der Übernachtungskosten – hier der Mietaufwendungen.
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Nach der Neufassung der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs (DA-FamEStG), Stand Januar 2009, BStBl. I 2009, 1030, DA 63.4.2.2 Satz 10 Ziffer 5, sind als Werbungskosten auch Reisekosten und Übernachtungskosten in nachgewiesener Höhe in den Veranlagungszeiträumen bis 2007 anzuerkennen. Durch die Nichtanerkennung der im Streitfall nachgewiesenen Mietaufwendungen handelt die Beklagte der die Finanzverwaltung bindenden Dienstanweisung zuwider.
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c) Die weiteren geltend gemachten Aufwendungen (z.B. Fachliteratur, Stromkosten, Gewerkschaft, Umzugskosten) hat der Kläger – obwohl die Beklagte hierauf mehrfach hingewiesen hat – nicht im Detail belegt oder nachgewiesen. Der Kläger – er ist Finanzbeamter – hätte insoweit weiter vortragen bzw. beweisen müssen. Für 2004 hatte er z.B. eine Bestätigung des Finanzamtes seiner Tochter vorgelegt, dass die Belege im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung vorgelegen haben. Für 2003 hat er dagegen lediglich die erste Seite des Einkommensteuerbescheides 2003 vorgelegt, in der das Finanzamt zwar Werbungskosten in nicht unerheblicher Größe in Abzug gebracht hat, aus der jedoch die einzelnen Aufwendungen nicht abgeleitet werden können. Ein Beweis für die hier beantragten weiteren Werbungskosten ist damit nicht erbracht worden. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, da bereits der Ansatz der Mietaufwendungen ausreichend ist, den Grenzbetrag zu unterschreiten.
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Nur am Rande merkt der Senat an, dass, soweit die Beklagte Kürzungen bei Verpflegungsmehraufwendungen und Heimfahrten im Einspruchsbescheid vorgenommen hat, dies keinen Bedenken begegnet. Der Kläger hat auch Wochenenden mit in die Berechnungen einbezogen, die von der Beklagten herausgerechnet wurden. Dies erscheint – ohne weitere Nachweise oder Belege – plausibel, auch wenn es im Streitfall nicht (mehr) darauf ankommt.
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3) Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
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4) Die Revision wird nicht zugelassen. Der Senat folgt der aktuellen Rechtsprechung des III. und VI. Senats des Bundesfinanzhofes. Zudem entspricht das Urteil hinsichtlich der Berücksichtigung einer unechten doppelten Haushaltsführung im Streitjahr 2003 der Verwaltungsauffassung des Bundesministeriums der Finanzen und hinsichtlich der Berücksichtigung der Mietaufwendungen als Reisekosten der aktuellen Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs.
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Referenzen
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