Urteil vom Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt (1. Senat) - 1 K 1209/11

Tenor

Die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2007 und 2008, jeweils in Gestalt der Bescheide vom 13. März 2015, werden geändert und die Umsatzsteuer für 2007 in Höhe von 29.495,72 EUR und für 2008 in Höhe von 26.477,02 EUR festgesetzt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

Gesellschafter der Klägerin, einer Rechtsanwaltsgesellschaft, die bis zum 30. Juni 2009 bestanden hat, waren die Rechtsanwälte B und C.

2

Der Beklagte führte für die Streitjahre bei der Klägerin eine Betriebsprüfung durch, die ausweislich des Betriebsprüfungsberichts vom 19. Mai 2011 zu zahlreichen Feststellungen führte und in den streitgegenständlichen Bescheiden vom 08. Juni 2011 ihre Umsetzung fand.

3

Im Ergebnis wurden insbesondere der Gewinn aus selbständiger Arbeit und die Umsätze zu 19% Umsatzsteuer (USt) wie folgt erhöht:

4
        

2007   

2008   

2009   

                                   
        

EUR

EUR

EUR

Gewinn Gesamthand vor Bp

29.673,89

21.621,19

77.627,44

vereinnahmte, nicht belegte Fremdgelder, netto

                 

97.348,77

vereinnahmte USt auf nicht belegte Fremdgelder

                 

18.496,26

Sonstige Änderungen durch Bp

8.877,06

7.611,21

1.973,33

Gewinn Gesamthand lt. Bp

38.550,95

29.232,40

195.445,80

                                   

Umsätze zu 19% vor Bp

114.144,00

114.437,00

36.000,00

Änderung durch lfd. Buchführung

                 

47.399,00

vereinnahmte nicht belegte Fremdgelder, Tz. 15

                 

97.349,00

Sonstige Änderungen durch Bp

27.069,00

1.000,00

        

Umsätze 19% lt. Bp

141.213,00

115.437,00

180.748,00

5

Nach Tz. 15 des Betriebsprüfungsberichts wies das Konto 1700 zum 30.06.2009 Fremdgelder in Höhe von 115.845,03 EUR aus, die die Betriebsprüferin mangels Zuarbeit bzw. Nachweises, dass es sich tatsächlich um fremdes Geld handelt, in Höhe des Saldos im Aufgabezeitpunkt (2009) als Einnahmen erfasste. Der Kontostand hatte sich im Laufe des Prüfungszeitraums wie folgt entwickelt:

6
                 

Zugang/Abgang
EUR

netto
EUR

USt
EUR

Stand 31.12.2006

28.817,42

18.793,03

15.792,46

3.000,57

Stand 31.12.2007

47.610,45

63.873,80

53.675,46

10.198,34

Stand 31.12.2008

111.484,25

4.360,78

3.664,52

696,26

Stand 30.06.2009

115.845,03

        

97.348,77

18.496,26

7

Nachdem die Klägerin ihre Einsprüche vom 08. Juli 2011 nicht begründet hatte, wies der Beklagte diese mit Einspruchsentscheidung vom 13. September 2011 als unbegründet zurück.

8

Am 13. Oktober 2011 hat die Klägerin Klage erhoben und mit Schriftsatz vom 20. Februar 2012 unter Bezugnahme auf den Betriebsprüfungsbericht bezifferte Klageanträge formuliert.

9

Nach zahlreichen Fristverlängerungsanträgen und einem Wechsel des Prozessbevollmächtigten wurde die Klage mit Schriftsatz vom 27. November 2013 dahingehend begründet, dass lediglich die Gewinn- und Umsatzerhöhung wegen vereinnahmter und angeblich nicht nachgewiesener Fremdgelder (Tz. 15 des Bp-Berichts) angegriffen werde.

10

Zunächst verstoße die Annahme, dass die Fremdgelder als Einnahme zu erfassen sind, gegen § 158 Abgabenordnung (AO). Anlass für Zweifel an den Aufzeichnungen der Klägerin habe nicht bestanden. Damit seien die als Fremdgelder ausgewiesenen Gelder auch als solche zu erfassen.

11

Des Weiteren ergebe sich für die Klägerin aus § 102 Abs. 1 Nr. 3b AO nicht nur ein Auskunftsverweigerungsrecht, sondern eine Auskunftsverweigerungspflicht, weshalb die Klägerin den Nachweis, dass es sich tatsächlich um Mandantengelder handelt, nicht erbringen könne, ohne sich einer strafrechtlichen Verfolgung nach § 203 Strafgesetzbuch auszusetzen. Aus diesem Grund könne der Klägerin keine Mitwirkungspflichtverletzung vorgehalten werden. Sie verweist auf das Urteil des BFH vom 28. Oktober 2009 – VIII R 78/05, BStBl. II 2010, 455.

12

Darüber hinaus sei der Zufluss der Fremdgelder nicht periodengerecht berücksichtigt worden.

13

Schließlich sei die Gewinnverteilung zwischen den Gesellschaftern der Klägerin weder den gesetzlichen Vorgaben noch den vertraglichen Abreden der Gesellschafter entsprechend erfolgt.

14

Mit Bescheiden vom 13. März 2015 hat der Beklagte die streitgegenständlichen Bescheide für 2007 und 2008 nach § 174 AO und für 2009 nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dahingehend geändert, dass er die sog. Fremdgelder als Einnahmen in dem jeweiligen Jahr des Zuflusses und nicht mehr in einem Betrag im Aufgabezeitpunkt erfasst hat.

15

Dabei wurden die festgestellten Einkünfte aus selbständiger Arbeit für 2007 von 38.866,92 EUR auf 57.659,95 EUR und für 2008 von 23.509,56 EUR auf 87.383,36 EUR erhöht und für 2009 von 235.264,13 EUR auf 123.779,88 EUR herabgesetzt. Die festgesetzte Umsatzsteuer wurde für 2007 von 26.495,24 EUR auf 30.065,91 EUR und für 2008 von 16.278,77 EUR auf 28.414,83 EUR erhöht und für 2009 von 32.910,80 EUR auf 11.728,84 EUR herabgesetzt, wobei die Hinzu- und Abrechnungen bei den Umsätzen zu 19% auf der Grundlage der Bruttobeträge erfolgten.

16

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid für 2007 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 08. Juni 2011, in Gestalt des Änderungsbescheides vom 13. März 2015, aufzuheben und die Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 29.989,86 EUR festzusetzen,
den Bescheid für 2008 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 08. Juni 2011, in Gestalt des Änderungsbescheides vom 13. März 2015, aufzuheben und die Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 15.898,35 EUR festzusetzen,
den Bescheid für 2009 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 08. Juni 2011, in Gestalt des Änderungsbescheides vom 13. März 2015, aufzuheben und die Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 76.002,18 EUR festzusetzen,
den Bescheid für 2007 über Umsatzsteuer vom 08. Juni 2011, in Gestalt des Änderungsbescheides vom 13. März 2015, aufzuheben und die Umsatzsteuer unter Berücksichtigung tatsächlicher Lieferungen und Leistungen in Höhe von 114.144,00 EUR festzusetzen, und
den Bescheid für 2008 über Umsatzsteuer vom 08. Juni 2011, in Gestalt des Änderungsbescheides vom 13. März 2015, aufzuheben und die Umsatzsteuer unter Berücksichtigung tatsächlicher Lieferungen und Leistungen in Höhe von 114.437,00 EUR festzusetzen.

17

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

18

Weil auf dem Fremdgeldkonto der Klägerin Umbuchungen und Verrechnungen vorgenommen worden seien, sei eine Überprüfung des Kontos im Rahmen der Betriebsprüfung angezeigt gewesen, weshalb die Klägerin mit Vermerk vom 13. Januar 2011 aufgefordert worden sei, die verbliebenen Gelder in Höhe von 115.845,03 EUR zu erklären. Zugesagte Unterlagen seien jedoch nicht vorgelegt worden.

19

Das von der Klägerin angeführte BFH-Urteil vom 28. Oktober 2009 – VIII R 78/05 setze sich mit Vorlageersuchen im Rahmen einer Betriebsprüfung auseinander und stelle dabei insbesondere klar, dass ein eventuell bestehendes Auskunftsverweigerungsrecht im Ergebnis nicht dazu führen könne, eine gesetzlich zulässige Betriebsprüfung zu vereiteln.

20

Er verweist seinerseits auf die Entscheidungen des BFH vom 07. März 1989 – VIII R 355/82, BFH/NV 1989, 753, und vom 23. Februar 2011 – VIII B 126/10, BFH/NV 2011, 1283, nach denen auch ein Rechtsanwalt verpflichtet sei, bei tatsächlich bestehenden Treuhandverhältnissen entsprechende Nachweise hierüber beizubringen. Erfolge ein solcher Nachweis nicht, habe der Steuerpflichtige die daraus resultierenden negativen steuerlichen Konsequenzen zu tragen.

21

Dem Senat haben neun Bände der vom Beklagten für die Klägerin geführten Steuerakten sowie die Arbeitsakte der Betriebsprüfung vorgelegen.

Entscheidungsgründe

22

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

23

Während die Bescheide für 2007 bis 2009 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen, jeweils in Gestalt der Änderungsbescheide vom 13. März 2015, rechtmäßig sind, sind die Umsatzsteuerfestsetzungen für 2007 und 2008, ebenfalls jeweils in Gestalt der Änderungsbescheide vom 13. März 2015, im tenorierten Umfang herabzusetzen.

24
1. Die während des Klageverfahrens geänderten Bescheide vom 13. März 2015 sind gemäß § 68 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) Gegenstand des Verfahrens geworden.
25

Der Beklagte durfte die Bescheide vom 08. Juni 2011 auch ändern.

26

Die Änderung der Bescheide für 2009 stellt eine Teilabhilfe im Sinne von § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 a) AO dar.

27

Hinsichtlich der Bescheide für 2007 und 2008 stand dem Beklagten die Änderungsvorschrift des § 174 Abs. 4 AO zur Seite.

28

Ist auf Grund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts ein Steuerbescheid ergangen, der auf Grund eines Rechtsbehelfs oder sonst auf Antrag des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird, so können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden, § 174 Abs. 4 Satz 1 AO.

29

Der Beklagte durfte insoweit nach Änderung der Bescheide für 2009 die vorliegend entstandene sog. Periodenkollision durch Änderung der Bescheide für 2007 und 2008 beseitigen und somit (zumindest zeitlich im jeweiligen Jahr des Zuflusses) die richtigen steuerlichen Folgerungen ziehen.

30

Das für die Gerichte geltende Verböserungsverbot gilt nicht für die Finanzbehörden, die auch während oder sogar nach Abschluss des Gerichtsverfahrens den Verwaltungsakt auf Grundlage einer einschlägigen Änderungsvorschrift, insbesondere der §§ 172 ff. AO, zum Nachteil des Steuerpflichtigen ändern können (Tipke in Tipke/Kruse, FGO, § 100 Rn. 36).

31
2. Der Beklagte hat zu Recht der Klägerin die auf dem Konto … als sog. Fremdgelder gebuchten Geldeingänge, soweit sie nicht wieder abgeflossen sind, als Einnahmen zugerechnet, denn die Klägerin hat trotz Verlangens des Beklagten nicht nachgewiesen, dass es sich bei den streitgegenständlichen Beträgen um Fremdgelder handelt.
32

Für diese Tatsache trägt die Klägerin nach § 159 Abs. 1 AO die subjektive Beweislast. Dem steht auch § 159 Abs. 2 AO nicht entgegen, der bestimmt, dass § 102 AO unberührt bleibt. Denn der Verweis auf § 102 AO bedeutet lediglich, dass das Nachweisverlangen grundsätzlich nicht in dem Verlangen bestehen darf, ein Berufsgeheimnis preiszugeben. Die Berufung auf das Berufsgeheimnis ersetzt indessen nicht den Nachweis. Der Berufsangehörige bleibt auch weiterhin verpflichtet, im eigenen Besteuerungsverfahren alles Zumutbare zu unternehmen, um den Nachweis zu erbringen, dass es sich bei den von ihm verwahrten Rechten oder Sachen nicht um eigenes, sondern um fremdes Vermögen handelt. Die bloße Behauptung, es bestünde ein Auskunftsverweigerungsrecht, genügt nicht, um eine Zurechnung zu vermeiden (Seer in Tipke/Kruse, AO, § 159 Rn. 13 f. m.w.N.).

33

Das von der Klägerin angeführte Urteil des BFH vom 28. Oktober 2009 – VIII R 78/05 ist hingegen zu den Vorlagepflichten eines Berufsgeheimnisträgers im Rahmen einer ihn betreffenden Außenprüfung ergangen.

34

Den erforderlichen Beweis, dass es sich bei den streitgegenständlichen Beträgen um Fremdgelder handelt, hat die Klägerin nicht erbracht.

35
3. Soweit die Zurechnung zunächst nicht periodengerecht erfolgt war, hat der Beklagte dies durch die Änderungsbescheide vom 13. März 2015 dem Grunde nach und hinsichtlich der gesonderten und einheitlichen Feststellungen der Einkünfte aus selbständiger Arbeit auch der Höhe nach rechtmäßig umgesetzt.
36

Die geänderten Umsatzsteuerfestsetzungen bedürfen allerdings im tenorierten Umfang einer Herabsetzung, weil der Beklagte es hier fehlerhaft unterlassen hat, die Umsatzsteuer herauszurechnen, d.h., Bruttoberträge anstatt Nettobeträge ab- und hinzugerechnet hat.

37
4. Soweit die Klägerin die Verteilung der Einkünfte auf die Gesellschafter rügt, vermag der Senat dies nicht nachzuvollziehen, da der Beklagte – wie in der Anlage 4 zum Bp-Bericht dargestellt – den Gewinn zunächst der Beteiligungsquote entsprechend hälftig verteilt hat und sodann hinsichtlich der vorzunehmenden Zu- und Abrechnungen den eigenen Angaben der Klägerin bzw. ihres steuerlichen Beraters im Veranlagungsverfahren gefolgt ist. Was konkret an der so vorgenommenen Verteilung nunmehr nicht mehr zutreffend sein soll, bzw., wie stattdessen die Verteilung auf die Gesellschafter erfolgen soll, hat die Klägerin nicht einmal vorgetragen.
38
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1, 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.

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