Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 5 K 2536/91 U
Tenor
"Auszugsweise Abschrift der Entscheidungsgründe (Urteil) des Finanzgerichts Düsseldorf v. 25.04.1994, Az 5 K 2536/91 U"
1
T a t b e s t a n d:
2Der Kläger betrieb unter der Firmenbezeichnung einen Handel mit biologischen Gartenartikel. Die Tätigkeit begann mit dem Aufbau einer Regenwurmzucht. Beabsichtigt war die Belieferung von Zoo-Fachgeschäften, Gärtnereien, Anglern und zoologischen Gärten mit selbstgezüchteten Würmern. In der Folgezeit wurde das Angebot auf Fliegenmaden erweitert. 3 Jahre später wurde der gesamte Warenbestand, einschließlich des Zuchtmaterials gestohlen. Da aus finanziellen Gründen ein Wiederaufbau der Zucht nicht mehr in Betracht kam, handelte der Kläger ab diesem Zeitpunkt nur noch mit verschiedenen Arten von Würmern. Im wurde das Lager des Klägers bei einem Brand vollständig zerstört. Seitdem bietet der Kläger im Rahmen eines Einzelhandelsgeschäft den gesamten Anglerbedarf mit Zubehör und Futtermittel an.
3Im Rahmen der Umsatzsteuerfestsetzung für die Streitjahre unterwarf der Beklagte Umsätze in Höhe von (nette) DM dem ermäßigten Steuersatz von 7. v. H.
4Im Rahmen einer Betriebsprüfung stellte der Prüfer fest, dass dem Großhandelsumsatz aus dem Handel mit Würmern nur noch untergeordnete Bedeutung zukomme. Ferner vertrat er die Auffassung, dass der Handel mit Regenwürmern nicht dem ermäßigten Steuersatz unterliege. Es handele sich nicht um Weichtiere im zoologischen Sinne, auf die der ermäßigte Steuersatz anzuwenden sei.
5Der Beklagte folgte der Auffassung des Prüfers und änderte die Steuerfestsetzungen dahingehend ab, dass sämtliche Umsätze dem vollen Steuersatz unterworfen wurden.
6Den Einspruch des Klägers wies der Beklagte mit der Begründung zurück, die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes seien nicht erfüllt. Zwar unterlägen Weichtiere dem ermäßigten Steuersatz. Bei Regenwürmern handele es sich jedoch nicht um Weich-, sondern um Gliedertiere. Auch die Steuervergünstigung für die Lieferung lebender Tiere komme nicht in Betracht. Ebensowenig handele es sich bei der Lieferung von Regenwürmern um die Lieferung von zubereitetem Futter.
7Dagegen richtet sich die Klage.
8Der Kläger vertritt die Auffassung, die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ergebe sich zwingend aus der Anlage zu § 12 UStG. Danach unterlägen u. a. Weichtiere dem ermäßigten Steuersatz. Darunter fielen alle Waren, die in Kapitel 3 des Zolltarifs genannt seien. Da Würmer der Zolltarifnummer 03.07.99.900009 zuzuordnen seien, lägen die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes vor. Darüber hinaus unterlägen Würmer bei der Einfuhrumsatzsteuer dem ermäßigten Steuersatz, so dass für den Verkauf nichts anderes gelten könne.
9Der Kläger beantragt,
10die Umsatzsteueränderungsbescheide vom und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.
11Der Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Er vertritt die Auffassung, bei (Regen-)Würmern handele es sich nicht um Weichtiere, sondern um Gliedertiere, die dem Regelsteuersatz zu unterwerfen seien.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
15Die Klage ist unbegründet.
16Der Beklagte hat die vom Kläger getätigten Umsätze aus dem Verkauf von Regenwürmern zu Recht dem vollen Steuersatz nach § 12 Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes – UStG – unterworfen.
17Entgegen der Auffassung der Kläger sind die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 UStG nicht erfüllt.
18Nach dieser Vorschrift ermäßigt sich der Steuersatz – abgesehen von den weiteren im Streitfall nicht einschlägigen enumerativ aufgeführten Umsätzen – auf 7 von Hundert, sofern es sich um einen Umsatz handelt, der sich auf einen in der Anlage zu § 12 UStG genannten Gegenstand bezieht.
19Die Umsätze des Klägers aus dem Handel mit Regenwürmern gehören ersichtlich nicht zu den Umsätzen mit lebenden Tieren nach Nr. 1 der Anlage, da Regenwürmern nicht zu den abschließend aufgezählten Tierarten gehören.
20Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes folgt auch nicht aus der laufenden Nr. 3 der Anlage. Danach unterliegen dem ermäßigten Steuersatz Fische und Krebstiere, Weichtiere und andere wirbellose Wassertiere, ausgenommen Zierfische, Langusten, Hummer, Austern und Schnecken. Diese Vorschrift verweist auf Kapitel 3 des Zolltarifs, so dass es für die Auslegung der einzelnen Regelungen der Anlage auf die zolltariflichen Vorschriften und Begriffe ankommt (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofes – BFH – vom 20. Februar 1990 VII R 172/84, Bundessteuerblatt Teil II – BStBl II – 1990, 760).
21Nach ihrem Wortlaut umfasst die im Streitfall allein in Betracht kommende Tarifnummer 03.07. zunächst Weichtiere, auch ohne Schale, lebend, frisch, gekühlt, gefroren, getrocknet, gesalzen oder in Salzlake. In den der Tarifnummer weiter zugeordneten Untergruppierungen sind Regenwürmer nicht ausdrücklich erwähnt, so dass die Zuordnung zu der Tarifnummer 03.07. nur dann vorzunehmen wäre, wenn es sich bei Regenwürmern um Weichtiere im Sinne dieser Tarifnummer handeln würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Da der Zolltarif die Zuordnung der einzelnen Tierarten ersichtlich an den zoologischen Merkmalen orientiert, ist auch für die Frage, ob es sich bei Regenwürmern um Weichtiere handelt, allein deren zoologische Eingruppierung maßgeblich. Danach gehören Regenwürmer jedoch nicht zu den Weichtieren. Die nach den Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vertriebenen Regenwurmarten Lumbricus terrestris (gemeiner Regenwurm), Lumbricus rubellus und Lumbricus castaneus gehören zu der Familie der Lumbricidae, der einheimischen Regenwürmern. Diese wiederum gehören zur Unterordnung Opisthopora, die zur Ordnung der Oligochaeta (Wenigborster) zählen. Die Wenigborster sind der Klasse der Clitelata (Gürtelwürmer) zugehörig, die zum Stamm der Annelida (Glieder- oder Ringelwurm) und damit zum Stamm der Articulata (Gliedertiere) gehören.
22Demgegenüber bilden die Mollusca (Weichtiere) einen eigenständigen Stamm, der in die Unterstämme Aculifera (Stachelweichtiere) und Conchifera (Schalenweichtiere) unterteilt ist (vgl. zu vorstehenden Einteilung Enzyklopädie des Tierreichs, herausgegeben von Dr. Bernhard Grzimek, 1970, Band 1, S. 379 und 542; Band 3; Horácková, Das große Tierbuch, 1980, S. 10).
23An dem Umstand, dass Regenwürmer nicht dem Stamm der Weichtiere zuzurechnen sind, ändert auch die weitläufige Verwandtschaft der Stämme nichts. Zwar zählen Weichtiere ebenso wie die Gliedertiere stammesgeschichtlich zu den sog. Spiralia, wegen der weiteren Entwicklung sind die Weichtiere jedoch von den Gliedertieren zu unterscheiden (Enzyklopädie des Tierreichs, 1970, Band 3, S.20).
24Regenwürmer zählen auch nicht zu den in Tarifnummer 03.07. ebenfalls genannten "wirbellosen Wassertieren". Eine solche Zuordnung kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil es sich bei Regenwürmern zwar um Wirbellose, nicht jedoch um Wassertiere handelt. Maßgeblich ist insoweit allein, dass der Regenwurm zu den Landbewohnern zählt. Zwar ist der Regenwurm durchaus in der Lage, eine gewisse Zeit im Süßwasser zu überleben, dennoch – und nur darauf kommt es für die Zuordnung an – hat sich der Regenwurm im Laufe der stammesgeschichtlichen Entwicklung zu einem Landtier entwickelt, als dessen natürlicher Lebensraum der Erdboden anzusehen ist (Enzyklopädie des Tierreichs, Band 1, S. 379).
25Für die zolltarifliche Einordnung ist auch ohne Belang, dass eine Vielzahl der Artverwandten des Regenwurms, insbesondere aus der Klasse der ebenfalls zu den Gliedertieren zählenden Saugmünder (Myzotomida) und der noch enger verwandten Vielborster (Polychaeta, z. B. der vor allem im Wattboden vorkommende Köderwurm oder Sandpier) zu den Meeresbewohnern und einige Arten der Wenigborster zu den Süßwasserbewohner (z. B. Naiden [Naididae] und Proporen [Prospora] zählen (Enzyklopädie des Tierreichs, Band 1, S. 371 ff.). Selbst wenn diese Tiere der Tarifnummer 03079919009 des Zolltarifs zuzuordnen wären, ändert dies nichts an dem Umstand, dass den Regenwürmer – anders als den obigen Arten – die Eigenschaft "Wasertier" fehlt. Dass in den Umsätzen des Klägers auch Tiere enthalten sind, die den Meeres- oder Süßwasserbewohnern zuzuordnen sind, hat der Kläger nicht behauptet, sondern vielmehr auf ausdrückliche Nachfrage klargestellt, dass es sich bei den streitbefangenen Umsätzen ausschließlich um die Umsätze mit Regenwürmern handelt.
26Schließlich kommt auch eine Zuordnung zur Tarifnummer 030799900909 nicht in Betracht. Denn auch eine Zuordnung unter die Sammelbezeichnung "andere" in einer weiteren Unterteilung, die ebenfalls "andere" lautet, kommt nur dann in Betracht, sofern die zu tarifierenden Tiere zu Arten gehören, bei denen es sich entsprechend der Zolltarifnummer 03.07. um Weichtiere oder andere wirbellose Wassertiere handelt. Denn insoweit stellen die unter der Tarifnummer 03.07 weiter differenzierten Codenummern lediglich Konkretisierungen der verwendeten Oberbegriffe dar.
27Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch im Hinblick auf die zoologischen Artverwandheit zu einigen wirbellosen Wassertieren eine ausdehnende Auslegung des Zolltarifs auf die nach dem Wortlaut nicht erfassten Regenwürmer nicht geboten. Insoweit bleibt es auch für das Umsatzsteuerrecht bei den sich aus dem Zolltarif ergebenden Beurteilungen. Es obliegt dem Gesetzgeber, etwaige nicht gewünschte Konsequenzen des Zolltarifrechts durch eine Aufnahme des betreffenden Wirtschaftsguts in den Katalog der steuerermäßigten Ware aufzunehmen (BFH, Urteil vom 20. Februar 1990 VII R 172/84, BStBl II 1990, 760).
28Ferner kommt die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auch nicht nach Nr. 37 der Anlage zu § 12 UStG in Betracht. Bei den Regenwürmern handelt es sich nicht um zubereitetes Futter im Sinne dieser Vorschrift i. V. mit Zolltarifnummer 23.01. Deren Anwendung setzt voraus, dass das Futter aus einer Verarbeitung ganzer Tiere oder von Teilen von Tieren gewonnen wird. Lebende Tiere sind durch diese Vorschrift nicht erfasst.
29Schließlich kann sich der Kläger auch nicht darauf berufen, dass bei der Einfuhr der Würmer Einfuhrumsatzsteuer teilweise nur mit dem ermäßigten Steuersatz erhoben wurde. Diese – aus Sicht des Senats unzutreffende – Besteuerung entfaltet für die Besteuerung der Ausgangsumsätze des Klägers keinerlei Bindungswirkung.
30Eine Entscheidung über die Zulassung der Revision bedurfte es wegen § 116 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO – nicht (vgl. BFH, Beschluss vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BStBl II 1990, 547).
31Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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