Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 7 K 7162/01 G
Tenor
Die Bescheide über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag für die Jahre 1992 bis 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19.11.2001 werden ersatzlos aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
1
T a t b e s t a n d
2Streitig ist, ob der Kläger in den Streitjahren 1992 bis 1998 gewerblich oder künstlerisch tätig war.
3Der Kläger erklärte in seinen Einkommensteuererklärungen 1992 bis 1998 u. a. Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit als Humorist, die er durch Einnahme-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) ermittelte. Bei den jeweiligen Steuerfestsetzungen berücksichtigte der Beklagte diese Einkünfte erklärungsgemäß als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit.
4Bei einer im Jahr 1999 durchgeführten Betriebsprüfung vertrat der Prüfer die Ansicht, dass der Kläger keine selbständige (künstlerische) Tätigkeit ausübe. Bei seinen Auftritten handle es sich vielmehr um eine gewerbliche Tätigkeit, da die von der Rechtsprechung geforderte eigenschöpferische Leistung nicht geben sei (vgl. Tz. 11. des Betriebsprüfungsberichtes vom 20.01.2000). Auf den weiteren Inhalt des Betriebsprüfungsberichtes vom 20.01.2000 wird verwiesen.
5Der Beklagte schloss sich der Ansicht des Betriebsprüfers an. Er qualifizierte die bisher als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit veranlagten Gewinne um und behandelte diese als Gewinne aus Gewerbebetrieb. Für die Jahre 1992 bis 1998 erließ er erstmalig Bescheide über den (einheitlichen) Gewerbesteuermessbetrag.
6Hiergegen legte der Kläger Einsprüche ein. Zur Begründung führte er aus:
7Er sei als ein herausragender Vortragskünstler im
8Karneval bei vielerlei verschiedenen Veranstaltungen tätig. Außerhalb des Karnevals trete er als Humorist bei Betriebsfeiern, Vereinsfesten und ähnlichen Veranstaltungen auf. Bei seiner Vortragstätigkeit handle es sich um eine eigenschöpferische Leistung. Sie beruhe auf Umsetzung eigenen Gedankengutes in Form eines qualifizierten humoristischen Vortrages. Er entwerfe seine Reden und Vorträge selbst und passe sie der jeweiligen Veranstaltung an. Vortragsart und Vortragsinhalte seien je nach Art der Veranstaltung völlig unterschiedlich. Er habe einen eigenen Stil entwickelt, der sowohl in seinen Vorträgen selbst als auch in der Art seines Vortrages zum Ausdruck komme. ... Sowohl nach dem Inhalt als auch nach der Art und Weise der Darstellung beschreite er einen anderen Weg als viele der "üblichen" Büttenredner.
9Mit Einspruchsentscheidung vom 19.11.2001 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Er führte aus: Der Kläger übe eine gewerbliche Tätigkeit aus, die der Gewerbesteuer unterliege. Seine Büttenreden bestünden aus Witzen und pointierter Beschreibung witziger und komischer Situationen im wesentlichen aus dem Alltagsleben. Es sei festzustellen, dass der Kläger seine Reden zwar unter Einsatz von Mimik und Gestik in humorvoller Weise vortrage; das erforderliche Mindestmaß an künstlerischer Gestaltungshöhe werde jedoch nicht überschritten. Das Vorliegen einer eigenschöpferischen Gestaltung sei zu verneinen, da sich die Büttenreden als "schablonenhafte" Wiederholungen dargestellt hätten. Es sei nicht möglich, für jede Veranstaltung eine eigene Rede zu verfassen. Anders als bei Schauspielern und Musikern, bei denen die ständige Wiederholung eines Werkes über viele Jahre der Einstufung als Künstler nicht entgegenstehe, spiele sich die Tätigkeit als Büttenredner nicht im Rahmen eines traditionell künstlerischen Berufszweiges ab.
10Mit seiner am erhobenen Klage wiederholt der Kläger sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und trägt ergänzend vor:
11Im Gegensatz zur Tätigkeit des Redners im herkömmlichen Sinne (Festreden, Trauerreden etc.), dessen Arbeitsergebnisse in der Regel einen praktischen Nutzen habe, handle es sich bei der Tätigkeit des Büttenredners - wie bei der eines Schauspielers, Sängers, Tänzers etc. - um darstellende Kunst. Es komme auf die natürliche Begabung des Künstlers an. Er (der Kläger) gestalte nicht nur die Art und Weise seines Vortrages selbst, er sei auch hinsichtlich des Inhaltes schöpferisch tätig. ... Zudem verstehe er es wie ein Improvisationskünstler oder Stand Up Comedian, spontan und improvisierend auf die Reaktion des jeweiligen Publikums einzugehen und seinen Vortrag entsprechend zu gestalten. Er arbeite nicht mit einer Redeschablone, vielmehr halte er spontane Einfälle und Ideen auf Grund des aktuellen Tagesgeschehens, persönlicher Erlebnisse usw. auf Zetteln in der Form von Stichwörtern fest. Bei seinen Auftritten verwende er lediglich Stichwörter, die er auf seinen Handrücken schreibe.
12In den dem Beklagten zur Verfügung gestellten Videos seien nur Ausschnitte der Auftritte aufgezeichnet. Nur eine Betrachtung des vollständigen, zusammenhängenden Auftrittes lasse aber eine Beurteilung im Ganzen zu.... Damit sich die Aufzeichnung durch das aktuelle Geschehen nicht überhole, legten einige Veranstalter Wert darauf, dass der Auftritt nicht zu "aktuell" sei.
13Im übrigen verstoße der Beklagte gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Dem Beklagten sei bekannt gewesen, dass er (der Kläger) seit Jahrzehnten im Karneval als Büttenredner tätig sei. Die Einkünfte als Humorist seien bei der Einkommensteuer seit Jahren erklärungsgemäß endgültig veranlagt worden. Der Beklagte habe also die selbständige, künstlerische Tätigkeit anerkannt und damit einen eigenständigen Vertrauenstatbestand gesetzt. An dieses Verhalten sei der Beklagte gebunden, da er (der Kläger) aufgrund des Handelns des Beklagten finanzielle Dispositionen getroffen habe.
14Er beantragt,
15die Bescheide über den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag für die Jahre 1992 bis 1998 in Gestalt der Einspruchsentscheidung ersatzlos aufzuheben.
16Der Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Er trägt vor:
19Ein Büttenredner sei mit einem Fest- und Trauerredner vergleichbar. Er gehöre nicht zu dem traditionell künstlerischen Berufszweig der Schauspieler, Musiker und Kabarettisten. Daher spreche die ständige Wiederholung einer Rede - anders als bei traditionellen Künstlern - für eine gewerbliche Tätigkeit. Diese Ungleichbehandlung sei durch die unterschiedlichen Berufszweige gerechtfertigt. Die Häufigkeit der Auftritte des Klägers sei ein starkes Indiz für ein überwiegend schablonenhaftes Arbeiten mit Wiederholungen und damit für eine gewerbliche Tätigkeit.
20Zudem sei durch die rasant gestiegene Anzahl von Karnevalssitzungen, insbesondere in den Fernsehkanälen, die Büttenrede als Massenware im Niveau stark abgesunken und könne von daher den Kunstbegriff nicht mehr erfüllen. Auch die Reden des Klägers würden das erforderliche Mindestmaß an künstlerischer Gestaltungshöhe nicht erreichen. Der Erfolg des Klägers sei bei dieser Beurteilung unerheblich. Die vorgelegten Zeitungsartikel und Exklusivverträge gäben keinen Aufschluss über die Einstufung der Einkunftsart.
21Es bestehe auch kein Vertrauenstatbestand. Der Kläger gehe zu Unrecht davon aus, dass dem Beklagten der vollständige Steuersachverhalt über Jahre hinweg bekannt gewesen sei. Es sei gerade Sinn und Zweck der Betriebsprüfung, einen Fall in vollem Umfang - auch bzgl. der Einstufung oder Umqualifizierung von Einkünften in eine andere Einkunftsart - zu überprüfen.
22Das Gericht hat über die Tätigkeit des Klägers in den Streitjahren Beweis erhoben durch Augenscheinseinnahme mittels Video-Aufzeichnung eines Auftritts aus dem Jahre 1997.
23E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
24Die Klage ist begründet.
25Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 S. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO)).
26Der Beklagte ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Einkünfte des Klägers aus seiner Tätigkeit als Humorist der Gewerbsteuer zu unterwerfen sind.
27Nach § 2 Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) ist ein stehender Gewerbebetrieb, der im Inland betrieben wird, gewerbesteuerpflichtig. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes zu verstehen (§ 2 Abs. 1 S. 2 GewStG). Danach ist ein Gewerbebetrieb jede selbständige nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, wenn sie unter anderem nicht als Ausübung eines freien Berufes anzusehen ist (§ 15 Abs. 2 EStG). Zu den freiberuflichen Tätigkeiten gehört auch die selbständig ausgeübte künstlerische Tätigkeit (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG).
28Der Kläger hat keinen stehenden Gewerbebetrieb unterhalten, weil er eine künstlerische Tätigkeit ausübt.
29Unter "künstlerischer" Tätigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes, der sich der Senat anschließt, eine eigenschöpferische Tätigkeit mit einer gewissen Gestaltungshöhe zu verstehen (vgl. BFH-Urteil vom 26.02.1987 IV R 105/85, BStBl II 1987, 376 m. w. N.). Diese Merkmale sind auch für die Beurteilung rednerischer Tätigkeiten maßgebend (BFH-Urteil vom 29.07.1981 I R 183/79, BStBl II 1982, 22).
30Der Senat ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme, der persönlichen Anhörung des Klägers in der mündlichen Verhandlung und der Vorlage der "Redemanuskripte" überzeugt, dass der Kläger künstlerisch im Sinne der Rechtsprechung tätig war. Hierüber konnte das Gericht kraft eigener Sachkunde entscheiden, so dass die Zuziehung eines Sachverständigen nicht erforderlich war (vgl. BFH-Urteil vom BFH-Urteil vom 26.02.1987 IV R 105/85, BStBl II 1987, 376).
31Bei der Vortragstätigkeit des Klägers handelt es sich um eine eigenschöpferische Leistung.
32Diese ist gegeben, wenn in ihr die individuelle Anschauungsweise und Gestaltungskraft des Künstlers zum Ausdruck kommt (vgl. BFH-Urteile vom 11.07.1991 IV R 15/90, BStBl II 1991 889; vom 11.07.1991 IV R 102/90, BStBl II 1992, 413). Hingegen fehlt es an einer eigenschöpferischen Tätigkeit, wenn der Redner mit Schablonen arbeitet und die gleiche Rede, wenn auch mit Variationen, in zahlreichen Fällen immer wieder vorträgt (BFH-Urteil vom 26.02.1987 IV R 105/85, BStBl II 1987, 376).
33Die Darbietung des Klägers ist dadurch gekennzeichnet, dass er als Figur
34die Zuschauer mit Witzen und Beschreibungen von komischen Situationen unter Einsatz von Mimik und Gestik unterhält. Anders als bei einem "typischen Büttenredner" steht nicht die Rede selbst im Vordergrund, sondern die Figur
35Diese Figur verkörpert der Kläger in einer ihm eigenen, individuellen Weise und gibt ihr eine eigene persönliche Note. ...
36Sowohl das Kostüm und die Requisiten als auch die Art und Weise der Darbietung hat der Kläger selbst kreiert. Zusammen mit den selbst geschriebenen Vorträgen kommt in dieser Figur die individuelle Gestaltungskraft des Klägers zum Ausdruck.
37Der Kläger verwendet für seine Auftritte auch keine Redeschablonen. Dagegen spricht schon die Art seiner Auftritte, denn er steht nicht wie ein "typischer Büttenredner" in der "Bütt" und liest eine vorgefertigte, ausformulierte Rede vor. Vielmehr besteht seine "Rede" aus Witzen, Sprüchen und kurzen humorvollen Geschichten, die er ohne eine feste Reihenfolge und ohne Reimschema vorträgt. Bei dieser Art des Vortrages liegt es schon in der Natur der Sache, dass der Kläger nicht - wie möglicherweise ein Fest - oder Trauerredner - mit der Verwendung weniger Grundmuster und Redeschablonen auskommt und die gleiche Rede, nur mit gewissen, auf den Einzelfall abgestellten Variationen und Daten in zahlreichen Fällen wieder vorträgt. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert hat, kommen seine Vorträge dadurch zustande, dass er Einfälle und Ideen auf Grund des aktuellen Tagesgeschehens, persönlicher Erlebnisse usw. auf Zetteln in Form von Stichwörtern festhalte. Die Schlagzeilen der BILD-Zeitung würden ihn dabei häufig inspirieren. Auch sammle er Witze, die er dann auf Politiker oder bekannte Persönlichkeiten umschreibe. Der Vortrag des Klägers wird durch die vorgelegten "Redemanuskripte" bestätigt. Diese bestehen aus einer Reihe von Stichwörtern, die kreuz und quer auf einem Blatt handschriftlich festgehalten worden sind und teilweise durch Pfeile verbunden werden. Nur der Kläger selbst dürfte in der Lage sein, anhand von diesen "Manuskripten" eine Rede zu halten. Ein Grundmuster oder eine Redeschablone vermag der Senat nicht zu erkennen. Vielmehr ist der Senat davon überzeugt, dass der Kläger mit Bühnenerfahrung die Stimmung des Publikums im Saal erkennen und seine "Rede" spontan anpassen kann. Bei einem vorgefertigten, feststehenden Redemanuskript wäre das nicht möglich. Gerade dadurch, dass der Kläger während seiner Auftritte erkennt, welche Witze dem jeweiligen Publikum gefallen oder nicht, und er entsprechend reagiert, kommt nach Ansicht des Senates seine schöpferische Gestaltungskraft zum Ausdruck.
38Die eigenschöpferische Leistung des Klägers erreicht auch eine gewisse Gestaltungshöhe. Hinsichtlich der Beurteilung dieser Frage ist zu beachten, dass die vom Bundesfinanzhof entwickelten Merkmale der Abgrenzung zwischen Kunst und Nichtkunst im Grenzbereich zwischen Kunst und Gewerbe dienen. Gemeint ist also, dass das Werk die Gestaltungshöhe erreichen muss, die es erst als Kunst qualifiziert. Nicht gemeint ist, dass die Leistung ein bestimmtes künstlerisches Niveau erreichen muss. Eine Niveaukontrolle, also eine Differenzierung zwischen "höherer" und "niederer", "guter" und "schlechter" Kunst, wäre mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vereinbar, da sie auf eine Inhaltskontrolle hinausliefe (Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) vom 03.06.1987 1 BvR 313/85, BVerfGE 75, 369; Beschluss des BVerfG vom 07.03.1990, 1 BvR 266/86, 1 BvR 913/87, BVerfGE 81, 278).
39Danach ist es unerheblich, ob die Inhalte der Büttenreden des Klägers ein hohes oder niedriges Niveau haben oder ob die Witze nach Ansicht des Senates gut oder schlecht sind. Es genügt, wenn die künstlerische Gestaltungshöhe ein nicht genau bestimmbares Mindestmaß erreicht, unterhalb dessen eine Leistung kein künstlerisches Werk ist. Für die insoweit zu treffende Entscheidung ist der allgemeinen Verkehrsauffassung besonderes Gewicht beizulegen (vgl. BFH-Urteil vom 11.07.1991 IV R 102/90, BStBl II 1992, 413). Dieses Mindestmaß an künstlerischer Gestaltungshöhe meint der Senat, den Auftritten des Klägers aus den bereits genannten Gründen (Art und Weise der Darbietung, Schaffung der Figur ) nicht absprechen zu können. Der Kläger verleiht seinen Auftritten eine unverkennbare, unnachahmliche Note. Wie sich aus den zu den Gerichtsakten gereichten Zeitungsartikeln der Tagespresse entnehmen lässt, wird er vom Publikum als ein großer Star des Karnevals gefeiert. Auch die Tatsache, dass er jedes Jahr ... für seine Auftritte Gagen erhält, deren Höhe sich für einen Büttenredner im oberen Bereich befinden dürfte, bestätigt, dass die Auftritte des Klägers unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsauffassung das Mindestmaß an Gestaltungshöhe erreichen. Ein solcher Erfolg beim Publikum, welchen der Kläger unstreitig seit Jahren erzielt, ist nur dadurch zu erklären, dass er bei seinen Auftritten eine Leistung vollbringt, die über die hinreichende Beherrschung der Technik, eine Rede zu halten, hinausgeht.
40Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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