Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 15 K 4546/03 E
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d:
2Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit des Erlasses einer Einspruchsentscheidung und die Nichtanerkennung von Beiträgen zur Rentenversicherung als Werbungskosten oder unbeschränkt abziehbare Sonderausgaben.
3Die Klägerin ist unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und wird beim Beklagten - dem Finanzamt "P-Stadt" - zur Einkommensteuer veranlagt. Sie war im Streitjahr nichtselbständig bei der "L-AG" beschäftigt. Die Klägerin gab am 19. September 2002 die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2001 ab. Sie beantragte die getrennte Veranlagung. Sie wurde mit Einkommensteuerbescheid vom 23. Oktober 2002 erklärungsgemäß zur Einkommensteuer veranlagt.
4Die Klägerin legte gegen diesen Bescheid mit Schreiben vom 29. Oktober 2002 Einspruch ein. Hinsichtlich der Einspruchsbegründung wird auf das in den Steuerakten des Finanzamts befindliche 18-seitige Einspruchsschreiben vom 29. Oktober 2002 verwiesen. Die Klägerin beantragte u.a., das Einspruchsverfahren aufgrund des beim Bundesfinanzhof anhängigen Verfahrens unter dem Az. X R 45/02 zum Ruhen zu bringen. Mit Einspruchsentscheidung vom 10. Juli 2003 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung des Beklagten vom 10. Juli 2003 verwiesen.
5Die Klägerin hat gegen diese Einspruchsentscheidung Klage erhoben. Sie trägt unter anderem vor, der Beklagte habe ohne weitere Ankündigung das Einspruchsverfahren mit einer Einspruchsentscheidung beendet, ohne sie anzuhören und das weitere Verfahren abzuklären. Aufgrund der langen Bearbeitungszeit habe sie aber von einem Ruhen des Verfahrens ausgehen können. Der Beklagte verstoße zudem gegen § 363 Abs. 2 Abgabenordnung - AO -. Da der Beklagte aufgrund zahlreicher anhängiger Revisionsverfahren das Verfahren nicht zum Ruhen gebracht habe, liege ein Verfahrensfehler vor. Die Einspruchsentscheidung sei daher aufzuheben. Außerdem begehrt die Klägerin die Berücksichtigung der von ihr gezahlten Beiträge zur Rentenversicherung als Werbungskosten bzw. vollabziehbare Sonderausgaben.
6Die Klägerin beantragt,
7die Einspruchsentscheidung vom 10.07.2003 aufzuheben, hilfsweise die Berücksichtigung der gesetzlichen Rentenversicherungsbeiträge in voller Höhe (insbesondere als Werbungskosten).
8Der Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Er führt aus, hinsichtlich der durch die Klägerin beanstandeten Verletzung des Rechtsschutzbedürfnisses bzw. der Gewährung des rechtlichen Gehörs sei zu berücksichtigen, dass sowohl Einspruch als auch finanzgerichtliche Klage kein Instrument zum bloßen Offenhalten des Steuerfalls wegen möglicher zukünftiger Entwicklungen der Rechtsprechung in Verfahren anderer Steuerpflichtiger sei. Sinn und Zweck des Einspruchs sei vielmehr, möglichst zügig eine Entscheidung in der Sache herbeizuführen. Das Finanzamt handele nicht ermessensfehlerhaft, wenn es den Einspruch nicht ruhen lasse, sondern über diesen entscheide.
11Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
12E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
13Die Klage ist nicht begründet.
14Die Klägerin kann mit ihrem Hauptantrag auf isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 10. Juli 2003 nicht durchdringen, weil ihr kein Anspruch auf das Ruhen des Einspruchsverfahrens gemäß § 363 Abs. 2 AO zusteht.
151. Gemäß § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ruht das Einspruchsverfahren kraft Gesetzes (Zwangsruhe), falls wegen der Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder wegen einer Rechtsfrage ein Verfahren beim Europäischen Gerichtshof, dem Bundesverfassungsgericht oder einem obersten Bundesgericht anhängig ist und die Steuer wegen dieser Rechtsfrage nicht nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig festgesetzt wurde (§ 363 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz AO). Entscheidend ist dabei, dass das anhängige verfassungsgerichtliche oder bundesgerichtliche Musterverfahren auch im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung noch nicht abgeschlossen ist. Zudem muss sich der Steuerpflichtige in seiner Einspruchsbegründung auf das Musterverfahren stützen. Die gesetzliche Zwangsruhe setzt aber nur dann ein, wenn die Rechtsfrage über die in dem Musterverfahren entschieden wird, für die Entscheidung im Einspruchsverfahren präjudiziell ist, das heißt eine rechtliche Vorfrage darstellt.
162. Sinn und Zweck des Ruhens des Einspruchsverfahrens ist die Verfahrensökonomie, der es entspricht, eine für die Einspruchsentscheidung bedeutsame Entscheidung eines obersten Gerichts abzuwarten. Damit soll zugleich eine unnötige Belastung der Finanzgerichte und der Finanzbehörden vermieden werden. Selbst wenn deshalb während des Einspruchsverfahrens ein einschlägiges verfassungsgerichtliches oder bundesgerichtliches Verfahren anhängig ist oder anhängig wird, steht dem Einspruchsführer gegenüber dem Finanzamt kein subjektiv-öffentlichrechtlicher Anspruch auf Ruhen des Verfahrens nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO bzw. Fortbestand der gesetzlichen Zwangsruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO zu. Vielmehr ergibt sich aus § 363 Abs. 2 Satz 4 AO, dass das Einspruchsverfahren fortgesetzt wird, wenn das Finanzamt dies dem Einspruchsführer mitteilt (vgl. zu der Frage auch BFH-Beschluss vom 6. Juli 1999 IV B 14/99, BFH/NV 1999, 1587). Entscheidet demnach das Finanzamt trotz Anhängigkeit eines verfassungsgerichtlichen oder bundesgerichtlichen Musterverfahrens über den Einspruch in der Sache, so bleibt dem Steuerpflichtigen der Weg der Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1, 1. Alt. FGO) mit dem Ziel der Aufhebung bzw. Änderung des angefochtenen Steuerbescheids in Gestalt der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung.
173. Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei § 363 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 AO ausschließlich um eine Vorschrift zur Entlastung des Verwaltungs- sowie des sich möglicherweise anschließenden Gerichtsverfahrens. Die Finanzbehörde hat hierdurch die Möglichkeit, Rechtsbehelfe auf vereinfachte Weise kraft Gesetzes ruhen zu lassen bzw. eine Prozesslawine von den Gerichten fernzuhalten. Aus § 363 Abs. 2 Satz 4 AO wird deutlich, dass das Finanzamt aber nach wie vor "Herr" des Einspruchsverfahrens bleiben soll. Das Finanzamt allein entscheidet, ob es im Fall der Zwangsruhe des Einspruchsverfahrens das anhängige Verfahren abwarten will oder eine Sachentscheidung trifft (so auch FG München vom 12.12.2002 15 K 4395/00, Inf 2003, 202). Denn auch im Fall der Zwangsruhe kann das Finanzamt ein berechtigtes Interesses an der Fortsetzung und einem zügigen Abschluss des Einspruchsverfahrens haben (vgl. BT-Drucksache zum sog. Grenzpendlergesetz, 12. Wahlperiode, 7427 Seite 37). Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie im Streitfall - die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen sich aus dem Gesetz eindeutig beantworten lassen und es ersichtliches Ziel des Einspruchsführers ist, durch die Berufung auf eine Vielzahl von anhängigen Verfahren den Abschluss des Einspruchsverfahrens möglichst auf unbestimmte Zeit hinauszuzögern. Denn gäbe es seitens des Finanzamts keine Möglichkeit, die nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO eintretende Zwangsruhe durch Erlass der Einspruchsentscheidung zu beenden, könnte ein Steuerpflichtiger aufgrund der Vielzahl der bei obersten Bundesgerichten anhängigen Verfahren eine Einspruchsentscheidung durch das Finanzamt zeitlich fast unbegrenzt verhindern. Dies deckt sich nicht mit dem oben angeführten Sinn und Zweck der Vorschrift, den Beteiligten den Arbeitsaufwand sowie das Kostenrisiko eines ggf. erforderlichen gerichtlichen Verfahrens zu ersparen. Dies ist bei der Auslegung des möglicherweise zu weit gefassten Wortlauts der Vorschrift zu berücksichtigen.
184. Die Klage ist auch hinsichtlich des Hilfsantrags unbegründet.
19a. Was die von der Klägerin aufgeworfene Frage des Abzugs von Rentenversicherungsbeiträgen als Werbungskosten angeht, ist die Rechtslage geklärt und das Begehren der Klägerin hat keine Aussicht auf Erfolg. Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 21. Juli 2004 X R 72/01, BFH/NV 2005, 513 m. w. N.) ausgeführt, dass für Veranlagungszeiträume vor 2005 Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus § 22 Einkommensteuergesetz - EStG - abziehbar sind. Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen sind vielmehr aufgrund der ausdrücklichen gesetzlichen Zuweisungen in § 10 Abs. 2 und 3 EStG den Sonderausgaben zugeordnet.
20b. Gleiches gilt für die Geltendmachung der Rentenversicherungsbeiträge als unbegrenzt abziehbare Sonderausgaben. Auch hier hat der BFH in ständiger Rechtsprechung ausgeführt (vgl. zuletzt Urteil vom 11. Dezember 2002 XI R 17/00, BFHE 201, 437, BStBl II 2003, 650), dass der Gesetzgeber nicht gezwungen ist, Vorsorgeaufwendungen wie Erwerbsaufwendungen zum Abzug zuzulassen. Er hat dies damit begründet, dass Vorsorgeaufwendungen keine Aufwendungen der Einkommenserzielung, sondern Maßnahmen der Einkommensverwendung sind. Sie sind in Form von Beiträgen zur Rentenversicherung besonders geartete und besonders gesicherte Sparleistungen. Sparleistungen sind aber nach dem geltenden Einkommensteuerrecht nicht abziehbar und von der Steuer nicht freigestellt.
215. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -.
226. Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen. Es liegen divergierende Urteile der Finanzgerichte zu der Frage vor, ob nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO ein Anspruch auf eine Zwangsruhe besteht (vgl. Urteile des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 2. März 1999 I 36/98, juris und des Finanzgerichts des Saarlands vom 27. Oktober 2000, 2 K 324/97, juris sowie FG München in Inf 2003, 202). Höchstrichterlich ist diese Frage noch nicht abschließend entschieden. Im Urteil vom 14. Juli 2004 XI R 13/01, BFHE 206, 316, BStBl II 2005, 125 hat der BFH die Frage offengelassen. Im Beschluss vom 6. Juli 1999 IV B 14/99, BFH/NV 1999, 1587 waren die Ausführungen des BFH zur Zwangsruhe nach § 363 Abs. 2 Satz 2 AO für die Entscheidung nicht tragend.
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