Beschluss vom Finanzgericht Düsseldorf - 4 K 6310/04 VTa
Tenor
Das Verfahren wird ausgesetzt.
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wird um eine Vorabentscheidung zu folgender Frage ersucht:
Ist die Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat, der eine Verbrauchsteuer für Tabakwaren durch die Ausgabe von Steuerzeichen erhoben hat, verpflichtet ist, dem Bezieher der Steuerzeichen den von diesem hierfür entrichteten Betrag zu erstatten, wenn die in einem anderen Mitgliedstaat mit diesen Steuerzeichen versehenen Tabakwaren aus dem Verfahren der Steueraussetzung unrechtmäßig entnommen werden mit der Folge, dass dieser Mitgliedstaat eine Verbrauchsteuer für die Tabakwaren von dem dort ansässigen Wirtschaftsbeteiligten erhebt, der die Tabakwaren im innergemeinschaftlichen Steueraussetzungsverfahren versendet hat?
1
Gründe:
2I.
3Die Klägerin ist die Rechtsnachfolgerin der A GmbH, die ihren Sitz in B hatte. Die A GmbH bezog auf Grund ihrer Steueranmeldungen vom 12. und 19. März 2004 am 1. April 2004 vom beklagten Hauptzollamt Steuerzeichen im Gesamtwert von 184.170,46 EUR für Zigaretten, die in Irland hergestellt und in Deutschland in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt werden sollten. Die A GmbH übersandte die Steuerzeichen der C Ltd in ......../Irland (C), die sie mit weiteren von der A GmbH übersandten Steuerzeichen auf Kleinverkaufspackungen mit Zigaretten anbrachte, die für den deutschen Markt bestimmt waren. Anschließend versendete die C die Zigaretten im innergemeinschaftlichen Steueraussetzungsverfahren an die D in ........./Niederlande und fertigte ein entsprechendes begleitendes Verwaltungsdokument aus. Die insgesamt 1.455.000 Zigaretten, die mit den von der A GmbH bezogenen Steuerzeichen versehen waren, wurden am 29. April 2004 im Hafen von ......../Irland gestohlen. Die A GmbH entrichtete am 6. Mai 2004 die Steuerzeichenschuld. Die irische Zollverwaltung erhob von der C wegen der Entnahme der 1.455.000 Zigaretten aus dem Verfahren der Steueraussetzung 277.587,30 EUR Verbrauchsteuer.
4Die A GmbH beantragte am 18. August 2004 beim beklagten Hauptzollamt die Erstattung der Steuerzeichenschuld von 184.445,64 EUR für die 1.455.000 Zigaretten und machte geltend, die Steuerzeichen könnten nicht mehr zur Entrichtung der deutschen Tabaksteuer verwendet werden. Vermutlich würden die gesamten gestohlenen Zigaretten auf dem britischen Schwarzmarkt abgesetzt.
5Das beklagte Hauptzollamt lehnte mit Bescheid vom 30. August 2004 eine Erstattung ab und führte aus: Eine Erstattung der Steuerzeichenschuld komme nicht in Betracht, weil der Bezieher das Risiko eines Verlustes der Steuerzeichen zu tragen habe. Es sei nicht auszuschließen, dass die mit den Steuerzeichen versehenen und für den deutschen Markt bestimmten Kleinverkaufspackungen im Steuergebiet abgesetzt würden. Die Steuerzeichen seien zudem nicht vernichtet oder ungültig gemacht worden, wie dies § 22 Abs. 3 des deutschen Tabaksteuergesetzes (TabStG) erfordere.
6Mit ihrem hiergegen eingelegten Einspruch machte die A GmbH geltend: Die Zigaretten seien in Irland in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt worden. Die hierdurch entstandene Verbrauchsteuer sei in Irland entrichtet worden. Andere Mitgliedstaaten sähen für diese Fälle eine Erstattung der durch die Verwendung von Steuerzeichen entrichteten Verbrauchsteuer vor.
7Nachdem das beklagte Hauptzollamt den Einspruch mit Entscheidung vom 15. Oktober 2004 zurückgewiesen hatte, hat die A GmbH Klage erhoben. Die Klägerin verfolgt ihr Erstattungsbegehren weiter und trägt vor: Eine Steuerzeichenschuld, die nicht in eine nachfolgende oder gleichzeitig hinzutretende Tabaksteuerschuld aufgehe, verstoße gegen die Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 (Richtlinie 92/12) über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl EG Nr. L 76/1). Nach dieser Richtlinie dürfe die Verbrauchsteuer nur in dem Mitgliedstaat erhoben werden, in dem während des Verfahrens der Steueraussetzung die Zuwiderhandlung oder Unregelmäßigkeit begangen worden sei. Hieran ändere sich nichts, wenn ein anderer Mitgliedstaat die Verwendung von Steuerzeichen vorschreibe. Andernfalls liege eine mehrfache Belastung mit Verbrauchsteuer vor, die eine Beeinträchtigung des innergemeinschaftlichen Handels i.S. des Art. 21 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 92/12 darstelle.
8Das beklagte Hauptzollamt ist der Klage entgegengetreten und trägt vor: Mit dem Bezug der Steuerzeichen sei die Steuerzeichenschuld entstanden. Eine Erstattung der Steuerzeichenschuld sei mangels Rückgabe, Vernichtung oder Ungültigmachung der Steuerzeichen nicht möglich. Neben der in Irland erhobenen Tabaksteuer bestehe keine weitere deutsche Tabaksteuer, sondern eine Steuerzeichenschuld. Von einer Doppelbesteuerung könne daher im Streitfall nicht gesprochen werden. Die bestehende Doppelbelastung sei der Richtlinie 92/12 immanent. Hemmnisse für den freien Verkehr von verbrauchsteuerpflichtigen Waren seien nicht erkennbar, weil eine Doppelbelastung immer nur bei einer vorherigen Unregelmäßigkeit in Betracht kommen könne.
9II.
10Für die Entscheidung über die Vorlagefrage sind folgende Vorschriften des deutschen Tabaksteuergesetzes von Bedeutung:
11§ 12 Verwendung von Steuerzeichen, Steueranmeldung
12(1) Für Tabakwaren ist die Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen zu entrichten. Die Verwendung umfasst das Entwerten und das Anbringen der Steuerzeichen an den Kleinverkaufspackungen. Die Steuerzeichen müssen verwendet sein, wenn die Steuer entsteht.
13(2) Der Hersteller oder Einführer hat die Steuerzeichen nach amtlich vorgeschriebenem Vordruck zu bestellen und darin die Steuerzeichenschuld selbst zu berechnen (Steueranmeldung). Dem Hersteller ist die Person gleichgestellt, die nach § 5 Abs. 2 zur Bestimmung des Kleinverkaufspreises berechtigt ist. Die Steuerzeichenschuld entsteht mit dem Bezug der Steuerzeichen in Höhe ihres Steuerwertes. Werden die Steuerzeichen übersandt, gilt als Tag des Bezugs der zweite Werktag nach der Absendung. Schuldner ist der Bezieher...
14§ 22 Erlass, Erstattung der Steuer
15(1) Die Steuer wird auf Antrag erlassen oder erstattet, wenn Tabakwaren in ein Steuerlager aufgenommen werden oder unter Steueraufsicht aus dem Steuergebiet in einen anderen Mitgliedstaat verbracht oder ausgeführt werden. Einführern und berechtigten Empfängern, die nicht Steuerlagerinhaber sind, wird die Steuer auch erlassen oder erstattet, wenn von ihnen eingeführte oder in Empfang genommene Tabakwaren unter Steueraufsicht vernichtet oder vergällt werden.
16(2) Ist die Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen entrichtet, wird sie nur erlassen oder erstattet, wenn die Steuerzeichen unter Steueraufsicht vernichtet oder ungültig gemacht worden sind und der Inhalt der Packungen noch vollständig ist.
17(3) Für die Steuerzeichenschuld gilt Absatz 1 sinngemäß, wenn noch nicht entwertete Steuerzeichen an das Hauptzollamt zurückgegeben worden sind oder wenn entwertete Steuerzeichen unter Steueraufsicht vernichtet oder ungültig gemacht worden sind und die Steuer nicht entstanden ist...
18III.
19Der Senat setzt das bei ihm anhängige Klageverfahren aus (§ 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art. 234 Unterabs. 2 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft die im Tenor formulierte Frage zur Vorabentscheidung vor. Die Entscheidung über die Klage hängt davon ab, wie die Richtlinie 92/12, insbesondere deren Art. 21 Abs. 1 auszulegen ist.
20Ein Anspruch auf Erstattung der von der A GmbH entrichteten Verbrauchsteuer nach § 22 Abs. 2 und 3 TabStG besteht nicht, weil die entwerteten Steuerzeichen nicht unter Steueraufsicht vernichtet oder ungültig gemacht worden sind. Auch Art. 22 Abs. 2 Buchstabe d der Richtlinie 92/12 erfordert für eine Erstattung der Verbrauchsteuer für Waren, die mit Steuerzeichen versehen worden sind, die Vernichtung dieser Steuerzeichen. Gleichwohl könnte der Klägerin als Rechtsnachfolgerin der A GmbH ein Anspruch auf Erstattung der von dieser entrichteten Verbrauchsteuer zustehen, weil die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet sind, unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhobene Abgaben zu erstatten (EuGH-Urteil vom 17. Juni 2004 Rs. C-30/02, Slg. 2004, I-6051 Rdnr. 15). Es stellt sich daher die Frage, ob die Verbrauchsteuer von der A GmbH in Deutschland letztlich unter Verstoß gegen die Regelungen der Richtlinie 92/12 erhoben worden ist.
21Nach Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 92/12 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Waren, die in ihrem Hoheitsgebiet in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt werden sollen, mit Steuerzeichen versehen werden. Dementsprechend sieht Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 95/59 des Rates vom 27. November 1995 über die anderen Verbrauchsteuern auf Tabakwaren als die Umsatzsteuer (ABl EG Nr. L 291/40) vor, dass die Verbrauchsteuer in den der Stufe der Harmonisierung der Erhebungsmodalitäten für die Verbrauchsteuer vorhergehenden Stufen grundsätzlich mittels Steuerzeichen entrichtet wird. Allerdings gilt Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 92/12 nur unbeschadet des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 92/12. Dies versteht der Senat dahin, dass die den Mitgliedstaaten durch Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 92/12 eingeräumte Befugnis den Zeitpunkt der Entstehung des Steueranspruchs unberührt lässt, der allein in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie geregelt wird (EuGH-Urteil vom 5. April 2001 Rs. C-325/99, Slg. 2001, I-2729 Rdnr. 38). Im Streitfall ist die Verbrauchsteuer nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/12 mit dem Diebstahl der Zigaretten im Hafen von ......./Irland entstanden und war deshalb nach Art. 20 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 92/12 in Irland geschuldet. Zwar entsteht nach § 12 Abs. 2 Satz 3 TabStG die Steuerzeichenschuld in Deutschland bereits mit dem Bezug der Steuerzeichen unabhängig davon, ob diese durch das Entwerten und Anbringen an den Kleinverkaufspackungen verwendet werden. Dies dürfte indessen gemäß Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 92/12 nur vorbehaltlich des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 92/12 gelten können. Denn Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 92/12 könnte so auszulegen sein, dass die Mitgliedstaaten zwar eine Verbrauchsteuer bereits durch die Ausgabe von Steuerzeichen für Waren erheben dürfen, die in ihrem Hoheitsgebiet in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt werden sollen. Stellt sich jedoch nachträglich heraus, dass es zu einer Entstehung der Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat, der die Steuerzeichen ausgestellt hat, nicht gekommen ist, sondern die Verbrauchsteuer für die Waren in einem anderen Mitgliedstaat entstanden ist, müsste die zu Unrecht von dem erstgenannten Mitgliedstaat erhobene Verbrauchsteuer wieder erstattet werden. Dabei dürfte es nicht darauf ankommen, ob die Verbrauchsteuer in dem Mitgliedstaat, in dem sie nach Art. 20 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 92/12 geschuldet war, auch von der Person entrichtet worden ist, welche die Steuerzeichen in einem anderen Mitgliedstaat bezogen hat. Denn auch die Person, welche die Steuerzeichen bezogen hat, dürfte sich darauf berufen können, dass es nicht zu einer Entstehung der Verbrauchsteuer nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 92/12 in dem Mitgliedstaat gekommen ist, der die Steuerzeichen ausgestellt hat.
22Im Streitfall steht fest, dass für die Tabakwaren, die mit den von der A GmbH bezogenen Steuerzeichen versehen worden sind, eine Verbrauchsteuer in Irland entstanden ist. Demgegenüber steht nicht fest, dass - wie das beklagte Hauptzollamt vermutet - die mit den Steuerzeichen versehenen Zigaretten später in das deutsche Steuergebiet verbracht worden sind, so dass dort die Verbrauchsteuer nach Art. 7 Abs. 1 oder 2 der Richtlinie 92/12 zu erheben gewesen wäre. Das beklagte Hauptzollamt könnte daher die Verbrauchsteuer letztlich von der A GmbH unter Verstoß gegen die Regelungen der Richtlinie 92/12 erhoben haben.
23Nach Auffassung des Senats wird die Vorlagefrage nicht durch das EuGH-Urteil vom 15. Juni 2006 in der Rechtssache C-494/04 beantwortet. Dieses Urteil betrifft nur den Verlust von Steuerzeichen, ohne dass diese an den Tabakwaren angebracht worden waren, für die sie bestimmt waren. Demgegenüber stellt sich im Streitfall die Frage, ob ein Mitgliedstaat eine Verbrauchsteuer für Tabakwaren erheben darf, für die nach Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchstabe a der Richtlinie 92/12 in einem anderen Mitgliedstaat eine Verbrauchsteuer entstanden und entrichtet ist.
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