Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 9 K 1639/06 E
Tenor
Die Änderungsbescheide zur Einkommensteuer für 1994 und für 1995 vom 28. April 2000 und für 1996 vom 27. April 2000 i. G. d. Einspruchsentscheidung vom 15. März 2006 werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand:
2Streitig ist, ob die Klägerin erweitert beschränkt steuerpflichtig im Sinne des Außensteuergesetzes (AStG) ist.
3Die Klägerin hält eine stille Beteiligung an der Firma KGaA , erzielt Dividenden aus dem Aktienpool sowie Zinseinnahmen und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung einer Immobilie. Sie lebte bis zum 28. September 1986 in Deutschland, danach nacheinander in Spanien (September 1986 bis August 1987), in den Vereinigten Staaten von Amerika (September 1987 bis Juli 1991) und in Mexiko (Juli 1991 bis Juni 1992). Am 1. Juli 1992 kehrte sie wieder nach Deutschland zurück. Nach ihrer Heirat am 7. August 1993 lebt sie seit dem 25. November 1993 in Großbritannien. Für die Streitjahre 1994 bis 1996 gab sie Einkommensteuererklärungen für beschränkt Steuerpflichtige i. S. des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab, denen das ursprünglich zuständige Finanzamt zunächst folgte. Eine Besteuerung der Einkünfte der Klägerin in Großbritannien erfolgte in den Streitjahren nicht.
4Zur Prüfung, ob die Klägerin erweitert beschränkt steuerpflichtig sei, kam sie schließlich der Aufforderung zur Abgabe von Steuererklärungen für eine erweitert beschränkte Steuerpflicht nach. Das Finanzamt änderte daraufhin mit Bescheiden vom 28. April 2000 die Einkommensteuerfestsetzung für 1994 und 1995 sowie mit Bescheid vom 27. April 2000 die für 1996 und unterwarf die Klägerin der erweitert beschränkten Steuerpflicht. Während des Einspruchsverfahrens wurde mit Abrechnung zur Einkommensteuer für 1994, 1995 und 1996 vom 20. Oktober 2000 die vorher festgesetzte Einkommensteuer jeweils vermindert um anzurechnende Abzugsbeträge und Körperschaftsteuer. Die Berechnung ergab sich aus der beigefügten Anlage. Der Einspruch der Klägerin gegen die Steuerbescheide blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 15. März 2006).
5Mit der Klage trägt die Klägerin vor:
6Streitig sei allein die Frage, ob die Besteuerung der Klägerin in Großbritannien eine niedrige Besteuerung i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1, 1. Altern., Abs. 2 AStG sei. Der Beklagte habe dies unter Berufung auf eine Vorzugsbesteuerung i. S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG durch die Besteuerung nur von nach Großbritannien überwiesenen Einkunftsteilen (sog. Remittance-Basis) angenommen. Eine Vorzugsbesteuerung i. S. des AStG könne jedoch nur wegen persönlicher Anknüpfungs-punkte, nicht wie hier bei sachlichen Anknüpfungspunkten angenommen werden. Das fortgeltende BMF-Schreiben vom 2. Dezember 1994 (IV C 7 - S 1340 - 20/94, Bundessteuerblatt - BStBl - I 1995 Sondernr. 1) betrachte in Tz. 2.2. die Besteuerung auf Remittance-Basis nicht als Vorzugsbesteuerung. Die Nichtveranlagung der Klägerin in Großbritannien bis 2000/2001 könne nicht mit einer Vorzugsbesteuerung gleichgesetzt werden. Die britische Steuerbehörde habe nicht bestätigt, dass die Klägerin in den Genuss einer Vorzugsbesteuerung gekommen sei.
7Eine niedrige Besteuerung i. S. des konkreten Belastungsvergleichs sei ebenfalls nicht gegeben, weil die Klägerin bei Annahme der beschränkten Steuerpflicht nicht mit einer Einkommensteuer belastet sei, die weniger als 2/3 der bei unbeschränkter Steuerpflicht zu entrichtenden Einkommensteuer betrage. In den Belastungsvergleich seien nur die in Deutschland zu zahlenden Steuern, nicht etwaige Steuern in Großbritannien einzubeziehen. Die gezahlte Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer sei in dem Belastungsvergleich bei Ermittlung der fiktiven Steuer bei unbeschränkter Steuerpflicht mit einzubeziehen. Für das Fehlen der niedrigen Besteuerung bzw. der Vorzugsbesteuerung treffe die Klägerin nicht die Feststellungslast.
8Das AStG verstoße gegen den EG-Vertrag, insbesondere gegen die Grundfreiheiten des Niederlassungsrechts, der allgemeinen Freizügigkeit und der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit.
9Die Klägerin beantragt,
10die geänderten Einkommensteuerbescheide 1994, 1995 und 1996 in Gestalt
11der Einspruchsentscheidung vom 15. März 2006 aufzuheben.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Er trägt vor:
15Die Klägerin sei in Großbritannien mit der so genannten Remittance-Basis in den Genuss einer Vorzugsbesteuerung gekommen, mit der Folge, dass Großbritannien als Niedrigsteuerland gem. § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG zu behandeln sei. Sie habe nicht nachgewiesen, dass die bei deutscher beschränkter Steuerpflicht vom Einkommen zu entrichtende Steuer mindestens 2/3 der bei unbeschränkter Steuerpflicht zu entrichtenden Einkommensteuer betrage. Die Vorlage der britischen Steuerbescheide erscheine unverzichtbar. Die Anrechnung der Körperschaftsteuer entspräche nicht mehr der Verwaltungsauffassung.
16E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
17Die Klage ist begründet.
18Die angefochtenen Steuerbescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Klägerin ist im Streitzeitraum nicht erweitert beschränkt einkommensteuerpflichtig i. S. des § 2 Abs. 1 Satz 1 AStG. Es liegen weder die Voraussetzungen einer Vorzugsbesteuerung noch die einer niedrigen Besteuerung vor.
19Nach § 2 AStG ist eine natürliche Person, die in den letzten zehn Jahren vor dem Ende ihrer unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG als Deutsche insgesamt mindestens fünf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig war und in einem ausländischen Gebiet ansässig ist, in dem sie mit ihrem Einkommen nur einer niedrigen Besteuerung unterliegt, und die wesentliche wirtschaftliche Interessen im Geltungsbereich des AStG hat, bis zum Ablauf von zehn Jahren nach dem Ende des Jahres, in dem ihre unbeschränkte Steuerpflicht geendet hat, über die beschränkte Steuerpflicht hinaus beschränkt einkommensteuerpflichtig mit allen Einkünften i. S. des § 2 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz EStG, die bei unbeschränkter Steuerpflicht nicht ausländische Einkünfte i. S. des § 34 c Abs. 1 EStG sind.
20Die Klägerin war in den letzten zehn Jahren vor der Beendigung ihrer unbeschränkten Steuerpflicht im Jahre 1986 als Deutsche mindestens fünf Jahre unbeschränkt steuerpflichtig. Sie war bis dahin ununterbrochen unbeschränkt steuerpflichtig. Die Klägerin hatte in den Streitjahren wirtschaftliche Interessen im Geltungsbereich des AStG. Ihre Einkünfte, die bei unbeschränkter Steuerpflicht nicht ausländische Einkünfte i. S. des § 34 c Abs. 1 EStG sind, betragen in den Streitjahren mehr als 30 v. H. ihrer sämtlichen Einkünfte (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 AStG). Die Streitjahre liegen auch innerhalb des Zeitraums, der mit dem Ablauf des zehnten Jahres nach dem Ende des Jahres endet, in dem die unbeschränkte Steuerpflicht weggefallen ist.
21Die auf die Klägerin als in Großbritannien anwesende ("residence"), aber nicht über einen ständigen Wohnsitz verfügende Person ("domicile") Anwendung findende Besteuerung auf "Remittance-Basis" sieht vor, dass dort nur die Einkünfte besteuert werden, welche in Großbritannien erzielt oder dorthin transferiert werden (zu den Einzelheiten s. Angermann/Anger, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2005, 439 ff.). Dass zu diesen in Großbritannien steuerbaren Einkünften die von der Klägerin erzielten Beteiligungs- und Zinseinkünfte nicht gehören, wird auch von dem Beklagten nicht in Abrede gestellt. Nach dem AStG-Anwendungserlass vom 2. Dezember 1994 (a. a. O.), Tz. 2.2. Nr. 2, stellt diese Besteuerung keine Vorzugsbesteuerung i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG dar. Der Senat sieht keinen Anlass dafür, dem AStG-Anwendungserlass vom 2. Dezember 1994 nicht zu folgen, Erst mit BMF-Schreiben vom 14. Mai 2004, IV B 4 - S - 1340 - 11/04, BStBl I 2004, Sondernr. 1, Tz. 2.2.2, hat die Finanzverwaltung ihre Verwaltungsauffassung geändert, und zwar beginnend ab dem Veranlagungszeitraum 2002.
22Ebenfalls liegt für die Streitjahre 1994 bis 1996 keine niedrige Besteuerung i. S. des § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG vor. Die Klägerin hat innerhalb der ihr obliegenden Darlegungslast nachgewiesen, dass ihre Einkommensteuerbelastung bei beschränkter Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG) wenigstens 2/3 der Einkommensteuer beträgt, die bei unbeschränkter Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG anfiele.
23Zu vergleichen sind hierbei durch konkreten Belastungsvergleich die bei beschränkter deutscher Steuerpflicht im Inland und im Ausland anfallenden Einkommensteuern mit der Einkommensteuer, die im Ausland und im Inland bei unbeschränkter Steuerpflicht in Deutschland zu entrichten wären. Dabei ist die Belastung, die sich bei beschränkter deutscher Steuerpflicht ergäbe, so festzustellen, dass den im Ausland tatsächlich zu entrichtenden Steuern die Steuern hinzugerechnet werden, die bei beschränkter Steuerpflicht in Deutschland (tatsächlich) zu entrichten wären. Die Belastung, die sich bei unbeschränkter deutscher Steuerpflicht ergäbe, ist so festzustellen, dass sowohl für das Inland als auch für das Ausland die Steuern errechnet werden, die bei unbeschränkter Steuerpflicht (tatsächlich) zu zahlen wären (vgl. Kramer in Lippross (Hrsg.), Basiskommentar Steuerrecht, § 2 AStG Rz. 25 f.).
24Die Klägerin hat mit Schriftsätzen vom 18. Mai 2006 und 24. November 2008 jeweils Berechnungen vorgelegt, die bei Berücksichtigung der erhobenen Körperschaftsteuer und Kapitalertragsteuer die 2/3 Grenze bei beschränkter Steuerpflicht erreichen. Der Berechnung ist der Beklagte nicht entgegen getreten. Der Beklagte meint jedoch, die Abzugssteuern seien nicht zu berücksichtigen, wozu er sich auf die Verwaltungsauffassung beruft.
25Dem ist nicht zu folgen. Der Gesetzgeber hat durch die in § 2 Abs. 2 Nr. 2 AStG gewählte Formulierung "zu entrichtenden Steuern" zu erkennen gegeben, dass für die Vergleichsrechnung nicht von Steuern auszugehen ist, die aufgrund der Steuerpflicht entstanden sind, sondern von der Steuer, die der Steuerpflichtige zu entrichten hätte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 26. November 1986 I R 78/81, BStBl. II 1987, 363). Zu entrichten ist die Einkommensteuer, die nach Anrechnung von Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer verbleibt (§ 50 Abs. 5 Satz 1 und 2 EStG).
26Wie erkannt, sind die zur erweitert beschränkten Steuerpflicht ergangenen Steuerbescheide und die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Die am 20. Oktober 2000 vorgenommene Anrechnung von Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer ist mittels Abrechnung, nicht durch Steuerbescheide vorgenommen worden. Sie bedarf daher keiner gesonderten Anfechtung oder Aufhebung.
27Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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Referenzen
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