Beschluss vom Finanzgericht Düsseldorf - 15 Ko 521/11 KF
Tenor
Die Erinnerung wird zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Die Erinnerungsführer tragen die gerichtlichen Auslagen und die gerichtlichen Kosten.
1
Gründe:
2Die Erinnerungsführer –Ef.- wenden sich gegen den Gerichtskostenansatz in dem Verfahren 15 K 4944/08 Kg, AO; nach übereinstimmender Hauptsacheerledigung sind die Kosten des Verfahrens mit Beschluss vom 21. Dezember 2009 gegeneinander aufgehoben worden.
3Mit Beschluss vom 19. Januar 2011 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die aus der Staatskasse an die Ef. zu zahlende Vergütung gemäß §§ 45 RVG ff. auf 161,33 EUR fest. Die Vergütung berechnete sie durch Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr. Hiergegen wenden sich die Ef. mit dem Einwand, keine Zahlungen erhalten zu haben.
4Die Ef. beantragen,
5unter Änderung des Beschlusses vom 19. Januar 2011 die Vergütung ohne Anrechnung einer Geschäftsgebühr festzusetzen.
6Der Erinnerungsgegner beantragt,
7die Erinnerung zurückzuweisen.
8Die Erinnerung ist unbegründet.
9Der angefochtene Beschluss ist rechtmäßig; die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Vergütung zutreffend unter Anrechnung der Geschäftsgebühr festgesetzt.
10Nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG – VV RVG- wird, soweit wegen desselben Gegenstands eine Geschäftsgebühr nach den Nummern 2300 bis 2303 entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75, auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet.
11Der Tatbestand dieser gesetzlichen Regelung ist hier erfüllt. Die Ef. waren bereits vorgerichtlich für die Klägerin tätig und hatten damit einen Anspruch auf die Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG erwirkt. Nach dem – insoweit eindeutigen und nicht auslegungsfähigen – Wortlaut der Bestimmung hat die Anrechnung bereits mit der (bloßen) Entstehung der Gebühr zu erfolgen. Ob der Anwalt die Geschäftsgebühr tatsächlich erhalten hat bzw. erhält, ist nach dem Gesetzeswortlaut nicht maßgebend (Beschlüsse des Bundesgerichtshofs -BGH- vom 22. Januar 2008 VIII ZB 57/07, Neue Juristische Wochenschrift –NJW- 2008, 1323; des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen –OVG NW- vom 10. Juni 2010 18 E 1722/09, juris; des Hessischen Landesarbeitsgerichts –LAG- vom 10. Mai 2010 13 Ta 177/10, juris; a. A. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 18. A., VV 3100 Rdn. 217).
12Die Vorschrift gilt mangels einschränkender bzw. abweichender Bestimmung auch für Vergütungen, die – wie vorliegend - im Verfahren zur PKH aus der Staatskasse zu entrichten sind. Das Gesetz unterscheidet auch nicht danach, ob im nachfolgenden Verfahren PKH bewilligt und ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist; die vorgeschriebene Anrechnung knüpft ausschließlich an die Entstehung der Geschäftsgebühr an. Dieser Entscheidung des Gesetzgebers ist ungeachtet des Umstands Rechnung zu tragen, dass der im späteren gerichtlichen Verfahren im Wege der PKH beigeordnete Rechtsanwalt den gegen seinen Mandanten gerichteten Anspruch in der Regel nicht mit Erfolg wird geltend machen können, weil der Mandant ausweislich der Bewilligung von PKH nicht leistungsfähig ist. Im Übrigen kann der Anwalt diesem Risiko begegnen, indem er seinen Vergütungsanspruch durch einen Vorschuss des Mandanten sicherstellt oder sich über die Vorschriften der Beratungshilfe absichert (vgl. Beschlüsse des Oberlandesgerichts –OLG- Düsseldorf vom 27. Januar 2009 I-10 W 120/08; des Finanzgerichts –FG- Düsseldorf vom 27. November 2009 10 Ko 862/09 KF; des Hessischen LAG vom 10. Mai 2010 13 Ta 177/10; a. A. Beschluss des OLG Stuttgart vom 15. Januar 2008 8 WF 5/08; sämtlich: juris).
13Die Anrechnungsregelung der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG ist auch im Rahmen der Kostenfestsetzung vorzunehmen. Die Gegenansicht, dass die Bestimmung nur im Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten Anwendung finde, hat im Gesetz weder nach dem Wortlaut noch nach der Systematik eine Stütze; eine – denkbare – andere Lösung hätte der Entscheidung des Gesetzgebers bedurft (Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts –BVerwG- vom 22. Juli 2009 9 KSt 4/08; des BGH vom 22. Januar 2008 VIII ZB 57/07, NJW 2008, 1323, und vom 29. September 2009 X ZB 1/09, NJW 2010, 76; a. A. Beschlüsse des BGH vom 9. Dezember 2009 XII ZB 175/07, NJW 2010, 1375; vom 29. April 2010 V ZB 38/10, juris).
14Die Anrechnung der Geschäftsgebühr kann vorliegend auch nicht im Hinblick auf die am 5. August 2009 in Kraft getretene Regelung des § 15a RVG unterbleiben.
15Nach § 15a Abs. 1 RVG kann in Fällen, in denen das Gesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorsieht, der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag beider Gebühren. Danach stehen dem Rechtsanwalt im Innenverhältnis zum Mandanten sowohl die Verfahrens- als auch die Geschäftsgebühr zu. Das Verhältnis zu Dritten regelt § 15a Abs. 2 RVG: Ein Dritter kann sich auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat. Ob hiernach die Anrechnung der vorliegend an den Ef. nicht gezahlten Geschäftsgebühr zu unterbleiben hätte oder aber die Regelung des § 15a Abs. 2 RVG schon deshalb keine Anwendung findet, weil die Staatskasse nicht "Dritter" sei, da sie gleichsam an die Stelle des Mandanten trete (so etwa Beschlüsse des FG Düsseldorf vom 27. November 2009 10 Ko 862/09 KF; des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 4. Mai 2010 4 KO 409/10, sämtlich: juris, jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen), kann für die vorliegende Entscheidung dahinstehen.
16Ungeachtet der sich aus § 15a RVG ergebenden Rechtsfolgen ist diese neue gesetzliche Regelung hier schon deshalb nicht anzuwenden, weil dem Ef. der Auftrag bereits vor dem 5. August 2009 und damit vor Inkrafttreten der Bestimmung erteilt worden war. Eine Anwendung des § 15a RVG auf sog. Altfälle kommt aus Sicht des Senates nicht in Betracht.
17Zwar wird eine Erstreckung des neuen Gesetzes auf noch offene Altfälle teilweise mit der Begründung bejaht, dass der Gesetzgeber mit § 15a RVG die bisherige Regelung des RVG nicht geändert, sondern lediglich die bestehende Gesetzeslage klargestellt habe (etwa Beschluss des BGH vom 2. September 2009 II ZB 35/07, NJW 2009, 3101). Diese Auffassung begegnet indes Bedenken. Denn sie geht auf Gesetzesmaterialien zurück (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 16/12717 S. 67 f.), die erst dem in 2009 eingeführten Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Verfahren (Bundesgesetzblatt I 2009, 2449) zugrunde gelegen haben. Diesen Materialien kommt aber für eine Auslegung des Gesetzes in der bis zur Neuregelung gültigen Fassung keine entscheidende Bedeutung zu. Insoweit folgt der Senat den Ausführungen des BGH im Beschluss vom 29. September 2009 (X ZB 1/09, NJW 2010, 76), des OVG Lüneburg vom 27. Oktober 2009 (13 OA 134/09, juris) und des hiesigen FG vom 27. November 2009 (10 Ko 862/09 KF, juris).
18Ungeachtet dessen, ob eine derartige Wertung als bloße Klarstellung der bisherigen Gesetzeslage – statt (echter) Neuregelung – zu überzeugen vermag, scheitert die Heranziehung des § 15a RVG auf Altfälle an der Übergangsbestimmung des § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG (ebenso Beschlüsse des OVG Lüneburg vom 27. Oktober 2009 13 OA 134/09; des Hessischen LAG vom 10. Mai 2010 13 Ta 177/10; des OVG NW vom 10. Juni 2010 18 E 1722/09; sämtlich: juris). Nach dieser Vorschrift ist die Vergütung nach bisherigem Recht zu berechnen, wenn der Auftrag vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt oder der Anwalt vor diesem Zeitpunkt gerichtlich bestellt oder beigeordnet worden ist. Demnach ist hier auf die Rechtslage vor dem 5. August 2009 abzustellen, weil die Ef. bereits vor der Rechtsänderung (nämlich am 24. Juni 2009) Klage erhoben haben und somit schon damals mit der die Gebühren auslösenden Tätigkeit beauftragt gewesen waren.
19Allein aus der Existenz dieser Übergangsbestimmung ergibt sich, dass es auf die Motivationslage des Gesetzgebers bei einer gesetzlichen Neuregelung im Vergütungsrecht nicht entscheidend ankommen kann. Die Frage, welche rechtlichen Regelungen anwendbar sein sollen, ist vielmehr im Falle des Fehlens anderweitiger Übergangsbestimmungen nach § 60 RVG in formalisierter Weise zu beantworten. Liegen die Voraussetzungen dieser Bestimmung vor, ist bei einem Altfall die Vergütung nach bisherigem Recht zu berechnen; liegen sie nicht vor, findet auch für alle noch nicht entschiedenen Fälle das neue Recht Anwendung. Schon dies schließt es nach Auffassung des Senats aus, maßgeblich auf einen (vermeintlich) nur klarstellenden Charakter einer gesetzlichen Änderung im Vergütungsrecht abzustellen. Eine andere Sichtweise, die im Falle einer Änderung des RVG danach fragt, ob der Gesetzgeber eine Änderung der Rechtslage oder aber nur eine Klarstellung bewirken wollte, lässt zu Unrecht den sich aus der Übergangsbestimmung des § 60 Abs. 1 RVG ergebenden Rechtsanwendungsbefehl außer Acht (so bereits Beschluss des OVG Lüneburg vom 27. Oktober 2009 13 OA 134/09, juris). Zudem lässt die – überwiegend mit allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen argumentierende - Gegenansicht außer Acht, dass der Gesetzgeber mit Einführung des § 15a RVG weder die allgemeine Überleitungsvorschrift des § 60 RVG im Hinblick auf eine etwaige frühere Geltung des § 15a RVG modifiziert noch Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG irgendwie ergänzt oder verändert hat. Der Gesetzgeber hat vielmehr § 15a RVG neu ins Gesetz eingefügt, um die von ihm zunächst offenbar nicht bedachten Auswirkungen der Anrechnungsvorschriften für die Zukunft zu korrigieren. Bei dieser Sachlage besteht keine Veranlassung, seitens des Gerichts den Gesetzgeber nochmals zu korrigieren, um eine Rechtslage, die als unbillig empfunden wird, schneller zu korrigieren als vom Gesetzgeber vorgesehen (so schon Beschluss des Hessischen LAG vom 10. Mai 2010 13 Ta 177/10, juris).
20Die Kostenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.
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