Gerichtsbescheid vom Finanzgericht Düsseldorf - 4 K 4425/11 VE
Tenor
Der Steuerbescheid vom 25. August 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. November 2011 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war notwendig.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d:
2Am 14. März 2011 kontrollierten Beamte des Hauptzollamts X auf einem Rastplatz der Bundesautobahn A 2 den auf die Arbeitgeberin des Klägers zugelassenen LKW mit dem amtlichen tschechischen Kennzeichen ......... . Die Beamten stellten fest, dass der LKW, der von dem Kläger gefahren worden war, mit zwei Kraftstoffstanks ausgestattet war. In den Tanks befanden sich insgesamt 595 Liter Dieselkraftstoff, der in Tschechien getankt worden war. Der von der L hergestellte LKW verfügte ursprünglich über einen von dieser eingebauten Kraftstofftank für Überführungszwecke. Die M GmbH (M GmbH) mit Sitz in Österreich hatte den LKW zu einem Kraftfahrzeugtransporter umgebaut. Hierbei wurden von der M GmbH zwei Kraftstofftanks eingebaut.
3Das beklagte Hauptzollamt teilte dem Kläger mit Schreiben vom 25. August 2011 mit, dass es das gegen ihn eingeleitete Steuerstrafverfahren nach § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt habe, weil er nicht vorsätzlich gehandelt habe.
4Das beklagte Hauptzollamt setzte gegen den Kläger mit Bescheid vom 25. August 2011 288,99 EUR Energiesteuer fest. Zur Begründung führte es aus: Die 595 Liter Dieselkraftstoff hätten sich in nicht serienmäßig eingebauten Tanks befunden. Kraftstoff, der aus dem freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats in das deutsche Steuergebiet verbracht werde, sei nur dann von der Steuer befreit, wenn er sich in einem serienmäßig eingebauten Kraftstoffhauptbehälter des Fahrzeugs oder in einem Reservekanister befinde. Der Kläger sei als Verwender des Dieselkraftstoffs Steuerschuldner geworden. Er schulde die Steuer als Gesamtschuldner neben der A.
5Mit seinem hiergegen eingelegten Einspruch trug der Kläger vor: Herstellerin des LKW sei nicht die L, sondern die M GmbH gewesen. Diese habe die Tanks nicht nachträglich eingebaut. Die Tanks seien vielmehr im Rahmen der Herstellung des LKW eingebaut worden. Die erneute Besteuerung des Dieselkraftstoffs führe zudem zu einer nach Unionsrecht unzulässigen Doppelbesteuerung. Er sei auch nicht Steuerschuldner geworden, weil er nicht Besitzer des Dieselkraftstoffs gewesen sei. Seine Inanspruchnahme sei jedenfalls ermessensfehlerhaft.
6Das beklagte Hauptzollamt wies den Einspruch mit Entscheidung vom 25. November 2011 zurück und führte aus: Der Dieselkraftstoff sie nicht von der Steuer befreit gewesen, weil er sich nicht in einem von der L eingebauten Hauptbehälter befunden habe. Der Kläger sei Steuerschuldner, weil er den Dieselkraftstoff im Besitz gehabt habe. Die Inanspruchnahme des Klägers als Steuerschuldner sei ermessensgerecht. Durch den Hinweis auf weitere Gesamtschuldner in dem Steuerbescheid werde das Auswahlermessen in ausreichender Weise deutlich.
7Der Kläger wiederholt mit seiner Klage im Wesentlichen sein Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren.
8Der Kläger beantragt,
9den Steuerbescheid vom 25. August 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. November 2011 aufzuheben.
10Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung verweist es auf seine Einspruchsentscheidung.
13E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
14Die Klage ist begründet. Der Steuerbescheid vom 25. August 2011 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 25. November 2011 ist rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das beklagte Hauptzollamt hat die Energiesteuer zu Unrecht gegen ihn festgesetzt.
15Im Streitfall kann dahinstehen, ob für den in Rede stehenden Dieselkraftstoff die Steuer nach § 15 Abs. 2 Satz 1 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) entstanden ist. Das Gericht muss auch nicht entscheiden, ob der Kläger steuerrechtlich als Besitzer des Dieselkraftstoffs anzusehen ist und deshalb nach § 15 Abs. 2 Satz 3 EnergieStG Steuerschuldner geworden ist. Geht man mit dem beklagten Hauptzollamt von einer Entstehung der Steuer aus, so ist jedenfalls die Arbeitgeberin des Klägers als diejenige, die den Dieselkraftstoff verwendet hat, nach § 15 Abs. 2 Satz 3 EnergieStG Steuerschuldnerin geworden (vgl. hierzu Finanzgericht Hamburg, Urteil vom 6. November 2008 4 K 144/08, juris). Selbst wenn daneben der Kläger Steuerschuldner geworden sein sollte und deshalb Gesamtschuldner wäre (§ 44 der Abgabenordnung - AO -), erweist sich jedenfalls die Entscheidung des beklagten Hauptzollamts, den Kläger in Anspruch zu nehmen, als ermessensfehlerhaft.
16Nach § 102 Satz 1 FGO hat das Gericht die Ermessensentscheidung der Behörde daraufhin zu überprüfen, ob der Verwaltungsakt deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Wegen der Befugnis und Verpflichtung des Gerichts zur Überprüfung behördlicher Ermessensentscheidungen, die dem Gericht keinen Raum für eigene Ermessenserwägungen lassen, muss die Ermessensentscheidung spätestens in der Einspruchsentscheidung begründet werden (Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 20. Juli 2004 VII R 20/02, BFHE 207, 565).
17Im Abgabenrecht als Teil des öffentlichen Rechts steht die Entscheidung, welcher von mehreren Gesamtschuldnern aus demselben Rechtsgrund in Anspruch genommen werden soll, nicht im freien Belieben, sondern im pflichtgemäßen Auswahlermessen der Behörde steht, für das die allgemeinen Grundsätze des § 5 AO gelten. Der einzelne Abgabenschuldner kann deshalb nur auf Grund einer Ermessensentscheidung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der wirtschaftlichen Bedeutung der jeweiligen Tatbestandsverwirklichung in Anspruch genommen werden. Dies gilt auch dann, wenn die Behörde die Abgaben gegen alle in Betracht kommenden Gesamtschuldner festsetzt (BFH-Urteil in BFHE 207, 565).
18Wie intensiv das Auswahlermessen von der Behörde zu begründen ist, ist eine Frage des Einzelfalls und davon abhängig, welche für die Behörde ersichtlichen besonderen Umstände auf Seiten des jeweiligen Gesamtschuldners bestehen, die für oder gegen seine Inanspruchnahme sprechen und die deshalb in die Ermessenserwägungen und dementsprechend in die schriftliche Begründung des betreffenden Verwaltungsakts einfließen müssen (BFH-Urteil in BFHE 207, 565).
19Die Entscheidung des beklagten Hauptzollamts, den Kläger in Anspruch zu nehmen, ist bereits deshalb rechtswidrig, weil es nicht berücksichtigt hat, dass ein Abgabenschuldner nur auf Grund einer Ermessensentscheidung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und der wirtschaftlichen Bedeutung der jeweiligen Tatbestandsverwirklichung in Anspruch genommen werden kann (BFH-Urteil in BFHE 207, 565). Das beklagte Hauptzollamt hat weder in dem angefochtenen Steuerbescheid noch in der Einspruchsentscheidung (§ 44 Abs. 2 FGO) die besondere wirtschaftliche Situation des Klägers als bloßer Fahrer des LKW berücksichtigt. Es ist offenkundig, dass ihn als Arbeitnehmer die Belastung mit der Steuer ungleich größer trifft als seine Arbeitgeberin. Diese dürfte zudem eher in der Lage sein, die Steuer zu entrichten.
20Unbeschadet dessen hat das beklagte Hauptzollamt bei seiner Entscheidung, den Kläger in Anspruch zu nehmen, nicht berücksichtigt, dass er nicht vorsätzlich gehandelt hat. Es hat dem Kläger mit Schreiben vom 25. August 2011 mitgeteilt, das gegen ihn eingeleitete Steuerstrafverfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt zu haben, weil es davon ausgehe, dass er nicht vorsätzlich gehandelt habe. Unter diesen Umständen wäre zumindest eine kurze Begründung erforderlich gewesen, weshalb es das beklagte Hauptzollamt es für erforderlich hielt, auch den strafrechtlich gutgläubigen Kläger in Anspruch zu nehmen (vgl. BFH-Urteil in BFHE 207, 565).
21Anders als das beklagte Hauptzollamt gemeint hat, reichte im Streitfall nicht der bloße Hinweis darauf aus, dass der Kläger neben der A in Anspruch genommen worden sei. Dies machte eine Begründung der Ermessensentscheidung nicht entbehrlich. Denn auch bei der Entscheidung, die Steuer gegen alle Gesamtschuldner festzusetzen, handelt es sich um eine Auswahlentscheidung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 207, 565).
22Die Kostentscheidung beruht auf den §§ 135 Abs. 1, 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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