Beschluss vom Finanzgericht Düsseldorf - 4 V 1181/12 A (Erb)
Tenor
Die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids des Antragsgegners vom 23.11.2011 wird ab Fälligkeit ausgesetzt, soweit mehr als 1.722 € Erbschaftsteuer festgesetzt worden sind. Die Aussetzung der Vollziehung endet einen Monat nach Ergehen einer das Einspruchsverfahren abschließenden Entscheidung, spätestens aber mit Eintritt der Bestandskraft. Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
1
Gründe:
2I.
3Die Antragstellerin und ihre beiden Geschwister haben ausweislich des Erbscheins des Amtsgerichts A vom 01.02.2011 ihren am ......2009 in X (Spanien) verstorbenen Vater zu je 1/3 Anteil beerbt.
4Die drei Erben sind deutsche Staatsangehörige und wohnen in Spanien. Auch der Erblasser war deutscher Staatsangehöriger und wohnte seit Jahren in Spanien. Er war Eigentümer von drei Grundstücken, zwei in A und eines in B belegen.
5Die Grundbesitzwerte der Grundstücke wurden von den zuständigen Finanzämtern auf zusammen 1.284.301 € festgestellt. Außerdem war der Erblasser Inhaber von Konten und Depots bei zwei Banken und einer Sparkasse in Deutschland, deren Wert sich nach den eingegangenen Anzeigen zum Todestag auf insgesamt 521.448 € belief.
6Da die Antragstellerin trotz besonderer Aufforderungen keine Erbschaftsteuererklärung eingereicht hatte, schätzte der Antragsgegner die Besteuerungsgrundlagen und setzte die Erbschaftsteuer für den Erwerb der Antragstellerin von Todes wegen nach ihrem Vater mit Bescheid vom 23.11.2011 auf 63.390 € fest. Dabei berücksichtigte er nur die inländischen Grundstücke mit einem Wert von insgesamt 1.284.301 € abzüglich einer Pauschale für Erbfallkosten von 10.300 € und rechnete den drei Erben den Erwerb zu gleichen Teilen zu. Hiervon zog das Finanzamt einen Freibetrag von 2.000 € gemäß § 16 Abs. 2 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) ab.
7Zur Begründung des gegen den Erbschaftsteuerbescheid eingelegten Einspruchs trug die Antragstellerin vor, eine abschließende Entscheidung sei noch nicht möglich, weil die Verkehrswerte des Grundbesitzes auf den Todestag nicht rechtskräftig ermittelt worden seien und deshalb über den Wert des Erbes noch nicht befunden werden könne.
8Zudem stehe ihr ein Freibetrag von 400.000 € zu. Die Ungleichbehandlung von gebietsansässigen und gebietsfremden Steuerpflichtigen verstoße gegen die Grundfreiheiten. Insoweit werde auf das EuGH-Urteil vom 22.04.2010, C-510/08, verwiesen.
9Über den Einspruch hat der Antragsgegner noch nicht entschieden, der Antragstellerin aber mitgeteilt, dass er die Einspruchsbegründung als Antrag nach § 2 Abs. 3 ErbStG ansehe und dass der Erbfall insgesamt als unbeschränkt steuerpflichtig behandelt werde, wobei sich die unbeschränkte Steuerpflicht auf sämtliches inländisches und ausländisches Vermögen erstrecke.
10Die am 19.03.2012 beantragte Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheids lehnte der Antragsgegner am 21.03.2012 ab.
11Mit ihrem am 26.03.2012 beim Finanzgericht eingegangenen Antrag verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter, wobei sie sich allerdings nur noch gegen die Nichtgewährung des Freibetrags nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG wendet.
12Die Antragstellerin beantragt,
13die Vollziehung des Erbschaftsteuerbescheids des Antragsgegners vom 23.11.2009 auszusetzen.
14Der Antragsgegner beantragt,
15den Antrag abzulehnen,
16hilfsweise eine Aussetzung der Vollziehung nur gegen Sicherheitsleistung zu gewähren.
17Dazu führt er aus: Die Antragstellerin habe immer noch keine Erbschaftsteuererklärung eingereicht.
18Die unterschiedliche Steuerbelastung von gebietsansässigen und nicht gebietsansässigen Personen hinsichtlich des persönlichen Freibetrags von 400.000 € sei mit § 2 Abs. 3 ErbStG unionsrechtskonform geregelt.
19Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem EuGH-Urteil vom 22.04.2010, C‑510/08. Dieses Urteil betreffe nur einen Erwerb durch Schenkung und beziehe sich somit auf nur einen Vermögensgegenstand. Beim hier zu beurteilenden Erwerb von Todes wegen mit Nachlassvermögen in mehr als einem Staat lägen ganz andere Umstände vor.
20Hier lägen die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 ErbStG vor, so dass die Antragstellerin eine etwaige Ungleichbehandlung durch die Möglichkeit, zur unbeschränkten Steuerpflicht zu optieren, vermeiden könne. Ob das Schreiben ihres Vertreters vom 09.02.2012 als Antrag auf Option zur unbeschränkten Steuerpflicht ausgelegt werden könne, sei noch offen.
21Dies sei aber für dieses Verfahren bedeutungslos: Auf keinen Fall könne der Antragstellerin ein Freibetrag von 400.000 € bei beschränkter Steuerpflicht zustehen. Dies stelle eine weder durch Unionsrecht noch durch nationales Recht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber gebietsansässigen Personen dar. Schon weil das Kapitalvermögen in Deutschland nicht erfasst werde und Steuervergünstigungen aufgrund des Näheverhältnisses zum Erblasser auch bei der ausländischen Steuer vorgesehen seien, ergäben sich mehrfache, völlig unangemessene Steuerentlastungen.
22Die Feststellungen der Grundbesitzwerte seien vollziehbar. Etwaige Einwände gegen diese Werte könnten nicht im Verfahren gegen den Erbschaftsteuerbescheid berücksichtigt werden.
23II.
24Der Antrag hat weitgehend Erfolg.
25Das Finanzgericht kann gemäß § 69 Abs. 3 S.1 i. V. m. § 69 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Vollziehung eines angefochtenen Bescheides ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel sind nach ständiger BFH-Rechtsprechung anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsakts gewichtige Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung entscheidungserheblicher Tatfragen bewirken (s. zuletzt BFH Beschluss vom 24.02.2012, IX B 146/11, DStR 2012, 599 ff.).
26Bei diesem Prüfungsmaßstab bestehen an der Rechtmäßigkeit des Erbschaftsteuerbescheids des Antragsgegners vom 23.11.2009 ernstliche Zweifel, soweit mit ihm mehr als 1.722 € Erbschaftsteuer festgesetzt worden ist.
27Die persönliche Steuerpflicht der Antragstellerin ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG. Weder der Erblasser noch die Antragstellerin waren zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuer, dem Todestag des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) Inländer. Sie hatten beide keinen Wohnsitz und keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a ErbStG). Sie hatten sich, obwohl deutsche Staatsangehörige, auch länger als fünf Jahre im Ausland aufgehalten und auch im Inland keinen Wohnsitz gehabt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. b ErbStG). Zudem gehörten sie nicht zu dem in § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 Buchst. c ErbStG genannten Personenkreis.
28Die sich danach aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 ErbStG ergebende persönliche Steuerpflicht der Antragstellerin erstreckt sich nur auf Inlandsvermögen im Sinne des § 121 des Bewertungsgesetzes (BewG), im Streitfall nur auf den ererbten Grundbesitz, § 121 Nr. 2 BewG.
29Dessen Wert hat der Antragsgegner zutreffend mit den von den Finanzämtern A und B festgestellten Werten angenommen.
30Nach § 12 Abs. 3 ErbStG hat der Antragsgegner Grundbesitz im Sinne des § 19 Abs. 1 BewG mit dem nach 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG auf den Bewertungsstichtag, dem Todestag des Erblassers, festgestellten Wert anzusetzen. Die Wertfeststellung erfolgt nach § 151 Abs. 1 Nr. 1 BewG durch eine gesonderte Feststellung, wenn wie hier der Wert des Grundbesitzes für die Erbschaftsteuer von Bedeutung ist. Zuständig für diese gesonderte Feststellung ist nicht das für die Erbschaftsteuer zuständige Finanzamt, hier der Antragsgegner (s. § 35 ErbStG in Verbindung mit § 1 und Anlage 2 der Verordnung über die Zuständigkeit der Finanzämter vom 16.12.1987, GV. NW S. 450, zuletzt geändert durch die VO vom 13.11.2011, GV. NRW S. 562), sondern nach § 152 Nr. 1 BewG das Finanzamt, in dessen Bezirk das Grundstück liegt. Die danach zu erlassenden Feststellungsbescheide stellen für die Festsetzung der Erbschaftsteuer Grundlagenbescheide im Sinne des § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO) dar, deren Feststellungen nur durch Anfechtungen dieser Bescheide und nicht durch Anfechtung der Erbschaftsteuerbescheide, die insoweit Folgebescheide sind, angefochten werden können, § 351 Abs. 2 AO. Vielmehr binden die Feststellungen der Feststellungsbescheide über Grundbesitzwerte die Finanzämter, die Erbschaftsteuerbescheide erlassen (s. § 182 Abs. 1 Satz 1 AO). Diese Bindung entfällt nur, wenn die Feststellungsbescheide keine Wirkungen entfalten. Das wäre nur dann der Fall, wenn ihre Vollziehung ausgesetzt ist (s. § 361 Abs. 1 AO) oder sie nach § 125 Abs. 1 und 2 AO nichtig sind. Dazu aber ist im Streitfall nichts vorgetragen worden.
31Von dem so ermittelten Erwerb hat der Antragsgegner zu Recht mangels anderer Nachweise nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 2 ErbStG den Betrag von 10.300 € abgezogen.
32Soweit der Antragsgegner der Antragstellerin nur den Freibetrag nach § 16 Abs. 2 ErbStG gewährt hat, bestehen allerdings ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Erbschaftsteuerbescheides.
33Nach dem Wortlaut des § 16 Abs. 2 ErbStG steht der Antragstellerin auch kein höherer Freibetrag zu.
34Von dem durch Art. 11 Nr. 1 und 8, Art. 25 Abs. 4 des Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz – BeitrRLUmsG) vom 07.12.2011 (BGBl. I, 2592) auch für nicht bestandskräftig abgeschlossene Steuerfestsetzungen eingeführten Antragsrecht gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 ErbStG hat sie keinen Gebrauch gemacht. Nach dieser Vorschrift hätte sie beantragen können, den Erwerb nach ihrem Vater insgesamt als unbeschränkt steuerpflichtig zu behandeln, da sie und der Erblasser ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU hatten. Diese Befugnis findet nämlich nach § 37 Abs. 7 Satz 2 ErbStG auf Antrag auf Erwerbe Anwendung, für die die Steuer vor dem 14.12.2012 entstanden ist, soweit die diesbezüglichen Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig geworden sind.
35Aus ihrer Einspruchsbegründung ist zwar zu entnehmen, dass sie den Freibetrag des § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG begehrt, nicht aber einer vollumfänglichen Besteuerung des gesamten Erwerbs nach ihrem Vater – einschließlich unter Berücksichtigung etwaiger Vorerwerbe ‑ nach deutschem Erbschaftsteuerrecht zustimmt.
36Wegen der ernstliche Zweifel begründenden Bedenken an der Vereinbarkeit des § 16 Abs. 2 ErbStG mit dem Unionsrecht wird auf die Ausführungen in dem Senatsbeschluss vom 02.04.2012, 4 K 689/12 Erb, in Juris und NRWE veröffentlicht, verwiesen. Darin hat der Senat das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Union um eine Vorabentscheidung zu folgender Frage ersucht:
37Sind die Artikel 56 und 58 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung eines Mitgliedstaats über die Erhebung der Erbschaftsteuer entgegenstehen, die bei dem Erwerb durch Erbanfall eines im Inland belegenen Grundstücks von einer gebietsfremden Person für den gebietsfremden Erwerber nur einen Freibetrag von 2.000 Euro vorsieht, während bei einem Erwerb durch Erbanfall ein Freibetrag von 500.000 Euro gewährt würde, wenn der Erblasser oder der Erwerber zur Zeit des Erbfalls seinen Wohnsitz in dem betreffenden Mitgliedstaat hätte?
38Dass im Verfahren 4 K 689/12 Erb statt des hier streitigen Freibetrags des § 16 Abs. 1 Nr.2 ErbStG der Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG streitig ist, ist für die genannten rechtlichen Bedenken unerheblich. Auch der Freibetrag nach § 16 Abs. 2 ErbStG von 2.000 € ist im Vergleich zu dem einem Inländer eingeräumten Freibetrag von 400.000 € unverhältnismäßig gering.
39Zwar mag dem Antragsgegner zuzugeben sein, dass unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes Inländern für deren erbschaftsteuerlichen Erwerb höhere Freibeträge eingeräumt werden könnten als nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG beschränkt Steuerpflichtigen. Eine diesem Umstand Rechnung tragende, gleichwohl aber verhältnismäßige gesetzliche Regelung (s. Senatsbeschluss vom 02.04.2012, 4 K 689/12 Erb, Rz. 15 f.) besteht jedoch in § 16 Abs. 2 ErbStG nicht, so dass auch eine entsprechende Anpassung der Erbschaftsteuer nicht vorgenommen werden kann. Vielmehr ist zu Gunsten der Antragstellerin von dem Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG auszugehen.
40Daraus ergibt sich folgende Steuerberechnung:
41Inlandsvermögen des Erblassers 1.284.300 € (gerundet)
42Abzüglich Nachlassverbindlichkeiten - 10.300 €
43Verbleiben 1.274.000 €
44Davon 1/3 als Anteil der Antragstellerin 424.600 €
45Abzüglich Freibetrag - 400.000 €
46Verbleiben als Bemessungsgrundlage 24.600 €
47Steuersatz der Klasse I 7%
48Erbschaftsteuer 1.722 €
49Die Vollziehung des angefochtenen Bescheids war auch nicht nach § 69 Abs. 3 Satz 1, Halbsatz 2 FGO in Verbindung mit § 69 Abs. 2 Satz 3 FGO gegen Sicherheitsleistung auszusetzen, da der Antragsgegner eine Gefährdung seines Steueranspruchs nicht dargetan hat. Die Antragstellerin verfügt über erhebliches Inlandsvermögen.
50Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO.
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