Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 1 K 3669/09 Ki
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Kirchensteuerfestsetzungen 2005 und 2006 im Hinblick auf die nach § 4 Abs. 2 Satz 1 KiStG NW i. V. m. § 51a Abs. 2 Satz 2 EStG angeordnete Hinzurechnung von einkommensteuerlich freigestellten Einkünften i. S. des § 3 Nr. 40 EStG zur Bemessungsgrundlage für die Kirchensteuer.
3Der Kläger war in den Streitjahren sowie den Vorjahren Mitglied der Evangelischen Kirche. In den Veranlagungszeiträumen 2001 bis 2004 erzielte er dem Halbeinkünfteverfahren unterliegende Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von ./. 14.978.572.- DM (2001), ./. 4.285.707.- EUR (2002), 742.197.- EUR (2003) und 410.413.- EUR (2004). Außerdem erzielte er in den genannten Veranlagungszeiträumen weitere dem Halbeinkünfteverfahren unterliegende Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von ./. 37.622.- EUR (2001), 128.186.- EUR (2002), 148.368.- EUR (2003) und 180.460.- EUR (2004).
4Unter Berücksichtigung weiterer – nicht dem Halbeinkünfteverfahren – unterliegender Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von ./. 2.437.163.- DM (2001), ./. 66.292.- EUR (2002), 81.287.- EUR (2003) und 15.194.- EUR (2004) ergaben sich für einkommensteuerliche Zwecke Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von ./. 9.926.449.- DM (2001), ./. 2.209.145.- EUR (2002), 452.385.- EUR (2003) und 220.400.- EUR (2004). Zum 31.12.2004 ergab sich ein verbleibender Verlustabzug bei den Einkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von 11.084.011.- EUR
5In den Veranlagungszeiträumen 2001 und 2002 ergab sich – trotz positiver zu versteuernder Einkommen (unter Berücksichtigung von Freibeträgen für zwei Kinder) von 595.474.- DM (2001) und 14.752.- EUR (2002) - eine evangelische Kirchensteuer von jeweils 0.- EUR, weil das zu versteuernde Einkommen für die Berechnung der Kirchensteuer entsprechend § 4 Abs. 2 Satz 1 KiStG NW i. V. m. § 51a Abs. 2 Satz 2 EStG um die in diesen Jahren erzielten negativen einkommensteuerfreien Halbeinkünfte gemindert wurde.
6Im Veranlagungszeitraum 2005 erzielte der Kläger folgende dem Halbeinkünfteverfahren unterliegende Einkünfte (Einkommensteuerbescheid 2005 vom 18.11.2010):
7Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften: 1.349.042.- EUR
8Einkünfte aus Kapitalvermögen: 239.696.- EUR
9Im Veranlagungszeitraum 2006 erzielte der Kläger folgende dem Halbeinkünfteverfahren unterliegende Einkünfte (Einkommensteuerbescheid 2006 vom 18.11.2010):
10Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften: 1.888.370.- EUR
11Einkünfte aus Kapitalvermögen: 283.694.- EUR
12Einkünfte aus Gewerbebetrieb: 540.000.- EUR
13Mit Bescheiden für 2005 und 2006 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 28.09.2007 und 21.04.2009 setzte das Finanzamt - im Folgenden: FA - die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag ausgehend von einem zu versteuernden Einkommen von ./. 49.075.- EUR (2005) und ./. 407.270.- EUR (2006) auf jeweils 0.- EUR fest. Die evangelische Kirchensteuer setzte es auf 24.465,06 EUR (2005) und 33.397,20 EUR (2006) fest. Für die Berechnung der Kirchensteuer erhöhte das FA das zu versteuernde Einkommen (unter Berücksichtigung von Freibeträgen für zwei Kinder) entsprechend § 4 Abs. 2 Satz 1 KiStG NW i. V. m. § 51a Abs. 2 Satz 2 EStG um die in den jeweiligen Veranlagungszeiträumen erzielten einkommensteuerfreien Halbeinkünfte, wobei es seinerzeit von einkommensteuerfreien Halbeinkünften von 724.225.- EUR (2005) und 1.315.446.- EUR (2006) ausging.
14Gegen die Kirchensteuerfestsetzungen 2005 und 2006 vom 28.09.2007 und 21.04.2009 legte der Kläger Einspruch ein. Er machte geltend, bei der Berechnung der Kirchensteuer seien die in den Jahren 2005 und 2006 erzielten positiven einkommensteuerfreien Halbeinkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften mit negativen einkommensteuerfreien Halbeinkünften aus privaten Veräußerungsgeschäften aus den Vorjahren zu verrechnen. Im Verlauf des Einspruchsverfahrens erging am 08.01.2008 ein geänderter Bescheid über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer 2005, mit dem die Kirchensteuer auf 24.995,79 EUR erhöht wurde.
15Mit Einspruchsentscheidung vom 22.09.2009 wies die Evangelischen Kirche den Einspruch als unbegründet zurück. Sie führte zur Begründung aus, die Kirchensteuerfestsetzungen 2005 und 2006 entsprächen der gesetzlichen Regelung in § 4 Abs. 2 Satz 1 KiStG NW i. V. m. § 51a Abs. 2 Satz 2 EStG. Nach diesen Vorschriften sei bei der Ermittlung der Einkommensteuer als Maßstabsteuer für die Kirchensteuer das zu versteuernde Einkommen um die nach § 3 Nr. 40 EStG steuerfreien Beträge zu erhöhen und um die nach § 3c Abs. 2 EStG nicht abziehbaren Beträge zu mindern. Hierdurch habe der Gesetzgeber sicherstellen wollen, dass die steuererhebenden Religionsgemeinschaften durch das Halbeinkünfteverfahren nicht belastet würden. Nach den Urteilen des BVerwG vom 20.08.2008 9 C 9/07 (HFR 2009, 193) und des BFH vom 01.07.2009 I R 76/08 (BStBl II 2010, 1061) verstoße es nicht gegen das Prinzip der Folgerichtigkeit, wenn bei der Hinzurechnung des nach dem Halbeinkünfteverfahren einkommensteuerfreien Teils der Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften und Kapitalvermögen keine Verrechnung mit Verlustvorträgen erfolge. Es bestehe keine Verpflichtung des Gesetzgebers, alle Regelungen des EStG in das Kirchensteuerrecht zu übernehmen, wenn das Einkommen als Maßstab für die Kirchensteuererhebung dienen solle. Eine teilweise Nichtberücksichtigung von Verlustvorträgen bei der Ermittlung der Kirchensteuer werde durch den Gesetzeszweck gerechtfertigt, die durch das Halbeinkünfteverfahren entstehenden Kirchensteuereinbußen durch ein möglichst einfaches Verfahren auszugleichen.
16Mit der hiergegen gerichteten Klage macht der Kläger geltend, er habe in den Veranlagungszeiträumen 2001 bis 2004 einkommensteuerfreie negative Halbeinkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften in Höhe von rund 5.000.000.- EUR erzielt. Da negative einkommensteuerfreie Halbeinkünfte für die Festsetzung der Einkommensteuer ohne Bedeutung seien, bestehe auch anders als für negative steuerpflichtige Einkünfte keine Notwendigkeit einer gesonderten Feststellung. Obwohl die negativen einkommensteuerfreien Halbeinkünfte keine Auswirkung auf die Höhe der Einkommensteuer hätten, seien sie jedoch für die Festsetzung der Kirchensteuer von Bedeutung. Um dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit Rechnung zu tragen, seien die negativen einkommensteuerfreien Halbeinkünfte aus den Jahren vor 2005 mit den positiven einkommensteuerfreien Halbeinkünften der Jahre 2005 und 2006 zu verrechnen.
17Die den Urteilen des BVerwG vom 20.08.2008 9 C 9/07 (HFR 2009, 193) und des BFH vom 01.07.2009 I R 76/08 (BStBl II 2010, 1061) zugrunde liegenden Sachverhalte seien mit dem Streitfall nicht vergleichbar. In diesen Entscheidungen sei es um die Nichtanrechnung von nach § 10d EStG festgestellten, einkommensteuerrechtlich nicht verbrauchten Verlustvorträgen bei der Festsetzung der Kirchensteuer gegangen. Das BVerwG und der BFH hätten dies insbesondere deshalb für zulässig gehalten, weil die Versagung einer weiter gehenden Verrechnung der Bemessungsgrundlage der Kirchensteuer mit einkommensteuerrechtlich nicht verbrauchten Verlustvorträgen nicht zu einem definitiven Wegfall des Verlustverrechnungspotentials für Zwecke der Kirchensteuer führe, sondern der nicht verbrauchte Verlustabzug in nachfolgenden Veranlagungszeiträumen die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer und damit auch die Bemessungsgrundlage der Kirchensteuer reduziere. Demgegenüber komme es im Streitfall zu einer definitiven Nichtberücksichtigung der in den Jahren 2001 und 2002 erzielten einkommensteuerfreien negativen Halbeinkünfte. Dies sei mit dem Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit nicht vereinbar.
18Im Verlauf des Klageverfahrens hat das FA am 18.11.2010 geänderte Bescheide für 2005 und 2006 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer erlassen und die Kirchensteuer auf 26.860,77 EUR (2005) und 41.166,72 EUR (2006) festgesetzt.
19Der Kläger beantragt,
20die Bescheide für 2005 und 2006 über evangelische Kirchensteuer vom 18.11.2010 dahingehend zu ändern, dass die Kirchensteuer auf jeweils 0.- EUR herabgesetzt wird, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
21Der Beklagte beantragt,
22die Klage abzuweisen.
23Der Beklagte hält an seiner Auffassung fest, die Festsetzung der evangelischen Kirchensteuer entspreche den Vorschriften der § 4 Abs. 2 Satz 1 KiStG NW, § 51a Abs. 2 Satz 2 EStG. Unter Berücksichtigung der Urteile des BVerwG vom 20.08.2008 9 C 9/07 (HFR 2009, 193) und des BFH vom 01.07.2009 I R 76/08 (BStBl II 2010, 1061) sei der Ausschluss der Verrechnung der in den Jahren 2005 und 2006 erzielten positiven einkommensteuerfreien Halbeinkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften mit entsprechenden negativen einkommensteuerfreien Halbeinkünften aus den Vorjahren nicht zu beanstanden. Bei der Ordnung steuerrechtlicher Massenerscheinungen sei der Gesetzgeber dazu berechtigt, die Vielzahl der Einzelfälle in dem Gesamtbild zu erfassen, das nach den ihm vorliegenden Erfahrungen die regelungsbedürftigen Sachverhalte zutreffend wiedergebe. Auf dieser Grundlage dürfe er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Auch soweit im Fall des Klägers ein Ausnahmefall vorliege, sei der Gesetzgeber nicht zu der vom Kläger begehrten Verlustverrechnung verpflichtet, sondern dürfe diese auch im Fall des Klägers aufgrund der gesetzgeberischen Befugnis zur Typisierung ausschließen.
24Mit Schriftsätzen vom 28.06.2012 haben die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 90 Abs. 2 FGO).
25Entscheidungsgründe:
26Die Klage ist unbegründet.
27Die Bescheide über evangelische Kirchensteuer 2005 und 2006 vom 18.11.2010 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO). Die nach § 4 Abs. 2 Satz 1 KiStG NW i. V. m. § 51a Abs. 2 EStG als Bemessungsgrundlage der Kirchensteuer zu berechnende "fiktive" Einkommensteuer ist im Streitfall zu Recht in der Weise berechnet worden, dass das zu versteuernde Einkommen um die nach dem Halbeinkünfteverfahren einkommensteuerfreien Teile der in den Jahren 2005 und 2006 erzielten Einkünfte erhöht worden ist, ohne in den Jahren 2001 und 2002 erzielte und kirchensteuerlich nicht verbrauchte negative einkommensteuerfreie Halbeinkünfte von dem Erhöhungsbetrag abzuziehen.
28I. Die Berechnung der als Bemessungsgrundlage der Kirchensteuer dienenden "fiktiven" Einkommensteuer entspricht den gesetzlichen Regelungen in § 4 Abs. 2 Satz 1 KiStG NW i. V. m. § 51a Abs. 2 EStG.
29Der Kläger ist gemäß § 3 Abs. 1 KiStG NW kirchensteuerpflichtig. Nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KiStG NW i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a der Kirchensteuerordnung der Evangelischen Kirche – KiStO - kann die Kirchensteuer als Zuschlag zur Einkommensteuer erhoben werden. Zur Berechnung der Zuschlagsteuer verweisen § 4 Abs. 2 Satz 1 KiStG NW und § 6 Abs. 2 Satz 1 KiStO auf § 51a EStG in seiner jeweiligen Fassung.
30Nach § 51a Abs. 2 Satz 1 EStG in der in den Streitjahren gültigen Fassung ist Bemessungsgrundlage für die Zuschlagsteuern die Einkommensteuer unter Berücksichtigung – vorliegend nicht streitiger – Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG (Kinderfreibeträge). Gemäß § 51a Abs. 2 Satz 2 EStG ist für Zwecke der Ermittlung der Einkommensteuer im Sinne des Satzes 1 das zu versteuernde Einkommen um die nach § 3 Nr. 40 EStG steuerfreien Beträge zu erhöhen und um die nach § 3c Abs. 2 EStG nicht abziehbaren Beträge zu mindern.
31Im Streitfall entspricht die in den angefochtenen Kirchensteuerbescheiden angesetzte "fiktive" Einkommensteuer diesen Vorschriften. Im Streitjahr 2005 war das zu versteuernde Einkommen von ./. 56.091 EUR gemäß § 51a Abs. 2 Satz 1 EStG um 5.808.- EUR auf ./. 61.899.- EUR zu mindern. Diesem Betrag sind gemäß § 51a Abs. 2 Satz 2 EStG die nach § 3 Nr. 40 EStG einkommensteuerfreien Halbeinkünfte von 794.369.- EUR hinzuzurechnen, so dass das modifizierte zu versteuernde Einkommen 732.470.- EUR beträgt. Im Streitjahr 2006 war das zu versteuernde Einkommen von ./. 242.314.- EUR gemäß § 51a Abs. 2 Satz 1 EStG um 5.808.- EUR auf ./. 248.122.- EUR zu mindern. Diesem Betrag sind gemäß § 51a Abs. 2 Satz 2 EStG die nach § 3 Nr. 40 EStG einkommensteuerfreien Halbeinkünfte von 1.356.032.- EUR hinzuzurechnen, so dass das modifizierte zu versteuernde Einkommen 1.107.910.- EUR beträgt.
32Dass der Kläger in den Jahren 2001 und 2002 kirchensteuerlich nicht verbrauchte negative einkommensteuerfreie Halbeinkünfte erzielte, führt nach den genannten Vorschriften nicht zu einer Reduzierung der Kirchensteuer 2005 und 2006. Eine Berücksichtigung von negativen einkommensteuerfreien Halbeinkünften für Zwecke der Zuschlagsteuern sieht das Gesetz nur insoweit vor, als diese – wie vorliegend in den Jahren 2001 und 2002 - im Jahr ihrer Entstehung zu einer Minderung eines einkommen-steuerlich maßgebenden positiven zu versteuernden Einkommens führen.
33Eine planwidrige gesetzliche Regelungslücke, die eine Berücksichtigung kirchensteuerlich nicht verbrauchter negativer einkommensteuerfreier Halbeinkünfte aus Vorjahren im Rahmen der Bemessung der Kirchensteuer ermöglichen würde, wenn es in den Folgejahren aufgrund positiver einkommensteuerfreier Halbeinkünfte zu einer Erhöhung des zu versteuernden Einkommens nach § 51a Abs. 2 Satz 2 EStG kommt, besteht nicht.
34§ 51a Abs. 2 Satz 2 EStG bezweckt, die mit der Einführung des Halbeinkünfteverfahrens verbundenen Auswirkungen auf die Ermittlung der einkommensteuerlichen Bemessungsgrundlage für die Feststellung der Bemessungsgrundlage der Kirchensteuer zu neutralisieren (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses vom 08.11.2000, BTDrucks. 14/4546). Die einkommensteuerliche Freistellung der Hälfte der in § 3 Nr. 40 EStG aufgeführten Einkünfte beruht auf dem Gedanken, dass diese Einkünfte - insbesondere Ausschüttungen von Kapitalgesellschaften – auf der Ebene der Kapitalgesellschaft bereits einer körperschaftsteuerlichen Vorbelastung unterlegen haben. Da die Erträge von Kapitalgesellschaften jedoch nicht der Kirchensteuer unterliegen, besteht für eine hälftige Freistellung dieser Einkünfte auch bei der Kirchensteuer kein sachlicher Grund; vielmehr stellt die durch § 51a Abs. 2 Satz 2 EStG angeordnete Hinzurechnung eine folgerichtige Reaktion auf die Einführung des Halbeinkünfteverfahrens dar (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.08.2008 9 C 9/07, HFR 2009, 193; BFH, Urteil vom 01.07.2009 I R 76/08, BStBl II 2010, 1061 und Beschluss vom 15.09.2011 I R 53/10, BFH/NV 2012, 23). Wie sich den Gesetzesmaterialien entnehmen lässt, wollte der Gesetzgeber die Neutralisierung des Halbeinkünfteverfahrens gesetzestechnisch in einer Weise bewirken, die den Verwaltungsaufwand einer vollständigen Schattenveranlagung vermeidet (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzausschusses vom 08.11.2000, BTDrucks. 14/4546). Dieser Maßgabe entspricht es, nicht verbrauchte Verluste aus anderen Veranlagungszeiträumen nur insoweit zu berücksichtigen, wie dies auch einkommensteuerlich im Rahmen des § 10d EStG möglich ist.
35II. Die Nichtberücksichtigung der in den Jahren 2001 und 2002 erzielten und kirchensteuerlich nicht verbrauchten negativen einkommensteuerfreien Halbeinkünfte bei den streitigen Kirchensteuerfestsetzungen 2005 und 2006 verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und das daraus abgeleitete Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber eine Berücksichtigung von negativen einkommensteuerfreien Halbeinkünften für Zwecke der Kirchensteuer nur insoweit vorsieht, als diese im Jahr ihrer Entstehung zu einer Minderung eines einkommensteuerlich maßgebenden positiven zu versteuernden Einkommens führen, und keine Möglichkeit eines Vor- oder Rücktrags nicht verbrauchter negativer einkommensteuerfreier Halbeinkünfte geschaffen hat.
361. Nach der Rechtsprechung des BVerwG und des BFH verstößt es nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, dass der Gesetzgeber es nicht vorgesehen hat, eine Verrechnung der nach § 51a Abs. 2 Satz 2 EStG hinzurechnenden Beträge mit noch nicht verbrauchten Verlustvorträgen im Sinne von § 10d EStG vorzusehen (BVerwG, Urteil vom 20.08.2008 9 C 9/07, HFR 2009, 193; BFH, Urteil vom 01.07.2009 I R 76/08, BStBl II 2010, 1061 und Beschluss vom 15.09.2011 I R 53/10, BFH/NV 2012, 23). Auch die als Zuschlag zur Einkommensteuer erhobene Kirchensteuer unterliegt grundsätzlich dem Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit (BVerwG, Urteil vom 20.08.2008 9 C 9/07, HFR 2009, 193). Angesichts der dem Gesetzgeber zustehenden Befugnis zur Vereinfachung und Typisierung bei der Ordnung steuerrechtlicher Massenerscheinungen, zu denen auch die Erhebung und Festsetzung der Kirchensteuer gehört (BFH, Beschluss vom 16.11.2009 I B 58/09, BFH/NV 2010, 905), stellt der vorgenannte Ausschluss der Verlustverrechnung trotz der damit gegebenenfalls verbundenen Härten eine mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbare Regelung dar. Das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel, den Verwaltungsaufwand zu vermeiden, der durch das Erfordernis gesonderter Verlustfeststellungsverfahren für einkommensteuerliche und für kirchensteuerliche Zwecke entstehen würde, rechtfertigt entsprechende Härten in atypischen Fällen.
372. Der Senat verkennt nicht, dass der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt sich von den den vorstehend genannten Entscheidungen des BVerwG und des BFH zugrunde liegenden Sachverhalten in bedeutsamer Weise dadurch unterscheidet, dass es vorliegend zu einer endgültigen Nichtberücksichtigung der in den Jahren 2001 und 2002 erzielten und kirchensteuerlich nicht verbrauchten negativen einkommensteuerfreien Halbeinkünfte kommt. Demgegenüber bleiben dem Steuerpflichtigen nicht verrechenbare Verlustvorträge im Sinne von § 10d EStG auch kirchensteuerlich erhalten und mindern in künftigen Veranlagungszeiträumen – soweit sie dort die jeweilige Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer verringern – auch die Bemessungsgrundlage der Kirchensteuer. Dem Kläger ist auch zuzugeben, dass sowohl das BVerwG als auch der BFH dem Gesichtspunkt, dass eine Verlustverrechnung in den dort entschiedenen Fällen nicht endgültig ausgeschlossen, sondern lediglich zeitlich gestreckt wurde, bei der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit wesentliche Bedeutung zugemessen haben.
383. Der Senat ist gleichwohl der Auffassung, dass die Nichtberücksichtigung der in den Jahren 2001 und 2002 erzielten und kirchensteuerlich nicht verbrauchten negativen einkommensteuerfreien Halbeinkünfte bei den Kirchensteuerfestsetzungen 2005 und 2006 keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG darstellt, obwohl dies zu einer endgültigen Nichtberücksichtigung der genannten negativen einkommensteuerfreien Halbeinkünfte führt. Der endgültige Ausschluss der periodenübergreifenden Verrechnung von kirchensteuerlich relevanten positiven Halbeinkünften mit entsprechenden negativen Halbeinkünften widerspricht zwar dem objektiven Nettoprinzip. Das Bundesverfassungsgericht hat bisher jedoch offen gelassen, ob das objektive Nettoprinzip Verfassungsrang hat; jedenfalls kann der Gesetzgeber dieses Prinzip bei Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen und sich dabei generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen bedienen. Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung bedürfen allerdings eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes (z. B. BVerfG, Beschluss vom 06.07.2010 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268, HFR 2010, 981). Dementsprechend führt ein endgültiger Ausschluss des Verlustabzugs nicht zwangsläufig zu einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG; eine solche Regelung bedarf allerdings einer besonderen sachlichen Rechtfertigung. Insofern gilt ein strengerer Rechtfertigungsmaßstab als bei der verfassungsmäßigen Rechtfertigung einer bloßen zeitlichen Streckung der Verlustverrechnung (vgl. auch Desens, FR 2011, 745, 747 f.) oder einer Beschränkung der Verlustverrechnung auf gleichartige Einkünfte. In diesem Sinne versteht der Senat auch den Beschluss des BVerfG vom 30.09.1998 2 BvR 1818/91 (BVerfGE 99, 88, HFR 1999, 44), wonach der völlige Ausschluss der Verlustverrechnung bei laufenden Einkünften aus der Vermietung beweglicher Gegenstände nach § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG a. F. gegen das Gleichbehandlungsgebot verstößt, weil für diese Ungleichbehandlung gegenüber anderen Einkünften keine rechtfertigenden Gründe ersichtlich seien.
39Nach Auffassung des Senats wird auch der endgültige Ausschluss der periodenübergreifenden Verrechnung von nur kirchensteuerlich relevanten positiven Halbeinkünften mit entsprechenden negativen Halbeinkünften dadurch gerechtfertigt, dass hierdurch der erhebliche Verwaltungsaufwand einer gesonderten Feststellung der kirchensteuerlich nicht verbrauchten negativen einkommensteuerfreien Halbeinkünfte – allein für Zwecke der Kirchensteuer - vermieden wird. Die Vermeidung dieses Aufwands entspricht dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, "den Verwaltungsaufwand einer vollständigen Schattenveranlagung zur Neutralisierung des Halbeinkünfteverfahrens" zu vermeiden. Vor dem Hintergrund der dem Gesetzgeber zustehenden Befugnis zur Vereinfachung und Typisierung bei der Ordnung steuerrechtlicher Massenerscheinungen stellt das angestrebte Ziel der Vermeidung erheblichen Verwaltungsaufwandes vorliegend insbesondere auch deshalb eine besondere sachliche Rechtfertigung des Ausschlusses der Verlustverrechnung dar, weil es sich bei einem Sachverhalt wie dem vorliegenden – negative einkommensteuerfreie Halbeinkünfte, die das zu versteuernde Einkommen in dem betreffenden Veranlagungszeitraum übersteigen; positive einkommensteuerfreie Halbeinkünfte in einem späteren Veranlagungszeittraum - um einen eher seltenen Ausnahmefall handeln dürfte, den der Gesetzgeber im Rahmen einer generalisierenden und typisierenden Regelung von Verfassungs wegen nicht gesondert in den Blick nehmen musste. Zu berücksichtigen ist auch, dass andernfalls in sämtlichen Fällen kirchensteuerlich nicht verbrauchter negativer einkommensteuerfreier Halbeinkünfte gesonderte Feststellungen mit entsprechenden Fortschreibungen durchzuführen wären, ohne dass feststeht, dass der betreffende Steuerpflichtige in den Folgejahren auch tatsächlich positive einkommensteuerfreie Halb- bzw. Teileinkünfte erzielt.
40Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
41Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
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