Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 4 K 4341/12 Z
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ließ vom 03.08. bis zum 31.12.2009 beim Zollamt S des Beklagten 96 Sendungen Warensortimente mit Ursprung in den USA in den zollrechtlich freien Verkehr überführen. Zugleich beantragte sie die Abfertigung zum höchsten Zollsatz nach Art. 81 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ZK) und meldete die Waren unter der Unterposition 6109 10 10 der Kombinierten Nomenklatur (KN) für T-Shirts an. Die Zollstelle nahm die Anträge an und fertigte die Waren antragsgemäß ab.
3Auf Anordnung des Beklagten vom 16.01.2012 begann am 07.05.2012 bei der Klägerin eine Zollprüfung der Einfuhrabgaben für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis zum 31.12.2011 durch das Sachgebiet Prüfungsdienst des Beklagten, deren die o.a. Einfuhren betreffendes Ergebnis im Zwischenbericht vom Juli 2012, AB-Nr. 260020120025-D 1109, zusammengefasst wurde. Darin stellte der Prüfungsbeamte folgendes fest:
4Bei den 96 Sendungen, die im Einzelnen in der Anlage zum Prüfungsbericht aufgeführt sind, hat die Klägerin als „„A-Hosen“, „B-Hosen“, „C-Hosen“,D-Hosen" und „ E-Hosen“ bezeichnete Waren (Artikel-Nummern RNT38 ‑ Ordner 1/2 Bl. 81 f., 166-168 ‑, RNT349 ‑ Ordner 1/2 Bl. 86., 169-171 ‑, RNT38P, RASC306 ‑ Ordner 1/2 Bl. 92, 172-174 ‑, RASC349 ‑ Ordner 1/2 Bl. 93 ‑) eingeführt, die in die Unterposition 6104 63 00 KN einzureihen seien, die nicht nur zu einem Zollsatz von 12%, sondern auch noch zu einem Zusatzzoll von 15% führe.
5Zudem seien beim Zollbeleg AT/C/40/001033/11/2009/ 2607 Position 1 vom 20.11.2009 die Rechnungsbeträge und die Beförderungskosten unzutreffend zu niedrig angemeldet worden.
6Dadurch seien € Zusatzzoll und € Zoll zu wenig entrichtet worden.
7Im endgültigen Prüfungsbericht vom 24.09.2012, AB-Nr. 260020120025-D 1109, bestätigte der Prüfungsdienst des Beklagten seine bisherigen Feststellungen. Zudem stellte er fest, dass die Klägerin für die o.a. als Leggings bezeichneten Waren in ihrem Warenwirtschaftssystem die Unterposition 6104 63 00 KN hinterlegt hatte (Tz. 3.7.2). Auch hatte das Zollamt S von den beanstandeten 346 Einfuhren in 186 Fällen eine Beschaffenheitsbeschau durchgeführt, in denen nach den dokumentierten Beschauergebnissen jeweils T-Shirts festgestellt wurden. Gewirkte lange Hosen aus synthetischen Chemiefasern hat das Zollamt S in keinem Fall festgestellt (Tz. 3.7.2).
8Bei den o.a. Waren handelte es sich um Bekleidungsstücke, die zu 100% aus synthetischen Chemiefasern gewirkt waren. Die in Größen für Erwachsene konfektionierten Bekleidungsstücke waren hosenähnlich und wiesen knöchellange Beine ohne Fußteile auf. Sie hatten einen die Taille abschließenden elastischen Bund in unterschiedlicher Breite (2,5 bis 12,7 cm). An den Kleidungsstücken waren vorn weder eine Öffnung noch ein Verschluss, aber Nähte an den Innenseiten der Beine vorhanden. Merkmale, die auf einen bestimmten Trägerkreis hinwiesen, waren nicht feststellbar. Die Bekleidungsstücke konnten ohne weiteres als eine lange, den Unterkörper bedeckende Hose getragen werden.
9Der Beklagte folgte den Feststellungen im Zwischenbericht und erhob mit Einfuhrabgabenbescheid vom 19.07.2012 von der Klägerin bezugnehmend auf den beigefügten Bericht € Zusatzzoll und € Zoll nach.
10Dagegen legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 21.11.2012 als unbegründet zurückwies. Dazu führte er aus:
11Die sog. Leggings seien der Unterposition 6104 63 zuzuweisen. Nach Anmerkung 1 zu Kapitel 61 gehörten nur konfektionierte Waren aus Gewirken oder Gestricken zu Kapitel 61. Als konfektioniert hätten nach Anmerkung 7 Buchst. e zu Abschnitt XI Waren zu gelten, die durch Nähen zusammengefügt worden seien. Dies sei bei den Leggings, die an den Innenseiten der Hosenbeine Nähte aufwiesen, der Fall. Zudem bestünden die Leggings aus Trikot und damit aus Gewirken.
12Auf Grund ihres Zuschnitts und Verwendungszwecks seien die Leggings hosenähnlich und würden als lange, den Unterkörper bedeckende Hosen getragen. Da sie zudem auf der Vorderseite weder eine Öffnung noch einen Verschluss aufwiesen, noch sonst Merkmale hätten, die die Bestimmung für ein Geschlecht erkennen ließen, seien sie nach Anmerkung 9 Abs. 2 zu Kapitel 61 als Frauen- oder Mädchenkleidung einzureihen. Sie seien zudem nach den Angaben auf dem Etikett aus synthetischen Chemiefasern hergestellt und fielen unter die Unterposition 6104 63.
13Gleiches gelte für die sog. „B-Hosen“, die mit einer mit dem bloßen Auge nicht erkennbaren Beschichtung versehen seien. Nach Anmerkung 2 Buchst. a Nr. 1 zu Kapitel 59 seien Gewebe, bei denen die Beschichtung mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar sei, von der Position 5903 ausgenommen. Dementsprechend komme eine Einreihung dieser Ware in die Position 6113 nicht in Betracht.
14Zur Begründung ihrer fristgerecht erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, die streitbefangenen Waren seien in die Unterposition 6406 90 90 KN, hilfsweise in die Unterposition 6115 21 KN einzureihen.
15Leggings seien ähnliche Waren im Sinne der Position 6406. Dafür spreche Rz. 12.0 und 14.0 der Erläuterungen zum Harmonisierten System (Erl (HS)), sowie die englische und die französische Sprachfassung der KN. In der englischen Sprache bezeichneten „leggings“ auch Hosen. Gleiches gelte für den Begriff „jambières“ in der französischen Sprachfassung. Eine Einreihung in die Position 6104 scheide wegen Anmerkung 1 n) zu Abschnitt XI aus.
16Leggings lägen auch vor, wenn die beiden Hosenbeine miteinander verbunden seien. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus Erl (HS) zu Pos. 6406 Rz. 12.0.
17Eine Strumpfhose der Unterposition 6115 21 KN liege auch bei Fehlen der Fußteile und Nähte an der Innenseite der Beine vor. Es gebe viele Strumpfhosen, die mit Nähten verkauft würden. Für die diesbezügliche Einreihungsauffassung des Beklagten gebe es keinen Rechtsgrund. Angaben zur Feinheit des verwendeten Garns auf den Verpackungen seien für die Einreihung unerheblich. Zudem reihten verschiedene vZTAe Leggings als Strumpfhosen ein (DE6456/11-1, DE20073/10-1 und GB117907561). Auch sei die Bezeichnung Strumpfhose genauer als die Bezeichnung Hose, Allgemeine Vorschrift (AV) 3 a).
18Der Zusatzzoll beruhe auf der Verordnung (EG) Nr. 673/2005 des Rates zur Einführung zusätzlicher Zölle auf die Einfuhren bestimmter Waren mit Ursprung in den Vereinigten Staaten von Amerika – VO 673/2005 –. Sie sei bei der dargelegten, zutreffenden Einreihung nicht anwendbar.
19Selbst wenn sie anwendbar sein sollte, scheide ihre Anwendung jedenfalls dann aus, wenn – wie hier – die Einreihung auf Antrag nach Art. 81 ZK erfolgt sei. Art. 81 ZK gestatte nur die Anwendung des in der KN vorgesehenen höchsten Zollsatzes.
20Die VO 673/2005 diene nur dem Ausgleich von Antidumpingzöllen für Waren aus der EU, die die USA erhoben hätten. Dieser Ausgleich sei nach einer schiedsgerichtlichen Entscheidung im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) nur insoweit mit dem WTO-Recht vereinbar, als sie 72% der Auszahlungen der in den USA für Waren aus der EU entrichteten Antidumpingzölle erreichten. Daher enthalte die VO 673/2005 im Anhang eine Warenliste, die die Zusatzzölle auf diese Höhe der Erstattungen begrenze und jährlich angepasst werde. Damit sei eine Erstreckung der Zusatzzölle auf andere als im Anhang zur VO 673/2005 enthaltene Waren nicht zu rechtfertigen.
21Dies gelte auch, wenn die Anwendung der Zusatzzölle auf Art. 81 ZK beruhen sollte, insoweit habe Art. 81 ZK als bloß verfahrensrechtliche Vorschrift hinter der VO 673/2005 als speziellerer und neuerer Vorschrift zurückzutreten.
22Dieses Ergebnis folge auch aus einer WTO-rechtskonformen Auslegung des Art. 81 ZK.
23Zudem sei die Zulassung zur vereinfachten Einreihung rechtswidrig gewesen. Voraussetzung einer Zulassung sei nämlich ein unverhältnismäßiger Aufwand im Verhältnis zur Höhe der Einfuhrabgaben. Daran fehle es aber hier.
24Die Anwendung des Zusatzzolls der VO 673/2005 sei nämlich unverhältnismäßig. Art. 81 ZK räume dem Zollanmelder ein vereinfachtes Verfahren ein, um Kosten zu sparen, die außer Verhältnis zu den anfallenden Einfuhrabgaben stünden. Als Gegenleistung werde der höchste in Betracht kommende Zollsatz akzeptiert. Hier liege aber die Gegenleistung bei einer Zollbelastung von 27%, obwohl der Anteil der Leggings an den jeweiligen Einfuhren nur zwischen 1 und 4% gelegen habe.
25Die Nacherhebung verstoße auch gegen Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK. 2009 habe das Zollamt S fast jede Sendung beschaut. Dabei hätten der Zollstelle auch die Handelsrechnungen, in denen die Waren vollständig beschrieben worden seien, vorgelegen. In der beanstandungslosen Entgegennahme zahlreicher Zollanmeldungen liege ein aktiver Irrtum, den sie im Hinblick auf die komplizierte Rechtslage nicht habe erkennen können.
26Da ihre Zollanmeldungen nach Art. 81 ZK erfolgt seien, habe eine Beschaffenheitsbeschau nur das Ziel haben können, die Ware mit der höchsten Einfuhrabgabenbelastung festzustellen. Dabei habe sie nicht nachzuweisen, dass der Beklagte auch Leggings untersucht habe. Vielmehr müsse der Beklagte nachweisen, bei der Einreihung der Leggings keinen Irrtum begangen zu haben, zumal er eingeräumt habe, nahezu jede Sendung beschaut zu haben.
27Der Prüfungsbeamte selbst habe nämlich wegen der Einreihung der Leggings die Hilfe des Bildungs- und Wissenschaftszentrums (BWZ) in Anspruch genommen.
28Auch habe sie alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten. Der Antrag nach Art. 81 ZK sei nämlich kein Teil der Zollanmeldung.
29Die Klägerin beantragt,
30den Einfuhrabgabenbescheid des Beklagten vom 19.07.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.11.2012 aufzuheben,
31hilfsweise die Revision zuzulassen.
32Der Beklagte beantragt,
33die Klage abzuweisen,
34und verweist auf den Einfuhrabgabenbescheid und die Einspruchsentscheidung. Ergänzend führt er aus, die streitbefangenen Waren seien als lange Hosen aus Gewirken, für Frauen und Mädchen, aus synthetischer Chemiefaser in die Unterposition 6104 63 00 KN einzureihen. Die in Position 6406 genannten Beinlinge (Leggings) bestünden aus zwei nicht miteinander verbundenen Hosenbeinen.
35Die danach zutreffende Einreihung habe die Erhebung des Zusatzzolls zur Folge, die die Klägerin nur hätte vermeiden können, wenn sie die Waren gesondert angemeldet hätte.
36Eine Einreihung der streitigen Waren als Strumpfhosen scheide auch aus, da Strumpfhosen eine aus zwei sich überlagernden Strümpfen gefertigte Unterleibsbekleidung seien, die – wie Strümpfe – an der Innenseite nahtlos seien. Zudem werde bei Strumpfhosen für die Einreihung in die zutreffende Unterposition anders als hier immer die Feinheit des verwendeten Garns angegeben. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den von der Klägerin genannten vZTAen.
37Schließlich sei es schon wegen Einfuhren aus 2007 in 2008 zu vergleichbaren Nacherhebungen gekommen.
38Ein Irrtum, der ein Absehen von der Nacherhebung nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK rechtfertigen könne, sei nicht ersichtlich. Zudem werde bei einer Abfertigung nach Art. 81 ZK nicht erwartet, dass der Abfertigungsbeamte die Ware mit der höchsten in Betracht kommenden Zollbelastung ermittele. Vielmehr sei die Klägerin verpflichtet gewesen, den Zollantrag zutreffend auszufüllen und die Waren nach der höchsten in Betracht kommenden Abgabenbelastung zu ermitteln. Dies sei der Klägerin auch zuzumuten gewesen, da sie seit Oktober 2003 mit dem Import von Textilien befasst sei. Bei schwierigen Einreihungen hätte sie eine vZTA beantragen müssen.
39Spätestens mit den Nacherhebungsbescheiden vom Mai 2008, die gleichgelagerte Fälle betroffen hätten, sei eine Gutgläubigkeit ausgeschlossen.
40Entscheidungsgründe:
41Die Klage ist unbegründet.
42Der Beklagte hat mit dem Einfuhrabgabenbescheid vom 19.07.2012 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.11.2012 den darin erhobenen Zoll und Zusatzzoll zu Recht gegenüber der Klägerin festgesetzt. Sie wird dadurch nicht in ihren Rechten verletzt, § 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
43Ist wie hier ein der Zollschuld nicht entsprechender Zollbetrag mit einem geringeren als dem gesetzlich geschuldeten Betrag buchmäßig erfasst worden, ist die buchmäßige Erfassung des Differenzbetrags nachzuholen, Art. 220 Abs. 1 Satz 1 ZK. Dazu sind in Deutschland entsprechende Steueränderungsbescheide zu erlassen, Art. 221 Abs. 1 ZK.
44Für die in den zollrechtlich freien Verkehr überführten Waren ist die Klägerin Schuldnerin der nach Art. 201 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3 S. 1 ZK entstandenen Zollschuld geworden.
45Der dabei anzuwendende Abgabensatz ergibt sich nach Art. 20 Abs. 1 ZK aus dem Zolltarif. Dieser ist im Streitfall eine sonstigen Gemeinschaftsregelung gemäß Art. 20 Abs. 3 Buchst. g ZK, der VO 673/2005, die für Einfuhren in 2009 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 317/ 2009 der Kommission vom 17.04.2009 (ABl. EU Nr. L 100, 6) anzuwenden ist. Art. 2 der VO 673/2005 sieht einen Zusatzzoll von 15% des Wertes der eingeführten Waren vor, die in Anhang I zur VO 673/2005 aufgeführt sind. Anhang I der VO 673/2005 bestimmt in der hier anzuwendenden Fassung den Zusatzzoll für Waren der Unterposition 6104 63 00 KN. Diese Unterposition ist nach der Vorbemerkung zu Anhang I der VO 673/2005 der KN (s. Art. 20 Abs. 3 Buchst. a ZK) in der Fassung der VO (EG) Nr. 493/2005 (ABl. EU Nr. L 82) zu entnehmen. Die durch die VO (EG) Nr. 493/2005 geänderte KN ist der Anhang I, der mit der Verordnung (EG) Nr. 1810/2004 der Kommission vom 07.09.2004 zur Änderung des Anhangs I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. EU 2004 Nr. L 327) veröffentlicht wurde.
46Danach werden von der Position 6104 u.a. lange Hosen (einschließlich Kniebundhosen und ähnliche Hosen), aus Gewirken und Gestricken, für Frauen oder Mädchen erfasst, die in Abgrenzung zu den anderen, dieser Position zugewiesenen Waren auch in der Unterposition 6104 6 genannt sind. Innerhalb dieser Unterposition gehören Waren aus synthetischen Chemiefasern in die Unterposition 6104 63, die mangels weiterer Unterteilung die Unterposition 6104 63 00 KN ist.
47Nach ständiger Rechtsprechung (s. Gerichtshof der Europäischen Union ‑ EuGH ‑ v. 15.11.2012, C-558/11, Rz. 29 mwN.) ist im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen ist, wie sie im Wortlaut der Positionen der Kombinierten Nomenklatur und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind (s. Allgemeine Vorschriften (AV) 1 und 6).
48Danach handelt es sich bei den streitgegenständlichen Leggings um lange Hosen, aus Gewirken und Gestricken, für Frauen und Mädchen, die in die Position 6104 und innerhalb dieser Position aufgrund der synthetischen Spinnstoffe, aus denen sie bestehen, in die Unterposition 6104 63 00 KN einzureihen sind.
49Die Leggings waren hosenähnlich. Ihnen fehlten Fußteile. Sie konnten ohne weiteres als lange, den Unterkörper bedeckende Hosen getragen werden.
50Da die Leggings keine Merkmale aufweisen, die auf einen bestimmten Trägerkreis hinweisen, insbesondere vorn weder eine Öffnung noch einen Verschluss haben, sind sie nach Anmerkung 9 Abs. 2 zu Kapitel 61 als Frauen- oder Mädchenkleidung einzureihen.
51Entgegen den Ausführungen der Klägerin sind die Leggings nicht als Waren der Position 6406 oder der Position 6115 einzureihen.
52Unter die Position 6406 fallen im hier interessierenden Zusammenhang u.a. nur Gamaschen und ähnliche Waren. Für die Auslegung der Positionen der KN, die vollständig den Positionen der Nomenklatur des Internationalen Übereinkommens über das Harmonisierte System zur Bezeichnung und Codierung von Waren vom 14.06.1983 (HS-Übereinkommen), das durch Beschluss des Rates vom 07.04.1987, ABl. EG Nr. L 198, 1 genehmigt wurde, entsprechen, ist nach Art. 20 Abs. 3 dieses Übereinkommens nur der Wortlaut in englischer und französischer Sprache maßgebend.
53Gamaschen und ähnliche Waren werden in der französischen Sprachfassung als „guêtres, jambières et articles similiares“ und in der englischen Sprachfassung als „gaiters, leggings and similar articles“ bezeichnet.
54Nach den Warenbezeichnungen in französischer Sprache handelt es sich bei „guêtres“ um Gamaschen und Halbgamaschen, und bei „jambières“ um Beinschienen, Beinschützer, Beinschutz, Gamaschen, sog. Legwarmer und Stulpen. Keiner dieser Bezeichnungen ist zu entnehmen, dass diese Waren eine hosenähnliche Form aufweisen können.
55Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den von der Klägerin vorgelegten französischen Wörterbüchern.
56Dem widerspricht die englische Sprachfassung nicht. Unter „gaiters“ sind Stulpen oder Gamaschen zu verstehen. Selbst die Bezeichnungen „leggings and similar articles“ lassen nicht erkennen, dass die darunter fallenden Waren hosenähnlich sein dürfen, nämlich ein zwei miteinander verbundenes, beide Beine und den Unterkörper bedeckendes Kleidungsstück darstellen können.
57Im Englischen hat der Begriff „leggings“, wie sich auch aus den von der Klägerin vorgelegten Wörterbüchern (Oxford American Dictionary and Thesaurus; The New Penguin English Dictionary; Collins Concise Dictionary) und aus weiteren Wörterbüchern (Langenscheidt Muret-Sanders Großwörterbuch Englisch Teil 1, Neubearbeitung 2010; Langenscheidt/Collins Großwörterbuch Englisch Englisch-Deutsch, Deutsch-Englisch, 2008; Concise Oxford English Dictionary, 11. Auflage; Oxford Advanced Learner´s Dictionary of current English, 8. Auflage) ergibt, zwei Bedeutungen: Zum einen bezeichnet er gamaschenähnliche Kleidungsstücke, zum anderen sehr eng geschnittene Hosen für Frauen und Kinder. Letztere werden aber nicht von der Position 6406 erfasst. Dies ergibt sich aus dem Vergleich mit den übrigen, von der Position umfassten Waren. Hierbei handelt es sich nämlich einerseits um Schuhteile und andererseits um Gamaschen und ähnliche Waren, die wie Schuhe für jeden Fuß und jedes Bein voneinander getrennt sind, Waren wie Hosen aber nicht umfassen.
58Diese Auslegung wird auch durch die Entwicklung der Position 6406 deutlich. Im Gemeinsamen Zolltarif der EWG, wie er erstmals in der Verordnung (EWG) Nr. 950/68 des Rates vom 28. Juni 1968 über den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. EG Nr. L 172/1) mit Wirkung zum 01.07.1968 veröffentlicht wurde, war die heutige Position 6406 in den Tarifnummern 64.05 für Schuhteile und 64.06 für Gamaschen, Schienbeinschützer und ähnliche Waren sowie Teile davon erfasst; in Französisch „Guêtres, jambières, molletières, protège-tibias et articles similaires et leurs parties“. Die inhaltlich unveränderte Tarifnummern wurden nach dem Beitritt Großbritanniens zum 01.01.1973 in der englischen Fassung des Gemeinsamen Zolltarifs (VO (EWG) Nr. 1/73, ABl. EG Nr. L 1/1) als „Gaiters, spats, leggings, puttees, cricet pads, shin-guards and similar articles, and parts thereof“ übersetzt. Da damit eine inhaltliche Änderung der Tarifnummer mit dem Ziel der Einbeziehung von Damenhosen nicht verbunden war, waren unter Leggings nur Kleidungsstücke zu verstehen, die ein Bein ganz oder teilweise bedeckten, aber nicht miteinander verbunden waren.
59Anhaltspunkte dafür, dass die seit dem 01.01.1988 geltenden KN in der Fassung der VO (EWG) Nr. 2658/87 (ABl. EG Nr. L 256/1), die seitdem hinsichtlich der Position 6406 auch keine Änderung erfahren hat, auch als Leggings genannte Hosen umfassen sollte, sind nicht erkennbar.
60Vielmehr zeigen auch die Erläuterungen zum Harmonisierten System (HS) zu Position 6406 in Rz. 14.0, dass diese Position Hosen nicht umfassen. Vielmehr werden die in der Klammer als Leggings bezeichneten Waren als Beinlinge bezeichnet. Damit wird klargestellt, dass es sich nicht um Hosen oder hosenähnliche Kleidungsstücke handelt.
61Die Erläuterungen zum HS sind ein wichtiges, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Ermittlung der Tragweite der einzelnen Tarifpositionen (EuGH Urteil v. 09.07.2012, C-291/11, Rz. 32 mwN.). Sie dürfen nur deren Bedeutung nicht verändern und müssen sich im Rahmen des der Wellzollorganisation eingeräumten Ermessens halten (EuGH Urteile v. 09.02.1999 C-280/97, Rz. 23 f., v. 29.10.2009 C-522/07 und C-65/08, Rz. 30-32). Davon ist im Streitfall auszugehen, denn die Erläuterungen halten sich im Rahmen des von der englischen und französischen Sprachfassung vorgegebenen Inhalts.
62Gegen die Annahme der Klägerin, der Begriff „leggings“ in der englischen Sprachfassung umfasse auch die streitigen Waren, spricht zudem, dass zu Waren der Position 6406 in der EU bislang noch keine verbindlichen Zolltarifauskünfte ergangen sind, in der als „leggings“ bezeichnete Waren eine hosenähnliche Form aufwiesen.
63Bei den als Leggings bezeichneten Waren handelt es sich auch nicht um Strumpfhosen der Position 6115, denn bei Strumpfhosen handelt es sich um eine aus zwei sich überlagernden Strümpfen gefertigte Unterleibsbekleidung. Dazu gehören die streitgegenständlichen Waren jedoch nicht, denn sie haben – anders als Strümpfe – an den Innenseiten der Hosenbeine Längsnähte und sind nicht wie Strumpfhosen rundgewebt, sondern aus Stoffteilen zusammengenäht. Zudem sind sie nach ihrer Machart aus vergleichsweise festen, blickdichten Stoffen als Oberbekleidung zu tragen. Damit zusammenhängend stellt auch das Vorhandensein von Längsnähten innen an den Beinen ein brauchbares Indiz für das Vorliegen einer Hose dar. Bei den von der Klägerin vorgelegten Beispielen von Nahtstrumpfhosen handelt es sich nicht um als Hose zu tragende Bekleidung, sondern um eine Bekleidung, die keine Hose ersetzt, sondern unter einem Rock oder einer auch kurzen Hose als Unterbekleidung getragen wird. Zudem sind bei Strumpfhosen, insbesondere im sog. „Retrolook“, die Nähte nicht an der Innenseite der Beine, sondern auf der Rückseite zu finden.
64Auch war der die Taille abschließende elastische Bund mit 2,5 bis 12,7 cm breiter als es für eine Unterbekleidung nötig wäre.
65Darüber hinaus weisen die streitgegenständlichen Waren keine Angaben zur Feinheit der für ihre Herstellung verwendeten Garne auf. Dies ist aber bei Strumpfhosen, die wie die streitgegenständlichen Waren aus synthetischen Chemiefasern gefertigt sind, nicht nur aus zolltariflichen Gründen (Unterpositionen 6115 21 00 und 6115 22 00 KN) nötig, sondern auch im Geschäftsverkehr weit verbreitet.
66Eine andere, dem widersprechende Einreihungspraxis ist auch nicht den veröffentlichen verbindlichen Zolltarifauskünften zu entnehmen.
67Der Beklagte durfte auch für alle Sendungen, für die die Zollstelle der Klägerin auf Antrag nach Art. 81 ZK bewilligt hatte, die Zollbelastung nach der höchsten Einfuhrabgabenbelastung zu ermitteln, den Zollsatz nach Art. 2 der VO 673/2005 bestimmen.
68Die erteilten Bewilligungen, zollrechtliche Entscheidungen nach Art. 6 ZK, sind weder nach Art. 8 ZK widerrufen noch von der Klägerin angefochten worden, so dass es auf die von der Klägerin behauptete Rechtswidrigkeit der Bewilligungen nicht ankommt.
69Entgegen den Ausführungen der Klägerin kommt es für den Zollsatz bei Anwendung des Art. 81 ZK nicht auf den höchsten nach der KN in Frage kommenden Zollsatz an, sondern schon nach dem Wortlaut des Art. 81 ZK auf die höchste Einfuhrabgabenbelastung. Diese ergibt sich im Streitfall aus dem Zolltarif, nämlich aus der VO 673/2005, einer sonstigen zolltariflichen Maßnahme im Sinne des Art. 20 Abs. 3 Buchst. g ZK. Die zolltarifliche Einreihung (s. Art. 20 Abs. 6 ZK) in die Unterposition 6104 63 00 KN führt auf Grund des Art. 2 VO 673/2005 zu Einfuhrabgaben (s. Art. 4 Nr. 10 1. Anstrich ZK) in Form des nacherhobenen Zusatzzolls.
70Dass der Anteil der von der Klägerin eingeführten Leggings bezogen auf den Gesamtumfang der jeweiligen Sendung nur gering ist, ändert an der Anwendung des Art. 81 ZK nichts (s. BFH-Urteil v. 29.06.1989 VII R 10/87, ZfZ 1990, 48 f.). Der Klägerin wäre es unbenommen geblieben, die von ihr eingeführten Leggings gesondert anzumelden, zumal ihr dies mit Hilfe ihres Warenwirtschaftssystems ohne weiteres möglich gewesen wäre. In diesem System waren nämlich die streitgegenständlichen Leggings sogar unter der Unterposition 6104 63 00 KN erfasst und hätten bei entsprechender Vorsorge ohne weiteres gesondert angemeldet werden können.
71Die Anwendung des Zollsatzes nach Art. 2 VO 673/2005 widerspricht auch nicht höherrangigem Recht, denn in Art. 3 VO 673/2005 ist eine jährliche Anpassung der Warengruppen vorgesehen, wenn der Zusatzzoll die Nachteile der Gemeinschaft über- oder unterschreiten sollte.
72Dass derartige Anpassungen erst im Nachhinein und dann nur für künftige Einfuhren erfolgen können, liegt in der Natur der Sache und führt nicht zur Rechtswidrigkeit der nachträglichen buchmäßige Erfassungen und ihrer Mitteilungen, wenn – wie im Streitfall – der Zusatzzoll zuvor entstanden ist.
73Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte bei der Ermittlung des nacherhobenen Zolls zu Unrecht von unzutreffenden Zollwerten ausgegangen ist, sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar geworden.
74Von der Nacherhebung kann auch nicht nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. 1 ZK abgesehen werden. Insoweit hat die Klägerin noch nicht einmal dargetan, dass im Rahmen der Abfertigung und der Warenbeschau auch die Leggings beschaut und hinsichtlich ihrer Einreihung überprüft worden sind. Sie hat nur pauschal eine nahezu ständige Überprüfung ihrer Einfuhren durch die abfertigende Zollstelle vorgetragen, ohne die dabei beschauten Waren zu benennen.
75Tatsächlich gab es keine Beschau, auf Grund derer die Klägerin davon ausgehen konnte, für die Leggings fiele kein Zusatzzoll an. Vielmehr hat das Zollamt S nach den Feststellungen im Prüfungsbericht vom 24.09.2012 unter Tz. 3.7.2 von den für den gesamten Prüfungszeitraum insgesamt beanstandeten 346 Einfuhren in 186 Fällen eine Beschaffenheitsbeschau durchgeführt, in denen nach den dokumentierten Beschauergebnissen jeweils T-Shirts festgestellt wurden. Gewirkte lange Hosen aus synthetischen Chemiefasern hat das Zollamt S in keinem Fall festgestellt.
76Zudem dürfte selbst dann, wenn ein Irrtum zugunsten der Klägerin angenommen werden könnte, dieser für die Klägerin erkennbar gewesen sein. Sie hatte nämlich für die o.a. als Leggings bezeichneten Waren in ihrem Warenwirtschaftssystem die Unterposition 6104 63 00 KN hinterlegt (Textziffer 3.7.2 des Prüfungsberichts vom 24.09.2012). Hätte sie auf Grund ihres Warenwirtschaftssystems eine mögliche Zusatzzollbelastung geprüft, hätte sie dieses Abgabenrisiko ohne weiteres erkennen können. Eine derartige Prüfung wäre auch bei einem erfahrenen Wirtschaftsbeteiligten wie der Klägerin, die den überwiegenden Teil ihrer Einfuhrwaren aus den USA bezieht, naheliegend gewesen.
77Den von der Klägerin gestellten Beweisanträgen ist der Senat, soweit Beweis durch Urkunden erbracht werden sollte, dadurch nachgekommen, dass er die genannten Schriftstücke zur Kenntnis genommen hat. Soweit die Klägerin durch Zeugenbeweis vorgetragen hat, die von ihr in Anlage 2 zur Klageschrift beschriebenen Leggings seien mit den eingeführten Leggings identisch, ist dies als wahr unterstellt worden.
78Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die Zulassung der Revision aus § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
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