Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 3 K 1927/12 E,U
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Beteiligten streiten um die wirksame Bekanntgabe von Steuerbescheiden.
3Die unbeschränkt steuerpflichtigen Kläger sind Eheleute und wurden beim Beklagten in den beiden Streitjahren 2008 und 2009 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit auch gewerbliche Einkünfte erzielende Kläger war im Streitzeitraum Unternehmer im Sinne von § 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) und erzielte umsatzsteuerbare und umsatzsteuerpflichtige Umsätze. Bereits in den Vorjahren hatten die Kläger ihre Steuererklärungen regelmäßig verspätet abgegeben. Bis 2007 ergingen daher regelmäßig Steuerbescheide, in denen die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden waren. Die Schätzungsbescheide standen dabei durchgängig unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 der Abgabenordnung – AO –) und wurden von den Klägern nicht angefochten. Erst nachdem der Vorbehalt der Nachprüfung für das jeweilige Jahr aufgehoben wurde, legten die Kläger gegen die Aufhebung Einspruch ein und reichten im Rahmen des Einspruchsverfahrens die entsprechenden Steuererklärungen ein.
4Nachdem die Kläger für die Streitjahre trotz Aufforderung durch den Beklagten weder die Einkommensteuer- noch die Umsatzsteuerjahreserklärungen abgaben, schätzte der Beklagte mit Steuerbescheiden vom 02.11.2011 die Besteuerungsgrundlagen für 2008 und 2009. Die Umsatzsteuer 2008 und 2009 wurde auf jeweils 380,00 € festgesetzt. Die Einkommensteuer 2008 wurde auf 16.770,00 € und die Einkommensteuer 2009 auf 12.536,00 € festgesetzt. Die Bescheide standen anders als in den Vorjahren nicht mehr unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Insgesamt folgten aus den Schätzungsbescheiden einschließlich Zuschlagsteuern und steuerlichen Nebenleistungen Nachzahlungen in Höhe von insgesamt 10.335,53 €. Zeitgleich mit den streitigen Bescheiden ergingen zwei Bescheide, mit denen der Vorbehalt der Nachprüfung zur Einkommensteuer 2007 und zur Umsatzsteuer 2007 aufgehoben wurde. Die Bekanntgabe sämtlicher Bescheide vom 02.11.2011 erfolgte durch einfachen Brief. Gegen die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung Einkommensteuer 2007 und Umsatzsteuer 2007 legten die Kläger am 05.12.2011 Einspruch ein. Am gleichen Tag reichten die Kläger die Umsatzsteuerjahreserklärung 2007 sowie am 13.01.2012 die Einkommensteuererklärung 2007 ein.
5Am 26.01.2012 versandte der Beklagte wegen der aus den Schätzungsbescheiden folgenden Steuernachforderungen zwei Mahnungen an die Kläger, die diesen auch zugingen. Eine Reaktion der Kläger auf diese Mahnungen erfolgte nicht. Am 15.02.2012 erließ der Beklagte wegen der offenen Steuerforderungen eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung, die mit Schreiben vom 27.02.2012 mitsamt einer Aufstellung der Rückstände an die Kläger zur Kenntnisnahme übermittelt wurde.
6Der Kläger suchte daraufhin am 01.03.2012 den für ihn zuständigen Veranlagungsbezirk beim Beklagten auf und führte ein Gespräch mit der für ihn zuständigen Koordinatorin. Dieses Gespräch wurde von einer weiteren im Zimmer anwesenden Sachbearbeiterin mitgehört. Unmittelbar im Anschluss an dieses Gespräch fertigten die beiden Zeuginnen einen Vermerk mit dem nachfolgenden Wortlaut:
7„(…)
8Der Kläger fragte, ob Verpflegungsmehraufwendungen in 2007 oder 2008 zu berücksichtigen seien.
9Auf Nachfrage gab er an, dass er die Schätzungsbescheide (Einkommensteuer und Umsatzsteuer) 2008 und 2009 ende 2011 erhalten hat und momentan dabei wäre die Steuererklärungen zu erstellen, damit auch die Schätzungen „aus der Welt“ sind. Das Schreiben über die Pfändung hatte er dabei, um bei der Erhebungsstelle einen Zahlungsaufschub bis zur Abgabe der Erklärungen zu erhalten.
10Ihm wurde daraufhin mitgeteilt, dass die Schätzungen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen sind und aus diesem Grund auch nicht mehr änderbar sind.
11Er teilte mit, dass er dann Privatinsolvenz anmelden müsste.
12(…)“
13Mit Schreiben vom 02.03.2012 teilten die Kläger mit, dass ihnen Steuerfestsetzungen für 2008 und 2009 nicht zugegangen seien. Erst anlässlich der Pfändungs- und Einziehungsverfügung hätten sie mit Schreiben vom 27.02.2012 Kenntnis davon erhalten. „Rein vorsorglich“ legten sie daher Einspruch ein und beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
14Mit Schreiben vom 02.04.2012 wurden den Klägern Kopien der Einkommensteuerbescheide 2008 und 2009 übersandt. Mit Schreiben vom 05.04.2012 legten die Kläger daraufhin gegen diese Bescheide Einspruch ein und beantragten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie brachten vor, dass ihnen die Einkommensteuerbescheide 2008 und 2009 erst an diesem Tag zugegangen seien. Der Nachweis einer früheren Bekanntgabe sei nicht erbracht worden. Mit Schreiben vom 11.04.2012 wurden dem Kläger Kopien der Umsatzsteuerbescheide 2008 und 2009 übermittelt. Am 15.04.2012 legte der Kläger Einspruch gegen die Schätzungsbescheide für Umsatzsteuer 2008 und 2009 ein und beantragte auch hier Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
15Mit Einspruchsentscheidung vom 25.04.2012 verwarf der Beklagte die Einsprüche als unzulässig. Der Beklagte führte aus, die Schätzungsbescheide seien am 02.11.2011 zur Post gegeben worden und daher am 07.11.2011 bekanntgegeben worden. Da die Einsprüche erst im April 2012 eingegangen seien, sei die Monatsfrist für die Einspruchseinlegung bereits abgelaufen gewesen. Die Einsprüche seien damit verfristet. Der Vortrag der Kläger, sie hätten die Steuerbescheide für 2008 und 2009 nicht erhalten, sei nicht glaubhaft. Während einer mündlichen Vorsprache am 01.03.2012 im Finanzamt habe der Kläger erklärt, dass er die Steuerbescheide erhalten habe und momentan dabei sei, die Steuererklärungen für 2008 und 2009 zu erstellen. Zudem habe der Kläger den Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung vom 02.11.2011 unstreitig erhalten. Es liege eine Bestätigung des Rechenzentrums vor, dass am 02.11.2011 ein fehlerfreier Versand der Steuerbescheide erfolgt sei. Das Rechenzentrum bestätige zudem, dass die Postsendung vom 02.11.2011 neben dem unstreitig zugegangenen Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung auch die Steuerbescheide für 2008 und 2009 enthalten habe. Daher könne die Behauptung der Kläger, sie hätten die Steuerbescheide 2008 und 2009 nicht erhalten, nicht zutreffen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne nicht gewährt werden. Denn Wiedereinsetzungsgründe seien weder vorgebracht worden noch ersichtlich.
16Mit ihrer am 21.05.2012 erhobenen Klage bringen die Kläger u. a. vor, die streitigen Bescheide vom 02.11.2011 seien nicht wirksam bekanntgegeben und daher nicht bestandskräftig geworden. Die Bescheide seien ihnen nicht zugegangen. Die Klägerin führe in Gestalt einer Loseblattsammlung sehr sorgfältig ein Posteingangsbuch. Dort sei der Eingang der Bescheide für 2008 und 2009 nicht verzeichnet. Sie könnten nicht feststellen, ob die Bescheide vom Beklagten überhaupt abgesandt worden seien. Einen Absendenachweis habe der Beklagte bislang nicht geführt. Auch der Nachweis des Zugangs sei vom Beklagten nicht geführt worden, obwohl den Beklagten insoweit die Feststellungslast für eine ordnungsgemäße Bekanntgabe treffe. Selbst wenn die Bescheide versandt worden seien, könne dies den Zugang der Bescheide nicht belegen. Denn Post könne verlorengehen oder falsch zugestellt werden. Gerade im hier betroffenen Zeitraum habe bei ihnen die Postzustellung nicht sehr zuverlässig funktioniert. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Bescheide nach Auskunft des Rechenzentrums der Finanzverwaltung gemeinsam mit anderen Schriftstücken verpackt und als Sammelsendung an sie versandt worden sein sollen. Denn der Beklagte könne weder darlegen noch gerichtsverwertbar nachweisen, dass bei einer Versendung mehrerer Schriftstücke an einen Adressaten die gemeinsame Versendung in einem Umschlag immer störungsfrei und nachprüfbar funktioniere. Angaben des Rechenzentrums der Finanzverwaltung gäben keine sichere Auskunft über den Versand in einem Umschlag und eine ordnungsgemäße Versendung. Eine regelmäßige Überprüfung in Gestalt eines Fehlerkontrollsystems, ob Aufzeichnungen des Rechenzentrums zuverlässig und fehlerfrei seien, sei nicht vorhanden. Dies zeige sich schon daran, dass die Bestätigung des Rechenzentrums auf eine Bearbeitung durch das Briefverteilzentrum der Deutschen Post AG am 01.04.2011 hinweise. Ebenso sei nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund ein Bescheid vom 02.11.2012(1*) bereits am 26.10.2012(7*) versandt sein soll. Beide Daten korrespondierten nicht mit den Bescheiddaten. Es bestehe im vorliegenden Fall die Besonderheit, dass zwei der Bescheide, nämlich die Umsatzsteuerbescheide, nur an den Kläger, während die Einkommensteuerbescheide an Kläger und Klägerin gemeinsam adressiert worden seien. In diesem Fall erscheine eine gemeinsame Verpackung und Versendung aller vier Bescheide ausgeschlossen. Sie hätten erst anlässlich der Vollstreckungsmaßnahmen Kenntnis von den Steuerfestsetzungen erhalten. Keinesfalls habe der Kläger in einer Besprechung im Finanzamt erklärt, dass er oder seine Ehefrau die Bescheide erhalten hätten. Der Kläger habe in dem Gespräch im Finanzamt nur nach Möglichkeiten gesucht, die Steuerschätzungen aus der Welt zu schaffen, von deren Vorhandensein er zuvor Kenntnis erhalten hatte, ohne allerdings die Bescheide konkret zu kennen oder gar erhalten zu haben. Er habe gesagt, dass er den Steuerbescheiden widersprochen hätte, wenn er sie denn erhalten hätte. Letzere Äußerung sei von den Bediensteten des Beklagten unzutreffend dahin ausgelegt worden, dass ihnen die Bescheide zugegangen seien. Dies sei aber tatsächlich nie der Fall gewesen. Aus diesem Grund hätten sie noch fristgerecht Einspruch einlegen können, nachdem ihnen die Bescheide vom Beklagten in Kopie übermittelt worden seien. Von diesem Zeitpunkt an habe die Rechtsbehelfsfrist zu laufen begonnen. Sie seien daher entsprechend den von ihnen eingereichten Steuererklärungen zu veranlagen. Zwar komme es auf eine Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hier nicht an, da mangels wirksamer Bekanntgabe die Einspruchsfrist nicht in Gang gesetzt worden sei. Gleichwohl seien Wiedereinsetzungsgründe vorhanden, weil sie die Frist ohne Verschulden versäumt hätten.
17Die Kläger haben am 11.06.2012 beim Beklagten Einkommen- und Umsatzsteuererklärungen für die Streitjahre eingereicht, aus denen sich nach den vom Beklagten durchgeführten Prüfberechnungen Erstattungen ergeben.
18Die Kläger beantragen,
19die angefochtenen Umsatzsteuerbescheide 2008 und 2009 vom 02.11.2011 und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2008 und 2009, ebenfalls vom 02.11.2011, unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 25.04.2012 dahingehend zu ändern, dass für den Veranlagungszeitraum 2008 entsprechend den von ihnen eingereichten Umsatzsteuererklärungen Umsatzsteuern in Höhe von 2.078,00 € und für den Veranlagungszeitraum 2009 Umsatzsteuern in Höhe von 137,59 € erstattet werden sowie die Einkommensteuer 2008 und 2009 entsprechend den von ihnen eingereichten Einkommensteuererklärungen festgesetzt wird.
20Der Beklagte beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Er verweist zur Begründung auf seine Einspruchsentscheidung. Ergänzend trägt er vor, dass der Kläger am 01.03.2012 gegenüber zwei Bediensteten des Finanzamts erklärt habe, die Bescheide erhalten zu haben. Dies könne durch die in den Akten befindliche Gesprächsnotiz und durch eine Vernehmung der beiden Bediensteten nachgewiesen werden. Als weiteres Beweismittel für einen Zugang der Bescheide könne die Auskunft des Rechenzentrums der Finanzen herangezogen werden. Diese bestätige, dass die Postsendung, die der Kläger bei seiner Vorsprache im Finanzamt in den Händen gehalten habe, auch die angefochtenen Steuerbescheide enthalten habe. Denn zusammen mit den streitigen Steuerbescheiden seien am 02.11.2011 auch die Bescheide über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung Umsatzsteuer 2007 und Einkommensteuer 2007 übersandt worden. Diese Bescheide hätten die Kläger aber erhalten, da sie dagegen fristgerecht Einspruch eingelegt hätten. Im Einzelnen sei am 02.11.2011 in einem Umschlag die Sendung Nr. 18.126 mit den Umsatzsteuerbescheiden 2008 und 2009 sowie der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung des Umsatzsteuerbescheids 2007 versandt worden. Ebenfalls am 02.11.2011 sei die Sendung Nr. 18.135 mit den Einkommensteuerbescheiden 2008 und 2009 sowie der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung des Einkommensteuerbescheids 2007 versandt worden. Wenn sich Störungen bei der Kuvertierung ergeben hätten, wäre eine Störungsmeldung erfolgt, was hier nicht passiert sei. Dieser fehlerfreie und funktionstüchtige Geschehensablauf werde durch das Rechenzentrum bestätigt. Ferner habe eine Einzelsendungsauskunft der Deutschen Post belegt, dass die Sendungen im Briefzentrum bearbeitet worden seien. Damit stehe fest, dass die Kläger die streitigen Bescheide erhalten hätten und diese nunmehr bestandskräftig seien.
23In der mündlichen Verhandlung vom 17.05.2013 hat der Senat die Sachbearbeiter als Zeuginnen zu der Frage vernommen, welche Äußerungen der Kläger bei seiner Vorsprache beim Beklagten am 01.03.2012 gemacht hat. Auf die im Sitzungsprotokoll enthaltenen Angaben der Zeuginnen wird verwiesen. Zudem haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung eine Kopie des von der Klägerin geführten Posteingangsbuchs eingereicht.
24E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
25Die Klage ist unbegründet.
26Die Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheide 2008 und 2009 vom 02.11.2012 (2*)und die Einspruchsentscheidung vom 25.04.2012 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –).
27Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Einsprüche vom 05.04.2012 und vom 15.04.2012 gegen die Einkommensteuer- und Umsatzsteuerbescheide vom 02.11.2011 mangels Einhaltung der einmonatigen Einspruchsfrist des § 355 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) unzulässig sind und keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden kann. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (vgl. § 96 Abs. 1 FGO) steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die angefochtenen Steuerbescheide den Klägern wirksam bekannt gegeben worden sind und bereits vor Einspruchserhebung Bestandskraft erlangt haben. Denn das Gericht kann die ihm im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) vorgetragenen Tatsachen und die ihm vorliegenden Beweismittel dahingehend würdigen, dass trotz Bestreiten des Zugangs durch einen Beteiligten in tatsächlicher Hinsicht von einem Zugang der Steuerbescheide auszugehen ist (dazu unter 1.). Hier sprechen die vorliegenden Indizien und auch die durchgeführte Beweisaufnahme in tatsächlicher Hinsicht eindeutig dafür, dass die streitigen Bescheide den Klägern Anfang November 2011 zugegangen sind (dazu unter 2.). Der Beklagte hat schließlich zu Recht auch das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verneint (dazu unter 3.).
281. Gemäß § 122 Abs. 2 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, zu dem dort näher bezeichneten Zeitpunkt als bekannt gegeben. Im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts nachzuweisen. Der Nachweis des Zugangs kann von der Behörde nicht nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises (prima-facie-Beweis) geführt werden. Es gelten vielmehr die allgemeinen Beweisregeln, insbesondere die des Indizienbeweises (vgl. BFH-Urteil vom 12.03.2003 X R 17/99, Sammlung der nicht amtlich veröffentlichten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs – BFH/NV – 2003, 1031 unter II.2.a der Gründe). Demnach können bestimmte Verhaltensweisen des Steuerpflichtigen nach Absendung des Steuerbescheids im Zusammenhang mit dem Nachweis der Absendung vom Finanzgericht im Wege einer freien Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO dahingehend gewürdigt werden, dass ― entgegen der Behauptung des Steuerpflichtigen ― von einem Zugang des Steuerbescheids ausgegangen wird (vgl. BFH-Urteil vom 12.03.2003 X R 17/99, BFH/NV 2003, 1031 unter II.2.a der Gründe; vgl. auch BFH-Beschlüsse vom 29.04.1999, V B 173/98, BFH/NV 1999, 1442 und vom 14.09.2000, X B 58/00, BFH/NV 2001, 322 unter II.c der Gründe). Indizien für den Zugang von Steuerbescheiden können insbesondere dann vorliegen, wenn einem Steuerpflichtigen mehrfach seine Steuerschulden bekannt gegeben worden sind, ohne dass er diese oder den Zugang der entsprechenden Bescheide bestreitet (vgl. BFH-Beschluss vom 29.04.1999, V B 173/98, BFH/NV 1999, 1442). Ein Indiz kann auch die Tatsache darstellen, dass der Steuerpflichtige in Schriftstücken den vermeintlich nicht zugegangenen Bescheid erwähnt oder dass der Steuerbescheid mit anderen Schriftstücken zusammen versandt worden ist, deren Zugang der Steuerpflichtige nicht bestreitet.
292. Nach diesen Grundsätzen hat bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände der Beklagte zu Recht angenommen, dass den Klägern die angegriffenen Steuerbescheide vom 02.11.2011 zugegangen und damit wirksam bekannt gegeben worden sind. Es sprechen in tatsächlicher Hinsicht mehrere Indizien für einen Zugang der am 02.11.2011 zur Post gegebenen Steuerbescheide bei den Klägern. Dafür spricht einmal die Tatsache, dass die streitigen Bescheide zusammen mit den Bescheiden über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung zur Umsatzsteuer 2007 und zur Einkommensteuer 2007 versandt worden sind, deren Zugang unstreitig feststeht (a). Zudem sprechen nach dem Ergebnis der in der mündlichen Verhandlung vorgenommenen Beweisaufnahme auch der Inhalt der Gesprächsnotiz vom 01.03.2012 und die Angaben der Zeugen zur Überzeugung des Senats dafür, dass den Klägern die streitigen Bescheide zugegangen sind (b). Schließlich lässt sich auch aus dem Verhalten des Klägers nach Zugang der Mahnung über die offenen Steuerbeträge und während des Gesprächs vom 01.03.2012 eindeutig schlussfolgern, dass ihm die Schätzungsbescheide vom 02.11.2012(3*) bereits im November 2012 zugegangen sein müssen (c). Der Hinweis der Kläger auf das von ihnen geführte Posteingangsbuch überzeugt das Gericht hingegen nicht (d).
30a) Der Beklagte hat mit der Übersendung der Bestätigung des Rechenzentrums eindeutig nachgewiesen, dass jeweils die Einkommensteuerbescheide und Umsatzsteuerbescheide 2008 und 2009 zusammen mit dem jeweiligen Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung für 2007, deren Zugang nicht streitig ist, in einem Umschlag verpackt und versandt worden sind. Das Rechenzentrum der Finanzverwaltung hat überzeugend dargelegt, dass die Bescheide unter zwei Sendungsnummern (18.126 und 18.135) zusammengefasst worden waren. Weiter hat es dargelegt, dass anhand des eingesetzten Sendungsüberwachungssystems zuverlässig überprüft wird, dass die Inhalte der jeweiligen Briefumschläge mit der Liste der gedruckten Bescheide abgeglichen und bei Fehlern die betroffenen Sendungen ausgesteuert werden. Ein Fehler mit der Folge der Aussteuerung ist hier nach Auskunft des Rechenzentrums nicht eingetreten. Daher steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Bescheide zur Einkommensteuer 2008 und 2009 zusammen mit dem Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung zur Einkommensteuer 2007 in einem Umschlag verpackt worden waren. Gleiches gilt für die Versendung der Umsatzsteuerbescheide 2008 und 2009 zusammen mit der Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung zur Umsatzsteuer 2007.
31Dass die Kläger die fehlerfreie Funktionsweise des Versands im Rechenzentrum bestreiten, vermag daran nichts zu ändern. Das schlichte Bestreiten des von einem Beteiligten schlüssig und nachvollziehbar sowie mit Urkunden belegten Tatsachenvortrags schließt nicht aus, dass das Gericht im Rahmen seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung vom Vorhandensein der vorgetragenen Tatsachen ausgeht (§ 96 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz FGO). Insoweit ist von der Klägerseite weder konkret dargetan noch schlüssig und nachvollziehbar vorgetragen worden, warum und weshalb die Verpackung und Versendung beim Rechenzentraum in ihrem Fall fehlerhaft erfolgt sein soll. Die Kläger haben außer einem bloßen Bestreiten nicht dargelegt, warum die Bestätigung des Rechenzentrums ein untaugliches oder wenig glaubhaftes Beweismittel darstellen soll. Soweit die Kläger dazu anführen, das Versanddatum (26.10.2012(8*)) korrespondiere nicht mit den Bescheiddaten (02.11.2012(4*)), lässt dies nicht auf die Fehlerhaftigkeit des Versands schließen. Denn die Bescheide der Finanzverwaltung werden im Rechenzentrum regelmäßig vordatiert, um der Dauer des Versand- und Postlaufs Rechnung zu tragen. Soweit das Rechenzentrum auf eine Bearbeitung im Briefverteilzentrum der Deutschen Post AG am 01.04.2011 hinweist, handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um einen Tippfehler des Verfassers der Bestätigung des Rechenzentrums, der die Glaubwürdigkeit der übrigen Angaben des Rechenzentrums nicht in Zweifel zieht.
32b) Ein Zugang der Bescheide vom 02.11.2012(5*) folgt zudem auch aus dem nach der Überzeugung des Gerichts zutreffenden Inhalt der Gesprächsnotiz vom 01.03.2012 (aa) und den glaubwürdigen Aussagen der Zeugen (bb).
33aa) In der Gesprächsnotiz vom 01.03.2012 haben die Mitarbeiter des Beklagten angeführt, dass der Kläger den Zugang der Bescheide eingeräumt habe. Dafür, dass der Inhalt der Gesprächsnotiz den tatsächlichen Geschehensablauf und den zutreffenden Inhalt des Gesprächs wiedergibt, spricht nicht nur die Tatsache, dass der Vermerk zeitnah nach dem Ende des Gesprächs verfasst wurde, sondern auch, dass sein Inhalt von beiden Zeugen in der mündlichen Verhandlung überzeugend und ohne Widersprüche bestätigt worden ist.
34bb) Auch die Aussagen der Zeugen haben in der mündlichen Verhandlung zu der Überzeugung des Gerichts geführt, dass den Klägern die streitigen Bescheide tatsächlich zugegangen sind. So hat ein Zeuge in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, der Kläger habe den Zugang der Bescheide erwähnt. Beide Zeugen haben während der Schilderungen der Einzelheiten des Gesprächs mit dem Kläger für das Gericht überzeugend dargelegt, dass der Kläger im Gespräch vom 01.03.2012 offenbar davon ausgegangen war, die ihm zugegangenen Bescheide hätten unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gestanden und seien deswegen noch änderbar. Beide Zeugen haben unabhängig voneinander in übereinstimmender Weise geschildert, dass der Kläger – nachdem er erfahren hatte, dass die Bescheide nicht mehr änderbar seien – erstaunt reagiert habe. Das Gericht hält auch beide Zeugen, die den genauen Geschehensablauf detailreich und ohne Lücken und Widersprüche geschildert haben, für glaubhaft und sieht daher im Rahmen der Beweiswürdigung keine Anhaltspunkte, an der Richtigkeit ihrer Aussagen zu zweifeln.
35c) Schließlich lässt sich auch aus dem Verhalten des Klägers nach Erhalt der Mahnung und Übersendung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung zur Überzeugung des Gerichts schließen, dass ihm die Schätzungsbescheide bekannt gewesen waren. Die Kläger, deren Besteuerungsgrundlagen auch in den Vorjahren regelmäßig geschätzt worden waren, hatten in der Vergangenheit ihre Steuererklärung – wie im Veranlagungszeitraum 2007 – erst nach Anfechtung des jeweiligen Bescheids über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung eingereicht. Nach Auffassung des Gerichts waren die Kläger auch hinsichtlich der Streitjahre 2008 und 2009 nach Erhalt der Schätzungsbescheide zunächst irrig davon ausgegangen, diese Bescheide stünden unter dem Vorbehalt der Nachprüfung und ihnen stehe für die Einreichung der Steuererklärungen noch ausreichend Zeit zur Verfügung. Anders lässt sich der Geschehensablauf nicht erklären, wonach die Kläger nicht bereits unmittelbar nach Erhalt der beiden Mahnungen, in denen auf die Schätzungsveranlagungen 2008 und 2009 unzweifelhaft hingewiesen wurde und die den Klägern unstreitig zugegangen waren, gegenüber dem Beklagten aktiv wurden. In diesem Zusammenhang erscheint es aus Sicht des Gerichts nicht nachvollziehbar, dass der Kläger, der erst anlässlich der Vollstreckungsmaßnahmen von der Existenz der Schätzungsbescheide erfahren und aus diesem Grund am 01.03.2012 den Beklagten aufgesucht haben will, sich anlässlich der Besprechung beim Beklagten erst längere Zeit mit den Sachbearbeiterinnen über die (unproblematische) Veranlagung für 2007 und den Ansatz von Verpflegungsmehraufwendungen unterhält und erst auf Initiative der Bearbeiterinnen des Beklagten das Gespräch auf die Änderbarkeit der Bescheide für die Jahre 2008 und 2009 gebracht wird. Wenn der Kläger im Hinblick auf die ausgebrachte Vollstreckungsmaßnahme und wegen des Inhalts der Schätzungsbescheide für 2008 und 2009 das Gespräch mit den Bearbeiterinnen gesucht hätte, hätte es nahegelegen, diesen – wichtigen – Punkt zunächst zu Beginn und aus eigener Initiative heraus anzusprechen.
36d) Soweit sich die Kläger hinsichtlich des fehlenden Zugangs der Bescheide auf das von der Klägerin geführte Posteingangsbuch berufen, überzeugt dieser Vortrag das Gericht nicht. Bei der von der Klägerin geführten Auflistung aller Posteingänge handelt es sich mangels geschlossener Form nicht um ein „Posteingangsbuch“, sondern vielmehr um eine Loseblattsammlung mit einer tabellarischen Auflistung der erhaltenen Posteingänge. Abgesehen von dem Umstand, dass ein Posteingangsbuch nicht den Nachweis dafür erbringt, dass in ihm sämtliche Posteingänge enthalten sind, lässt eine solche Auflistung nicht den Austausch und damit die Veränderung einzelner Aufzeichnungen erkennen, was den Beweiswert derartiger Aufzeichnungen als bloßen Eigenbeleg eines Beteiligten erheblich schmälert.
373. Zu Recht hat der Beklagte auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Einspruchsfrist (§ 110 Abs. 1 S. 1 AO) gewährt. Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 110 Abs. 1 S. 1 AO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat (§ 110 Abs. 2 S. 1 AO) nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen; lediglich die Glaubhaftmachung kann nachgeholt werden. Die Kläger haben hier weder schriftlich noch in der mündlichen Verhandlung Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll.
384. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Kläger sind in vollem Umfang unterlegen.
395. Gründe für eine Revisionszulassung nach § 115 Abs. 2 FGO sind nicht ersichtlich. Die Entscheidung beruht allein auf einer tatsächlichen Würdigung, ob anhand der vorliegenden Indizien und Beweismittel von einem Zugang der Bescheide zur Einkommen- und Umsatzsteuer 2008 und 2009 vom 02.11.2012(6*) ausgegangen werden kann.
40----------------------
41Zu (1*) bis (8*):
42Am 26.07.2013 erging folgender Berichtigungsbeschluss:
433 K 1927/12 E,U
44In dem Rechtsstreit
45...
46hat der 3. Senat
47...
48am 26.07.2013 beschlossen:
49In dem Urteil vom 17.05.2013 sind nach § 107 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung auf Seite 6 Zeile 9, Seite 8 Zeile 19, Seite 10 Zeile 8, Seite 11 Zeilen 6 und 15 sowie Seite 14 Zeile 4 das Datum 02.11.2012 durch das Datum 02.11.2011 und auf Seite 6 Zeile 9 und Seite 11 Zeile 6 das Datum 26.10.2012 durch das Datum 26.10.2011 zu ersetzen, weil es sich insoweit um offenkundige Schreibfehler handelt.
50Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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Referenzen
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