Beschluss vom Finanzgericht Düsseldorf - 1 Ko 3840/13 GK
Tenor
Die Gerichtskostenrechnung vom 22.10.2013 (Kassenzeichen 70060487 610 7) wird aufgehoben.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet. Die gerichtlichen Auslagen trägt die Erinnerungsgegnerin
1
Gründe:
2I.
3Der Erinnerungsführer erhob am 11.09.2012 Klage vor dem Finanzgericht Düsseldorf (Az. 1 K 3372/12 U), mit der er die Aufhebung der an ihn als Insolvenzverwalter einer KG gerichteten Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheide für Oktober und November 2011 begehrte.
4Daraufhin übersandte die Oberjustizkasse (aufgrund der Verfügung des Kostenbeamten vom 26.09.2010) dem Erinnerungsführer am 27.09.2012 eine 1. Rechnung über die Gebühr nach Nummer 6110 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz in Höhe von 220 EUR (Kassenzeichen 70055651 610 6). Der in Rechnung gestellte Betrag sollte innerhalb von zwei Wochen auf das in der Rechnung näher bezeichnete Konto überwiesen werden. Eine Zahlung seitens des Erinnerungsführers erfolgte jedoch nicht.
5Am 30.10.2012 reichte der Erinnerungsführer die Klagebegründung zu dem o.g. Verfahren (Az. 1 K 3372/12 U) ein und beantragte zugleich die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH), welche ihm für die erste Instanz mit Beschluss vom 24.06.2013 in vollem Umfang ratenfrei bewilligt wurde.
6Zwei Tage später, am 26.06.2013, teilte die Kostenbeamtin des Finanzgerichts der Oberjustizkasse mit, dass dem Erinnerungsführer PKH bewilligt worden sei. Die Vorauszahlungsrechnung (Kassenzeichen 70055651 610 6) sei daher am 26.06.2013 aufgehoben worden (vgl. Blatt 32 der GA).
7Am 27.06.2010 übersandte die Oberjustizkasse dem Erinnerungsführer eine 2. Rechnung (Kassenzeichen 70055651 610 6). Darin heißt es u.a.:
8„In dem vorgenannten Verfahren (1 K 3372/12 U) werden folgende Positionen in Rechnung gestellt:
9Es besteht keine Zahlungsverpflichtung.
10Ihre Zahlungsverpflichtung beträgt 0,00 EUR
11Rechnungsbetrag 0,00 EUR
12Dem Kläger wurde mit Beschluss vom 24.06.2013 PKH bewilligt.“
13Das Klageverfahren 1 K 3372/12 U endete mit Urteil vom 27.09.2013. Die Klage wurde abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Erinnerungsführer auferlegt. Die Revision wurde zugelassen.
14Anschließend wies die Kostenbeamtin die Oberjustizkasse an, dem Erinnerungsführer (erneut) die Gebühr nach Nummer 6110 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz in Höhe von 220 EUR in Rechnung zu stellen. Die Oberjustizkasse übersandte entsprechend dem Erinnerungsführer am 22.10.2013 eine Gerichtskostenrechnung (Kassenzeichen 70060487 610 7). Der in Rechnung gestellte Betrag von 220 EUR sollte innerhalb von zwei Wochen auf das in der Rechnung näher bezeichnete Konto überwiesen werden. In der Rechnung heißt es weiter: „Da der Antrag auf PKH erst nach Klageerhebung gestellt wurde, umfasst die PKH-Bewilligung nicht die mit der Klageerhebung bereits entstandene und fällige Verfahrensgebühr (Beschl. FG Köln 07.07.2010, EFG 2010, 1642).“
15Gegen diese Kostenrechnung vom 22.10.2013 (Kassenzeichen 70060487 610 7) wendet sich der Erinnerungsführer. Er trägt vor:
16Gemäß § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 122 Abs. 1 Nr. 1a ZPO bewirke die Bewilligung der PKH, dass die Landeskasse die rückständigen und die entstehenden Gerichtskosten nur nach den Bestimmungen, die das Gericht treffe, gegen die Partei geltend machen könne. Die ursprünglich mit Rechnung vom 27.09.2012 (Kassenzeichen 70055651 610 6) geforderten 220 EUR seien nicht gezahlt worden und seien somit zum Zeitpunkt der Bewilligung der PKH rückständig gewesen. Darüber hinaus sei diese Rechnung durch Kostenrechnung vom 27.06.2013 wieder aufgehoben worden. Es liege daher auch keine unzulässige rückwirkende Gewährung von PKH vor (Hinweis auf FG Düsseldorf, Beschluss vom 04.10.2012, 16 Ko 3213/12 GK).
17Der Erinnerungsführer beantragt,
18die Kostenrechnung vom 22.10.2013 (Kassenzeichen 70060487 610 7) aufzuheben.
19Die Erinnerungsgegnerin beantragt,
20die Erinnerung zurückzuweisen.
21Zur Begründung trägt die Erinnerungsgegnerin vor: Die Kostenrechnung vom 22.10.2013 sei weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden. Die Verfahrensgebühr in Höhe von 220 EUR sei bereits mit Klageeingang am 11.09.2012 entstanden. Auf diese Vorauszahlungsgebühr habe eine PKH-Bewilligung, die auf einem PKH-Antrag beruhe, der nach Klageerhebung gestellt wurde, keinen Einfluss. Diese Gebühr sei im Streifall von der PKH-Bewilligung ab Antragstellung (30.10.2012) nicht umfasst. Die vor Einreichung des PKH-Antrages fälligen und rückständigen Gerichtskosten seien weiterhin zu bezahlen (Hinweis auf FG Köln, Beschluss vom 07.07.2010, 10 Ko 1033/09, EFG 2010, 1642 und Hessisches FG, Beschluss vom 14.06.2012, 3 Ko 174-175/10, juris).
22Soweit der Erinnerungsführer geltend mache, dass die ursprüngliche Kostenrechnung aufgehoben worden sei, werde darauf hingewiesen, dass die Frage der Fälligkeit sich nicht nach der Geltendmachung oder Einziehung richte, sondern ausschließlich nach dem Zeitpunkt, den das Gesetz für die Fälligkeit bestimme (hier § 6 Abs. 1 Nr. 5 GKG).
23II.
24Über Erinnerungen entscheidet nach § 66 Abs. 1 GKG das Gericht, bei dem die Kosten angesetzt worden sind. Es entscheidet nach § 66 Abs. 6 GKG durch die Einzelrichterin.
25Die Erinnerung ist begründet.
26Die angegriffene Gerichtskostenrechnung vom 22.10.2013 (Kassenzeichen 70060487 610 7) ist rechtswidrig und verletzt den Erinnerungsführer in seinen Rechten.
27Soweit und solange dem Erinnerungsführer Prozesskostenhilfe ohne Zahlungsbestimmung bewilligt ist, ist keine Kostenrechnung auf ihn auszustellen (vgl. auch Tz. 3.1. der Durchführungsbestimmungen zur Prozess- und Verfahrenskostenhilfe sowie zur Stundung der Kosten des Insolvenzverfahrens (DB-PKH)).
281. Der Erinnerungsführer durfte am 22.10.2013 nicht (mehr) aufgefordert werden, Zahlungen an die Staatskasse zu leisten, weil ihm mit Beschluss vom 24.06.2013 gemäß § 142 FGO i. V. m. §§ 114 ff ZPO für die erste Instanz (Az. 1 K 3372/12 U) PKH in vollem Umfang bewilligt wurde.
29Gemäß § 122 Abs. 1 Nr. 1a ZPO bewirkt die Bewilligung der PKH, dass die Landeskasse die rückständigen und die entstehenden Gerichtskosten nur nach den Bestimmungen, die das Gericht trifft, gegen die Partei geltend machen kann. Dies bedeutet, dass die Partei, der PKH bewilligt wurde, Zahlungen auf Gerichtskosten nur noch entsprechend den Regelungen im Beschluss über die Bewilligung von PKH zu leisten hat. Dabei kommt es sowohl für den Bewilligungszeitpunkt als auch für den übrigen Umfang der Bewilligung auf die tatsächlichen Bestimmungen des Gerichts an.
30Im Streitfall musste der Erinnerungsführer nach den Regelungen im Bewilligungsbeschluss vom 24.06.2013 keine Zahlungen auf Gerichtskosten mehr leisten. Ihm wurden bei der Bewilligung der PKH keine Monatsraten oder aus dem Vermögen zu zahlende Beträge im Sinne von § 120 ZPO auferlegt.
31In zeitlicher Hinsicht enthält der Bewilligungsbeschluss keine Bestimmung. Insoweit erfasst er regelmäßig den ganzen Rechtszug ab Vorlage eines bewilligungsfähigen (formgerechten) Antrags – hier ab 30.10.2012 - (h.M. vgl. nur OLG Stuttgart 8 WF 80/02, juris, m.w.N.; siehe auch FG Düsseldorf Beschluss vom 04.10.2012, 16 Ko 3213/12 GK, EFG 2012, 2313).
32Demnach war der Erinnerungsführer „nach den Bestimmungen, die das Gericht trifft“ ab dem 30.10.2012 von der Verpflichtung zur Zahlung von rückständigen und noch entstehenden Gerichtsgebühren an die Staatskasse vollständig (einstweilen) befreit. Die Staatskasse konnte für das Hauptsacheverfahren Az. 1 K 3372/12 U ab dem 30.10.2012 keine Gerichtskosten mehr gegen den Erinnerungsführer geltend machen. Da die angegriffene Gebührenrechnung vom 22.10.2013 über 220 EUR (Kassenzeichen 70060487 610 7) nach dem 30.10.2012 vom Kostenbeamten angewiesen wurde, war sie allein aus diesem Grund aufzuheben.
332. Dem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass in den Prozessverfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit die Verfahrensgebühr – unabhängig von der Geltendmachung durch Kostenrechnung – bereits mit Klageerhebung gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 5 GKG entsteht und sofort fällig ist.
34Zwar wurde die Verfahrensgebühr seinerzeit mit Eingang der Klageschrift am 11.09.2012 fällig, mit Kostenrechnung vom 27.09.2012 (Kassenzeichen 70055651 610 6), ausgehend von dem in § 52 Abs. 4 GKG a.F. auf 1.000 EUR festgelegten Mindeststreitwert, in Höhe von 220 EUR (§ 34 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffer 6110 des Kostenverzeichnisses zu § 3 Abs. 2 GKG) auch erhoben und sollte vom Erinnerungsführer innerhalb von zwei Wochen auf das in der Rechnung näher bezeichnete Konto überwiesen werden.
35Auf diese ursprüngliche gesetzliche Fälligkeit nach § 6 Abs. 1 Nr. 5 GKG kommt es im Streitfall aber nicht mehr an. Denn die Rechnung vom 27.09.20012 wurde mit Verfügung vom 26.06.2013 wieder aufgehoben. Entsprechend war die ursprüngliche Kostenforderung über 220 EUR (Kassenzeichen 70055651 610 6) vom Erinnerungsführer nicht mehr zu entrichten. Nach Aufhebung der Rechnung und Löschung der Kostenforderung im Soll bestand keine Zahlungsverpflichtung mehr.
363. Soweit die Erinnerungsgegnerin die Auffassung vertritt, dass dem Erinnerungsführer die seinerzeit nicht entrichteten Verfahrensgebühr von 220 EUR nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens erneut in Rechnung gestellt werden könne, weil der PKH-Antrag erst nach Klageerhebung gestellt worden sei, vermag das Gericht dem nicht zu folgen.
37Nachdem dem Erinnerungsführer mit Beschluss vom 24.06.2013 (mit Wirkung ab dem 30.10.2012) für die erste Instanz (in vollem Umfang ratenfrei) PKH bewilligt wurde, darf die Staatskasse die rückständigen und die entstehenden Gerichtskosten nicht mehr gegenüber dem Erinnerungsführer geltend machen (§ 122 Abs. 1 Nr. 1a ZPO i. V. m. § 142 FGO).
38Dies gilt im Streitfall auch für die mit Rechnung vom 27.09.2012 (Kassenzeichen 70055651 610 6) ursprünglich geforderten 220 EUR, die vom Erinnerungsführer noch vor dem 30.10.2012 (Eingang des formgerechten PKH-Antrags) zu zahlen gewesen wären, aber tatsächlich nicht entrichtet wurden. Denn es handelte sich insoweit um „rückständige“ Gerichtskosten.
39Rückständig sind Kosten, die zu der Zeit als die PKH wirksam wurde, fällig, aber noch nicht bezahlt waren (vgl. Zöller/Geimer ZPO 30. Auflage § 122 Rz. 3 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29.11.1989 – 11 WF 16/89 –, juris). Nicht rückständig sind hingegen fällige Gerichtskosten, die bereits vor der Zeit als die PKH wirksam wurde auf das Konto der Staatskasse eingegangen sind (vgl. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 27.12.2002 8 WF 80/02, juris, modifiziert nach dem Gesetzeszweck: Erstattung der gezahlten Kosten, wenn formgerechter PKH-Antrag gleichzeitig mit Hauptsacheantrag eingegangen ist).
40Zwar wird teilweise die Ansicht vertreten, dass mit „rückständigen“ Gerichtskosten nicht die Gerichtskosten gemeint sein sollen, die vor wirksamer Antragstellung bereits entstanden seien (vgl. FG Köln Beschluss vom 07.07.2010, 10 Ko 1033/09, EFG 2010, 1642; im Ergebnis auch zustimmend Hessisches FG Beschluss vom 14.06.2012, 3 Ko 174-175/10, juris). Dieser einschränkenden Auslegung des Begriffs „rückständige Gerichtskosten“ schließt sich das Gericht aber nicht an.
41Nach Auffassung des Gerichts steht dieser Reduktion bereits der Wortlaut der Vorschrift des § 122 Abs. 1 Nr. 1 a ZPO entgegen. Danach dürfen mit PKH-Bewilligung nicht nur die rückständigen, sondern auch die entstehenden Gerichtskosten nicht mehr gegen die Partei geltend gemacht werden. Sollten mit „rückständigen“ Gerichtskosten nur die Gerichtskosten gemeint sein, die erst mit oder nach formgerechter Antragstellung entstehen, würde das weitere gesetzliche Tatbestandsmerkmal „und die entstehenden“ Gerichtskosten ins Leere laufen.
42Darüber hinaus ist die Vorschrift des § 122 Abs. 1 Nr. 1 a ZPO nach dem Sinn der Vorschrift dahingehend auszulegen, dass einer hilfsbedürftigen Partei die Rechtsverfolgung ermöglicht werden soll (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 01.02.2007 – 5 WF 12/07 –, juris). Das Ziel einer effektiven Rechtsschutzgewährung steht im Vordergrund. Insoweit dürfen rückständige, wann auch immer entstandene Gebühren den Rechtsschutzsuchenden ab dem Zeitpunkt der Hilfezusage nicht mehr belasten. Ein Abstellen auf den Entstehungszeitpunkt der jeweiligen Gebühr käme einer weitergehenden Sanktion unvollständiger oder verspäteter Anträge gleich. Der Sanktionsgedanke wohnt dem Prozesskostenhilferecht (anders z.B. § 137 FGO) jedoch nicht inne (vgl. auch FG Düsseldorf, Beschluss vom 04.10.2012 – 16 Ko 3213/12 GK –, juris).
43Nach diesen Grundsätzen durften vorliegend die rückständigen Gerichtskosten in Höhe von 220 EUR nach Bewilligung der PKH nicht mehr von der Staatskasse geltend gemacht werden. Soweit – wie im Streitfall - vor der Bewilligung der PKH Kosten angesetzt und der Gerichtskasse zur Einziehung überwiesen, aber noch nicht bezahlt wurden, war die rückständige Kostenforderung auf Ersuchen des Kostenbeamten im Soll zu löschen (vgl. Tz. 3.2 DB-PKH, Zöller/Geimer ZPO 30. Auflage § 122 Rz. 4 m.w.N.). Entsprechend verfügte die Kostenbeamtin des Finanzgerichts am 26.06.2013, dass die Vorauszahlungsrechnung (Kassenzeichen 70055651 610 6) aufgehoben wird.
44Da sich an der Sach- und Rechtslage nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens nichts geändert hat, durften die seinerzeit rückständigen Gerichtskosten in Höhe von 220 EUR auch nicht erneut mit der Kostenrechnung vom 22.10.2013 (Kassenzeichen 70060487 610 7) vom Erinnerungsführer gefordert werden.
45Der Umstand, dass die Staatskasse die 220 EUR, die zu der Zeit als die PKH wirksam wurde rückständig waren, nicht mehr gegenüber dem Erinnerungsführer geltend machen kann, stellt entgegen der Auffassung der Erinnerungsgegnerin auch keine unzulässige rückwirkende Gewährung von Prozesskostenhilfe dar, sondern entspricht vielmehr dem Sinn des § 122 Abs. 1 Nr. 1 a ZPO, wonach die Rechtsverfolgung einer hilfebedürftigen Partei nicht durch Gerichtskosten verhindert oder erheblich erschwert werden soll (vgl. auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 27.12.2002 8 WF 80/02, juris). Eine nicht zulässige Rückwirkung würde erst dann vorliegen, wenn der formgerechte PKH-Antrag zeitlich erst nach Stellung des Hauptsacheantrages eingereicht wird und die vor formgerechter Antragstellung entstandene, fällige und beglichene Verfahrensgebühr rückerstattet werden soll (vgl. hierzu BFH Beschluss vom 26.11.2008 II E 5/08, BFH/NV 2009, 600).
464. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 66 Abs. 8 GKG.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.