Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 11 K 1438/13 BG
Tenor
Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 21.11.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.04.2013 den Art- und Zurechnungsfortschreibungsbescheid auf den 01.01.2009 vom 26.03.2010 für die wirtschaftliche Einheit A, Einfamilienhaus im Wohnungs-/Teileigentum, Dachgeschoss Nr. 18, aufzuheben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Kläger abwenden, soweit nicht die Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leisten.
1
T a t b e s t a n d:
2Streitig ist, ob den Klägern das Grundstück A, Wohnungseigentum laut Aufteilungsplan Nr. 18, zuzurechnen ist. Die Kläger haben das Grundstück und ein weiteres Grundstück (B) mit Notarvertrag vom ...11.2008 erworben. Sie sind am ...09.2009 als Eigentümer zu je ein halb Anteil im Grundbuch eingetragen worden.
3Daraufhin erließ der Beklagte unter dem 26.03.2010 einen Art- und Zurechnungsfortschreibungsbescheid. Das Grundstück (Einfamilienhaus im Wohnungs-/Teileigentum) war nunmehr kein Betriebsgrundstück. Der Einheitswert wurde in diesem Bescheid den Klägern zu je ein halb Anteil zugerechnet. Gegen den Bescheid wurde kein Einspruch eingelegt.
4Mit Schreiben vom 19.11.2012 beantragten die Kläger beim Beklagten, den Einheitswertbescheid aufzuheben. Der Grundstückskaufvertrag sei Anfang 2009 wegen arglistiger Täuschung angefochten worden. Die beiden rechtskräftigen Urteile des Landgerichts C vom 04.07.2011 () und des Amtsgerichts D vom 15.08.2012 () würden belegen, dass die Verträge rückabgewickelt werden müssten. Sie, die Antragsteller, seien rechtlich nie Eigentümer geworden, der Grundbucheintrag sei unrichtig.
5Mit Bescheid vom 21.11.2012 lehnte das Finanzamt den Antrag ab. Die Zurechnung eines Einheitswertes (mit der Bedeutung der Feststellung des Schuldners der Grundsteuer) erfolge auf denjenigen, dem die wirtschaftliche Einheit (hier Eigentumswohnung) zuzurechnen sei (§ 19 Abs. 3 Nr. 2 Bewertungsgesetz –BewG- und § 33 Abs. 2 BewG).
6Da die Antragsteller lediglich einen Geldersatzanspruch hätten, aber weiterhin im Grundbuch eingetragen seien und diese Eigentümerstellung erst aufgeben würden, wenn die Zahlung des Betrages aus dem Versäumnisurteil erfolge, die Antragsteller zudem mit dem Wohnungseigentum weiterhin nach ihren Interessen verfahren könnten (z.B. Vermietung oder Verkauf), läge das wirtschaftliche Eigentum immer noch bei ihnen.
7Die Frage der steuerlichen Zurechnung richte sich nach § 39 Abgabenordnung (AO). Hier werde bestimmt, dass demjenigen, der den steuerlichen Sachverhalt wirtschaftlich verwirklicht habe, auch der steuerliche Sachverhalt zugerechnet werde. Dies gelte auch für den Fall der Anfechtung nach § 123 Bürgerliches Gesetzbuch –BGB-. Dies habe auch der Bundesfinanzhof in seinem Urteil vom 12.10.2006, IIR 26/05 verdeutlicht. Wer die tatsächliche Herrschaft über das Grundstück (die Wohnung) ausübe (Mieteinnahmen) und die Gefahr des zufälligen Untergangs trage, der sei auch wirtschaftlicher Eigentümer.
8Daraufhin baten die Antragsteller mit Schreiben vom 05.12.2012 den Beklagten, seine Entscheidung abzuändern.
9Die Ablehnung stehe im Widerspruch zu der Entscheidung des Finanzamts E vom 21.11.2012. Die Antragsteller bezögen weder die Mieten aus der Wohnung, noch hätten sie die tatsächliche Herrschaft über die Wohnung.
10Mit Einspruchsentscheidung vom 03.04.2013 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Die Einspruchsführer seien jedenfalls wirtschaftliche Eigentümer. Sie könnten die tatsächliche wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Wohnung solange ausüben und den bürgerlichrechtlichen Eigentümer, die F GmbH von der Einwirkung ausschließen, bis dieser Veräußerer ihnen den Kaufpreis zurückerstattet und sie die Umschreibung im Grundbuch veranlassten. An die Entscheidung anderer Finanzämter sei man nicht gebunden.
11Hiergegen richtet sich die rechtzeitig erhobene Klage.
12Die Kläger hätten den Notarvertrag vom ...11.2008, der auch das Grundstück A, Wohnungseigentum Nr. 18 betraf, wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten.
13Die gegen die damalige Verkäuferin, die F GmbH, erhobene Klage habe das Landgericht C durch Versäumnisurteil vom 04.07.2011 in dem Verfahren () so entschieden, dass die Kläger den Kaufpreis und andere damit zusammenhängende Kosten zurückerhielten. Es sei, wie im Zivilprozess üblich, eine Zug-um-Zug-Verurteilung erfolgt.
14In dem weiteren Urteil des Amtsgerichts D unter dem Az. () sei die Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft auf Zahlung des rückständigen Hausgeldes für 2010 und 2011 abgewiesen worden, weil die Kläger nicht materiellrechtlich Eigentümer des Wohnungseigentums geworden seien. Das Amtsgericht habe geklärt, dass die Kläger auf das übelste arglistig getäuscht worden seien und dass sie auch tatsächlich nicht materiellrechtlich Inhaber des Wohnungseigentums geworden seien. Insoweit habe das Amtsgericht D zu Recht auf die Entscheidung des BGH in Neue Juristische Wochenschrift –NJW- 1994, 3352; OLG Düsseldorf, Zeitschrift für Miet- und Raumrecht –ZMR- 2005, 719 Bezug genommen.
15Die Kläger hätten keinerlei Gelder aus dem Objekt A gezogen. Sie hätten sich zu keinem Zeitpunkt in den Besitz der Immobilie gesetzt oder sich wie rechtmäßige Besitzer oder Eigentümer verhalten. Wer einen Vertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung anfechte, könne sich nicht auf der anderen Seite als Eigentümer aufspielen. Dementsprechend habe auch das Finanzamt E mit Bescheid vom 21.11.2012 den Einheitswertbescheid für das zweite Objekt, das in dem notariellen Kaufvertrag erworben worden sei, nämlich die B, aufgehoben.
16Dies sei die einzig richtige Entscheidung.
17Die Kläger seien nach der Rechtsprechung des BGH und des OLG Düsseldorf zu keinem Zeitpunkt materiellrechtlich Eigentümer der beiden Wohnungseigentumseinheiten geworden.
18Sie übten auch nicht die tatsächliche Herrschaft über das Wirtschaftsgut Eigentumswohnung aus. Sie wollten die hinter der F GmbH stehende G für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich nicht ausschließen. Bei einem eventuellen Untergang der Eigentumswohnung trügen die Kläger wirtschaftlich keinen Schaden, da auch der Darlehensvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten worden sei und insoweit Rückzahlungsansprüche gegen die Kläger nicht bestünden.
19Die Kläger könnten derzeit keineswegs auf die Eigentumswohnungen einwirken oder zivilrechtlich die Früchte (Mieteinnahmen) daraus ziehen, da sie dann gegen die materiellrechtliche Eigentumslage verstoßen würden.
20Die Kläger beantragen,
21den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 21.11.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.04.2013 den Art- und Zurechnungsfortschreibungsbescheid auf den 01.01.2009 vom 26.03.2010 für die wirtschaftliche Einheit A, Einfamilienhaus im Wohnungs-/Teileigentum, Dachgeschoss Nr. 18, aufzuheben,
22ferner, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären.
23Der Beklagte beantragt,
24die Klage abzuweisen,
25hilfsweise die Revision zuzulassen vor dem Hintergrund der Frage, ob sich aus dem zivilrechtlichen Zurückbehaltungsrecht ein wirtschaftliches Eigentum ergeben kann.
26.
27Wirtschaftsgüter seien grundsätzlich auch steuerrechtlich dem zivilrechtlichen Eigentümer zuzurechnen (§ 39 Abs. 1 AO). Übe jedoch ein anderer als der zivilrechtliche Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über das Wirtschaftsgut in der Weise aus, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen könne, so sei ihm das Wirtschaftsgut zuzurechnen (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 1 AO).
28Die Kläger trügen derzeit bei einem eventuellen Untergang der Eigentumswohnung wirtschaftlich den Schaden, ebenso könnten sie zivilrechtlich die Früchte (Mieteinnahmen) daraus ziehen. Da der Veräußerer der Eigentumswohnung, auf den rückübertragen werden sollte, aufgrund der Löschung im Handelsregister nicht mehr existiere, könne dieser wirtschaftlich auch keinen Gebrauch davon machen. Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse sei den Klägern die Einwirkung auf die Eigentumswohnung nicht ausgeschlossen, sie nähmen dieses Recht nur nicht in Anspruch. Die nach Auffassung des Beklagten falsche Entscheidung des Finanzamts E, den Einheitswert aufzuheben, könne nicht dazu führen, dass der angefochtene Einheitswert im Streitfall ebenfalls aufzuheben sei.
29Die erfolgreiche Anfechtung sei auch kein rückwirkendes Ereignis, welches Auswirkungen auf den Erlass des Fortschreibungsbescheids vom 26.03.2010 haben könne. Die formale grundbuchliche Eigentümerstellung der Kläger bestehe weiterhin. Nach Ansicht des Beklagten wären die Kläger auch nur gegen Rückzahlung des von ihnen gezahlten Kaufpreises bereit, ihre Grundbuchposition aufzugeben.
30Die vom Gericht insoweit herangezogene Entscheidung II R 38/05 des Bundesfinanzhofs sei zur Grunderwerbsteuer ergangen, die zum Gegenstand habe, bereits das Verpflichtungsgeschäft zu besteuern.
31Nach Ansicht des Beklagten seien die Kläger trotz der Anfechtung weiterhin bürgerlichrechtlicher Eigentümer der fraglichen Eigentumswohnung. Dies ergebe sich schon allein aus ihrer Eintragung im Grundbuch. Von daher komme es auf eine Innehabung der tatsächlichen Herrschaft durch die Kläger über die Eigentumswohnung nicht an. Die schlichte Nichtausübung des wirtschaftlichen Eigentums durch den Eigentümer könne dessen Eigentum -zumindest bei Immobilien- nicht beseitigen.
32Lediglich der in § 928 BGB vorgesehene Weg ermögliche eine Eigentumsaufgabe an Immobilien. Eine entsprechende Erklärung gegenüber dem Grundbuchamt sei nicht bekannt und dürfte überdies auch nicht auf den angestrebten Zeitpunkt zurückwirken.
33In der beigezogenen Gerichtsakte (Landgericht C) findet sich ein Schreiben der damals schon anwaltlich vertretenen Kläger vom 03.11.2009 an die F GmbH. Dort wird die von der Grundstücksverkäuferin wahrheitswidrig geschilderte Vermietungssituation bezüglich der beiden erworbenen Wohnungen geschildert (Zusicherung, dass beide Eigentumswohnungen vermietet sind und die Mieten gezahlt werden). Sodann heißt es: „Sämtliche Vereinbarungen mit Ihnen werden daher aus allen in Betracht kommenden Gründen und insbesondere wegen arglistiger Täuschung angefochten. Rein vorsorglich treten unserer Mandanten hiermit von sämtlichen Vereinbarungen mit Ihnen zurück.“
34Ausweislich einer in derselben Gerichtsakte befindlichen Auskunft der Stadt C vom 26.01.2011 an die Bevollmächtigten der Kläger wurde das Gewerbe der F GmbH wegen Neuerrichtung am ...10.2009 angemeldet und am ...02.2010 wieder abgemeldet.
35Über das Vermögen der vorbenannten GmbH wurde aufgrund eines am ...04.2011 bei Gericht eingegangenen Antrags einer Gläubigerin am ...01.2012 wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung das Insolvenzverfahren eröffnet (Amtsgericht C, Aktenzeichen:..). Gemäß dem Handelsregisterauszug des Amtsgerichts C (…) ist die Gesellschaft durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen aufgelöst. Am ...05.2013 ist bei Gericht die Anzeige des Insolvenzverwalters eingegangen, dass Masseunzulänglichkeit im Sinne der §§ 208-210 InsO vorliegt (Amtsgericht C vom 24.05.2013 zu …).
36Wegen weiterer Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.04.2014, den beigezogenen Verwaltungsvorgang zur Einheitsbewertung und auf die beigezogenen Akten zu den Klageverfahren … (Landgericht C) und …..(Amtsgericht D) Bezug genommen.
37E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
38Die Klage ist begründet.
39Der Ablehnungsbescheid vom 21.11.2012 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 03.04.2013 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 101 S. 1 Finanzgerichtsordnung –FGO-).
401. Das Finanzamt war verpflichtet, den Art- und Zurechnungsfortschreibungsbescheid auf den 01.01.2009 vom 26.03.2010 für die wirtschaftliche Einheit A, Einfamilienhaus im Wohnungs-/Teileigentum, Dachgeschoss Nr. 18 nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO aufzuheben.
41Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid aufzuheben, soweit Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen erst nachträglich bekannt werden.
42Die Voraussetzungen der Vorschrift sind im Streitfall erfüllt.
43a) Nachträglich bekannt gewordene Tatsache ist die Anfechtungserklärung, die von den Klägern dem Finanzamt mit Schreiben vom 19.11.2012 und damit knapp zwei dreiviertel Jahre nach Erlass des strittigen Einheitswertbescheides mitgeteilt wurde.
44Die Kläger haben mit ihrer Erklärung vom 03.11.2009 gegenüber der seinerzeitigen Verkäuferin erfolgreich sowohl den Kaufvertrag als auch die dingliche Einigung (Auflassung) in Bezug auf das streitbefangene Grundstück wegen arglistiger Täuschung angefochten. Damit ist ihre Eigentümerstellung rückwirkend (§ 142 Abs. 1 BGB) entfallen mit der Folge, dass ihnen gegenüber keine Zurechnungs- und Artfortschreibung vorgenommen werden durfte.
45Die arglistige Täuschung liegt in der bewusst unwahren Information zur Vermietungssituation der Wohnung durch die Verkäuferin. Der Senat folgt hier den Ausführungen des Amtsgerichts D in seinem Urteil vom 15. August 2012, … (dort Seite 7 ff.).
46Die Anfechtungserklärung der Kläger vom 03.11.2009 erfasste nicht nur den Kaufvertrag, sondern auch die dingliche Einigung (Auflassung) der Vertragsparteien im Sinne der §§ 873, 925 BGB. Durch die arglistige Täuschung der Verkäuferin litt sowohl das Verpflichtungs- als auch das Verfügungsgeschäft an demselben Willensmangel („Fehleridentität“; Erman, 13. Auflage 2011, § 142 BGB, Rz. 5; ferner: BGH Beschluss vom 06.10.1994 V ZB 2/94, NJW 1994, 3352; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 07.08.2002, I-3 Wx 182/02, 3 Wx 182/02, ZMR 2005, 719; OLG Hamm, Urteil vom 2. Juli 1973, 5 U 51/73, Versicherungsrecht –VersR- 1975, 814).
47Die empfangsbedürftige Anfechtung als Willenserklärung konnte auch aus Sicht des Empfängers, der Verkäuferin, nur so verstanden werden, dass das gesamte Rechtsgeschäft, also sowohl der schuldrechtliche Kaufvertrag als auch das sachenrechtliche Verfügungsgeschäft, angefochten werden sollte. Die Kläger wollten sich seinerzeit wegen der arglistigen Täuschung umfassend von den Rechtsfolgen des Grundstücksgeschäfts lösen; dies ergibt sich aus der formulierten Anfechtungserklärung, mit der „sämtliche“ Vereinbarungen angefochten werden sollten.
48Durch den rückwirkenden Eigentumsverlust waren die Kläger auch nicht schutzlos einem Anspruch des Verkäufers auf die Berichtigung des Grundbuches nach § 894 BGB ausgesetzt. Ihre nach § 894 BGB nötige Zustimmung zur Grundbuchberichtigung als nur noch formal als Eigentümer Eingetragene konnten/können die Kläger nach § 273 Abs. 1 BGB solange zurückbehalten, bis der Verkäufer den Kaufpreisrückzahlungsanspruch erfüllt hat (vergleiche hierzu Palandt, 73. Auflage 2014, § 894 BGB, Rz. 11).
49b) Die Kläger trifft auch kein grobes Verschulden daran, dass sie dem Finanzamt die Anfechtung erst nachträglich mitgeteilt haben. Grob schuldhaft im Sinne einer groben Fahrlässigkeit handelt nur der Steuerpflichtige, der die Sorgfalt, zu der er nach seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und im Stande ist, in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt (vergleiche hierzu Loose in Tipke-Kruse, § 173 AO Rz. 76 ff. mit Nachweisen aus der ständigen Rechtsprechung des BFH und der Finanzgerichte).
50Die Kläger als steuerrechtliche Laien haben ihre Sorgfaltspflichten nicht in ungewöhnlichem Umfange verletzt, wenn sie die Anfechtungserklärung, welche der von ihnen beauftragte Rechtsanwalt H seinerzeit erstellt hatte, der Finanzbehörde damals nicht unverzüglich mitgeteilt hatten, sondern erst die zivilrechtliche Klärung der Rechtslage abwarteten. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, als ebenfalls der rechtzeitige Zugang des Anfechtungsschreibens bei der F GmbH nachgewiesen werden musste (vergleiche hierzu das Amtsgerichtsurteil auf Seite 10 ff.).
51Die Kläger müssen sich auch nicht grobes Verschulden von Rechtsanwalt H als Vertreterverschulden zurechnen lassen, was denkbar wäre bei einem unterbliebenen anwaltlichen Hinweis, das Anfechtungsschreiben auch zeitgleich der Steuerbehörde zuzuleiten.
52Grundsätzlich muss sich nach herrschender Meinung und ständiger Rechtsprechung der Steuerpflichtige zwar das Verschulden seines beauftragten Vertreters als eigenes
53Verschulden zurechnen lassen (vergleiche hierzu näher Loose in Tipke-Kruse, § 173 AO Rz. 82 ff.). Von einem derartigen Vertreterverschulden ist im vorliegenden Fall jedoch ebenfalls nicht auszugehen.
54Nach der eingehenden Befragung des Klägers durch den Senat in der mündlichen Verhandlung steht zur Überzeugung des Senates fest, dass Rechtsanwalt H von den Klägern zur steuerlichen Auswirkung der Anfechtungserklärung (hier: Einheitsbewertung und Grundsteuer) erst im Jahr 2012 befragt wurde, also zu einem Zeitpunkt, der rund zwei Jahre nach dem Erlass des Einheitswertbescheides liegt. Für die Richtigkeit des entsprechenden Klägervortrages spricht auch die Aktenlage. Zunächst haben die Kläger entsprechend dem anwaltlichen Rat mit dem selbst verfassten Schreiben vom 19.11.2012 versucht, das Finanzamt zur Aufhebung des Bescheides zu bewegen. Erst als dies zu keinem Erfolg führte, ist dann der Anwalt selbst im Auftrag der Kläger gegenüber dem Finanzamt aufgetreten.
552. Der Zurechnungs- und Artfortschreibungsbescheid konnte gegenüber den Klägern auch nicht in ihrer Eigenschaft als wirtschaftlicher Eigentümer nach § 39 AO ergehen.
56Nach § 39 Abs. 1 AO sind Wirtschaftsgüter dem Eigentümer zuzurechnen.
57Übt ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise aus, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann, so ist ihm das Wirtschaftsgut zuzurechnen (§ 39 Abs. 2 S. 1 AO – sogenanntes wirtschaftliches Eigentum).
58Die Kläger sind zum Bewertungsstichtag nicht als wirtschaftliche Eigentümer der Eigentumswohnung A anzusehen. § 39 Abs. 2 S. 1 AO verlangt die tatsächliche Ausübung der Herrschaft über das Wirtschaftsgut (vergleiche auch Drüen in Tipke-Kruse, § 39 AO Rz. 23). Die bloße Möglichkeit, die Herrschaft ausüben zu können, reicht alleine nicht. Für dieses Verständnis spricht neben dem Wortlaut der Vorschrift der Ausnahmecharakter der von der Normalregel des § 39 Abs. 1 AO abweichenden Zurechnungsnorm des § 39 Abs. 2 AO.
59Eine solche tatsächliche Ausübung der Sachherrschaft fehlt bei den Klägern. Sie haben sich stets so verhalten, als wären sie zu keinem Zeitpunkt als Eigentümer im Grundbuch eingetragen worden, insbesondere sind ihnen keine Mieteinnahmen zugeflossen, sie haben sich auch nicht darum bemüht. Sie haben sich ebenfalls nicht darum bemüht, auf die Wohnungsverwaltung Einfluss zu nehmen, und sie haben sich – wie das oben bezeichnete Amtsgerichtsurteil zu der weiteren erworbenen Eigentumswohnung beweist – der Klage der Wohnungseigentümergemeinschaft auf Zahlung rückständiger Hausgelder folgerichtig (und erfolgreich) widersetzt. Damit sind die Kläger auch nicht als Eigenbesitzer im Sinne von § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 letzte Alternative AO anzusehen.
60Da sie infolge der Anfechtung rückwirkend von Anfang an Nichteigentümer der Wohnung sind, tragen sie auch nicht die Gefahr des zufälligen Untergangs der Sache, wodurch ebenfalls ein für die Annahme wirtschaftlichen Eigentums im Sinne von § 39 AO zu berücksichtigendes Kriterium entfällt (vergleiche auch BFH-Urteil vom 12. Oktober 2006, II R 26/05, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 2007, 386).
61Wirtschaftliches Eigentum begründet sich schließlich auch nicht aus dem oben erwähnten nach Anfechtung gegebenen zivilrechtlichen Zurückbehaltungsrecht der Kläger gegenüber dem Anspruch der Veräußerin der Eigentumswohnung auf Berichtigung des Grundbuches nach § 894 BGB. Dieses Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB stellt lediglich eine zivilrechtliche Einrede dar, die die Berichtigung des materiellrechtlich falschen Grundbuches nur Zug um Zug gegen Rückerstattung des Kaufpreises sicherstellt und damit für sich allein nicht zur Annahme einer tatsächlich ausgeübten Sachherrschaft über die Eigentumswohnung führt (vergleiche auch das Urteil des sächsischen Finanzgerichts vom 26. Januar 2005, 7 K 1271/99, Juris, nach dem selbst ein Recht zum Besitz kein wirtschaftliches Eigentum begründet).
623. Da der Bescheid schon nach § 173 AO aufzuheben ist, kann letztlich offen bleiben, ob und in welchem Umfang eine Aufhebung im Wege einer fehlerbeseitigenden Fortschreibung nach § 22 Abs. 3 S. 1 i.V.m. Abs. 4 S. 3 Nr. 2 BewG geboten ist.
634. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
64Die Erklärung zur Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren folgt aus § 139 Abs. 3 S. 3 FGO.
65Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
66Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Die Einzelfallentscheidung hat weder grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.
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