Beschluss vom Finanzgericht Düsseldorf - 4 V 3843/14 A (Z)
Tenor
Die Vollziehung des Einfuhrabgabenbescheids des Antragsgegners vom 30.10.2014 wird ohne Sicherheitsleistung aufgehoben, soweit darin mehr als 57,06 € Zoll festgesetzt worden sind.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung).
1
Gründe:
2I.
3Die Antragstellerin meldete am ….2014 beim Zollamt … des Antragsgegners aus den USA eingeführte Bekleidung zum Schutz gegen Röntgenstrahlen, die sie in der Warenbezeichnung als „Antimon und Waren daraus, hier Strahlenschutzkleidung“ bezeichnete, zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr an.
4Bei den angemeldeten Waren handelte es sich um vier den Oberkörper vollständig bedeckende Westen der Modelle 730, 735, 830 und 835, die auf der Außenseite aus einem Gewebe aus Polyester und Polyamid und auf der Innenseite aus einem Gewebe aus Polyester und Nylon bestehen und an den Rändern zusammengenäht und durch einen Gewebestreifen eingefasst wurden.
5Die Westen der Modelle 730 und 830 weisen jeweils einen Verschluss „links über rechts“ mit ¾ überlappenden Vorderteilen auf. Bei den Westen der Modelle 735 und 835 erfolgt der Verschluss zum einen durch eine Überlappung des Rückteils auf der linken Schulter, die mit einem Klettverschluss geschlossen werden kann, und zum anderen durch zwei Verlängerungen des Rückenteils, die beidseitig in Bauchhöhe mit Klettverschlüssen befestigt werden.
6Alle Westen haben zum Befestigen eines (nicht mitgelieferten Schilddrüsenschutzes) eine am Halsansatz befestigte Schlaufe mit einem kleinen stählernen Ring.
7Die Innenlage besteht bei zwei der Westen aus einem Gemisch aus Antimonpulver (ca. 55% des Gesamtgewichts), Wismutpulver (ca. 15% des Gesamtgewichts), Kunststoff und Weichmachern. Bei den anderen beiden Westen besteht die Innenlage aus einem Gemisch aus Antimonpulver (ca. 45% des Gesamtgewichts) und Wolframpulver (ca. 19% des Gesamtgewichts) sowie Kunststoff und Weichmachern. Das Gemisch aus Antimon-, Wismut- und Wolframpulver weist den größten Wertanteil auf.
8Die Zollstelle setzte mit Einfuhrabgabenbescheid vom 30.10.2014 insgesamt 283,55 € Einfuhrabgaben, davon 97,82 € Zoll und 185,73 € Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) ausgehend von einem Zollwert von 815,15 € fest, da die Ware in Unterposition 6211 33 10 der Kombinierten Nomenklatur (KN) einzureihen sei.
9Mit ihrem hiergegen fristgerecht eingelegten Einspruch machte die Antragstellerin geltend, die Strahlenschutzkleidung sei in die Unterposition 8110 90 00 KN mit einem Zollsatz von 7% einzureihen. Eine Einreihung in die Unterposition 6211 33 10 KN sei trotz der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 298/2012 der Kommission vom 02.04.2012 zur Einreihung bestimmter Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. EU Nr. L 99/12), zuletzt geändert durch Art. 1 Anhang I Lfd. Nr. 83 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 441/2013 der Kommission vom 07.05.2013 zur Änderung oder Aufhebung bestimmter Verordnungen zur Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. EU Nr. L 130/1) – DVO 298/2012 – nicht möglich, da die eingeführten Waren denen dieser Verordnung nicht ausreichend entsprächen. Zudem sei in der DVO 298/2012 die Allgemeine Vorschrift für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur (AV) 3b unzutreffend angewandt worden, da der charakterbestimmende Bestandteil der Strahlenschutzkleidung die strahlenschützenden metallischen Erzeugnisse seien. Das insoweit maßgebende Metall ergebe sich ebenfalls durch die AV 3b und sei Antimon. Der textile Stoffanteile konfektioniere nur die Ware.
10Diese Auffassung werde auch durch das Senatsurteil vom 27.01.2009, 4 K 804/09 Z bestätigt.
11Die zugleich mit dem Einspruch beantragte Aufhebung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner mit Verfügung vom 21.11.2014 unter Hinweis auf die DVO 298/2012 ab.
12Mit ihrem am 04.12.2014 beim Finanzgericht eingegangenen Antrag verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren weiter und trägt vor:
13Eine Einreihung nach der DVO 298/2012 scheide schon deshalb aus, weil die von ihr eingeführte Ware der in der DVO beschriebenen nicht in vollem Umfang entspreche.
14Zudem könne die DVO 298/2012 nicht als Argumentationshilfe dienen, weil sie bei der in ihr vorgenommenen Einreihung die Ware ohne Anwendung der AV 3b eingereiht habe. Das charakterbestimmende Merkmal der Strahlenschutzkleidung sei nämlich ihr metallischer, den Schutz vor Röntgenstrahlen sichernder Teil, dessen wesentlichster Bestandteil Antimon sei. Davon gehe auch das Senatsurteil vom 27.01.2009, 4 K 804/09 Z aus. Dem entspreche auch die Einreihungspraxis in den USA.
15Auch schon im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes sei ein Vorabentscheidungsverfahren möglich und bei der hier allein streitigen Rechtsfrage geboten, indem nach der Gültigkeit der DVO 298/2012 gefragt werde.
16Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
17die Vollziehung des Einfuhrabgabenbescheids des Antragsgegners vom 30.10.2014 hinsichtlich des Zolls auszusetzen, soweit darin mehr als 56,06 € Zoll festgesetzt worden sind.
18Der Antragsgegner beantragt,
19den Antrag abzulehnen.
20Dazu führt er aus: Die DVO 298/2012 stelle, auch wenn die dort beschriebene Ware nicht mit der eingeführten übereinstimme, gleichwohl eine Argumentationshilfe dar, zumal die Waren den gleichen Aufbau und die gleiche Funktion hätten und sich nur in der Schnittführung unterschieden. Zudem werde auf die Begründung der DVO 298/2012 in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 441/2013 der Kommission vom 07. Mai 2013 zur Änderung oder Aufhebung bestimmter Verordnungen zur Einreihung von Waren in die Kombinierte Nomenklatur (ABl. EU Nr. L 130/1) verwiesen.
21Eine aus zwei oder mehr Bestandteilen zusammengesetzte Ware sei nach AV 3 B) einzureihen, wobei der Bestandteil festzustellen sei, der der Ware den Charakter verleihe. Das den Charakter bestimmende Merkmal sei je nach Art der Ware verschieden. Es könne sich beispielsweise aus der Art und Beschaffenheit des Stoffes oder der Bestandteile, aus seinem Umfang, seiner Menge, seinem Gewicht, seinem Wert oder aus der Bedeutung des Stoffes in Bezug auf die Verwendung der Ware ergeben. Dabei sei jede Ware für sich zu prüfen.
22Hier seien insbesondere die Kriterien „Bedeutung in Bezug auf die Verwendung“, „Umfang“ und „Wert“ heranzuziehen. Danach bestimme immer das kittelähnliche Kleidungsstück gegenüber dem Schlüsselring den Charakter der Ware und sei deshalb als charakterbestimmend im Sinne der AV 3 b) anzusehen. Somit sei das Oberteil gemäß den AV 1 und 6, der Anmerkung 7 Buchst. e zu Abschnitt XI, Anmerkung 8 zu Kapitel 62 sowie dem Wortlaut der Position 6211, den Unterpositionen 6211 33 und 6211 33 10 KN als „Andere Kleidung (Strahlenschutzkleidung) aus Geweben, für Männer, aus Chemiefasern, Arbeits- und Berufskleidung“ der Unterposition 6211 33 10 KN zuzuweisen.
23Diese Einreihungsauffassung habe das FG München mit Beschluss vom 30.12.2013, 14 V 2296/13 bestätigt. Die DVO 298/2012 habe er als geltendes Recht anzuwenden.
24II.
25Der Antrag hat Erfolg.
26Ist wie im Streitfall die Aufhebung der Vollziehung einer zollrechtlichen Entscheidung streitig, richtet sich auch die Entscheidung des Finanzgerichts nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 69 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‑ FGO ‑ i. V. m. § 361 Abs. 5 der Abgabenordnung über die von dem Antragsteller beantragte Aufhebung der Vollziehung hinsichtlich des Entscheidungsmaßstabs nach Art. 244 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften - ZK - (s. Bundesfinanzhof - BFH - Beschluss v. 22.11.1994, VII B 140/94, BFHE 176, 170, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern ‑ ZfZ ‑ 1995, 110). Danach kann das Finanzgericht die Vollziehung ganz oder teilweise aufheben, wenn u. a. begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Begründete Zweifel sind anzunehmen, wenn bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen auch gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit in der Beurteilung der Rechtslage oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (s. BFH a. a. O.).
27Hinsichtlich des Verfahrensstoffs findet wegen des summarischen Verfahrens eine Beschränkung auf die dem Gericht vorliegenden Unterlagen und etwaige präsente Beweismittel statt, wobei es Sache der Beteiligten ist, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen (§§ 155 FGO, 294 ZPO). Weitergehende Sachverhaltsermittlungen durch das Finanzgericht sind auch als Folge der summarischen Prüfung nicht erforderlich (Gräber/Koch FGO 7. Aufl. § 69 Rz. 121 f. m.w.N.).
28Bei diesem Prüfungsmaßstab bestehen begründeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids des Antragsgegners vom 30.10.2014, soweit darin mehr als 57,06 € Zoll festgesetzt worden sind.
29Für die eingeführte Strahlenschutzkleidung ist der Zoll nach Art. 201 Abs. 1 Buchst. a, Abs. 3 ZK entstanden.
30Entgegen der Auffassung des Antragsgegners bestehen begründete Zweifel an der Annahme, für die eingeführte Strahlenschutzkleidung sei nach Art. 20 Abs. 1, Abs. 3 Buchst. a ZK auf Grund der KN, die im Streitfall in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1001/2013 der Kommission vom 04.10.2013 zur Änderung von Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. EU Nr. L 290/1) anzuwenden ist, ein Zollsatz von 12% zutreffend. Vielmehr spricht einiges dafür, nur von einem Zollsatz von 7% auszugehen.
31Das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren ist allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen und in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln der KN festgelegt sind (zuletzt Gerichtshof der Europäischen Union – EuGH –, Urteil vom 20.11.2014 C-666/13 Rz. 24). Die Erläuterungen (Erl) des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens zum Harmonisierten System (HS) sowie die Erläuterungen der Kommission zur Kombinierten Nomenklatur stellen ein wichtiges, wenn auch ein nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen dar (EuGH-Urteil vom 20.11.2014 C-666/13 Rz. 25).
32Danach können Westen für die Berufsausübung, die konfektioniert im Sinne der Anmerkung 7 f) zu Abschnitt IX sind und als solche in Kapitel 62 gehören (Anmerkung 1 zu Kapitel 62) als andere Kleidung der Position 6211 zu beurteilen sein. Unter anderer Kleidung im Sinne dieser Position ist Kleidung zu verstehen, die in den vorgehenden Positionen des Kapitels 62 nicht gesondert erfasst sind (s. Erläuterungen zum Harmonisierten System (Erl HS) zu Pos. 6210 Rz. 01.2 in Verbindung mit Erl HS zu Pos. 6114 Rz. 01.1), die auch andere Schutzkleidung, wie sie u.a. von Chirurgen usw. getragen wird, umfasst (s. Erl HS zu Pos. 6114 Rz. 03.1).
33Wie diese Waren weiter in die Position 6211 einzureihen sind, ist für die hier allein notwendige Bestimmung des Zollsatzes unerheblich, da er unterschiedslos bei 12% liegt.
34Für diese Einreihung spricht auch die DVO 298/2012, die ähnliche Waren betrifft.
35Andererseits können die streitbefangenen Westen der Position 8110 als Waren aus Antimon zuzuweisen sein, für die, da es sich nicht um Abfälle oder Schrott handelt, ein Zollsatz von 7% vorgesehen ist.
36Die Westen bestehen aus mehreren Stoffen oder Bestandteilen, den Geweben mit der Einfassung und den Klettverschlüssen, dem Ring für den Schilddrüsenschutz sowie der Einlage, die aus einem Gemisch aus Antimonpulver (ca. 55% des Gesamtgewichts), Wismutpulver (ca. 15% des Gesamtgewichts), Kunststoff und Weichmachern, oder aus einem Gemisch aus Antimonpulver (ca. 45% des Gesamtgewichts) und Wolframpulver (ca. 19% des Gesamtgewichts) sowie Kunststoff und Weichmachern besteht.
37Hinsichtlich der unedlen Metalle (s. Anmerkung 3 zu Abschnitt XV), Antimon und Wismut bzw. Antimon und Wolfram, werden Waren, wenn sie aus zwei oder mehr unedlen Metallen bestehen, wie entsprechende Waren aus dem Metall eingereiht, das gewichtsmäßig gegenüber jedem anderen Metall vorherrscht (Anmerkung 7 Abs. 1 zu Abschnitt XV), mithin wie Antimon.
38Bestehen Waren, wie die streitbefangenen Westen, aus mehreren Stoffen oder Bestandteilen, werden sie nach den Grundsätzen der AV 3 eingereiht, AV 2b Satz 3.
39Insoweit kommt allerdings eine Einreihung nach der AV 3 a nicht in Betracht, weil eine Position mit einer genaueren Warenbezeichnung nicht ermittelt werden kann. Daher sind die Westen nach dem Bestandteil einzureihen, der ihnen ihren wesentlichen Charakter verleiht (AV 3b). Welcher Bestandteil einer zusammengesetzten Ware charakterbestimmend ist, lässt sich unter Beachtung der Erl HS zur AV 3b Rz. 19.1 ermitteln. Danach kann sich das entscheidende Merkmal z.B. aus der Art und Beschaffenheit des Stoffes oder der Bestandteile, aus dem Umfang, der Menge, dem Gewicht, dem Wert oder der Bedeutung in Bezug auf die Verwendung der Ware und auch aus ihrem Erscheinungsbild ergeben (EuGH-Urteil v. 15.11.2012 C-558/11 Rz. 38). Welches dieser nicht abschließend aufzählbaren Merkmale im Einzelfall zu berücksichtigen ist, hängt von der Art und dem Verwendungszweck der Ware ab (BFH Urteil v. 07.08.2013 VII R 32/12, BFH/NV 2013, 1954 m.w.N.).
40Unter Berücksichtigung des Gewichtsanteils, des Wertes und der Bedeutung in Bezug auf die Verwendung der Ware kommt dem Antimonpulver die charakterbestimmende Bedeutung für die Schutzkleidung zu. Dies entspricht auch der Tarifauffassung der u.s.-amerikanischen Zollverwaltung, wie sich das aus dem von der Antragstellerin übersandten Schreiben vom 11.05.2014 ergibt (…). Dort ist zutreffend ausgeführt worden, dass das Antimonpulver nach seinem Gewicht und Wert charakterbestimmend sei. Ferner wird darin zu Recht darauf hingewiesen, dass die Ware ohne das Antimonpulver - und das (dort) in geringerem Umfang vorhandene Bleipulver - nicht als Schutzkleidung gegen Röntgenstrahlung verwendet werden könnte.
41Kommen demnach sowohl die Position 6211 als auch die Position 8110 für die Einreihung der streitbefangenen Westen in Betracht, ist nach der AV 3 zu verfahren.
42Diese Konkurrenz kann nicht nach der AV 3a aufgelöst werden, weil keine der Warenbezeichnungen in den Positionen 6211 „andere Waren“ oder „Waren aus Antimon“ genauer ist.
43Bei Anwendung der AV 3b sprechen, wie bereits dargestellt, erhebliche Gründe dafür, die Westen nach dem in in ihnen enthaltenen Antimon zu beurteilen, da sie nur mit der metallischen Einlage als Schutzkleidung gegen Röntgenstrahlen verwendet werden können.
44Wird hingegen zusätzlich bei der Bestimmung des charakterbestimmenden Bestandteils darauf abgestellt, ob die Ware auch ohne den einen oder anderen ihrer Bestandteile ihre charakteristischen Eigenschaften behalten würde (EuGH-Urteil v. 15.11.2012 C-558/11, Rz. 37), wäre eine Entscheidung nach AV 3b nicht mehr möglich, weil die Westen ohne den Stoffanteil oder ohne die Einlage ihre Funktion nicht erfüllen könnten. Dann wäre AV 3c anzuwenden (EuGH-Urteil v. 15.11.2012 C-558/11, Rz. 40) mit der Folge, dass die Westen in die Position 8110 einzureihen wären.
45Diesem Ergebnis steht auch die Begründung der DVO 298/2012 nicht entgegen, soweit darin bezugnehmend auf Erl HS zu Pos. 6210 Rz. 03.1 ausgeführt wird, Strahlenschutzanzüge gehörten in die Position 6210. Dieser Beurteilung liegt ersichtlich eine Verwechselung mit völlig anderen Waren vor, den Kontaminationsschutzanzügen für die ABC-Abwehr von Feuerwehren und ähnlichen Hilfsdiensten (s. Beispiele in der Feuerwehrdienstvorschrift FwDV 500, Ausgabe August 2004, Abschnitt 1.3.1.2). Diese Anzüge können aus dem beschichteten Gewebe bestehen, das für Waren der Position 6210 erforderlich ist. Sie schützen nur vor der Kontamination, nicht aber vor der Strahlung durch Einlagen aus bestimmten Metallen.
46Im Hinblick auf die dargestellten begründeten Zweifel käme in einem Verfahren der Hauptsache eine Aussetzung des Verfahrens nach Art. 267 AEUV in Betracht.
47Selbst wenn vertreten werden sollte, die DVO 298/2012 sei im Streitfall unmittelbar anwendbar, wäre dann deren Gültigkeit zu prüfen. Zwar hat der Rat der Kommission ein weites Ermessen bei der näheren Angabe des Inhalts der Tarifpositionen eingeräumt, die für die Einreihung einer bestimmten Ware in Frage kommen. Die Kommission hat jedoch aufgrund ihrer Befugnis zum Erlass von Einreihungsverordnungen wie der DVO 298/2012 gemäß Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23.07.1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) nicht das Recht, den Inhalt der Tarifpositionen zu ändern, die auf der Grundlage des durch das Übereinkommen eingeführten HS geschaffen worden sind, denn die Union hat sich gemäß Art. 3 dieses Übereinkommens verpflichtet, die Tragweite dieser Tarifpositionen nicht zu verändern (EuGH-Urteil v. 18.07.2007 C-310/06 Rz. 21 m.w.N.).
48Im Streitfall ist nämlich die Annahme, die DVO 298/2012 habe die Tarifpositionen geändert, nicht fernliegend, wenn Strahlenschutzkleidung allein auf Grund des allgemeinen Aussehens ihrer Textilteile und der Nennung in Erl HS zu Pos. 6210 Rz. 03.1 als andere Kleidung in Position 6211 eingereiht wird, obwohl sich aus der Bedeutung der strahlenabsorbierenden metallischen Einlagen der streitbefangenen Waren ein anderes Ergebnis aufdrängt.
49Entgegen den Ausführungen der Antragstellerin scheidet in dem hier anhängigen Verfahren die Aussetzung des Verfahrens nach Art. 267 AEUV aus, zu der das Finanzgericht als Instanzgericht auch nicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV verpflichtet ist. Der Rechtsstreit ist nämlich, ohne dass es einer endgültigen Entscheidung der Einreihungsfrage bedarf, entscheidungsreif. Auf Grund der dargestellten Auslegungsmöglichkeiten der KN bestehen nämlich begründete Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einfuhrabgabenbescheids.
50Bei der auszusprechenden Aufhebung der Vollziehung ist auch von einer Sicherheitsleistung, die an sich nach Art. 244 Absatz 3 ZK zu fordern wäre, abzusehen, weil der streitige Zollbetrag mit 40,76 € weit unter 500 € liegt. In diesen Fällen sieht Art. 189 Abs. 5 ZK vor, dass die Zollbehörden und ihnen folgend die Finanzgerichte in Verfahren über die Aufhebung der Vollziehung von einer Sicherheitsleistung absehen können (Senatsbeschluss v. 26.04.1996 4 V 1486/96 A (VTa,Z,EU), ZfZ 1996, 284).
51Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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Referenzen
- 2013 VII R 32/12 1x (nicht zugeordnet)
- 4 V 1486/96 1x (nicht zugeordnet)
- VII B 140/94 1x (nicht zugeordnet)
- FGO § 135 1x
- 4 K 804/09 2x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 155 Aufhebung der Aussetzung bei Verzögerung 1x
- 14 V 2296/13 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 294 Glaubhaftmachung 1x