Urteil vom Finanzgericht Düsseldorf - 4 K 1767/15 VE
Tenor
Der Steuerbescheid des Beklagten vom 01.12.2008 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.12.2009 wird aufgehoben, soweit darin mehr als 11.643,98 € Energiesteuer festgesetzt worden ist. Der Steuerbescheid des Beklagten vom 07.12.2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.12.2009 wird aufgehoben, soweit darin mehr als 986,69 € Energiesteuer festgesetzt worden ist.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich des Revisionsverfahrens tragen der Beklagte zu 94% und die Klägerin zu 6%.
Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Die … gegründete Klägerin bietet als Serviceunternehmen thermische Oberflächenbeschichtungen für verschiedene Bereiche der Industrie an.
3Das dazu von der Klägerin angewandte Hochgeschwindigkeitsflammspritzen (…) ist ein thermisches Beschichtungsverfahren insbesondere für Karbid- und metallische Schichten.
4Die dabei verwandten wassergekühlten HVOF-Brenner (High Velocity Oxy Fuel – Hochgeschwindigkeitsflammspritzen) bestanden im Wesentlichen aus einer Brennkammer und einer Düse. In der Brennkammer wurden Sauerstoff und entaromatisiertes Testbenzin der Qualität 180/210 (Unterpos. 2710 1121 KN) oder anderes, der gleichen Unterposition der KN zuzuweisendes Leichtöl (Exxsol D60) zur Zündung gebracht. Dabei entstand ein Gasstrahl (ca. 3.000 °C), der über eine Lavaldüse expandiert wurde. In den Gasstrahl wurde das Beschichtungspulver (Karbid oder Metall) an zwei Positionen eingedüst, angeschmolzen und auf ca. dreifache Schallgeschwindigkeit beschleunigt. Diese hochbeschleunigten Materialpartikel trafen auf die Werkstückoberfläche auf und erzeugten dort außerordentlich dichte Schichten von sehr hoher Haftfestigkeit.
5Um Verzug und Gefügeänderungen zu vermeiden, wurde das jeweilige Werkstück mit CO2 oder Druckluft gekühlt. Es konnte aber bis zu 100°C warm werden.
6Nach Ermittlungen auch durch eine Steueraufsichtsmaßnahme nahm der Beklagte die Klägerin mit Steuerbescheid vom 01.12.2008 für … € Energiesteuer (189.796 l bei 15°C) und mit weiterem Steuerbescheid vom 07.12.2009 für … € Energiesteuer (16.089 l bei 15°C) in Anspruch. Dazu führte er u.a. aus, von den in § 2 Abs. 1 und 3 des Energiesteuergesetzes (EnergieStG) genannten Energieerzeugnissen stünden die verwendeten Produkte dem Benzin der Unterpositionen 2710 1141 bis 2710 1149 der Kombinierten Nomenklatur (KN) am nächsten, so dass auf die verwendeten Produkte der Steuersatz nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EnergieStG anzuwenden sei.
7Der Steuerbescheid vom 01.12.2008 betraf den Zeitraum vom 01.01.2007 bis zum 31.10.2008 und der Steuerbescheid vom 07.12.2009 den Zeitraum vom 01.11. bis zum 31.12.2008.
8Zur Begründung der gegen die beiden Steuerbescheide fristgerecht eingelegten Einsprüche trug die Klägerin u.a. vor, der Beklagte habe einen unrichtigen Steuersatz angewandt. Nach § 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG sei der für Heizöl vorgesehene Steuersatz anzuwenden, da das Testbenzin mehr dem Heizöl als dem vom Beklagten angenommenen Motorenbenzin entspreche.
9Mit Einspruchsentscheidungen vom 18.12.2009 zum Bescheid vom 01.12.2008 und vom 29.12.2009 zum Bescheid vom 07.12.2009 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Dazu führte er u.a. aus: Zur Ermittlung des Steuersatzes sei auf die Beschaffenheit und den Verwendungszweck des Energieerzeugnisses abzustellen. Bei der Beschaffenheit komme dem Siedeverhalten eine herausragende Bedeutung zu, da dieses Merkmal für die unterschiedlichen Steuersätze des § 2 EnergieStG maßgebend sei. Aufgrund seines Destillationsverlaufs stehe Testbenzin dem Benzin der Unterpositionen 2710 1141 bis 2710 1149 KN näher als Gasöl der Unterpositionen 2710 1941 bis 2710 1949 KN. Blei- und Schwefelgehalt sowie Flammpunkt und Oktanzahl seien für den Steuertarif unerheblich.
10Das Testbenzin sei auch kein Heizstoff, denn dazu hätte ein vergleichbares Energieerzeugnis sowohl in § 2 Abs. 1 und 2 EnergieStG als auch in § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EnergieStG aufgeführt werden müssen.
11Ihrer fristgerecht erhobenen Klage, mit der die Klägerin begehrte, einen niedrigeren Steuersatz anzuwenden, gab der Senat mit Urteil vom 15.12.2010, 4 K 219/10 VE statt.
12Dagegen legte der Beklagte Revision ein. Im Revisionsverfahren setzte der Bundesfinanzhof (BFH) mit Beschluss vom 14.11.2012 das Verfahren aus und legte dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eine Frage zur Auslegung des Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 2003/96/EG zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom – RL 2003/96 – zur Vorabentscheidung vor. Diese beantwortete der EuGH mit Urteil vom 03.04.2014, C-43 und 44/13 wie folgt:
13Die Vorgabe in Art. 2 Abs. 3 RL 2003/96, dass andere Energieerzeugnisse als diejenigen, für die in dieser Richtlinie ein Steuerbetrag festgelegt wurde, je nach Verwendung zu dem für einen gleichwertigen Heiz- oder Kraftstoff erhobenen Steuersatz besteuert werden, ist dahin auszulegen, dass in einem ersten Schritt zu bestimmen ist, ob das fragliche Erzeugnis als Heiz- oder als Kraftstoff verwendet wird, bevor in einem zweiten Schritt festgestellt wird, an die Stelle welches der Kraft- oder der Heizstoffe, die in der entsprechenden Tabelle in Anhang I dieser Richtlinie jeweils aufgeführt sind, das fragliche Erzeugnis bei seiner Verwendung tatsächlich tritt oder in Ermangelung eines solchen, welcher dieser Kraft- oder dieser Heizstoffe ihm nach seiner Beschaffenheit und seinem Verwendungszweck am nächsten steht.
14Mit Urteil vom 10.03.2015 VII R 9/11 hob der BFH das Senatsurteil vom 15.12.2010, 4 K 219/10 VE auf, verwies den Rechtsstreit zurück an das Finanzgericht und führte dazu aus: Nach dem o.a. EuGH-Urteil sei in einem ersten Schritt zu bestimmen, ob das fragliche Erzeugnis – für das ein Steuerbetrag gesucht wird – als Heiz- oder Kraftstoff verwendet werde. Dabei ergebe sich der Vorrang der konkreten Verwendung des Erzeugnisses gegenüber dessen Gleichwertigkeit mit anderen Energieerzeugnissen aus den Zielen der RL 2003/96, das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten. In einem zweiten Schritt sei nach der Rechtsprechung des EuGH zu bestimmen, an die Stelle welches der in Anhang I RL 2003/96 (ausdrücklich) aufgeführten Kraft- und Heizstoffe das fragliche Erzeugnis bei seiner Verwendung tatsächlich trete. Bei diesem Schritt sei zu prüfen, welches der in Anhang I RL 2003/96 aufgeführten Energieerzeugnisse als Ersatz für das tatsächlich eingesetzte Energieerzeugnis hätte verwendet werden können. Sei eine Substitution – z.B. aufgrund technischer Anforderungen an einen bestimmten Produktionsprozess – nicht möglich, sei nach den Vorgaben des EuGH in einem dritten Schritt festzustellen, welcher der in Anhang I RL 2003/96 aufgeführten Kraft- oder Heizstoffe dem Energieerzeugnis, dem ein Mindeststeuerbetrag zugeordnet werden solle, nach seiner Beschaffenheit und seinem konkreten Verwendungszweck am nächsten stehe.
15In richtlinenkonformer Auslegung des § 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG sei entsprechend den Vorgaben des EuGH zunächst auf den Verwendungszweck abzustellen (Verwendung des nicht mit einem Steuersatz versehenen Erzeugnisses als Heiz- oder Kraftstoff). Im Streitfall sei die Verwendung der streitgegenständlichen Leichtöle in einem industriellen Prozess als Heizstoff unstreitig.
16Nach dem unwidersprochenen Vortrag des Beklagten sei kein Energieerzeugnis der Anlage I Tabelle C RL 2003/96 aus verfahrenstechnischen oder sonstigen Gründen dazu geeignet, anstelle des Testbenzins bzw. Exxsol D 60 als Substitutionserzeugnis verwendet zu werden.
17Insoweit ergäben sich aber Bedenken aus dem Datenblatt für das Hochgeschwindigkeitsflammspritzen, das die Verwendung von Kerosin empfehle. Ob Kerosin tatsächlich als Substitutionserzeugnis in Betracht komme, werde das Finanzgericht im zweiten Rechtsgang zu klären haben.
18Könne aber kein Substitutionserzeugnis gefunden werden, sei zu prüfen, welchem in Tabelle C des Anhangs I RL 2003/96 genannten Heizstoff die von der Klägerin verwendeten Erzeugnisse nach ihrer Beschaffenheit und ihrem Verwendungszweck am nächsten stünden. Insoweit komme es allein auf die Tabelle C des Anhangs I RL 2003/96 an.
19Der konkrete Verwendungszweck ergebe sich im Streitfall aus dem Einsatz des Testbenzins bzw. Exxsol D 60 in einem thermischen Beschichtungsverfahren, bei dem das Erzeugnis zusammen mit Sauerstoff gezündet werde, um einen Gasstrahl mit einer Temperatur von ca. 3 000° C zu erzeugen. Dabei sei eine Gesamtbetrachtung geboten, wobei die bei Erzeugnissen der Erdölverarbeitung anzutreffenden Beschaffenheitsmerkmale wie z.B. der Aggregatzustand, der Siedebereich, das Verhältnis von Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen, der Reinheitsgrad, die Viskosität, der Flammpunkt oder die Dichte der zu vergleichenden Erzeugnisse zu berücksichtigen und unter Berücksichtigung des jeweiligen konkreten Verwendungszwecks zu gewichten seien.
20Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin nunmehr vor, ein Substitutionserzeugnis für ihr konkretes industrielles Verfahren gebe es nicht. Die Verwendung von Flüssiggas sei ausgeschlossen. Dazu bedürfe es völlig anderer Brenner als der von ihr verwendeten.
21Auch herkömmliches Kerosin könne in ihren Verfahren nicht verwendet werden. Für das Hochgeschwindigkeitsflammspritzen sei der Flammpunkt der Erzeugnisse maßgebend. Das von ihr verwendete Testbenzin habe einen Flammpunkt von 54 bis 64°C. Demgegenüber habe herkömmliches Kerosin einen deutlich niedrigeren Flammpunkt, der zu einer abweichenden Entzündungsschwelle und Entzündungsgeschwindigkeit führen könne. Zudem könne es bei der Verwendung herkömmlichen Kerosins zu Rußbildung und insbesondere zu Rußablagerungen in der Brennkammer kommen. Dadurch werde das Beschichtungsverfahren maßgeblich beeinträchtigt. Die Rußablagerungen führten zur Funkenbildung und dadurch zu porigen, also fehlerhaften Beschichtungen.
22Darüber hinaus sei für das von ihr angewandte Hochgeschwindigkeitsflammspritzen auch wichtig, entaromatisierte Energieerzeugnisse zu verwenden, wie Testbenzin oder Exxsol D60. Bei herkömmlichem Kerosin handele es sich regelmäßig um aromatische Kohlenwasserstoffe, die für ihr Verfahren störende Inhaltsstoffe aufwiesen. Auch weise herkömmliches Kerosin weniger eindeutige Eigenschaften und damit eine geringere Stoffqualität oder Reinheit als die von ihr verwendeten Energieerzeugnisse auf.
23Zwar sei das mit Jet A-1 bezeichnete Kerosin von Anbietern vor Jahren für die Verwendung beim Hochgeschwindigkeitsflammspritzen benannt worden. Heute werde aber davon wegen der genannten Beeinträchtigungen abgeraten.
24Die von ihr verwendeten Energieerzeugnisse hätten aber, insbesondere hinsichtlich des Flammpunkts, die größte Nähe zu extra leichtem Heizöl (HEL), so dass dessen Steuersatz maßgebend sei.
25Die Klägerin beantragt,
26den Steuerbescheid des Beklagten vom 01.12.2008 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.12.2009 aufzuheben, soweit mehr als 11.643,98 € Energiesteuer und den Steuerbescheid vom 07.12.2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.12.2009 aufzuheben, soweit mehr als 986,69 € Energiesteuer festgesetzt worden sind.
27Der Beklagte beantragt,
28die Klage abzuweisen,
29da der maßgebliche Steuersatz dem für Kerosin zu entnehmen sei: Sollte sich kein Erzeugnis finden lassen, das tatsächlich an Stelle der eingesetzten Energieerzeugnisse hätte verwendet werden können, sei festzustellen, welchem der in Tabelle C des Anhangs I RL 2003/96 genannten Heizstoffe die eingesetzten Erzeugnisse am nächsten stünden. Dabei sei nach dem zurückverweisenden BFH-Urteil eine Gesamtbetrachtung geboten.
30Als Ersatz für Testbenzin und Exxsol D60 kämen Flüssiggas oder Kerosin in Betracht. Unter Berücksichtigung verschiedener Parameter wie Aggregatzustand, Siedebereich, Flammpunkt, Verhältnis zwischen Kohlen- und Wasserstoff, Dichte und Heizwert wiesen die eingesetzten Energieerzeugnisse mit Kerosin eine deutlichere Ähnlichkeit als mit den Flüssiggasen auf.
31In der mündlichen Verhandlung hat der Senat den Geschäftsführer der Klägerin zum Einsatz von Energieerzeugnissen beim Hochgeschwindigkeitsflammspritzen angehört. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
32Entscheidungsgründe:
33Die Klage hat weitgehend Erfolg.
34Der Steuerbescheid des Beklagten vom 01.12.2008 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18.12.2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit darin mehr als 11.643,98 € Energiesteuer festgesetzt worden ist, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Steuerbescheid des Beklagten vom 07.12.2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29.12.2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit darin mehr als 986,69 € Energiesteuer festgesetzt worden ist, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.
35Der Steuersatz für das von der Klägerin verwendete Testbenzins 180/2010 und das von ihr verwendete Exxsol D60 war nämlich § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) EnergieStG zu entnehmen.
36Der BFH hat mit seinem Urteil vom 10. März 2015 (VII R 9/11, BFHE 249, 275) bereits entschieden, dass der Steuersatz im Streitfall gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 EnergieStG zu bestimmen ist. Zudem steht weiter fest, dass das Testbenzin 180/210 und das Exxsol D60 als Heizstoff zu versteuern sind. Diese beiden Energieerzeugnisse werden nämlich beim Hochgeschwindigkeitsflammspritzen zur Wärmegewinnung zusammen mit Sauerstoff in einer Brennkammer gezündet, wobei ein Gasstrahl mit einer Temperatur von ca. 3.000°C entsteht, der das Beschichtungspulver zum Schmelzen bringt. Dass der Gasstrahl die Partikel des Beschichtungspulvers zudem mit hoher kinetischer Energie auf die zu beschichtenden Werkstücke aufträgt, ändert am Einsatz der Energieerzeugnisse zum Verheizen nichts.
37Die für das Hochgeschwindigkeitsflammspritzen verwendeten Energieerzeugnisse Testbenzin 180/210 und Exxsol D60 können auch nicht durch ein anderes in der Tabelle C des Anhangs I RL 2003/96 aufgeführtes Energieerzeugnis ersetzt werden. Nach dem EuGH-Urteil vom 3. April 2014 Rs. C-43/13 und C-44/13 (Rz. 35) ist in diesem Zusammenhang darauf abzustellen, ob eines der in Tabelle C des Anhangs I RL 2003/96 aufgeführten Erzeugnisse als Ersatz hätte verwendet werden können, um zu dem im vorliegenden Fall angestrebten Ergebnis zu gelangen. Andererseits ist eine Substitution aber ausgeschlossen, wenn sich auf Grund der technischen Anforderungen an einen bestimmten Produktionsprozess nicht die dort geforderten Ergebnisse erzielen lassen (BFH-Urteil vom 10.03.2015 VII R 5/11, BFHE 249, 264).
38Hiervon ausgehend kann der Senat nicht feststellen, dass die von der Klägerin eingesetzten Energieerzeugnisse durch ein anderes in der Tabelle C des Anhangs I RL 2003/96 aufgeführtes Energieerzeugnis ersetzt werden können. Nach dem Vortrag der Klägerin, der durch die Angaben ihres Geschäftsführers in der mündlichen Verhandlung detailliert ergänzt wurden, wird das von der Klägerin angewandte Beschichtungsverfahren des Hochgeschwindigkeitsflammspritzens ausschließlich mit Testbenzin bzw. Exxsol D60 betrieben. In gleicher Weise verfahren auch ihre Wettbewerber bei Anwendung des gleichen Beschichtungsverfahrens.
39Die Klägerin hatte nach Angaben ihres Geschäftsführers sowohl bei der Aufnahme ihrer Beschichtungstätigkeit als auch im Zuge der gerichtlichen Verfahren vergeblich geprüft, ob sie andere Energieerzeugnisse als Testbenzin oder Exxsol D60 für das Hochgeschwindigkeitsflammspritzen verwenden könne. Insbesondere schied der Einsatz von Kerosin aus, da es auf Grund seiner Verunreinigungen und der in ihm enthaltenen Aromaten Ruß bildete, der sich zunächst an den Wänden des Brenners festsetzte, dann aber löste, auf das Werkstück aufgetragen wurde und dort die Beschichtung beschädigte und das Werkstück unbrauchbar machte.
40Der Einsatz von Flüssiggas, den der Beklagte als weiteres mögliches Ersatzerzeugnis angesprochen hat, ist schon wegen der von der Klägerin verwendeten Brenner nicht möglich, da sie für dieses Energieerzeugnis nicht ausgelegt sind. Ihre Brenner sind, wie der Geschäftsführer der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, zunächst für den Einsatz mit Kerosin entwickelt worden, wobei sich dann bei dessen Einsatz herausgestellt hatte, dass das Kerosin für das Aufbringen von Beschichtungen – wie dargestellt – untauglich war und ist.
41Es ist mithin in einem nächsten Schritt zu prüfen, welcher der in der Tabelle C des Anhangs I RL 2003/96 aufgeführten Heizstoffe dem Testbenzin 180/210 oder dem Exxsol D60 nach seiner Beschaffenheit und seinem konkreten Verwendungszweck am nächsten steht. Dabei ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen, wobei die Beschaffenheitsmerkmale des Aggregatzustands, des Siedebereichs, des Verhältnisses von Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen, des Reinheitsgrads, der Viskosität, des Flammpunkts und der Dichte der zu vergleichenden Erzeugnisse zu berücksichtigen und unter Berücksichtigung des jeweiligen konkreten Verwendungszwecks zu gewichten sind.
42Ausgehend von diesem Maßstab steht schwefelarmes HEL den eingesetzten Energieerzeugnissen nach seiner Beschaffenheit und dem konkreten Verwendungszweck am nächsten.
43Nach den glaubhaften und vom Beklagten nicht bestrittenen Angaben des Geschäftsführers der Klägerin kommt es auf die hohe Geschwindigkeit des Gasstrahls an, der es erlaubt, die teigig angeschmolzenen Partikel mit hoher Geschwindigkeit und großer kinetischer Energie auf die zu beschichtende Oberfläche aufzustrahlen, um dort die gewünschte Haftwirkung der Beschichtung zu erzielen. Im Einzelnen gibt es für das von ihr praktizierte Beschichtungsverfahren 20 bis 25 Einstellparameter, um ein auf das konkrete Werkstück und die vereinbarte Oberflächenbeschichtung abgestimmtes Ergebnis erzielen zu können.
44Für diese Vorgehensweise kommt es insbesondere auf den Flammpunkt und die Vermeidung der Rußbildung an. Mit dem Flammpunkt, bei Testbenzin und Exxsol D60 zwischen 54 und 64°C, kann eine konstante Temperatur und damit die notwendige gleichbleibende Konsistenz der Partikel erreicht werden. Der Flammpunkt hat Auswirkungen auf die Temperatur des Gasstrahls und diese ist wiederum wesentlich für das Anschmelzen der Partikel. Andernfalls wird das Material nicht wie gewünscht auf die zu beschichtende Oberfläche aufgebracht.
45Dem Flammpunkt des Testbenzins entspricht am ehestens der Flammpunkt von HEL, der unstreitig höher als 55°C ist (Bl. 34 GA).
46Die Dichte, der Siedebereich, der Heizwert, das Verhältnis zwischen Kohlenstoff und Wasserstoff und der Aggregatzustand stellen gegenüber Kersosin und HEL keine maßgebenden Beschaffenheitsmerkmale dar.
47Bei gasförmigen Flüssiggasen handelt es sich ohnehin um völlig andere Waren.
48Da die eingesetzten Energieerzeugnisse schwefelfrei sind, war der Steuersatz des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) EnergieStG anzuwenden.
49Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Das teilweise Unterliegen der Klägerin beruht auf den weitergehenden Klageanträgen im ersten Rechtszug.
50Die Feststellung der Notwendigkeit, einen Bevollmächtigten für das Vorverfahren hinzuzuziehen, folgt aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO.
51Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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