Urteil vom Finanzgericht Hamburg (6. Senat) - 6 K 138/15

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger das Kindergeld für seine beiden Kinder zusteht. Insbesondere ist streitig, ob der Kläger einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat.

2

Der Kläger hat zwei Kinder. Diese sind am ... 2012 und am ... 2014 in Polen geboren. Beide Kinder leben bei ihrer Mutter in Polen.

3

Am 12.09.2014 stellte der Kläger einen Antrag auf deutsches Kindergeld. Als Adresse gab er die Straße-1 ..., X an. Er erklärte, dass er als ... selbstständig tätig sei und eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden habe. Er sei in Deutschland nicht sozialversicherungspflichtig. Als Anschrift des Betriebes nannte er "A GbR, Straße-2 ..., B an. Außerdem gab er an, dass seine Ehefrau in Polen in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung unselbständig erwerbstätig gewesen sei. Der Kläger legte insbesondere eine Meldebestätigung vom ...07.2014 vor, nach der er am ...03.2014 in der Wohnung in der "Straße-1 ... bei Fa. C, ... X" als einzige Wohnung gemeldet sei. Außerdem legte er eine Gewerbeanmeldung aus 2009 vor.

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Die Beklagte bat durch Schreiben vom 15.10.2014 um die Vorlage diverser Unterlagen, insbesondere um den Nachweis von Mietzahlungen.

5

Der Kläger legte ein Schreiben der C vom 03.07.2014 vor, durch welches diese bestätigte, dass die von der Fa. C angemietete Wohnung in der Straße-1 ..., X, III. OG re, WE ..., von der Fa. A genutzt werden dürfe. In einem weiteren undatierten Schreiben erklärte die C, dass die entsprechende Wohnung vom August 2012 bis Mai 2013 von der Fa. A genutzt worden sei.

6

Außerdem legte der Kläger diverse Rechnungen der A GbR, Straße-3 ..., B an die C GmbH vor.

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Durch ihr Schreiben vom 18.12.2014 teilte die Beklagte mit, dass die bisher eingereichten Unterlagen nicht ausreichend seien. Insbesondere sei bisher noch nicht die unbeschränkte Steuerpflicht in Deutschland nachgewiesen worden.

8

Der Kläger teilte durch sein Schreiben vom 09.01.2015 mit, dass er Gesellschafter einer GbR sei, für die das zuständige Finanzamt in B die Veranlagung noch nicht durchgeführt habe, so dass er auch noch keine Einkommensteuererklärung habe abgeben können.

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Am 15.01.2015 lehnte die Beklagte das Kindergeld für das Kind D (geboren am ... 2012) ab August 2012 ab.

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Der Kläger legte am 22.01.2015 Einspruch ein, welcher durch die Einspruchsentscheidung vom 27.04.2015 als unbegründet zurückgewiesen wurde.

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Hiergegen hat er am 27.05.2015 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor, er lebe und arbeite seit dem ...07.2011 in Deutschland. Er habe seine Steuererklärungen für die Jahre 2012, 2013 und 2014 am 31.03.2015 übersandt. In diesen Steuererklärungen erklärte der Kläger für 2013 einen Gewinn als Einzelunternehmer in Höhe von 6.967 €, in 2012 in Höhe von 9.101 € und für 2011 in Höhe von 6.314 €. In diesem Zeitraum habe er in Polen kein Einkommen erzielt. Er beziehe keine polnischen Familienleistungen. Die GbR bestehe aus ... Personen, auch ... seien Gesellschafter dieser GbR. Es gebe keinen schriftlichen Gesellschaftsvertrag. Er, der Kläger, arbeite häufig sechs Tage in der Woche von 7 bis 18 Uhr. Seit 2014 würde die GbR mit der Auftraggeberin nach Tagen abrechnen. Die Miete zahlten sie an ihre Auftraggeberin in bar. Seit 2009 habe die GbR nur einen Auftrag gehabt, den mit der Firma C für YY.

12

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Ablehnungsbescheid vom 15.01.2015 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27.04.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, für den Kläger für die Kinder D, geb. ... 2012, und E, geb. ... 2014, jeweils Kindergeld ab Geburt zu bewilligen.

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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

14

Die Beklagte trägt zur Begründung vor, dass die Klage bezüglich des erst am ... 2014 geborenen Kindes (E) unzulässig sei, da diesbezüglich noch keine Entscheidung getroffen worden sei. Ebenfalls sei die Klage unzulässig, falls sie sich auf den Zeitraum ab Mai 2015 erstrecke.

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Im Übrigen sei die Klage unbegründet, die bisher eingereichten Unterlagen begründeten keine Kindergeldberechtigung im Sinne des § 62 EStG. Der Kläger habe keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland nachgewiesen. Insbesondere ergebe sich aus den Bescheinigungen der C GmbH nicht, wann sich der Kläger- persönlich in der Wohnung aufgehalten habe.

16

Durch richterliche Verfügung vom 18.01.2016 wurde dem Kläger eine Ausschlussfrist bis zum 22.02.2016 gesetzt; auf diese wird wegen weiterer Einzelheiten verwiesen.

17

Durch den Beschluss vom 25.02.2016 wurde der Rechtsstreit der Einzelrichterin übertragen. Die Beteiligten haben auf die mündliche Verhandlung verzichtet.

18

Auf die Sitzungsniederschrift des Erörterungstermins vom 17.11.2015 wird verwiesen. Dem Gericht hat der Ausdruck der elektronischen Kindergeldakte vorgelegen.

Entscheidungsgründe

19

Die Entscheidung ergeht gem. § 6 Finanzgerichtsordnung (FGO) durch die Einzelrichterin und im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).

20

I.

Die Klage wird dahingehend ausgelegt, dass sie sich nur auf den Zeitraum bis zur Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, April 2015, erstreckt.

21

Die Klage ist unzulässig soweit sie sich auch auf das am ... 2014 geborene Kind E bezieht, denn die Beklagte hat bisher nur das Kindergeld für das in 2012 geborene Kind D abgelehnt, für das erst nach der Antragstellung geborene Kind E hat die Beklagte bisher keine Entscheidung getroffen.

22

Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Der angefochtene Bescheid vom 15.01.2015 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 27.04.2015, durch den die Kindergeldfestsetzung abgelehnt wurde, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO). Der Kläger ist nicht kindergeldberechtigt, denn er hat weder einen Wohnsitz noch einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland dargelegt und bewiesen.

23

Kindergeldberechtigt sind gemäß § 62 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) nur solche Personen, die über einen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland verfügen.

24

Seinen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten oder benutzen wird (§ 8 Abgabenordnung (AO).

25

Hiernach setzt ein Wohnsitz eine Wohnung, d. h. eine stationäre Räumlichkeit voraus, die auf Dauer zum Bewohnen geeignet ist. Dies wiederum erfordert eine den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Inhabers entsprechende Bleibe (BFH-Urteil vom 19. März 1997 I R 69/96, BFHE 182, 296, BStBl II 1997, 447). Eine nur vorübergehende oder notdürftige Unterbringungsmöglichkeit reicht allerdings nicht aus, ebenso nicht eine bloße Schlafstelle in Betriebsräumen (vgl. BFH-Urteil vom 6. Februar 1985 I R 23/82, BFHE 143, 217, BStBl II 1985, 331). Innehaben der Wohnung bedeutet, dass der Anspruchsteller tatsächlich über sie verfügen kann und sie als Bleibe entweder ständig benutzt oder sie doch mit einer gewissen Regelmäßigkeit -wenn auch in größeren Zeitabständen- aufsucht (BFH-Urteil vom 23. November 2000 VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294). Die Nutzung muss zu Wohnzwecken erfolgen; eine Nutzung zu ausschließlich beruflichen oder geschäftlichen Zwecken reicht nicht aus, ebenso nicht ein nur gelegentliches Verweilen während unregelmäßig aufeinander folgender kurzer Zeiträume zu Erholungszwecken. Schließlich muss das Innehaben der Wohnung unter Umständen erfolgen, die darauf schließen lassen, dass die Person die Wohnung beibehalten wird. Hierin kommt u. a. ein Zeitmoment zum Ausdruck. Dabei kann im Rahmen des § 8 AO zur Bestimmung des Zeitmoments als Anhaltspunkt auf die in § 9 Satz 2 AO normierte Sechsmonatsfrist zurückgegriffen werden (BFH-Urteil vom 08. Mai 2014 III R 21/12, BStBl II 2015, 135).

26

Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 8 AO ist nach den objektiv erkennbaren Umständen zu beurteilen (BFH-Urteil vom 22. August 2007 III R 89/06, BFH/NV 2008, 351, m. w. N.). Ob der Anspruchsteller i. S. des § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG im Inland einen Wohnsitz hat, müssen die Familienkasse und das FG ohne Bindung an die im Einkommensteuerfestsetzungsverfahren vom zuständigen Finanzamt getroffenen Feststellungen selbständig entscheiden (BFH-Urteile vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564, unter II.1.c; vom 18. Juli 2013 III R 9/09, BFHE 243, 170, Rz 19). Im Finanzgerichtsverfahren obliegt die Würdigung derjenigen tatsächlichen Umstände, die im Einzelfall für das Bestehen oder Nichtbestehen eines Wohnsitzes sprechen, dem FG (vgl. BFH-Beschluss vom 17. Dezember 2010 III B 141/10, BFH/NV 2011, 576). Dies gilt namentlich für die Abwägung der Faktoren, die für und gegen ein Innehaben der Wohnung und die Absicht der weiteren Benutzung sprechen. Das FG hat die gesamten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO). Melderechtliche Angaben sind unerheblich (BFH-Urteil vom 08. Mai 2014 III R 21/12, BStBl II 2015, 135). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines inländischen Wohnsitzes obliegt dem Kläger.

27

Angewandt auf den Streitfall folgt hieraus, dass das Gericht nach den vorliegenden Unterlagen nicht davon überzeugt ist, dass der Kläger einen Wohnsitz im streitigen Zeitraum in Deutschland gehabt hat. Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen sind nicht ausreichend. Insbesondere ist es nicht entscheidend, dass der Kläger in X gemeldet ist. Auch die Bescheinigungen des einzigen Auftraggebers der GbR, an der der Kläger behauptet beteiligt zu sein, genügen nicht. Aus diesen Bescheinigungen ergibt sich nicht, wann der Kläger jeweils in Deutschland gewesen ist. Außerdem befinden sich in diesen Bescheinigungen auch keine Aussagen über die Einrichtung und die Größe der Wohnung und ob diese gewerblich oder zu Wohnzwecken genutzt werden konnte bzw. wurde. Insbesondere ergibt sich hieraus auch nicht, in welcher Häufigkeit und über welche Dauer der Kläger die Räumlichkeit genutzt hat. Auch aus den vorgelegten Rechnungen der GbR ergeben sich keine konkreten Aufenthaltszeiten des Klägers.

28

Durch die vom Kläger eingereichten Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2011 bis 2013 kann kein anderes Ergebnis begründet werden. Dies gilt insbesondere, weil die vom Kläger eingereichten Einkommensteuererklärungen nicht im Einklang mit seinem Vorbringen im Erörterungstermin stehen, denn es stellt sich neben der Höhe der erklärten Einkünfte auch die Frage nach der Art der Einkünfte (gewerbliche Einkünfte oder Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit?). Der Kläger hat auch nicht die Steuererklärungen der GbR eingereicht. Außerdem liegen keine Einkommensteuererklärungen für den streitigen Zeitraum (2014 und 2015) vor.

29

Schließlich lässt sich ein Wohnsitz des Klägers auch nicht auf die in 2009 erfolgte Gewerbeanmeldung stützen. Die Anzeige eines Gewerbes nach § 14 der Gewerbeordnung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Juli 2003 6 C 10/03, Gewerbearchiv 2003, 482), die als solche nicht geeignet ist, eine nach den tatsächlichen Umständen zu beurteilende Wohnsitzbegründung i. S. des § 8 AO zu ersetzen (BFH-Urteil vom 08. Mai 2014 III R 21/12, BStBl II 2015, 135).

30

Die vom Kläger eingereichten Unterlagen genügen auch nicht, um einen gewöhnlichen Aufenthalt i. S. des § 9 AO im Inland annehmen zu können. Seinen gewöhnlichen Aufenthalt i. S. des § 9 AO hat derjenige, der mehr als sechs Monate zusammenhängend im Inland arbeitet und seinen Inlandsaufenthalt jeweils nur kurzfristig für Heimfahrten nach Polen unterbricht, seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (BFH-Urteil vom 7. April 2011 III R 89/08, BFH/NV 2011, 1324). Gerade über die konkreten Aufenthaltszeiten des Klägers liegen dem Gericht aber keine Erkenntnisse vor.

31

Die Unterlagen sind auch nicht geeignet festzustellen, dass eine Anspruchsberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b i. V. m. § 1 Abs. 3 EStG besteht (vgl. dazu z. B. BFH-Urteil vom 18. Juli 2013 III R 59/11, BFHE 242, 228). Zwar hat der Kläger behauptet, dass er ausschließlich Einkünfte in Deutschland im maßgeblichen Zeitraum erzielt hat. Das Gericht ist jedoch nicht in der Lage diese Behauptung zu überprüfen. Da der Kläger im Erörterungstermin zum Teil sehr widersprüchliche Angaben gemacht hat, ist seine Behauptung hierzu auch nicht glaubhaft.

32

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 FGO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

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