Urteil vom Finanzgericht Hamburg (6. Senat) - 6 K 122/16

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob noch weitere Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen sind.

2

Die 1989 geborene Klägerin hat in ihrer Einkommensteuererklärung für 2013, welche sie am 10.10.2014 bei dem Beklagten nicht unterschrieben eingereicht hat, als Beruf XX und YY angegeben. Bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit hat sie u. a. Fahrtkosten in Höhe von 2.925 € erklärt.

3

Am ... 2012 wurde der Sohn der Klägerin geboren, welcher seit August 2013 in A in den Kindergarten geht.

4

Im September 2012 hat die Klägerin zusammen mit dem Kindesvater einen Mietvertrag für eine Wohnung in A unterzeichnet. Im Streitjahr 2013 wohnte die Klägerin zusammen mit ihrem Sohn und dem Kindesvater in dieser Wohnung. Im Dezember 2013 zog der Kindesvater aus.

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Mit ESt-Bescheid 2013 vom 18.11.2014 berücksichtigte der Beklagte u. a. nicht die von der Klägerin in Höhe von 2.925 € erklärten Fahrtkosten im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung.

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Hiergegen legte die Klägerin am 12.12.2014 Einspruch ein.

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Mit Teileinspruchsentscheidung vom 30.09.2015 wies der Beklagte den Einspruch der Klägerin, sofern er sich nicht auf die noch streitigen Beiträge zur Rentenversicherung bezog, als unbegründet ab. Nach der in der Akte befindlichen Verfügung wurde die Teileinspruchsentscheidung am selben Tag zur Post gegeben.

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Durch den Änderungsbescheid für die Einkommensteuer 2013 vom 14.10.2015 berücksichtigte der Beklagte weitere Altersvorsorgeaufwendungen. Bei den Erläuterungen zur Festsetzung ist folgender Hinweis enthalten:
"Damit erledigt sich ihr Einspruch in dem Punkt, der nicht durch Einspruchsentscheidung vom 30.9.2015 erledigt ist."

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Am 16.11.2015 ging ein Schreiben der Klägerin beim Beklagten ein, welches das Datum 26.10.2015 trägt und mit dem die Klägerin "Widerspruch" gegen den Bescheid vom 14.10.2015 einlegte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf dieses Schreiben verwiesen.

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Mit Schreiben vom 25.11.2015 teilte der Beklagte u. a. mit, dass über den Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2013 bereits durch Einspruchsentscheidung vom 30.09.2015 entschieden worden sei.

11

Die Klägerin teilte durch ihr Schreiben vom 27.11.2015 mit, dass sie ihren Einspruch nicht zurücknehme. Auf die Einspruchsentscheidung vom 30.09.2015 ging sie nicht ein.

12

Der Beklagte nahm durch sein Schreiben vom 24.03.2016 zur Rechtlage Stellung und wies in diesem Zusammenhang auf die Teileinspruchsentscheidung vom 30.09.2016 hin.

13

Durch Einspruchsentscheidung vom 29.04.2016 wurde der Einspruch der Klägerin vom 16.11.2015 als unbegründet zurückgewiesen.

14

Die Klägerin hat am 12.08.2016 Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie vor, dass sie für das Jahr 2013 keine Einspruchsentscheidung erhalten habe. Sie begehre im Klageverfahren, dass ihr die ihr zustehenden Ansprüche zugesprochen werden. Dies seien in 2013 ihre Fahrtkosten, weil ihr Lebensmittelpunkt in B gewesen sei. Diesen Umstand habe sie bereits oft belegt und dargelegt.

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Auch habe sie immer auf die Nachfragen des Beklagten reagiert.

16

Die Klägerin trägt vor, dass sie bereits durch ihr Schreiben vom 05.04.2016 dem Beklagten mitgeteilt habe, dass sie die Teileinspruchsentscheidung nicht erhalten habe (Anlage K 4). Dieses Schreiben befindet sich nicht in den Steuerakten des Beklagten.

17

Die Klägerin hat keinen ausdrücklichen Klageantrag gestellt.

18

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Einkommensteuerbescheid 2013 vom 14.10.2015 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 09.09.2016 dahingehend zu ändern, dass weitere Werbungskosten in Höhe von 2.925 € berücksichtigt werden.

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Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

20

Zur Begründung trägt der Beklagte vor, er habe erstmalig im Rahmen des Klageverfahrens erfahren, dass die Klägerin die Teileinspruchsentscheidung nicht bekommen haben wolle. Das Schreiben der Klägerin vom 05.04.2016 (Anlage K 4) sei nicht beim Beklagten eingegangen. Die Klage sei deshalb nicht fristgemäß eingegangen. Der Lebensmittelpunkt der Klägerin befinde sich in A, so dass die Berücksichtigung von Fahrtkosten nach B ausscheide.

21

Am 04.10.2016 wurde der Rechtsstreit der Einzelrichterin übertragen.

22

Am 04.10.2016 hat ein Erörterungstermin und am 01.11.2016 eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Zu beiden Terminen wurde die Klägerin durch Postzustellungsurkunde geladen. Die Klägerin ist zu den Terminen nicht erschienen. Auf die Sitzungsprotokolle wird verwiesen. Dem Gericht haben die Rechtsbehelfsakten zu der Steuernummer .../.../... vorgelegen.

Entscheidungsgründe

I.

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Die Entscheidung ergeht gem. § 6 Finanzgerichtsordnung (FGO) durch die Einzelrichterin.

24

Die Sache war entscheidungsreif, obwohl die Klägerin nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, denn sie wurde ordnungsgemäß geladen und darauf hingewiesen, dass im Fall ihres Ausbleibens auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 91 Abs. 2 FGO).

25

Die Klage ist unzulässig, denn sie ist nicht innerhalb der Klagefrist gem. § 47 FGO eingereicht worden.

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Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Berücksichtigung zusätzlicher Werbungskosten im Rahmen ihrer nichtselbständigen Arbeit.

27

Zwar hatte die Klägerin zunächst diesbezüglich einen Einspruch fristgemäß eingelegt. Aber über diesen Einspruch ist durch die Teileinspruchsentscheidung vom 30.09.2015 bestandskräftig entschieden worden. Die Klage ist erst am 12.08.2016 und damit außerhalb der Klagefrist gem. § 47 FGO erhoben worden.

28

Die Klägerin behauptet zwar, dass sie diese Einspruchsentscheidung vom 30.09.2015 nicht erhalten habe, ebenso wenig wie die Einspruchsentscheidung vom 29.04.2016. Aber das Gericht geht davon aus, dass es sich bei diesen Behauptungen um Schutzbehauptungen handelt.

29

Nach § 122 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, zu dem dort näher bezeichneten Zeitpunkt als bekanntgegeben; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts nachzuweisen. Der Nachweis des Zugangs kann von der Behörde nicht nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises (prima-facie-Beweis) geführt werden; es gelten vielmehr die allgemeinen Beweisregeln, insbesondere die des Indizienbeweises. Demnach können bestimmte Verhaltensweisen des Steuerpflichtigen innerhalb eines längeren Zeitraums nach Absendung des Steuerbescheids im Zusammenhang mit dem Nachweis der Absendung vom FG im Wege einer freien Beweiswürdigung nach § 96 Abs. 1 FGO dahingehend gewürdigt werden, dass entgegen der Behauptung des Steuerpflichtigen von einem Zugang des Steuerbescheids ausgegangen wird (z. B. BFH-Urteil vom 14. März 1989 VII R 75/85, BFHE 156, 66, BStBl II 1989, 534, BFH-Beschluss vom 31. Juli 2000, BFH/NV 2001, 145; BFH-Beschluss vom 04. November 2008 - I B 106/08 -, juris).

30

Demnach kann der Beweis auf Indizien gestützt und im Wege der freien Beweiswürdigung geführt werden (BFH-Urteil vom 12. März 2003, X R 17/99, BFH/NV 2003, 1031). Dabei ist die überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass der Brief tatsächlich zugegangen ist, allein kein ausreichendes Indiz. Denn auch wenn dies nach der Lebenserfahrung in der Regel anzunehmen ist, so lässt sich doch eine volle Überzeugung auf eine bloße Wahrscheinlichkeit nicht gründen.

31

Unter Zugang i. S. des § 122 Abs. 2 AO wird nicht allein die tatsächliche Kenntnisnahme des Schriftstückes verstanden. Zugegangen ist es bereits dann, wenn es derart in den Machtbereich des Empfängers (Inhaltsadressaten) gelangt ist, dass dieser unter Ausschluss unbefugter Dritter von dem Schriftstück Kenntnis nehmen und diese Kenntnisnahme nach den allgemeinen Gepflogenheiten auch von ihm erwartet werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 14. März 1990 X R 104/88, BStBl II 1990, 612 und vom 14. August 1975 IV R 150/71, BStBl II 1976, 764). Diese Voraussetzungen sind regelmäßig erfüllt, wenn die Sendung entsprechend den postalischen Vorschriften zugestellt worden ist (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 1999 III R 37/97, BStBl II 2000, 175).

32

Übertragen auf den Streitfall folgt hieraus, dass von einer Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung auszugehen ist.

33

Das Gericht ist nach vorliegender Aktenlage davon überzeugt, dass der Beklagte die Teileinspruchsentscheidung am 30.09.2015 abgesandt hat. Dies ergibt sich aus dem Verfügungsteil, der sich in der Steuerakte befindet. Der Brief, der die Einspruchsentscheidung enthielt, ist auch nicht zurück an das Finanzamt gesandt worden, denn dann wäre dieser Brief mit dem Vermerk ebenfalls abgeheftet worden. Die Klägerin hat hierzu auch nicht substantiiert vorgetragen, da sie zu den beiden gerichtlichen Terminen nicht erschienen ist und ihr schriftlicher Vortrag nur sehr oberflächlich gewesen ist.

34

Das Gericht geht außerdem davon aus, dass diese Einspruchsentscheidung die Klägerin auch erreicht hat. Es kommt dabei nicht darauf an, dass sie diese Entscheidung bewusst zur Kenntnis genommen oder sogar verstanden hat. Es ist ausreichend, dass der Brief, der die Einspruchsentscheidung erhielt, bei der Klägerin in den Briefkasten eingeworfen wurde und hiervon ist das Gericht überzeugt. Diese Beweiswürdigung ergibt sich auf Grund von folgenden Indizien:

35

Der Beklagte hat sowohl in dem Änderungsbescheid vom 14.10.2016, als auch in seinen Schreiben vom 25.11.2015 und 24.03.2016 auf diese Einspruchsentscheidung hingewiesen. Den Änderungsbescheid und auch das Schreiben vom 25.11.2015 hat die Klägerin unstreitig erhalten, denn sie hat hierauf Bezug genommen. In ihren Stellungnahmen vom 16.11.2015 und vom 27.11.2016 hat die Klägerin indes nicht darauf hingewiesen, dass sie die Teileinspruchsentscheidung nicht erhalten hat. Dies wäre aber für ihren Rechtsstandpunkt notwendig gewesen.

36

Das von ihr im gerichtlichen Verfahren vom 05.04.2016 eingereichte Schreiben befindet sich nicht in der Akte, so dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Klägerin es tatsächlich abgesandt hat.

37

Auch das Verhalten der Klägerin im gerichtlichen Verfahren deutet auf ein hohes Maß an Unzuverlässigkeit hin. Die Klägerin ist zu zwei gerichtlichen Terminen nicht erschienen. Sie hat auch nicht nachträglich ihr Verhalten entschuldigt, obwohl sie beide Male durch Postzustellungsurkunde geladen worden ist und sie zwischenzeitlich einen Schriftsatz an das Gericht übersandt hat. Sowohl ihre Klage als auch ihr Schriftsatz vom 08.10.2016 enthielten jeweils falsche aber unterschiedliche Postleitzahlen des Gerichts, welche zu Verzögerungen führten. Dieses Verhalten zeigt, dass die Klägerin nicht mit der erforderlichen Sorgfalt ihre Angelegenheiten betreut.

38

Im Übrigen wäre die Klage auch unbegründet. Der Beklagte hat zu Recht nicht die von der Klägerin erklärten Fahrtkosten berücksichtigt. Voraussetzung für die Berücksichtigung dieser Fahrtkosten wäre gewesen, dass der Lebensmittelpunkt der Klägerin sich in 2013 in B befunden hätte. Davon kann aber nach Aktenlage nicht ausgegangen werden.

39

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Dies gilt grundsätzlich auch für einen alleinstehenden Arbeitnehmer; auch er kann einen doppelten Haushalt führen.

40

Hausstand i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst- oder Haupthaushalt. Bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer ist entscheidend, dass er sich in dem Haushalt, im Wesentlichen nur unterbrochen durch die arbeits- und urlaubsbedingte Abwesenheit, aufhält; denn allein das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist noch nicht als Unterhalten eines Hausstands zu bewerten. Ebenfalls wird ein eigener Hausstand nicht unterhalten, wenn der Arbeitnehmer die Haushaltsführung nicht zumindest mitbestimmt, sondern nur in einen fremden Haushalt etwa in den der Eltern oder als Gast eingegliedert ist. Dann liegt keine eigene Haushaltsführung vor.

41

Gem. § 9 Abs. 1 Nr. 4 Satz 6 EStG sind Aufwendungen eines Arbeitnehmers für die Fahrten zwischen weiter entfernt liegender Wohnung und Arbeitsstätte als Werbungskosten zu berücksichtigen, sofern der Arbeitnehmer mehrere Wohnungen innehat, der örtliche Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen in der weiter entfernt liegenden Wohnung zu verorten ist und er diese Wohnung nicht nur gelegentlich aufsucht.

42

Übertragen auf den Streitfall folgt hieraus, dass weder die Voraussetzungen für eine doppelte Haushaltsführung vorliegen, noch der Lebensmittelpunkt der Klägerin außerhalb von A gesehen werden kann.

43

Die Klägerin hat für das Streitjahr nicht vorgetragen, dass sie in B einen eigenen Hausstand gehabt hat. Sie hat auch nicht substantiiert, dass sie ihren Lebensmittelpunkt in B behalten hat. Die Klägerin hat im Streitjahr zusammen mit ihrem Kind und dem Kindesvater, dem damaligen Lebensgefährten in A gewohnt. In A hat sie auch gearbeitet. Ihr Sohn ist in A in den Kindergarten gegangen. Die Klägerin hat indes keine Gründe vorgetragen aus denen sich ergeben könnte, dass trotzdem ihr Lebensmittelpunkt nicht in A gewesen ist. Selbst wenn sie die von ihr erklärten 45 Fahrten nach B tatsächlich durchgeführt haben sollte, wovon das Gericht nicht überzeugt ist, so hat die Klägerin nicht dargelegt, wieso es sich hierbei nicht um Besuchsfahrten gehandelt haben soll. Für das Vorliegen des Lebensmittelpunktes in B ist aber die Klägerin darlegungs- und beweispflichtig.

II.

44

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 FGO. Gründe, die Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO zuzulassen, lagen nicht vor.

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