Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (5. Senat) - 5 K 137/16

Tatbestand

I.

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Die Kläger gaben zunächst ihre Einkommensteuererklärung für 2014 nicht ab. Der Beklagte schätzte die Besteuerungsgrundlagen und erließ am 11.07.2016 einen Einkommensteuerbescheid für 2014. Dabei setzte der Beklagte die Einkommensteuer in Höhe von 32.213 €, Zinsen zur Einkommensteuer in Höhe von 267 €, Solidaritätszuschlag in Höhe von 1.650,27 € sowie evangelische Kirchensteuer für die Klägerin in Höhe von 1.200 € fest.

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Den hiergegen am 05.08.2016 eingelegten Einspruch wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 15.09.2016 zurück. Am 28.09.2016 haben die Kläger Klage erhoben gegen den "Bescheid über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag 2014 vom 11.07.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.09.2016". Zugleich reichten sie ihre Einkommensteuererklärung für 2014 ein. Nach weiterer Aufklärung erließ der Beklagte zuletzt am 28.02.2017 im Ergebnis erklärungsgemäß einen geänderten Einkommensteuerbescheid für 2014, in dem er die Einkommensteuer in Höhe von 11.720 €, Zinsen zur Einkommensteuer in Höhe von -231 €, Solidaritätszuschlag in Höhe von 401,72 € und evangelische Kirchensteuer für die Klägerin in Höhe von 276 € festsetzte.

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Die Beteiligten erklärten den Rechtsstreit in der Hauptsache am 12.01.2017 bzw. am 14.03.2017 für erledigt.

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Am 15.03.2017 erging ein Kostenbeschluss nach § 138 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

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Am 17.03.2017 beantragten die Kläger die Festsetzung des Streitwerts. Im Hinblick auf einen Beschluss des Finanzgerichts (FG) Baden-Württemberg vom 25.01.2016 (1 KO 2611/15, juris) seien bei der Streitwertfestsetzung auch die Zinsen, der Solidaritätszuschlag und die Kirchensteuer zu berücksichtigen.

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Die Kläger beantragen nach Aktenlage sinngemäß,
den Streitwert auf 23.163,55 € festzusetzen.

Entscheidungsgründe

II.

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1. Der Berichterstatter entscheidet gemäß § 79a Abs. 1 Nr. 4, Abs. 4 FGO über den Streitwert. Nach Abgabe der beiderseitigen Erledigungserklärungen ist der Berichterstatter auch für den Streitwertbeschluss zuständig. Dies ergibt sich aus dem Sinn und Zweck des § 79a Abs. 1 und Abs. 4 FGO, wonach der Begriff des "vorbereitenden Verfahrens" weit auszulegen ist und sich die Zuständigkeit des Berichterstatters im Fall des § 79a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 FGO auch auf die übrigen in § 79a Abs. 1 FGO genannten Entscheidungen erstreckt.

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2. Der Antrag der Kläger nach § 63 Abs. 2 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes in der für den Streitfall maßgebenden Fassung (GKG; § 71 Abs. 1 GKG) ist im Hinblick auf die Entscheidung des FG Baden-Württemberg vom 25.01.2016 (1 KO 2611/15, juris) und das hieraus resultierende Rechtsschutzbedürfnis zur Klärung der Reichweite des § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG zulässig.

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3. Gemäß § 63 Abs. 2 GKG wird der Streitwert auf 20.493 € festgesetzt.

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a) Der Streitwert bemisst sich im Streitfall nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

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Nach § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG in Verbindung mit (i. V. m.) § 39 Abs. 1 GKG ergibt sich der Streitwert aus der Differenz zwischen der Einkommensteuer, die in dem Bescheid vom 11.07.2016 festgesetzt wurde, und der letztlich aufgrund der Einkommensteuerklärung mit Bescheid vom 28.02.2017 festgesetzten Einkommensteuer. Diese Differenz beträgt 20.493 € (=32.213 € - 11.720 €).

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b) Entgegen der Auffassung der Kläger und des FG Baden-Württemberg in seinem Beschluss vom 25.01.2016 (1 KO 2611/15, juris) ist der Streitwert nicht nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG um die entsprechenden Differenzen bei den Zinsen, bei dem Solidaritätszuschlag und bei der evangelischen Kirchensteuer der Klägerin zu erhöhen.

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Nach § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG ist die Höhe des sich aus § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, falls der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte hat, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach § 53 Abs. 2 Satz 1 GKG nicht übersteigen darf. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

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aa) Zwar sind die Auswirkungen auf Zinsen, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer bei Änderungen der entsprechenden Einkommensteuer wegen der mit Klageeingang eingereichten Einkommensteuererklärung offensichtlich absehbar. Nach dem Wortlaut der Norm muss sich aber der Antrag der Kläger auf künftige Geldleistungen auswirken. Dies ist hier nicht der Fall, da sich die Auswirkungen diesbezüglich auf dasselbe Streitjahr beziehen.

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bb) Gegen die Einbeziehung der Zinsen, des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer in die Berechnung des Streitwerts im Streitfall spricht auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Mit der Neuregelung sollten Auswirkungen für künftige Steuerjahre gegebenenfalls berücksichtigt werden, nicht aber Auswirkungen auf steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 der Abgabenordnung - AO -) und Zuschlagsteuern (§ 51a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) für dasselbe Streitjahr, wenn sie nicht gesondert angegriffen werden. Bei der Neuregelung von § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG ging der Gesetzgeber erkennbar von dem Fall aus, dass nur ein Steuerjahr (Besteuerungszeitraum) Gegenstand eines Rechtsstreits ist. In der Gesetzesbegründung wird insoweit ausgeführt, die Nichtberücksichtigung anderer Steuerjahre führe "insbesondere in finanzgerichtlichen Verfahren, die typischerweise bezogen auf die Steuererklärung eines Jahres geführt werden, sich aber für eine Mehrzahl von Jahren auswirken, zu einer systematischen Unterbewertung von Streitwerten im Verhältnis zu ihrer tatsächlichen wirtschaftlichen Bedeutung für den Kläger" (Bundestags-Drucksache – BT-Drucks. - 17/11471 (neu), S. 245). Dem sollte die Vorschrift durch eine Erhöhung des Streitwerts in den Fällen Rechnung tragen, "in denen die Entscheidung absehbar Auswirkungen für den Betroffenen nicht nur auf das im Streit befindliche Steuerjahr, sondern auch auf zukünftige Steuerjahre haben wird" (BT-Drucks. 17/11471 (neu), S. 245, Bundesfinanzhof - BFH -, Beschluss vom 17.08.2015 XI S 1/15, Sammlung der Entscheidungen des BFH - BFHE - 250, 327, Bundessteuerblatt Teil II - BStBl II - 2015, 906).

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Dass der Gesetzgeber nunmehr auch den Wert von steuerlichen Nebenleistungen und Zuschlagsteuern desselben Streitjahres in die Streitwertbemessung einbeziehen wollte, ergibt sich hieraus gerade nicht. So fehlt beispielsweise jeglicher Hinweis auf einen Willen zur Nichtberücksichtigung des § 43 Abs. 1 GKG. Sind gemäß § 43 Abs. 1 GKG außer dem Hauptanspruch auch Früchte, Nutzungen, Zinsen oder Kosten als Nebenforderungen betroffen, wird der Wert dieser ausdrücklich genannten Nebenforderungen nicht berücksichtigt. Es fehlen auch jegliche Hinweise dazu, dass die bisherige ständige Rechtsprechung zur Nichtberücksichtigung sogenannter "Folgesteuern", die von der festgesetzten Steuer abhängen, bei der Streitwertbemessung gesetzgeberisch geändert werden sollte. Nach der bisherigen Rechtsprechung sind Zinsen und "Folgesteuern" nur dann bei der Streitwertbemessung zu berücksichtigen, wenn sie mit eigenständigen Angriffsmitteln in Frage gestellt werden und das Finanzgericht in der Hauptsache darüber entschieden hat (BFH-Beschluss vom 17.08.2012 VIII S 15/12, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH - BFH/NV - 2012, 1822; BFH-Beschluss vom 18.01.2017 X S 22/16, ECLI:DE:BFH:2017:B.180117.XS22.16.0, juris, mit weiteren Nachweisen - m. w. N. -; Brandis, in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Oktober 2015, Vor § 135 FGO Randnummer - Rn. - 111 und 184 m. w. N. zu sonstigen "Folgesteuern"; anderer Ansicht - a. A. - wohl Just, Deutsches Steuerrecht - DStR - 2014, 2481 [2483]).

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cc) Die von den Klägern begehrte Berücksichtigung der Zinsen und "Folgesteuern" ergibt sich auch nicht aus der Systematik des Gesetzes.

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Da § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG die Begriffe des § 53 Abs. 2 Satz 1 GKG übernimmt und diese nur dahingehend ersetzt, dass es sich um künftige Geldleistungen handeln muss, betrifft § 52 Abs. 3 Satz 2 GKG auch nur dieselben Verwaltungsakte, die § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG betrifft, nämlich den Verwaltungsakt, den das Streitverfahren betrifft (Müller, Betriebs-Berater - BB - 2013, 2519 [2520]; im Ergebnis auch Brandis, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 135 FGO, Stand: Oktober 2015 Rn. 119a; kritisch wohl Ratschow, in: Gräber, FGO, 8. Auflage 2015, Vor § 135 FGO Rn. 132, nach dessen Auffassung eine Beschränkung auf Auswirkungen in derselben Steuerart dem Gesetz nicht zu entnehmen sei).

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Aus der Verweisung in § 52 Abs. 3 Satz 3 GKG auf § 42 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG in Verfahren in Kindergeldangelegenheiten kann nicht geschlossen werden, dass § 43 Abs. 1 GKG nicht anwendbar ist. Denn mit der Einfügung des § 52 Abs. 3 Satz 3 GKG wollte der Gesetzgeber ausdrücklich in Kindergeldangelegenheiten für zukünftige wiederkehrende Leistungen entsprechend der (seinerzeitigen) Rechtsprechung auf einen Jahresbezug abstellen (Bundesrats-Drucksache - BR-Drucks. - 26/14, S. 27; kritisch hierzu Ratschow, in: Gräber, FGO, 8. Auflage 2015, Vor § 135 FGO Rn. 133). Dass § 52 GKG deshalb die allgemeine Wertvorschrift des § 43 Abs. 1 GKG ausschließen soll, ist danach nicht ersichtlich.

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dd) Die Berücksichtigung der Zinsen, des Solidaritätszuschlags und der Kirchensteuer bei der Streitwertbemessung ergibt sich auch nicht aus dem Sinn und Zweck des Gesetzes.

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Würden auch die "Folgesteuern" als jeweiliger Streitgegenstand im Sinne des § 39 Abs. 1 GKG anzusehen sein, müssten Klagen, die nicht ausdrücklich beispielsweise Zuschlagsteuern mit eigenständigen Gründen angreifen, schon unter Berücksichtigung von § 51a Abs. 5 Satz 1 EStG insoweit abzuweisen sein. Steuerpflichtigen könnten dann ggf. trotz eines Obsiegens bei der Einkommensteuer Kosten aufzuerlegen sein.

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4. Der Beschluss ergeht gerichtsgebührenfrei, weil für die Streitwertfestsetzung Gerichtsgebühren nicht vorgesehen sind.

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