Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (2. Senat) - 2 V 117/17

Tatbestand

1

I.

Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen einen vom Antragsgegner gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

2

Die A ... GmbH & Co. KG (A) schuldet dem Antragsgegner Steuern und steuerliche Nebenleistungen. Persönlich haftende Gesellschafterin der A war zunächst die B ... GmbH (B-GmbH). Mit Eintragung im Handelsregister am ... 2013 wurde diese abgelöst durch die ... GmbH, nach Umfirmierung C ... GmbH (C-GmbH). Geschäftsführer sowohl der B-GmbH als auch der C-GmbH war der Antragsteller.

3

Mit Haftungsbescheid vom 15. Dezember 2014 nahm der Antragsgegner den Antragsteller bezüglich von der A geschuldeter Umsatzsteuer nebst Verspätungs- und Säumniszuschlägen im Hinblick auf seine Geschäftsführertätigkeit der B-GmbH als Komplementärin der A i. H. v. ... € in Anspruch. Im Rahmen des diesbezüglich geführten Einspruchsverfahrens stellte der Antragsgegner den vollständigen Zahlungseingang der fälligen Steuerschulden fest und widerrief mit Wirkung für die Zukunft das ebenfalls ausgebrachte Leistungsgebot. Den Einspruch gegen den Haftungsbescheid wies er als unbegründet zurück.

4

Am 29. Dezember 2014 erließ der Antragsgegner einen weiteren Haftungsbescheid gegenüber dem Antragsteller bezüglich seiner Geschäftsführertätigkeit bei der C-GmbH als Komplementärin der A für trotz eingereichter Umsatzsteuer-Voranmeldungen nicht gezahlte Umsatzsteuer, festgesetzte Verspätungszuschläge sowie Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer in den Jahren 2011 bis 2013 in Höhe von insgesamt ... € (Umsatzsteuer und Verspätungszuschläge i. H. v. ... €, Säumniszuschläge i. H. v. ... €). Einen dagegen gerichteten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner ab. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens reduzierte er die Haftungssumme aufgrund von zwischenzeitlich erfolgten Zahlungseingängen auf ... € (Umsatzsteuer und Verspätungszuschläge i. H. v. ... €, Säumniszuschläge i. H. v. ... Euro).

5

Am 28. Juli 2016 erließ der Antragsgegner einen dritten Haftungsbescheid, mit welchem er den Antragsteller in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der C-GmbH als Komplementärin der A für nicht abgeführte Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag zur Lohnsteuer, Lohnkirchensteuer sowie Säumniszuschläge in Höhe von insgesamt ... € in Haftung nahm.

6

Einen von der A gestellten Antrag auf (teilweisen) Erlass der verwirkten Säumniszuschläge lehnte der Antragsgegner ab. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

7

Am 19. Februar 2015 begann der Antragsgegner mit der Vollstreckung, indem es ein Vollstreckungsersuchen an das für den Antragsteller zuständige Wohnsitzfinanzamt richtete. Dieses blieb erfolglos, da der Vollziehungsbeamte den Antragsteller unter der angegebenen Adresse nicht ermitteln konnte. Auf die am 29. April 2015 sowie am 28. Oktober 2015 ausgebrachten Pfändungs- und Einziehungsverfügungen teilte die Bank D, ..., in zwei Drittschuldnererklärungen mit, dass die gepfändete Forderung lediglich i. H. v. ... € auf einem Gemeinschaftskonto mit Einzelverfügungsbefugnis bestehe. Auf weiteres Vollstreckungsersuchen vom 9. Februar 2017 traf der Vollziehungsbeamte den Antragsteller am 1. März 2017 nicht in seiner Wohnung an. Der Vollziehungsbeamte hinterlegte eine Zahlungsaufforderung nebst Ankündigung eines weiteren Vollstreckungsversuches am 10. März 2017. Mit Schreiben vom 2. März 2017 teilte der Antragsteller mit, dass sich ihm Sinn und Zweck weiterer Vollstreckungsmaßnahmen nicht erklärten. Er habe bereits eine Vermögensauskunft abgegeben. Am 21. März 2017 nahm der Vollziehungsbeamte ein Protokoll über die Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers sowie ein Protokoll über eine fruchtlose Pfändung auf. Im Rahmen der Vermögensauskunft gab der Antragsteller an, aus seiner Geschäftsführertätigkeit bei der E GmbH Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit i. H. v. ... € monatlich zu beziehen. Aus weiteren Geschäftsführertätigkeiten beziehe er keine Einkünfte. Daneben halte er an der F GmbH eine stille Beteiligung im Wert von ... € bis ... €. Gegenüber anderen Gläubigern bestünden unbestrittene sonstige Verbindlichkeiten in Höhe von ca. ... €. Am ... 2016 habe er bereits eine Vermögensauskunft vor dem Amtsgericht Hamburg abgegeben.

8

Mit Schreiben vom 26. März 2017 teilte der Antragsteller mit, dass er sich derzeit außer Stande sehe, den verbleibenden Forderungen aus den Haftungsbescheiden nachzukommen. Er bitte um Möglichkeit zu Ratenzahlung i. H. v. ... € pro Monat. Der Antragsgegner lehnte diesen Antrag mit Schreiben vom 30. März 2017 ab.

9

Am ... März 2017 stellte der Antragsgegner beim Amtsgericht Hamburg einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers. In der beigefügten Rückstandsaufstellung bezog er sich dabei in voller Höhe auf die Haftungsschulden aus dem Haftungsbescheid vom 29. Dezember 2014 sowie auf den weit überwiegenden Teil der Haftungsschulden aus dem Haftungsbescheid vom 28. Juli 2016, mithin einen Gesamtbetrag i. H. v. ... €.

10

Am 18. April 2017 stellte die A Änderungsanträge im Hinblick auf die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2010 bis 2013, mit denen sie insbesondere die Berücksichtigung von Vorsteuerbeträgen begehrte.

11

Am 19. April 2017 unterbreitete der Antragsteller ein weiteres Zahlungsangebot mit monatlichen Raten i. H. v. ... €. Im Übrigen verwies er auf die eingereichten Änderungsanträge der A. Bei Stattgabe verringere sich auch seine Haftungsschuld, so dass mit einer zeitnahen Tilgung zu rechnen sei.

12

Am 20. April 2017 hat der Antragsteller einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht gestellt, welchen er wie folgt begründet:

13

Der vom Antragsgegner gestellte Insolvenzantrag sei bereits unzulässig. Aus seinem am 21. März 2017 erstellten Vollstreckungsprotokoll habe der Antragsgegner erkennen können, dass der Antrag mangels Masse abzulehnen sei. Als einzigen Vermögensgegenstand habe er eine stille Beteiligung an einer GmbH aufgeführt. Dieser stünden Verbindlichkeiten von etwa ... € gegenüber. Da die GmbH ebenfalls beim Antragsgegner geführt werde, habe dieser erkennen können, dass die Beteiligung faktisch wertlos sei. Nach Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sei ein Insolvenzantrag in einer solchen Situation unzulässig.

14

Im Übrigen sei der Insolvenzantrag unbillig. Bei Annahme seines am 19. April 2017 unterbreiteten Ratenzahlungsangebots mit monatlichen Raten i. H. v. ...  € sei mit einer Tilgung der Haftungsschuld innerhalb von zwölf Monaten zu rechnen gewesen. Aufgrund von Änderungs- und Erlassanträgen vom 19. April 2017 für die A hätten sich überdies die Umsatzsteuerschulden nebst Nebenleistungen um ca. ... € verringert. Bezogen auf die Haftungsschuld bedeute dies eine Verringerung um ... €. Aufgrund dieser Verringerung in Höhe von mehr als 75 % der ursprünglichen Haftungssumme wäre auf Grundlage der angebotenen Raten die Gesamtschuld ohnehin nach vier Monaten beglichen worden.

15

Auch entspreche der gestellte Insolvenzantrag nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und sei mithin ermessensfehlerhaft. Der Antragsgegner habe nicht beachtet, dass nach der Rechtsprechung des BFH ein Insolvenzantrag erst gestellt werden könne, wenn weniger belastende Maßnahmen der Einzelvollstreckung ausgeschöpft seien oder diese keine Aussicht auf Erfolg versprächen.

16

Der Antragsgegner habe es unterlassen, in die ihm aufgrund des Vollstreckungsprotokolls bekannten Provisionsansprüche zu vollstrecken. Die behaupteten Vollstreckungsmaßnahmen vom 9. bzw. 19. Februar 2015 seien ihm nicht bekannt. Eine Vollstreckung in ein Konto bei der Bank D könne schon deshalb nicht stattgefunden haben, weil er, der Antragsteller, zu keiner Zeit ein solches Konto unterhalten habe. Zudem fehle es an einer vorausgegangenen Vollstreckung bei der A als ursprüngliche Steuerschuldnerin sowie bei deren Komplementärinnen. Diese stünden in der Haftungskette vor ihm, dem Antragsteller.

17

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den mit Schreiben vom ... März 2017 beim Amtsgericht Hamburg gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Antragstellers zurückzunehmen.

18

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

19

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei unbegründet. Es fehle bereits an einem Anordnungsanspruch. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen solchen Antrag lägen vor. Er, der Antragsgegner, habe den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ermessensfehlerfrei gestellt. Der Antragsteller sei bereits seinen eigenen Angaben nach zahlungsunfähig. Der Antrag sei schon gar nicht unzulässig. Entgegen der Ansicht des Antragstellers sei dem Protokoll über die fruchtlose Pfändung nicht zu entnehmen gewesen, dass der Antrag mangels Masse abgelehnt werden würde. Der von ihm gestellte Insolvenzantrag zeige gerade, dass er vom Gegenteil ausgehe. Im Übrigen obliege die Prüfung, ob genügend Masse zur Deckung der Verfahrenskosten vorhanden ist, dem Insolvenzgericht bzw. dem Insolvenzverwalter.

20

Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens sei auch erforderlich, da Einzelvollstreckungsmaßnahmen nicht zum Erfolg geführt hätten. Alle zumutbaren Maßnahmen seien ergriffen worden. Die Aufforderung zur Zahlung und Pfändungsversuche durch Vollziehungsbeamte hätten nicht zum Erfolg geführt. Ebenso verhalte es sich mit den durchgeführten Kontenpfändungen. Soweit der Antragsteller bestreite, dass eine Kontenpfändung bei der Bank D versucht worden sei, könne auf die Drittschuldnererklärungen der Bank D vom 11. Mai und 6. November 2015 verwiesen werden. Eine Pfändung etwaiger Provisions- bzw. Gehaltsansprüche sei nicht zielführend, da diese laut Vermögensauskunft lediglich i. H. v. ... € monatlich bestünden und damit unterhalb des Pfändungsfreibetrages lägen. Eine Pfändung seiner stillen Beteiligung an einer GmbH sei ebenfalls nicht zielführend, da dieser Anteil bereits nach dem eigenen Vortrag des Antragstellers nicht werthaltig sei. Im Übrigen sei der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch nicht unverhältnismäßig. Insbesondere sei die Vollstreckung gegenüber der Hauptschuldnerin ohne Erfolg versucht worden. Die weiteren Haftungsschuldner stünden gleichrangig neben dem Antragsteller.

21

Die unterbreiteten Ratenzahlungsangebote seien ermessensfehlerfrei abgelehnt worden. Mit der Annahme hätte sich der Antragsgegner einem erheblichen Anfechtungsrisiko ausgesetzt, da die Zahlungsunfähigkeit des Antragstellers und das Vorhandensein erheblicher Verbindlichkeiten, mithin weiterer Gläubiger, die durch eine Ratenzahlung gegebenenfalls benachteiligt werden würden, bekannt gewesen seien.

22

Auf eine mögliche Verringerung der dem Haftungsbescheid zu Grunde liegenden Steuerschulden könne sich der Antragsteller nicht berufen. Voraussetzung für die Vollstreckung sei lediglich, dass Forderungen, wie vorliegend, vollziehbar seien. Eine unveränderliche Festsetzung sei gerade nicht zu fordern. Zwar könne es unverhältnismäßig sein, einen Insolvenzantrag zu stellen, wenn sich die Rückstände mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auf andere Art erledigten. Hiervon könne allerdings nicht ausgegangen werden. Im Zeitpunkt des Insolvenzantrags seien die Änderungsanträge hinsichtlich der Steuerschulden der A noch nicht gestellt worden. Im Übrigen sei vorliegend nicht sicher, dass ihnen stattgegeben werden würde. Zum Teil seien sie bereits abgelehnt worden. Im Übrigen hätten sie grundsätzlich keine Auswirkungen auf die verwirkten Säumniszuschläge, für welche der Antragsteller auch hafte. Im Übrigen reduziere sich die Haftungsschuld auch nicht auf null Euro. Ein etwaig verbleibender Betrag sei kein Bagatellbetrag, der die Antragstellung unverhältnismäßig erscheinen lasse.

23

Soweit der Antragsteller einen Anordnungsgrund damit begründe, der Insolvenzantrag wirke für ihn existenzvernichtend, sei dem nicht zu folgen. Nach Sinn und Zweck stehe im Vordergrund des Insolvenzverfahrens die Möglichkeit, nach Ablauf der Wohlverhaltensphase schuldenfrei zu sein. Dies sei keine Existenzvernichtung. Zudem sei die empfundene "Existenzvernichtung" denknotwendige Folge eines Insolvenzverfahrens. Die damit verbundenen Nachteile gingen mithin nicht über diejenigen hinaus, die üblicherweise mit einer Insolvenz verbunden seien.

24

Dem Antrag könne auch deswegen nicht stattgegeben werden, weil ansonsten unzulässiger Weise durch eine Regelung im einstweiligen Rechtsschutz die Hauptsache vorweggenommen werden würde.

25

Dem Gericht haben jeweils ein Band Arbeitgeberakten, Vollstreckungsakten, Umsatzsteuerakten, Bilanzakten und der Akte Allgemeines, zwei Bände Rechtsbehelfsakten und drei Bände Haftungsakten zur Steuernummer .../.../... vorgelegen.

Entscheidungsgründe

26

II.

Der Antrag ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

27

1. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der der Senat folgt, stellt der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Steuerschuldners schlichtes hoheitliches Handeln dar, für dessen Überprüfung das Finanzgericht und nicht das Insolvenzgericht zuständig ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 26. Februar 2007 VII B 98/06, BFH/NV 2007, 1270, und vom 11. Dezember 1990 VII B 94/90, BFH/NV 1991, 787, m. w. N.). Das Rechtsschutzbedürfnis für ein solches finanzgerichtliches Verfahren besteht solange, bis das Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beschlossen oder den Eröffnungsantrag des Finanzamtes mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse rechtskräftig abgelehnt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 31. August 2011 VII B 59/11, BFH/NV 2011, 2105). Beides ist hier bislang nicht erfolgt.

28

Einstweiliger Rechtsschutz kann nur im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 114 der Finanzgerichtsordnung (FGO) gewährt werden, da das Begehren des Antragstellers auf ein schlichtes Verwaltungshandeln, die Rücknahme des Antrags, gerichtet ist (BFH-Beschluss vom 28. Februar 2011 VII B 224/10, BFH/NV 2011, 763) und im Hauptsacheverfahren demnach die sonstige Leistungsklage gegeben wäre (BFH-Urteil vom 4. April 1984 I R 269/81, BStBl II 1984, 563, vgl. m. w. N.).

29

2. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung.

30

a) Nach § 114 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 FGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung). Dies setzt voraus, dass der Antragsteller einen Grund für die zu treffende Regelung (sog. Anordnungsgrund) und einen Anspruch, aus dem er sein Begehren herleitet (sog. Anordnungsanspruch), hat. Der Antragsteller muss Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund schlüssig darlegen und glaubhaft machen.

31

b) Im Streitfall hat der Antragsteller bereits den Anordnungsanspruch nicht ausreichend glaubhaft gemacht.

32

aa) Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann gestellt werden, wenn dem Finanzamt ein Anspruch zusteht, der ihm im Insolvenzverfahren die Stellung eines Insolvenzgläubigers vermittelt, und wenn ein Insolvenzgrund vorliegt (§ 14 Abs. 1 der Insolvenzordnung - InsO -). Ein solcher Antrag darf nicht rechtsmissbräuchlich und aus sachfremden Erwägungen heraus gestellt werden (FG Hamburg, Beschluss vom 13. Juni 2014 6 V 76/14, ZInsO 2015, 101).

33

Die Entscheidung des Finanzamtes, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Steuerschuldners zu beantragen, ist eine Ermessensentscheidung, die gemäß § 102 FGO von den Gerichten nur daraufhin überprüft werden kann, ob die Grenzen des Ermessens überschritten sind oder vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Februar 2011 VII B 224/10, BFH/NV 2011, 763). Ermessensfehler liegen insbesondere vor, wenn für den Antrag die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind oder der Antrag aus sachfremden Erwägungen oder unter missbräuchlicher Ausnutzung einer Rechtsstellung gestellt wurde (vgl. BFH-Beschluss vom 11. Dezember 1990 VII B 94/90, BFH/NV 1991, 787).

34

Dabei kann das Finanzamt bis zum Schluss des Verfahrens vor dem Finanzgericht seine Ermessenserwägungen nicht nur ergänzen (§ 102 Satz 2 FGO), sondern gegebenenfalls auch völlig neu treffen. Denn entscheidend für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines vom Finanzamt gestellten Insolvenzantrags ist der Zeitpunkt der abschließenden Beratung des Gerichts über den Antrag auf einstweilige Anordnung, nicht etwa der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Februar 2011 VII B 224/10, BFH/NV 2011, 763 m. w. N., offen gelassen im BFH-Beschluss vom 26. Februar 2007 VII B 98/06, BFH/NV 2007, 1270). Im Verfahren über den Antrag auf einstweilige Anordnung hat das Gericht die Erfolgsaussichten des Antragstellers im Hauptsacheverfahren, mithin der Leistungsklage auf Rücknahme des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, zu beurteilen (BFH-Beschluss vom 28. Februar 2011 VII B 224/10, BFH/NV 2011, 763). Ob eine Behörde zu einer Leistung verurteilt werden kann, bestimmt sich aber regelmäßig nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der finanzgerichtlichen Entscheidung. Sind die vom Finanzamt zu diesem Zeitpunkt für die Aufrechterhaltung seines Insolvenzantrags angegebenen Gründe ermessensgerecht, kann es nicht mehr zur Rücknahme dieses Antrags verurteilt werden, nur weil die vormals bei Stellung des Antrags angegebenen Gründe gegebenenfalls ermessensfehlerhaft waren. Umgekehrt muss das Finanzamt zur Rücknahme des Insolvenzantrags verurteilt werden, wenn die Antragsvoraussetzungen zwar bei Stellung des Antrags vorgelegen haben, zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aber nicht mehr gegeben sind (vgl. Finanzgericht des Saarlandes, Urteil vom 17. März 2004 1 K 437/02, EFG 2004, 1021).

35

bb) Nach diesen Grundsätzen ist der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung des Gerichts über den Antrag auf einstweilige Anordnung bei der gebotenen summarischen Prüfung rechtmäßig.

36

(1) Der Antragsgegner hat die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Insolvenzantrags nicht verkannt. Er betreibt das Insolvenzverfahren wegen vollziehbarer Steuerforderungen, die derzeit ... € betragen. Die Vollstreckungsvoraussetzung des § 251 Abs. 1 AO ist damit erfüllt. Insbesondere war die Vollziehung der Steuerbescheide nicht in Höhe des dem Insolvenzantrag zugrunde liegenden Betrags gehemmt. Die zugrunde liegenden Haftungsbescheide sind nicht von der Vollziehung ausgesetzt.

37

(2) Zudem konnte der Antragsgegner von der Zahlungsunfähigkeit der Antragstellerin, mithin einem Insolvenzgrund, ausgehen. Eine solche liegt nach § 17 Abs. 2 InsO vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, und ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Zahlungsunfähigkeit ist damit ein auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhendes dauerndes Unvermögen des Schuldners, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden zu begleichen (FG Hamburg, Beschluss vom 18. August 2011 6 V 102/11, juris unter Hinweis auf BFH-Beschluss vom 23. Juli 1985 VII B 29/85, BFH/NV 1986, 41).

38

Zahlungsunfähigkeit in diesem Sinn ergibt sich bereits aus dem Protokoll über eine fruchtlose Pfändung vom 21. März 2017 sowie den Schreiben des Antragstellers vom 2. und 26. März 2017 sowie seinem Vortrag im gerichtlichen Antragsverfahren.

39

(3) Die Ermessensentscheidung des FA ist auch nicht deshalb zu beanstanden, weil der Antragsgegner davon Kenntnis hätte haben müssen, dass die Insolvenzmasse zur Deckung der Verfahrenskosten nicht ausreichen werde.

40

Die Annahme, dass sich im Betrieb des Vollstreckungsschuldners pfändbares bewegliches Vermögen nicht mehr befindet, ist nicht gleichzusetzen mit der Kenntnis oder einer zu unterstellenden Kenntnis des Finanzamts, dass eine die Kosten des Verfahrens deckende Insolvenzmasse nicht mehr vorhanden ist. Denn im Insolvenzverfahren sind umfänglich alle Vermögenswerte aufzudecken, auch solche, die während des Insolvenzverfahrens erlangt werden (§ 35 InsO). Die zuverlässige Feststellung des Umfanges der zur Verfügung stehenden Insolvenzmasse obliegt dem Insolvenzgericht, das vom Vollstreckungsschuldner entsprechende Auskünfte verlangen und mit der Prüfung, ob das Vermögen des Schuldners die Kosten des Verfahrens decken wird, einen Sachverständigen oder vorläufigen Insolvenzverwalter beauftragen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2005 VII R 63/04, BFH/NV 2006, 900).

41

Im Streitfall durfte der Antragsgegner aufgrund der fruchtlosen Pfändungsmaßnahmen davon ausgehen, dass der Vollstreckungsschuldner pfändbares Vermögen nicht besitzt. Dabei musste er jedoch nicht zwangsläufig zu der Erkenntnis gelangen, dass nicht einmal eine die Kosten eines Insolvenzverfahrens deckende Masse nicht vorhanden ist. Auch ist der Antragsgegner nicht zur eigenen Prüfung verpflichtet, ob das Vermögen des Vollstreckungsschuldners zur Deckung der voraussichtlichen Kosten eines Insolvenzverfahrens ausreichen wird. Dies gilt auch für den vorliegenden Fall, dass die Gesellschaft, an welcher der Antragsteller eine stille Beteiligung hält, beim Antragsgegner steuerlich geführt wird. Auch diese Prüfung wäre für den Antragsgegner nur mit einigem Aufwand möglich. Dies in jedem Falle zu fordern hieße, das Eröffnungsverfahren vorweg zu nehmen und die Aufgaben des Insolvenzgerichts auf das Finanzamt zu verlagern, dem die weitreichenden Befugnisse nach § 21 InsO nicht zur Verfügung stehen (vgl. zum Ganzen BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2005 VII R 63/04 BFH/NV 2006, 900). Anderes gilt nur, wenn das Finanzamt explizit damit rechnet, dass der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgewiesen werden wird (BFH-Beschluss vom 31. August 2011 VII B 59/11, BFH/NV 2011, 2105). Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall.

42

(4) Die Stellung des Insolvenzantrags ist nicht deswegen unverhältnismäßig und mithin ermessensfehlerhaft, weil der Antragsgegner von Pfändungsmaßnahmen im Hinblick auf die vom Antragsteller bezogene Geschäftsführervergütung und dessen stille Beteiligung an einer GmbH abgesehen hat. Zutreffend geht der Antragsgegner davon aus, dass er vor Stellung eines Insolvenzantrags nicht von vornherein aussichtslose Vollstreckungsversuche unternehmen muss (vgl. BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2003 VII B 265/01, BFH/NV 2004, 464). Insoweit ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn er bezüglich der Geschäftsführervergütung auf die für Arbeitseinkommen im weiteren Sinne geltenden Pfändungsfreigrenzen (§§ 850 ff. ZPO) verweist. Bezogen auf die stille Beteiligung geht der Antragssteller selbst von einer Wertlosigkeit aus, so dass auch insoweit Vollstreckungsmaßnahmen nicht angezeigt waren.

43

(5) Auch die Ablehnung der vom Antragsteller angebotenen Ratenzahlungen führt nicht zur Rechtswidrigkeit des Antrags auf Insolvenzeröffnung.

44

(a) Das erste Ratenzahlungsangebot i. H. v. ... € monatlich vom 26. März 2017 hat der Antragsgegner bereits am 30. März 2017 ermessensfehlerfrei abgelehnt. Beim Anbieten von Ratenzahlungen kann die Vollstreckung unbillig, mithin einen Vollstreckungsaufschub gemäß § 258 AO zu gewähren sein, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, dass der Vollstreckungsschuldner seine Zusage einhalten wird und nach der Höhe der angebotenen Raten mit einer zügigen und kurzfristigen Tilgung der Steuerschuld gerechnet werden kann (BFH-Beschluss vom 24. September 1991 VII B 107/91, BFH/NV 1992, 503). Kurzfristig ist dabei regelmäßig ein Zeitraum von max. sechs bis zwölf Monaten (FG Köln, Beschluss vom 19. Februar 2014 13 V 228/14, EFG 2014, 1017).

45

Der Antragsgegner hat insoweit ermessensfehlerfrei darauf hingewiesen, dass er mangels Angaben zur Mittelherkunft bereits nicht habe prüfen können, ob der Zahlungsvorschlag überhaupt realistisch sei. Zum anderen hat er zutreffend darauf verwiesen, dass bezogen auf die fälligen Forderungen der Tilgungszeitraum 24 Monate betragen würde, so dass mit einer kurzfristigen Tilgung der Haftungsschuld nicht zu rechnen gewesen sei.

46

(b) Bezogen auf das zweite vom Antragsteller nach Stellung des Insolvenzantrags ergänzte Ratenzahlungsangebot mit monatlichen Raten i. H. v. ... € ist es nicht ermessensfehlerhaft, wenn der Antragsgegner nunmehr in seiner Antragserwiderung auf das Risiko einer Insolvenzanfechtung verweist. Gemäß § 130 InsO ist eine drei Monate vor Eröffnungsantrag oder nach diesem vorgenommene Rechtshandlung anfechtbar, die zur Befriedigung des Insolvenzgläubigers geführt hat, wenn der Gläubiger zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag kannte. Schädlich ist auch die Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen. Gemäß § 133 InsO ist zudem eine vom Schuldner in den letzten zehn bzw. vier Jahren mit Vorsatz der Gläubigerbenachteiligung vorgenommene Rechtshandlung anfechtbar, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte bzw. um die drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und die Gläubigerbenachteiligung wusste.

47

Daran gemessen besteht aus Sicht des Antragsgegners ein erhebliches Insolvenzanfechtungsrisiko. Spätestens mit dem Protokoll über die fruchtlose Pfändung unter Aufnahme der Vermögensverhältnisse am 21. März 2017 war dem Antragsgegner bekannt, dass der Antragsteller zahlungsunfähig war. So hat der Antragsteller selbst erklärt, über keinerlei nennenswerte Einkünfte oder Vermögen zu verfügen und bereits eine Vermögensauskunft beim Amtsgericht abgegeben zu haben. Auch hatte der Antragsgegner Kenntnis von weiteren Gläubigern des Antragstellers mit unbestrittenen Forderungen i. H. v. ... €. Damit hatte er letztendlich auch Kenntnis von allen Umständen, die i. S. d. § 133 InsO die Gläubigerbenachteiligungsabsicht des Schuldners begründen. Zwar ist nach § 133 Abs. 3 Satz 2 InsO in der ab dem 5. April 2017 geltenden Fassung bei Ratenzahlungsvereinbarungen zu vermuten, dass der Gläubiger zum Zeitpunkt der anfechtbaren Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte. Dabei handelt es sich jedoch lediglich um eine gesetzlich angeordnete widerlegbare Vermutung (Thole in Kayser/Thole, Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung, 8. Aufl. 2016, § 133 Rn. 42 ff.). Mit Hilfe des Protokolls über die Feststellungen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie über die fruchtlose Pfändung vom 21. März 2017 sollte einem Insolvenzverwalter der Gegenbeweis gelingen.

48

(6) Soweit der Antragsteller geltend macht, seine Haftungsschuld würde sich in Kürze aufgrund der gestellten Änderungsanträge der A erheblich verringern, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit des Insolvenzantrags. Zwar ist eine Vollstreckung als unzulässige Rechtsausübung unbillig und ermessensfehlerhaft, wenn der Vollstreckungsbetrag sogleich zurückgezahlt werden müsste (BFH-Beschluss vom 29. November 1984 V B 44/84, BStBl II 1985, 194 zu einer möglichen Verrechnungssituation). Dies setzt aber voraus, dass sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Steueranspruch vermindert (BFH-Beschluss vom 28. August 2008 VII B 233/07, BFH/NV 2008, 1991 zum Entstehen von verrechenbaren Gegenansprüchen des Steuerpflichtigen).

49

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Die von der A gestellten Änderungsanträge betreffen nur die Umsatzsteuer und teilweise Jahre, für welche der Antragsteller gar nicht in Haftung genommen wurde. Insgesamt machen Umsatzsteuer nebst Verspätungszuschlägen lediglich ... € der Haftungssumme aus. Nur insoweit besteht überhaupt das Potenzial der Minderung der Haftungsschuld. Der wesentliche Teil der Haftungsschulden von über ... € für Lohnsteuer und Säumniszuschläge bliebe davon unberührt. Darüber hinaus steht auch nicht mit Sicherheit fest, dass den Änderungsanträgen entsprochen werden wird. Nach unwidersprochenem Vortrag des Antragsgegners sind diese bereits teilweise abgelehnt worden. Der Antragsgegner verweist zudem zutreffend darauf, dass eine Ermäßigung der Steuerschuld nicht auch automatisch zu einer Ermäßigung der Säumniszuschläge führt, für welche der Antragsteller haftet. Die A hat bereits erfolglos den Erlass dieser Säumniszuschläge begehrt.

50

(7) Allgemein hat der Antragsteller auch nicht schlüssig dargelegt, dass der Antragsgegner rechtsmissbräuchlich unter Ausnutzung seiner Rechtsstellung bzw. aufgrund sachfremder Erwägungen, etwa zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz gehandelt hat. Dem Antragsgegner war es gerade nicht verwehrt, nach erfolglosen Vollstreckungsbemühungen einen Insolvenzantrag zu stellen. Allein die Wahrnehmung aller rechtlich zulässigen Vollstreckungsmaßnahmen ist weder eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung einer Machtstellung, noch beruht ein solches Vorgehen auf sachfremden Erwägungen. So kann sich der Antragsteller auch nicht darauf berufen, dass vorrangig andere Personen für die Steuer- bzw. Haftungsschulden in Anspruch zu nehmen seien. Im Hinblick auf die Haftungsbeträge ist die Vollstreckung gegen die A als Hauptschuldnerin erfolglos geblieben. Entgegen der Ansicht des Antragstellers stehen etwaige weitere Haftungsschuldner gleichrangig neben ihm.

51

Im Übrigen ist das primäre Ziel eines Insolvenzverfahrens nicht die Zerschlagung von Vermögenswerten, mithin die Existenzvernichtung des Schuldners, sondern die Schuldenbereinigung zur Fortsetzung unternehmerischer Betätigung (vgl. BFH-Beschluss vom 28. Februar 2011 VII B 224/10, BFH/NV 2011, 763).

52

c) Da bereits wegen des Fehlens eines Anordnungsanspruchs der Antrag des Antragstellers keinen Erfolg hat, kann es dahingestellt bleiben, ob ein Anordnungsgrund gegeben ist.

53

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Gründe zur Zulassung der Beschwerde (§ 128 Abs. 3 i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO) liegen nicht vor.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen