Urteil vom Finanzgericht Hamburg (2. Senat) - 2 K 154/16

Tatbestand

1

Die Kläger begehren den Erlass von Säumniszuschlägen.

2

Die Kläger sind Eheleute und wurden für die Streitjahre 2011 und 2012 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

3

Für die Streitjahre sowie das Jahr 2010 versäumten es die Kläger zunächst Steuererklärungen abzugeben. Daraufhin erließ der Beklagte Schätzungsbescheide über Einkommensteuer über null Euro für die Streitjahre. Nach Einreichung einer vorläufigen Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 2011 am 8. August 2014, wonach der Jahresüberschuss ... € betrug, legte der Beklagte diese seinen Schätzungen zu Grunde. Aufgrund des Verlustvortrages aus dem Jahr 2010 setzte er zunächst die Einkommensteuer dennoch auf null Euro fest. Im Rahmen der Änderungen der Steuerfestsetzung für das Streitjahr 2010 und einem entsprechend angepassten Verlustvortrags und auf Grundlage der eingereichten Gewinn- und Verlustrechnung änderte der Beklagte die Schätzungsbescheide erneut und setzte im Schätzwege erstmals am 12. November 2014 die Einkommensteuer auf ... € (2011) bzw. ... € (2012) fest. Erst im Rahmen zweier Klagverfahren gegen diese Schätzungsbescheide reichten die Kläger die Einkommensteuererklärung für 2011 am 27. Juli 2015 sowie die Einkommensteuererklärung 2012 am 9. September 2015 ein. Daraufhin änderte der Beklagte erneut die entsprechenden Einkommensteuerbescheide, wonach die Einkommensteuer jeweils auf null Euro festgesetzt wurde. Insgesamt ergingen für die Streitjahre folgende Einkommensteuerbescheide:

4

Bescheide über Einkommensteuer 2011

                                   

Datum 

Festgesetzte Steuer 

Art der Festsetzung

Fälligkeit

                                   

2. September 2013  

0,00 €

Schätzung

        

18. September 2014 

0,00 €

Geänderte Schätzung

        

12. November 2014

... €

Änderung wegen Verlustvortrag aus 2010

15. Dezember 2014

13. Januar 2015

... €

Änderung wegen geänderten Verlustvortrags aus 2010 

Sofort

18. November 2015

0,00 €

Änderung aufgrund Abgabe Steuererklärungen

Sofort

5

Bescheide über Einkommensteuer 2012

                                   

Datum 

Festgesetzte Steuer 

Art der Festsetzung

Fälligkeit

                                   

21. Juli 2014

0,00 €

Schätzung

        

12. November 2014 

   .. €

Geänderte Schätzung

        

15. Dezember 2014

        

                 

16. Dezember 2015

0,00 €

Änderung aufgrund Abgabe Steuererklärungen 

Sofort

6

Mit den geänderten Bescheiden über Einkommensteuer für 2011 vom 18. November 2015 bzw. für 2012 vom 16. Dezember 2015 forderte der Beklagte zugleich zur Zahlung der bis zu dem jeweiligen Zeitpunkt des Erlasses dieser letzten Änderungsbescheide entstandenen Säumniszuschläge in folgender Höhe auf:

                          
    Säumniszuschlag zur        

        
                          
    Einkommensteuer 2011         ... €

    Solidaritätszuschlag 2011         ... €

  

    Einkommensteuer 2012         ... €

  

    Solidaritätszuschlag 2012         ... €

  

                          
    Summe          ... €

   

7

Mit Schriftsatz vom 4. Februar 2016 beantragten die Kläger den Erlass der Säumniszuschläge.

8

Mit Bescheid vom 23. Februar 2016 folgte der Beklagte diesem Antrag in Teilen und erließ gemäß § 227 der Abgabenordnung (AO) aus Billigkeitsgründen die Säumniszuschläge in folgender Höhe:

                          
    Säumniszuschlag zur       

        
                          
    Einkommensteuer 2011       ... €

    Solidaritätszuschlag 2011      ... €

    Einkommensteuer 2012     ... €

    Solidaritätszuschlag 2012 ... €

                          
    Summe     ... €

9

Erlassen wurden die Säumniszuschläge nur soweit, als sie auf den Zeitraum des Eingangs der jeweiligen Einkommensteuererklärung bis zum Erlass der diesbezüglichen Änderungsbescheide mit der jeweiligen Festsetzung der Einkommensteuer auf null Euro entfielen. Einen darüber hinausgehenden Erlass lehnte der Beklagte ab. Der Beklagte verwies darauf, dass gemäß § 240 AO Säumniszuschläge kraft Gesetzes entstünden, wenn eine Zahlung nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages geleistet worden sei. Auch bei späterer Herabsetzung der Steuerfestsetzung auf null Euro blieben die Säumniszuschläge grundsätzlich bestehen. Auch in einem solchen Fall sei die Erhebung grundsätzlich nicht sachlich unbillig, so dass ein - im Ermessen der Behörde stehender - Erlass der Säumniszuschläge grundsätzlich nicht in Betracht käme. Anders verhalte es sich vorliegend erst ab dem Zeitpunkt der Einreichung der Steuererklärungen. Erst ab diesem Zeitpunkt wäre die Vollziehung der entsprechenden Einkommensteuerbescheide auszusetzen gewesen. Die ab diesem Zeitpunkt verwirklichten Säumniszuschläge seien erlassen worden. Für einen weiteren Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen bestünden keinerlei Anhaltspunkte. Insbesondere zur Erlasswürdigkeit und Erlassbedürftigkeit hätten die Kläger nichts vorgetragen.

10

Gegen den teilweisen Erlass legten die Kläger am 3. März 2016 Einspruch ein. Die Säumniszuschläge seien vollständig zu erlassen. Sie, die Kläger, vermittelten hauptsächlich Reisen nach Saudi-Arabien. Insbesondere im Jahr 2013 habe es Probleme mit den beantragten Visa gegeben. Gebuchte Reisen hätten nicht angetreten werden können. Urlauber als auch Hotel- und Flugzeugcharterer hätten ihr Geld zurück verlangt. Dadurch seien hohe finanzielle Einbußen in den Jahren 2012 bis 2014 entstanden, insbesondere im Jahr 2013. Aufgrund dieser schlechten Einnahmesituation hätten die Steuererklärungen erst spät gefertigt werden können. Der Zweck der Säumniszuschläge, den Steuerpflichtigen zur Zahlung zu bewegen, sei im vorliegenden Fall leergelaufen. Mangels entsprechender Liquidität hätten sie, die Kläger, die geforderten Summen gar nicht bezahlen können. Auch die Tatsache, dass die Steuerlast nunmehr null Euro betrage, lasse die Festsetzung der Säumniszuschläge unangemessen erscheinen.

11

Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 2. Mai 2016 als unbegründet zurück.

12

Über die bereits gewährte Höhe hinaus sei ein Erlass nicht gerechtfertigt.

13

Der Erlass von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis stünde als Billigkeitsmaßnahme im Ermessen der Finanzbehörde. Die einen Erlass von Säumniszuschlägen begründende Unbilligkeit könne entweder in der Sache selbst liegen (sachliche Unbilligkeit) oder ihren Grund in der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen haben (persönliche Unbilligkeit).

14

Die Erhebung der Säumniszuschläge sei nicht sachlich unbillig. Gemäß § 240 AO entstünden Säumniszuschläge kraft Gesetzes und entfielen auch nicht bei späterer Herabsetzung der Steuer. Nach ständiger Rechtsprechung seien Säumniszuschläge ein Druckmittel eigener Art, das zum einen den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten solle und zum andern die Gegenleistung für das Hinausschieben fälliger Zahlungen darstelle. Darüber hinaus werde schließlich auch der Verwaltungsaufwand abgegolten, der durch nicht fristgemäße Zahlung einer fälligen Steuer entstehe. Sachlich unbillig sei die Erhebung von Säumniszuschlägen dann, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich sei und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliere. Selbst in diesen Fällen komme jedoch nur ein Teilerlass in Betracht, da die Säumniszuschläge auch als Gegenleistung für das Aufschieben fälliger Zahlungen und der Abgeltung von Verwaltungsaufwand dienten. Sie seien nur zur Hälfte zu erlassen, denn ein säumiger Steuerpflichtiger solle grundsätzlich nicht besser stehen, als ein Steuerpflichtiger, dem die Aussetzung der Vollziehung oder Stundung gewährt worden sei. Vor diesem Hintergrund könnten sich die Kläger nicht darauf berufen, dass letztlich die Einkommensteuer auf null Euro festgesetzt worden sei. Mit ausdrücklicher Regelung habe der Gesetzgeber in § 240 Abs. 1 Satz 4 AO in Kauf genommen, dass Säumniszuschläge auch dann zu entrichten seien, wenn sich die Steuerfestsetzung später als überhöht erweist. Anderes gelte nur dann, wenn der Steuerpflichtige gegenüber den Finanzbehörden alles getan habe, um die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheids zu erreichen, und diese, obwohl an sich möglich und geboten, von der Finanzbehörde abgelehnt worden sei. Diese Voraussetzungen hätten allerdings vor Einreichung der Steuererklärungen nicht vorgelegen. Entsprechende Anträge auf Aussetzung der Vollziehung hätten die Kläger bis zum Zeitpunkt der Einreichung der Erklärung nicht substantiiert begründet. Zutreffend habe er, der Beklagte, daher die Säumniszuschläge erst ab dem Zeitpunkt der Einreichung der Steuererklärung gewährt.

15

Ein Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen scheide ebenfalls aus. Die Kläger seien weder erlassbedürftig noch erlasswürdig. Die Kläger hätten weder vorgetragen, noch sei aus den Akten ersichtlich, dass ihre wirtschaftliche oder persönliche Existenz ernstlich gefährdet sei. Auch hätten sie nicht nachgewiesen, dass sie zur Begleichung der Steuerverbindlichkeiten alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel (Kreditaufnahme u. ä.) in Anspruch genommen hätten. Schließlich seien sie nicht erlasswürdig, da sie ihre steuerlichen Erklärung- und Zahlungspflichten nachhaltig und erheblich vernachlässigt hätten.

16

Am 6. Juni 2016 haben die Kläger beim Gericht Klage erhoben, die sie im Wesentlichen wie folgt begründen:

17

Entstanden sei ein Betrag von ... € an Säumniszuschlägen. Vom hälftigen Betrag i. H. v. ... € habe der Beklagte lediglich ... € erlassen. Sie, die Kläger, hätten damit einen Anspruch auf den Erlass weiterer ... € Säumniszuschläge. Als Druckmittel eigener Art sollten Säumniszuschläge den Steuerschuldner zwar zur rechtzeitigen Zahlung anhalten. Dies könne jedoch nur erfolgen, wenn Zahlungsmöglichkeit bestünde. Im Zeitpunkt der Bescheiderstellung seien sie, die Kläger, jedoch nicht in der Lage gewesen, die geforderten Zahlungen zu leisten. Dies könne auch den nunmehr beigefügten betriebswirtschaftlichen Auswertungen für die Jahre 2013 und 2014 und der Einkommens- und Vermögensübersicht entnommen werden. Aufgrund der geschilderten Probleme mit der Visa-Erteilung durch Saudi-Arabien sei es zu Umsatzeinbußen gekommen. Sie, die Kläger, seien im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide überschuldet und zahlungsunfähig gewesen und seien es noch. Begehrt werde der in diesen Fällen allgemein anerkannte Teil-Erlass i. H. v. 50 % der verwirklichten Säumniszuschläge, da deren Funktion als Druckmittel zur Zahlung ins Leere gelaufen sei.

18

Die Kläger beantragen,
den Beklagten zu verpflichten, unter Änderung des Bescheids vom 23. Februar 2016 und insoweit der Einspruchsentscheidung vom 2. Mai 2016 weitere Säumniszuschläge i. H. v. ... € zu erlassen.

19

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

20

Erlassen worden seien bereits 100 % der ab Einreichung der Steuererklärungen verwirklichten Säumniszuschläge, da ab diesem Zeitpunkt ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung positiv zu bescheiden gewesen wäre. Ein darüber hinausgehender Erlass von Säumniszuschlägen komme nicht in Betracht. Die Kläger hätten im Antrags- als auch im Einspruchsverfahren über ihre wirtschaftliche Situation überhaupt keine Angaben gemacht, die eine Überprüfung ihrer Zahlungsfähigkeit ermöglicht hätten. Der klägerische Vortrag im Rahmen des Einspruchsverfahrens, aufgrund der schlechten Einnahmesituation in den Jahren 2012 bis 2014 hätten die Steuererklärungen erst spät gefertigt werden können und zu Begleichung der Schulden habe kein Geld zur Verfügung gestanden, sei unsubstantiiert und entbehre jeglicher Nachweise. Im Gegenteil seien in den im Klagverfahren eingereichten Gewinn- und Verlustrechnungen für die Jahre 2013 und 2014 erhebliche Rechts- und Beratungs- sowie Buchführungs-, Abschluss- und Prüfungskosten ausgewiesen.

21

Die erst im Klagverfahren eingereichten betriebswirtschaftlichen Auswertungen hätten im Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung nicht vorgelegen und hätten deswegen gar nicht berücksichtigt werden können. Im Übrigen lasse sich diesen zur privaten Einkommens- und Vermögenssituation der Kläger im Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerforderungen nichts entnehmen. Ersichtlich sei, dass im Jahr 2013 Privatentnahmen in Höhe von ca. ... und im Jahr 2014 von zunächst ca. ... € bei Privateinlagen in Höhe von ca. ... € getätigt worden seien. Dies lasse auf einen gewissen Spielraum an Liquidität zur Zahlung der Steuern im Zeitpunkt der Fälligkeit zu. Jedenfalls sei nicht nachgewiesen, dass die Kläger zahlungsunfähig bzw. überschuldet gewesen seien. Persönliche Billigkeitsgründe hätten die Kläger weder im Einspruchs- noch im Klagverfahren geltend gemacht. Bei Erlass der Einspruchsentscheidung habe der Beklagte sein Ermessen daher in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt.

22

Mit Beschluss vom 19. Mai 2017 hat der Senat den Rechtsstreit gemäß § 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf den Einzelrichter übertragen.

23

Dem Gericht haben drei Bände Rechtsbehelfsakten sowie ein Band Einkommensteuerakten zur Steuernummer .../.../... vorgelegen.

Entscheidungsgründe

24

Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 FGO durch den Einzelrichter.

25

Die zulässige Klage ist unbegründet.

26

I. Der Bescheid vom 23. Februar 2016 über die teilweise Ablehnung des Antrags auf Erlass von Säumniszuschlägen zu Einkommensteuer für die Kalenderjahre 2011 und 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten.

27

1. Bei der gerichtlichen Überprüfung des Ablehnungsbescheids ist zu berücksichtigen, dass der Erlass von Steuern bzw. steuerlichen Nebenforderungen gemäß § 227 AO im Ermessen der Finanzbehörde liegt. Das Gericht darf deshalb nur überprüfen, ob die Ablehnung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist, § 102 Satz 1 FGO. Selbst bei einem Ermessensfehlgebrauch der Finanzbehörde darf das Gericht in der Regel nur die Verpflichtung aussprechen, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO). Nur dann, wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeschränkt ist, dass lediglich eine Entscheidung ganz bestimmten Inhalts als ermessensgerecht in Betracht kommt (sog. Ermessensreduzierung auf Null), kann das Gericht ausnahmsweise eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO, BFH-Urteil vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BStBl II 1995, 297). Abzustellen ist für die gerichtliche Prüfung der Ermessensentscheidung der Verwaltung dabei auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung als letzte Verwaltungsentscheidung (vgl. nur BFH-Urteil vom 11. Juni 1997 X R 14/95, BStBl II 1997, 642; BFH-Beschluss vom 4. März 1999 VII B 315/98, BFH/NV 1999, 1223).

28

2. Vor diesem Hintergrund ist die Ermessensentscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden.

29

Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles - aus persönlichen oder sachlichen Gründen - unbillig wäre. Zu diesen Ansprüchen gehören auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen einschließlich der nach § 240 Abs. 1 AO entstehenden Säumniszuschläge.

30

Der Beklagte hat einen (weiteren) Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen oder persönlichen Gründen ermessensfehlerfrei verneint.

31

a) Der Beklagte hat ermessensfehlerfrei einen Erlass der Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit lediglich ab dem Zeitpunkt der Einreichung der jeweiligen Einkommensteuererklärungen ausgesprochen und im Übrigen zu Recht abgelehnt.

32

Sachlich unbillig ist die Festsetzung bzw. Einziehung einer Steuer oder Nebenleistung, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage - wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte - im Sinne der begehrten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Bei der Billigkeitsprüfung müssen solche Umstände außer Betracht bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt in der Regel keine Billigkeitsmaßnahme.

33

Gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO sind Säumniszuschläge zu entrichten, falls eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt wird. Nach § 240 Abs. 1 Satz 4 AO bleiben die verwirkten Säumniszuschläge unberührt, wenn die Festsetzung einer Steuer aufgehoben oder geändert wird. Diese Regelung gilt uneingeschränkt auch für die Beseitigung rechtswidriger Steuerfestsetzungen, da die Vollstreckbarkeit eines Steuerbescheids nicht von seiner Bestandskraft abhängt (BFH-Urteil vom 10. März 2016 III R 2/15, BStBl II 2016, 508).

34

aa) Abweichend von diesen Grundsätzen ist in der Rechtsprechung des BFH allgemein anerkannt, dass Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen sind, wenn die Steuerfestsetzung später aufgehoben worden ist und der Steuerpflichtige alles getan hat, um die AdV eines Steuerbescheids zu erreichen, das Finanzamt aber die Aussetzung "obwohl möglich und geboten" abgelehnt hat. Denn bei Aussetzung der Vollziehung fallen anstatt der Säumniszuschläge die lediglich halb so hohen Aussetzungszinsen an. Geboten ist daher regelmäßig ein hälftiger Erlass der Säumniszuschläge. Ein Erlass kommt hingegen nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige sich nicht um die AdV bemüht hat oder wenn die Vollziehung nicht ausgesetzt worden ist, weil - z. B. in Schätzungsfällen - keine ernstlichen Zweifel bestanden und der Steuerbescheid erst aufgrund nachgereichter Steuererklärungen aufgehoben worden ist (BFH-Urteil vom 24. April 2014 V R 52/13, BStBl II 2015, 106, m. w. N.).

35

Der Beklagte ist ersichtlich von diesen Grundsätzen ausgegangen. Ermessensfehlerfrei hat er dabei darauf abgestellt, dass in den vorliegenden Schätzungsfällen eine AdV frühestens mit Einreichung der jeweiligen Einkommensteuererklärungen geboten war. Gründe, an der Rechtmäßigkeit der Schätzungsbescheide zu zweifeln, lagen bis zum Zeitpunkt der Vorlage der Steuererklärungen nicht vor. Ganz im Gegenteil hat sich der Beklagte bei seinen Schätzungen zunächst an der von den Klägern selbst eingereichten (vorläufigen) Gewinn- und Verlustrechnung für das Jahr 2011 orientiert. Substantiiert sind die Kläger dem erst mit Abgabe ihrer Steuererklärungen entgegengetreten. Über das eigentlich gebotene Maß hinaus hat der Beklagte zu Gunsten der Kläger die Säumniszuschläge ab diesem Zeitpunkt nicht nur hälftig, sondern in voller Höhe erlassen.

36

bb) Einen weiteren Erlass aus sachlichen Gründen hat der Beklagte ermessensfehlerfrei abgelehnt.

37

Zwar ist den Klägern zuzugestehen, dass die Erhebung von Säumniszuschlägen ferner sachlich unbillig ist, wenn dem Steuerpflichtigen die rechtzeitige Zahlung der Steuer wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit unmöglich ist und deshalb die Ausübung von Druck zur Zahlung ihren Sinn verliert. Jedoch kommt in diesen Fällen regelmäßig nur ein Teilerlass in Betracht, da Säumniszuschläge auch als Gegenleistung für das Hinausschieben der Fälligkeit und zur Abgeltung des Verwaltungsaufwands dienen. Die Säumniszuschläge sind dann nur zur Hälfte zu erlassen, denn ein säumiger Steuerpflichtiger soll grundsätzlich nicht besser stehen als ein Steuerpflichtiger, dem Aussetzung der Vollziehung oder Stundung gewährt worden ist (vgl. BFH-Urteile vom 07. Juli 1999 X R 87/96, BFH/NV2000, 161; vom 30. März 2006 V R 2/04, BStBl. II 2006, 612). Der Steuerpflichtige hat aber seine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Steuerforderungen grundsätzlich zu belegen.

38

Gemessen daran ist es nicht zu beanstanden, wenn der Beklagte im Rahmen seiner Entscheidung über den Erlass davon ausging, dass die entsprechenden Voraussetzungen von den Klägern nicht mit hinreichender Klarheit vorgetragen und nachgewiesen worden seien. Bis zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt, dem Erlass der Einspruchsentscheidung, haben die Kläger lediglich vorgetragen, dass zum Begleichen der Steuerforderungen kein Geld zur Verfügung gestanden habe. Zu Begründung verwiesen sie lediglich darauf, insbesondere im Jahr 2013 aufgrund geänderter Visa-Politik Saudi-Arabiens geschäftliche Schwierigkeiten gehabt zu haben, was zu hohen finanziellen Einbußen in den Jahren 2012 bis 2014, insbesondere 2013 geführt habe. Dieser Vortrag ist gleich in mehrfacher Hinsicht unsubstantiiert. Zum einen bezieht er sich lediglich auf die Jahre 2012 bis 2014. Die entsprechenden Steuerforderungen wurden jedoch erstmals am 15. Dezember 2014 fällig. Ausführungen zur Leistungsfähigkeit in den entscheidenden Jahren 2015 und 2016 fehlen vollständig. Darüber hinaus betreffen die Ausführungen nur die geschäftliche Situation der Kläger und dies auch nur rudimentär. Konkrete belastbare Ausführungen zur privaten Vermögenssituation, geschweige denn Nachweise, finden sich nicht.

39

Da für die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung vorliegend auf den Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung abzustellen ist, kann dahinstehen, ob sich aus den im gerichtlichen Verfahren eingereichten Jahresabschlüssen der Jahre 2013 und 2014 und der Einkommens-und Vermögensübersicht nunmehr ein substantiierter klägerischer Vortrag bezüglich der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ergibt. Umstände tatsächlicher Art, die der Steuerpflichtige in Verletzung seiner Mitwirkungspflichten im Verwaltungsverfahren dem Finanzamt nicht vorgetragen und dargetan hat, kann er im Klageverfahren nicht mehr mit Erfolg gegen die Ermessensentscheidung des Finanzamts einwenden.

40

b) Vor diesem Hintergrund hat der Beklagte auch in nicht zu beanstandender Weise einen Erlass aus persönlichen Billigkeitsgründen abgelehnt.

41

Wegen persönlicher Unbilligkeit können Steuern und entsprechend Säumniszuschläge erlassen bzw. erstattet werden, wenn ihre Erhebung die wirtschaftliche oder persönliche Existenz des Steuerpflichtigen vernichten oder ernstlich gefährden würde. Dies ist gegeben, wenn ohne Billigkeitsmaßnahmen der notwendige Lebensunterhalt vorübergehend oder dauernd nicht mehr bestritten werden kann. Hierbei ist ebenfalls von der wirtschaftlichen Situation des Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der Ermessensentscheidung bzw. bei Tilgung der Säumniszuschläge auszugehen (vgl. FG Nürnberg, Urteil vom 27. März 2014 4 K 863/10, juris).

42

Auch insoweit konnte der Beklagte ermessensfehlerfrei darauf verweisen, dass ein entsprechender Vortrag der Kläger im Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung nicht oder nur unsubstantiiert vorlag. Denn der Antragsteller eines Erlasses aus persönlichen Gründen muss die Finanzbehörde dazu in die Lage versetzen, über den vollständigen Sachverhalt seiner Vermögensverhältnisse im Rahmen der Ermessensausübung entscheiden zu können. Dies haben die Kläger versäumt.

43

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 FGO vorliegt.

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