Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 10/17

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt die Verzinsung von erstatteten Antidumpingzöllen.

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Die Klägerin ist ein Unternehmen, das u. a. Mandarinenkonserven aus der Volksrepublik China in die Europäische Union einführt. Mit der Verordnung (EG) Nr. 642/2008 vom 04.07.2008 (ABl. Nr. L 178/19, im Folgenden VO Nr. 642/2008) führte zunächst die Kommission einen vorläufigen Antidumpingzoll auf die Einfuhren bestimmter zubereiteter oder haltbar gemachter Zitrusfrüchte (Mandarinen usw.) mit Ursprung in der Volksrepublik China ein. Mit der Verordnung (EG) Nr. 1355/2008 vom 18.12.2008 (ABl. Nr. L 350/35, im Folgenden: VO Nr. 1355/2008) führte der Rat sodann für diese Waren einen endgültigen Antidumpingzoll ein und erklärte die mit der VO Nr. 642/2008 eingeführten vorläufigen Maßnahmen für endgültig.

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Die Klägerin importierte im Zeitraum zwischen Juli 2008 und April 2012 aus der Volksrepublik China Waren, die unter die von der VO Nr. 642/2008 bzw. Nr. 1355/2008 erfassten KN-Codes fielen. Die zollrechtliche Abwicklung dieser Einfuhren erfolgte u. a. durch das beklagte Hauptzollamt, das für diese Einfuhren auf der Basis der vorgenannten Verordnungen Antidumpingzölle festsetzte.

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Mit Urteil vom 22.03.2012 (C-338/10) erklärte der Europäische Gerichtshof die VO Nr. 1355/2008 für ungültig. In der Folgezeit erstattete das beklagte Hauptzollamt der Klägerin antragsgemäß die von ihr aufgrund der diesbezüglichen Abgabenbescheide des beklagten Hauptzollamtes entrichteten Antidumpingzölle.

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Mit Schreiben vom 23.10.2012 beantragte die Klägerin beim beklagten Hauptzollamt die Festsetzung von Zinsen auf die jeweils erstatteten Antidumpingzölle in Höhe von 0,5 % p. M. für die Zeit zwischen Zahlung und Erstattung der Beträge - insgesamt 265.706,48 Euro -, was das beklagte Hauptzollamt mit Bescheid vom 18.12.2012 unter Hinweis darauf ablehnte, dass das einschlägige Gemeinschaftsrecht eine Verzinsung von Erstattungsbeträgen nur in Art. 241 ZK vorsähe, dessen Voraussetzungen indes nicht erfüllt seien.

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Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat die Klägerin am 27.02.2014 Klage erhoben. Sie führt zur Begründung im Wesentlichen aus, dass der Europäische Gerichtshof zwischenzeitlich mit Urteil vom 18.01.2017 (C-365/15) entschieden habe, dass eine unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten bestehe, würden Einfuhrabgaben, zu denen auch Antidumpingzölle gehörten, deshalb erstattet, weil sie unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben worden seien, Rechtsuchenden, die einen Anspruch auf die Erstattung der entrichteten Beträge hätten, diese ab dem Zeitpunkt ihrer Erstattung zu verzinsen.

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Die Klägerin beantragt,
das beklagte Hauptzollamt unter Aufhebung des Bescheides vom 18.12.2012 - soweit dieser entgegensteht - und der Einspruchsentscheidung vom 28.01.2014 (XXX) zu verpflichten, ihr auf ihren Antrag vom 23.10.2012 Zinsen in Höhe von insgesamt 251.200,09 Euro zu erstatten.

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Das beklagte Hauptzollamt beantragt,
die Klage abzuweisen.

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Es meint, dass in Ermangelung einer Anspruchsgrundlage bezüglich des in Rede stehenden Sachverhalts ein Zinsanspruch der Klägerin nicht bestehe. Ein solcher Anspruch könne insbesondere auch nicht aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 18.01.2017 hergeleitet werden, da dieses keine konkrete Anspruchsgrundlage für die Klägerin begründe. Zwar habe der Europäische Gerichtshof erkannt, dass den auf der Grundlage einer für nichtig erklärten Antidumpingzollverordnung in Anspruch genommenen Wirtschaftsbeteiligten eine Verzinsung zustehe. Aus dieser Entscheidung könne indes keine Zahlungspflicht der nationalen Behörden folgen, da diese lediglich im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags die Eigenmittel der Europäischen Union beigetrieben und ordnungsgemäß abgeführt hätten. Im Übrigen sei auch davon auszugehen, dass der Klägerin im Hinblick auf den geltend gemachten Zinsanspruch kein Schaden entstanden sei, weil sie seinerzeit die Antidumpingzölle vollumfänglich an ihre Kunden weitergereicht habe. Vor diesem Hintergrund bestehe kein schutzwürdiges Interesse der Klägerin an der Geltendmachung des Zinsanspruchs. Auch eine Anwendung der Abgabenordnung und des in § 238 AO vorgesehenen Zinssatzes komme nicht in Betracht, da vorliegend eine Verzinsung von Eigenmitteln der Europäischen Union auf der Grundlage eines EuGH-Urteils infolge der Nichtigkeit einer Verordnung eines Legislativ-Organs der Europäischen Union in Rede stehe. Schließlich sei es auch mit dem Binnenmarktprinzip nicht in Einklang zu bringen, die Zinshöhe nach nationalen Vorgaben zu bestimmen. Die in den Mitgliedstaaten nicht einheitlich geregelte Zinshöhe würde zu wettbewerbsverzerrenden Vor- bzw. Nachteilen der klagenden Wirtschaftsbeteiligten führen.

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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Sachakten des beklagten Hauptzollamtes verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Verpflichtungsklage führt zum Erfolg. Die Klägerin hat Anspruch darauf, dass ihr die vom beklagten Hauptzollamt erstatteten Antidumpingzölle ab dem Zeitpunkt ihrer Entrichtung bis zum Tag ihrer Erstattung in Höhe von 0,5 % p. M. verzinst werden; die Versagung der Verzinsung der erstatteten Antidumpingzölle ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO).

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Rechtsgrundlage für den von der Klägerin verfolgten Zinsanspruch ist das geltende Unionsrecht. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 18.01.2017 (C-365/15) erkannt, dass eine unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten besteht, Rechtsuchenden, die einen Anspruch auf Erstattung unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobener Antidumpingzölle haben, die erstatteten Beträge ab dem Zeitpunkt ihrer Entrichtung zu verzinsen (Rz. 39).

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Dass die Klägerin die Antidumpingzölle möglicherweise über den Preis der aus der Volksrepublik China eingeführten Waren an ihre Kunden weitergegeben hat, steht dem von ihr geltend gemachten Zinsanspruch nicht entgegen. Denn der Zinsschaden der Klägerin besteht in den Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen infolge der Erhebung der Antidumpingzölle (vgl. EuGH, Urteil vom 27.09.2012, C-113/10, Rz. 66; Urteil vom 19.07.2012, C-591/10, Rz. 25). In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist schließlich geklärt, dass die Zuerkennung von Zinsen auf Beträge, die von einem Mitgliedstaat auf der Grundlage einer gegen das Unionsrecht verstoßenden Verordnung erhoben wurden, nicht davon abhängig ist, ob der Mitgliedstaat entsprechende Zinsen auf die Eigenmittel der Union verlangen kann (vgl. EuGH, Urteil vom 27.09.2012, C-113/10, Rz. 68). Das beklagte Hauptzollamt kann sich daher gegenüber dem von der Klägerin geltend gemachten Zinsanspruch nicht darauf berufen, sie habe im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags die Antidumpingzölle als Eigenmittel der Europäischen Union vereinnahmt und an diese abgeführt.

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Der nach alledem dem Grunde nach bestehende Zinsanspruch der Klägerin unterliegt in Ermangelung einer Regelung des Unionsrechts in Bezug auf seine Höhe - die Vorschriften der erst am 01.05.2016 in Kraft getretenen Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. Nr. 269/1, sind schon vor dem Hintergrund nicht anwendbar, dass der streitgegenständliche Zinszeitraum ersichtlich vor dem 01.05.2016 liegt - nationalen Vorschriften. Der Europäische Gerichtshof hat nämlich auch schon entschieden, dass sich, fehlen - wie hier - unionsrechtliche Normierungen, die die Höhe des Zinsanspruchs regeln, die Bedingungen für die Zahlung von Zinsen, insbesondere der Zinssatz und die Berechnungsmethode für die Zinsen, nach der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten richten (vgl. EuGH, Urteil vom 19.07.2012, C-591/10, Rz. 27). Freilich müssen diese Bedingungen den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität entsprechen, d. h. sie dürfen nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Klagen, die auf Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts gestützt sind, und sie dürfen nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen (vgl. EuGH, Urteil vom 19.07.2012, C- 591/10, Rz. 27). Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben des Europäischen Gerichtshofes kann die Klägerin Zinsen in Höhe von 0,5 % p. M. ab dem Zeitpunkt der Zahlung der unionsrechtswidrig erhobenen Antidumpingzölle bis zum Tag ihrer Erstattung beanspruchen:

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Die Abgabenordnung, nach der Einfuhr- und Ausfuhrabgaben Steuern im Sinne der Abgabenordnung sind (§ 3 Abs. 3 AO), kennt in Bezug auf Erstattungsansprüche den in § 236 AO geregelten Anspruch auf Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit, dessen Höhe sich nach § 238 AO - scil. 0,5 % p. M. - richtet. Diese nationale Regelung, die auf alle zu erstattenden Abgaben anwendbar ist, gleich ob diese Abgaben unter Verstoß gegen das nationale Recht oder das Unionsrecht erhoben wurden, dürfte zwar mit dem Grundsatz der Äquivalenz vereinbar sein. Die Wahrung des Äquivalenzgrundsatzes setzt nämlich (lediglich) voraus, dass die in Rede stehende nationale Regelung in gleicher Weise für Rechtsbehelfe gilt, die auf die Verletzung des Unionsrechts gestützt sind, wie für solche, die auf die Verletzung des innerstaatlichen Rechts gestützt sind, sofern diese Rechtsbehelfe einen ähnlichen Gegenstand und Rechtsgrund haben (vgl. EuGH, Urteil vom 19.07.2012, C-591/10, 31). Allerdings hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 18.04.2013 (C-565/11) eine nationale Regelung wegen Verletzung des Effektivitätsgrundsatzes für unionsrechtswidrig erklärt, die die bei einer Erstattung einer unionsrechtswidrig erhobenen Steuer zu zahlenden Zinsen auf die Zinsen beschränkt, die ab dem auf das Datum des Antrags auf Erstattung der Steuer folgenden Tag angefallen sind (Rz. 29). Denn die Einbußen, die der Steuerpflichtige durch die zu Unrecht gezahlte Steuer erlitten habe, hingen u. a. davon ab, wie lange der unter Verstoß gegen das Unionsrecht zu Unrecht gezahlte Betrag nicht zur Verfügung gestanden habe, und entstünden somit grundsätzlich im Zeitraum vom Tag der zu Unrecht erfolgten Zahlung der fraglichen Steuer bis zum Tag ihrer Erstattung (vgl. EuGH, Urteil vom 18.04.2013, C-565/11, Rz. 28). Vor diesem Hintergrund hält der erkennende Senat dafür, dass mit Blick auf den zu wahrenden Effektivitätsgrundsatz die in Rede stehenden Antidumpingzölle, die auf der Grundlage einer vom Europäischen Gerichtshof für ungültig erklärten Unionsverordnung erhoben wurden, ab dem Zeitpunkt der zu Unrecht erfolgten Zahlung der Antidumpingzölle bis zum Tag ihrer Erstattung in Höhe von 0,5 % p. M. zu verzinsen sind.

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Der von der Klägerin mit der Klage geltend gemachte Zinsanspruch, der im Verlauf des Verwaltungsverfahrens aufgrund eines Sortierungsfehlers in der Excel-Formel von ursprünglich 265.706,48 Euro auf 251.200,09 Euro reduziert worden ist, ist durch die zur Sachakte gereichte Excel-Tabelle der Höhe nach schlüssig dargelegt worden. Berechnungsfehler drängen sich dem Senat nicht auf; auch das beklagte Hauptzollamt hat diesbezüglich keine Einwendungen angebracht.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis folgt aus § 151 Abs. 1, Abs. 3 FGO, §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 115 Abs. 2 FGO), sind nicht gegeben.

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