Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (2. Senat) - 2 V 293/17

Tatbestand

I.

1

Der Antragsteller begehrt Vollstreckungsschutz im Wege einer einstweiligen Anordnung.

2

Der Antragsgegner führt seit einiger Zeit Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber dem Antragsteller durch. Mit Verfügung vom 22. August 2017 gegenüber dem Arbeitgeber des Antragstellers, der X ..., pfändete der Antragsgegner wegen Abgabenrückständen in Höhe von 15.443,10 € die gegenwärtigen und künftigen Ansprüche auf Zahlung von Arbeitseinkommen sowie auf Erstattungen nach Durchführung des Lohnsteuer-Jahresausgleiches und zog sie ein.

3

Die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers wandte sich daraufhin mit Schreiben vom 30. August 2017 an den Antragsgegner und teilte mit, dass der Antragsteller bereit sei, seine Steuerverbindlichkeiten vollständig zu tilgen. Es sei ihm wichtig, dass sein Arbeitgeber nicht mit Pfändungen behelligt werde. Der Antragsteller wolle seine Steuerrückstände in monatlichen Raten von 250 €, beginnend mit dem 15. September 2017, vollständig zurückführen.

4

Auf Anforderung des Antragsgegners übersandte die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers eine Einkommens- und Vermögensübersicht sowie Gehaltsabrechnungen aus den Monaten Juni und Juli 2017. Aus der Einkommens- und Vermögensübersicht vom 4. September 2017 ging hervor, dass der Antragsteller bei monatlichen Nettoeinnahmen von 1.978,67 € Verbindlichkeiten von insgesamt 53.919 € hatte.

5

Der Antragsgegner bewertete das Schreiben vom 30. August 2017 als Antrag auf Vollstreckungsaufschub und lehnte diesen mit Bescheid vom 15. September 2017 ab. Ein Vollstreckungsaufschub im Sinne von § 258 der Abgabenordnung (AO) könne nicht erfolgen, weil dies voraussetze, dass ein mit der Vollstreckung oder einer einzelnen Vollstreckungsmaßnahme verbundener unangemessener Nachteil durch ein kurzfristiges Zuwarten vermieden werden könne. Die vorgeschlagenen Ratenzahlungen erforderten einen Tilgungszeitraum von 62 Monaten, der nicht mehr kurzfristig im Sinne des § 258 AO sei.

6

Der Antragsteller legte dagegen am 26. September 2017 Einspruch ein. Der Ablehnungsbescheid sei unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Es läge eine Unbilligkeit vor. Durch die Lohnpfändung drohe eine Entlassung aus dem Arbeitsverhältnis. Der Arbeitgeber habe dies bereits angedeutet. Im Falle der Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei der Steueranspruch erst recht gefährdet. Die Lohnpfändung stehe im Übrigen in keinem Verhältnis zum Ertrag. Bei der neu eingetragenen Steuerklasse vier könnten monatlich gerade 40 € beigetrieben werden. Die angebotene Ratenzahlung von 250 € liege weit über diesem Betrag. Die Lohnpfändung sei deshalb weder erforderlich noch angemessen.

7

Mit Drittschuldnererklärung vom 28. September 2017 erkannte der Arbeitgeber des Antragstellers die gepfändeten Forderungen als begründet an und teilte mit, dass rückwirkend ab September 2017 monatlich ein Betrag von 204,75 € überwiesen werde.

8

Mit Entscheidung vom 9. Oktober 2017 wies der Antragsgegner den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies er auf ein Hinweisschreiben vom 28. September 2017, in dem ausgeführt worden ist, dass allein wegen der Ratenzahlungsdauer bei einer Einstellung der Vollstreckung der Steueranspruch gefährdet sei. Im Übrigen seien mit der Einkommens- und Vermögensübersicht nicht alle erforderlichen Unterlagen eingereicht worden, so dass der Antragsteller seine Mitwirkungspflicht in Bezug auf die Aufklärung seiner wirtschaftliche Situation verletzt habe.

9

Der Antragsteller hat am 19. Oktober 2017 bei Gericht um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Der beantragte Vollstreckungsaufschub sei zu gewähren. Die Ablehnung sei unverhältnismäßig und damit rechtswidrig. Im Einspruchsverfahren sei dargelegt worden, dass die Lohnpfändung in keinem Verhältnis zum Ertrag stehe. Der Antragsgegner habe sich mit dieser Argumentation nicht auseinandergesetzt. Im Übrigen habe er, der Antragsteller, beim Finanzamt Hamburg-1 Rückstände in Höhe von rund 16.500 €. Dieses Finanzamt habe sein Angebot akzeptiert und Vollstreckungsaufschub gewährt. Er werde die vereinbarten Ratenzahlungen mit dem Finanzamt Hamburg-1 umgehend einstellen, wenn der Antragsgegner die Zwangsvollstreckung durchführe. Der Aufschub sei ohne Sicherheitsleistung zu gewähren, weil er, der Antragsteller, nicht dazu in der Lage sei, eine Sicherheit zu schaffen, ohne seine wirtschaftliche Existenz zu gefährden. Er habe keine Aussicht, einen Kredit auf dem freien Markt zu erhalten oder anderweitig Sicherheit zu leisten. Seinen Mitwirkungspflichten sei er nachgekommen.

10

Der Antragsteller beantragt,
1) den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag vom 30. August 2017 unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 15. September 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Oktober 2017 Vollstreckungsaufschub ohne Sicherheit zu gewähren.
2) die vom Antragsgegner betriebene Zwangsvollstreckung einzustellen.

11

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

12

Es liege keine unbillige Härte im Sinne von § 258 AO durch die Vollstreckung vor. Die Steuerrückstände könnten durch die angebotene Ratenzahlung nicht alsbald zurückgeführt werden. Der Antragsteller befinde sich seit Jahren in Vollstreckung und habe Verbindlichkeiten in nicht unerheblicher Höhe. Zudem habe er seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht vollständig dargelegt und damit seine Mitwirkungspflichten verletzt. Eine Unbilligkeit wegen eines drohenden Verlustes des Arbeitsplatzes sei ebenfalls nicht anzunehmen. Der Antragsteller sei seit dem 1. Februar 2017 beim Drittschuldner beschäftigt. Bei der regelmäßig in der freien Wirtschaft anzunehmenden Probezeit von sechs Monaten bestehe keine Gefahr einer Entlassung.

13

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Akten des Antragsgegners (Vollstreckungsakten Bd. I und II, Insolvenzakten) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

II.

14

Der Antrag hat keinen Erfolg.

15

Er ist bereits unzulässig (1) und zudem unbegründet (2).

1)

16

Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind schlüssig darzulegen und die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft zu machen (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung).

a)

17

Eine einstweilige Anordnung kann nur in Bezug auf den Streitgegenstand im Sinne von § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO und auf ein streitiges Rechtsverhältnis gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ergehen. Streitgegenstand oder streitiges Rechtsverhältnis ist das, was in der Hauptsache begehrt wird oder begehrt werden kann (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 114 FGO Rn. 12). Dies wird durch den Antrag in Verbindung mit der Antragsbegründung bestimmt.

b)

18

Vorliegend begehrt der Antragsteller eine Verpflichtung des Antragsgegners im Wege der einstweiligen Anordnung, ihm auf seinen Antrag vom 30. August 2017 unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 15. September 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Oktober 2017 Vollstreckungsaufschub ohne Sicherheitsleistung zu gewähren (Antrag zu 1) und die Zwangsvollstreckung einzustellen (Antrag zu 2). In seiner Begründung macht er geltend, dass ihm Vollstreckungsaufschub im Sinne von § 258 AO zu gewähren sei, weil die Ablehnung seines Antrags unverhältnismäßig und damit rechtswidrig sei.

19

In der Hauptsache geht es dem Antragsteller somit darum, den Antragsgegner unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides zu verpflichten, ihm Vollstreckungsaufschub zu gewähren, um sein Ziel zu erreichen, von Vollstreckungsmaßnahmen, insbesondere der Lohnpfändung, verschont zu werden. Dieses Begehren ist auf Erlass eines begünstigenden Verwaltungsaktes gemäß § 258 AO gerichtet und wäre mit einer Verpflichtungsklage geltend zu machen (§ 40 Abs. 1 VwGO). Eilrechtsschutz kann insoweit mit einem auf vorläufige Einstellung der Vollstreckung gerichteten Antrag auf einstweilige Anordnung, auch schon vor Klageerhebung, begehrt werden (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 114 FGO Rn. 16 m. w. N.).

c)

20

Voraussetzung dafür ist aber, dass eine Klage in der Hauptsache zulässigerweise erhoben worden ist oder werden kann. Für die Zulässigkeit des Antrags gelten dieselben Sachentscheidungsvoraussetzungen wie im Hauptsacheverfahren (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 114 FGO Rn. 12 m. w. N.).

21

Daran gemessen ist der Antrag bereits unzulässig. Der Antragsteller hat gegen den Ablehnungsbescheid vom 15. September 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Oktober 2017 keine Klage erhoben, sondern nur um Eilrechtsschutz nachgesucht. Die Antragsschrift vom 19. Oktober 2017 ist von einem Rechtsanwalt verfasst worden. Darin ist an keiner Stelle von einer Klageerhebung die Rede und es werden "Anträge im Eilverfahren" gestellt. Eine Auslegung der Antragsschrift als zusätzliche Klageerhebung kommt deshalb nicht in Betracht. Eine Klage könnte derzeit auch nicht mehr zulässigerweise erhoben werden, weil die Klagefrist von einem Monat (§ 47 Abs. 1 FGO) abgelaufen ist. Die Einspruchsentscheidung vom 9. Oktober 2017 wurde der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers am 17. Oktober 2017 mit Postzustellungsurkunde zugestellt. Deshalb ist der Ablehnungsbescheid vom 15. September 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Oktober 2017 bestandskräftig geworden und kann nicht mehr Bezugspunkt und Gegenstand des Erlasses einer einstweiligen Anordnung sein.

2)

22

Unabhängig davon ist der Antrag auch unbegründet, weil der Antragsteller keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat. Der von ihm angegriffene Ablehnungsbescheid des Antragsgegners vom 15. September 2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 9. Oktober 2017 ist vielmehr rechtmäßig. Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf einen Vollstreckungsaufschub gemäß § 258 AO.

a)

23

Die Vollstreckungsbehörde kann die Vollstreckung einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben, soweit sie im Einzelfall unbillig ist (§ 258 AO).

24

Dabei kommen derartige einstweilige Maßnahmen nur in Betracht, wenn vorübergehende Umstände vorliegen, die eine Vollstreckung unbillig erscheinen lassen. Umstände, die zu einer dauerhaften Einstellung der Vollstreckung Anlass geben, können dagegen nicht berücksichtigt werden, denn eine dauerhafte Unterbindung der Vollstreckung ist in § 258 AO nicht vorgesehen (vgl. BFH-Urteil vom 31. Mai 2005 VII R 62/04, BFH/NV 2005, 1743; BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2005 VII R 63/04, BFH/NV 2006, 900; FG Köln Beschluss vom 19. Februar 2014, EFG 2014, 1017).

b)

25

Eine Unbilligkeit im Sinne von § 258 AO ist dann anzunehmen, wenn die Vollstreckung oder eine einzelne Vollstreckungsmaßnahme dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. November 2010 XI B 56/10, BFH/NV 2011, 199; vom 21. April 2009 I B 178/08, BFH/NV 2009, 1596; FG Köln Beschluss vom 19. Februar 2014, EFG 2014, 1017).

26

Insbesondere für den Fall des Anerbietens von Ratenzahlungen durch den Vollstreckungsschuldner kann sich danach die Vollstreckung als unbillig erweisen, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann, dass der Vollstreckungsschuldner seine Zusage einhalten wird und wenn nach der Höhe der angebotenen Raten mit einer zügigen und kurzfristigen Tilgung der Steuerschulden gerechnet werden kann (vgl. BFH-Urteil vom 11. Dezember 2007 VII R 52/06, BFH/NV 2008, 749). Dabei muss ein Tilgungszeitraum von mehreren Jahren von der Finanzverwaltung nicht hingenommen werden (vgl. BFH-Urteil vom 31. Mai 2005 VII R 62/04, BFH/NV 2005, 1743; BFH-Beschlüsse vom 12. Dezember 2005 VII R 63/04, BFH/NV 2006, 900; vom 21. April 2009 I B 178/08, BFH/NV 2009, 1596; FG Köln Beschluss vom 19. Februar 2014, EFG 2014, 1017).

c)

27

Daran gemessen kann im Streitfall nicht von einer Unbilligkeit im Sinne von § 258 AO ausgegangen werden. Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einer kurzfristigen Tilgung der Steuerschulden gerechnet werden kann. Das Ratenzahlungsangebot von 250 € monatlich führt bei Abgabenschulden von über 15.000 € zu über 60 Monatsraten, was einem Tilgungszeitraum von über 5 Jahren entspricht, der nicht mehr als kurzfristig angesehen werden kann (vgl. BFH-Beschluss vom 12. Dezember 2005 VII R 63/04, BFH/NV 2006, 900 - Tilgungszeitraum vom mehr als 5 Jahren nicht mehr kurzfristig).

d)

28

Die Lohnpfändung ist vor diesem Hintergrund auch nicht unverhältnismäßig und dadurch unbillig im Sinne von § 258 AO. Der Antragsgegner erhält durch die Pfändung nach der Drittschuldnererklärung des Arbeitgebers vom 28. September 2017 zwar monatlich nur 204,75 € und damit weniger als die angebotenen 250 €. Den angeblichen Pfändungsbetrag von nur 40 € monatlich hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Der Differenzbetrag von 45,25 € monatlich ist nicht so erheblich, um deshalb von einer Unverhältnismäßigkeit der Pfändung auszugehen. Zudem erfolgt der Zahlungsfluss bei Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses verlässlich, was insbesondere vor dem Hintergrund der anderen Schulden des Antragstellers von etwa 39.000 € besonders gewichtig ist, weil diese Schulden und der Vortrag des Antragsstellers zur Einstellung der behaupteten Ratenzahlungen an das Finanzamt Hamburg-1 es nicht hinreichend wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Antragsteller die vorgeschlagenen Ratenzahlungen auch einhalten wird. Soweit der Antragsteller im Einspruchsverfahren auf die Gefahr eines Verlustes seines Arbeitsplatzes durch die Lohnpfändung verwiesen hat, hält er daran offenbar nicht mehr fest. Im Übrigen ist der diesbezügliche Vortrag unsubstantiiert und nicht glaubhaft gemacht worden. Entsprechende Absichtserklärungen oder eine Kündigung des Arbeitgebers wurden nicht vorgelegt.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

30

Gründe für die Zulassung der Beschwerde liegen nicht vor (§ 128 Abs. 3. § 115 Abs. 2 FGO).

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