Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (2. Senat) - 2 V 71/18

Tatbestand

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I. Streitig ist die Höhe von Hinzuschätzungen nach einer Außenprüfung.

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Der Antragsteller betreibt einen Backwareneinzelhandel in Hamburg. Ausweislich seines Internetauftritts gehört der Verkauf von Hochzeits-, Motiv-, Geburtstags-, Jubiläumstorten u. Ä. seit ... zu den Spezialitäten. Zum Angebot gehören auch sog. Bildertorten, die mit auf Esspapier gedruckten Fotos belegt werden. Seinen Gewinn ermittelte er in den Streitjahren 2010 bis 2012 durch Bestandsvergleich.

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Nach einer Außenprüfung nahm der Antragsgegner wegen der - insoweit unstreitigen - Mangelhaftigkeit der Buchführung Hinzuschätzungen zum Gewinn bzw. den Umsätzen vor. Diese beschränkten sich auf eine Schätzung im Bereich der Umsätze mit Torten und beruhten auf einer Nachkalkulation. Während der Prüfung waren 16 Rechnungen aus den Jahren 2010 und 2011 über 140 Torten vorgelegt worden mit einem Gesamterlös von 5.093,00 € brutto. Durchschnittlich ergab sich ein Preis pro Torte von 36,00 € und die Lieferung von 9 Torten pro Rechnung. Die Rechnungen waren nicht durchlaufend nummeriert. Als Grundlage für die Schätzung berücksichtigte der Antragsgegner Eingangsrechnungen für Feuerwerk zur Dekoration von Torten, wonach im Streitjahr 2011 insgesamt 4.104 Stück Feuerwerksfontänen bezogen worden waren. Diese Stückzahl nahm er als zusätzlich verkaufte Torten an und legte einen durchschnittlichen Tortenpreis von 20 € netto pro Stück zu Grunde. Um den so errechneten zusätzlichen Netto-Umsatz von 82.080 € (zzgl. 5.745,60 € Umsatzsteuer) erhöhte er in allen Streitjahren den Gewinn.

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Die entsprechend gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) geänderten Bescheide zur Einkommensteuer, zum Gewerbesteuermessbetrag und zur Umsatzsteuer ergingen unter dem 27. Juli 2015 und wurden mit Einspruch vom 31. August 2015 angefochten. Mit Entscheidung vom 19. Dezember 2017 wies der Antragsgegner den Einspruch zurück. Unter dem 23. Januar 2018 haben die Antragsteller hiergegen Klage entsprechend § 47 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erhoben (2 K 12/18), über die noch nicht entschieden ist. Den beim Finanzamt gestellten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hat der Antragsgegner am 16. Februar 2018 abgelehnt.

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Am 14. März 2018 haben die Antragsteller bei Gericht um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Die Schätzung auf der Grundlage der bezogenen Tortenfontänen sei überhöht und lebensfremd. Die errechnete Tortenmenge habe mit dem eingesetzten Personal nicht hergestellt werden können. Zudem gehe der Antragsgegner zu Unrecht davon aus, dass pro Torte eine Fontäne eingesetzt worden sei. Tatsächlich seien mindestens vier Fontänen mit einer Torte geliefert worden. Ferner seien im Laden Fontänen auch einzeln - ohne Torte - verkauft worden und in den erklärten Umsätzen bereits enthalten.

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Die Antragsteller beantragen,
die Bescheide für 2010 bis 2012 über Einkommensteuer, den Gewerbesteuermessbetrag und Umsatzsteuer, jeweils vom 27. Juli 2015, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Dezember 2017 insoweit von der Vollziehung auszusetzen, als jeweils eine Hinzuschätzung in Höhe von 82.080 € erfolgt ist.

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Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

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Er hält seine Hinzuschätzung für angemessen, weil bei der Kalkulation die kleinste und günstigste Tortengröße (20 €) berücksichtigt worden und anzunehmen sei, dass tatsächlich noch mehr Torten verkauft worden seien, weil nicht jede Torte mit einem Feuerwerk versehen worden sei. Zudem sei auf die Hinzuschätzung bei anderen Bäckereiprodukten verzichtet worden.

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Die die Antragsteller betreffenden Steuerakten nebst Außenprüfungsakten haben vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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II. 1. Der auch im Namen der Antragstellerin gestellte Antrag auf Aussetzung der Gewerbesteuermessbescheide und der Umsatzsteuerbescheide ist unzulässig, weil sie insoweit nicht Betriebsinhaberin und damit nicht beschwert ist. Zudem ist insoweit auch keine Einspruchsentscheidung ergangen (§ 44 Abs. 1 FGO).

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2. Der im Übrigen zulässige Antrag hat in der Sache keinen Erfolg.

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a) Gemäß § 69 Abs. 3 i. V. m. Abs. 2 FGO kann das Gericht Aussetzung der Vollziehung gewähren, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben der für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umstände gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Umstände zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (ständige Rechtsprechung; Nachweise bei Seer in Tipke/ Kruse, AO/ FGO § 69 FGO, Rz. 89). Dabei muss der Erfolg nicht wahrscheinlicher sein als der Misserfolg (z. B. Bundesfinanzhof (BFH)-Beschluss vom 21. Dezember 1993 VIII B 107/93, BStBl II 1994, 300). In dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes als summarischem Verfahren entscheidet das Gericht nur auf der Basis der ihm vorliegenden Unterlagen, d. h. nach Aktenlage und aufgrund von präsenten Beweismitteln. Dabei haben die Beteiligten die entscheidungserheblichen Tatsachen glaubhaft zu machen, § 155 FGO i. V. m. §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung. Es ist Sache der Beteiligten, die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen, soweit ihre Mitwirkungspflicht reicht (BFH-Beschluss vom 20. März 2002 IX S 27/00, BFH/NV 2002, 809 m. w. N.). Wie im Hauptsacheverfahren gelten auch im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO grundsätzlich die Regeln über die objektive Feststellungslast (BFH-Beschluss vom 26. August 2004 V B 243/03, BFH/NV 2005, 255).

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b) Nach diesen Maßstäben kann Aussetzung der Vollziehung nicht gewährt werden. Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung unter Berücksichtigung der präsenten Beweismittel ist davon auszugehen, dass die angegriffenen Bescheide rechtmäßig sind und die Antragsteller nicht in ihren Rechten verletzen. Der Antragsgegner dürfte zu Recht in den Streitjahren Zuschätzungen vorgenommen haben.

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aa) Dass die Voraussetzungen für eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO dem Grunde nach erfüllt sind, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig und angesichts der feststehenden Mangelhaftigkeit der Aufzeichnungen auch nicht in Zweifel zu ziehen.

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bb) Die Höhe der Hinzuschätzungen begegnet bei summarischer Betrachtung keinen Bedenken. Im Rahmen seiner eigenen Schätzungsbefugnis (§ 96 Abs. 1 Halbs. 2 FGO, § 162 AO) schließt sich das Gericht den Erwägungen des Antragsgegners an.

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Die Wahl der Schätzungsmethode steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde und des Finanzgerichts, wenn es - wie hier - seine eigene Schätzungsbefugnis ausübt. Es ist eine Schätzungsmethode zu wählen, die die größte Gewähr dafür bietet, mit einem zumutbaren Aufwand das wahrscheinlichste Ergebnis zu erzielen (vgl. Seer in Tipke/ Kruse, AO/ FGO, § 162 AO Rz. 52 m. w. N.). Die Wahl der Schätzungsmethode richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles. Ziel jeder Schätzung muss es sein, Besteuerungsgrundlagen so zu ermitteln, dass sie der Wirklichkeit möglichst nahe kommen. Schätzergebnisse müssen darüber hinaus wirtschaftlich vernünftig und möglich sein (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 1984 VIII R 195/82, BStBl II 1986, 226). Es liegt in der Natur der Sache, dass das Ergebnis einer Schätzung von den tatsächlichen Verhältnissen abweichen kann. Solche Abweichungen sind notwendig mit einer Schätzung verbunden, die in Unkenntnis der wahren Gegebenheiten erfolgt. Die Schätzung muss sich allerdings in dem durch die Umstände des Falles gezogenen Schätzungsrahmen halten (vgl. BFH-Urteil vom 1. Oktober 1992 IV R 34/90, BStBl II 1993, 259).

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Diesen Anforderungen entspricht die Schätzung. Der Antragsgegner hat auf der Grundlage der Feststellungen der Außenprüfung aus der Anzahl der eingekauften Feuerwerksfontänen - 4.104 Stück im Streitjahr 2011 - , die zur Dekoration der Torten verwendet wurden, auf die Anzahl der verkauften Torten geschlossen. Bei dem geschätzten Preis von 20 € netto pro Torte hat sich der Antragsgegner am unteren Ende der lt. vorgefundener Rechnungen erzielten Preisen zwischen 19,00 € netto für die kleine Torte und 168,00 € netto für die sechsstöckige Hochzeitstorte bzw. 374,00 € für eine Jubiläumstorte orientiert. Der sich daraus ergebende zusätzliche Umsatz von 82.060,00 € ist in allen Streitjahren der Schätzung zugrunde gelegt worden.

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Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Antragsteller greifen, jedenfalls bei summarischer Betrachtung, nicht durch. Die Behauptung, es seien stets vier Fontänen für eine Torte verwendet worden, ist nicht glaubhaft gemacht worden und überzeugt auch nicht. Ausweislich des aus den Akten ersichtlichen Bildmaterials dürften bei den meisten Torten vier Feuerwerksfontänen nicht anzubringen sein. Auch ein viermaliges Abbrennen einer Fontäne nacheinander erscheint fernliegend, weil die Torten danach ungenießbar sein dürften. Auch die Behauptung des Antragstellers, Fontänen seien separat an Kunden für selbst gebackene Torten verkauft worden, ist durch nichts belegt und überzeugt ebenfalls nicht. Selbst wenn dies in Einzelfällen einmal geschehen sein sollte, rechtfertigt dies nicht eine Korrektur der Schätzungsparameter. Denn es dürften keineswegs alle verkauften Torten mit Feuerwerksfontänen versehen worden sein. Gerade bei den mit Fotos bestückten Bildertorten würde eine Fontäne eher stören; diese Torten werden werblich auch ohne Feuerwerk präsentiert. Vor diesem Hintergrund erscheint die angenommene, am Feuerwerk orientierte Stückzahl von 4.104 Torten p.a. eher zu gering.

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Bestätigt werden die erheblichen Absatzzahlen für Torten auch durch die - wohl vereinzelt - vorgefundenen Eingangsrechnungen für Tortenverpackungen, und zwar 940 Kartons gem. Rechnung vom 25. März 2010, 900 Kartons gem. Rechnung vom 8. April 2010 und 430 Karton gem. Rechnung vom 20. Dezember 2010.

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Auch der Einwand des Antragstellers, dass die zusätzlichen Torten mit dem vorhandenen Personal nicht hätten hergestellt werden können, greift nicht durch. Bei einer vom Antragsteller behaupteten Herstellungszeit für eine Torte von ca. einer halben Stunde errechne sich bei 260 Arbeitstagen und ca. 16 zusätzlichen Torten täglich ein zusätzlicher Arbeitszeitbedarf von 8 Stunden. Dieser sei durch die Auslastung der Mitarbeiter im Backbereich (jeweils zwei Arbeitnehmer in 2010 und 2012 sowie vier Mitarbeiter in 2011) durch andere Arbeiten nicht zu leisten gewesen. Diese Angaben sind indes zu unbestimmt, um eine Auslastung des Personals mit den einzelnen Arbeiten auch nur annähernd nachvollziehen zu können. Zudem waren lt. eines Vermerks in den Außenprüfungsakten insgesamt fünf reguläre Arbeitnehmer und eine Aushilfe beschäftigt.

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Das Schätzungsergebnis ist schließlich auch nicht durch geschätzte Betriebsausgaben hinsichtlich eines zusätzlichen Wareneinsatzes nach unten zu korrigieren. Zwar sind nach § 162 Abs. 1 AO grundsätzlich auch steuermindernde Ausgaben zu schätzen, wenn sie nicht ermittelt oder berechnet werden können (vgl. z. B. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO § 162 AO Rz 24 m. w. N.). Im Streitfall bestehen aber nach Aktenlage keine Anhaltspunkte dafür, dass der erforderliche Wareneinsatz nicht als Betriebsausgabe erfasst worden ist. Dies gilt unzweifelhaft für den Dekorationsaufwand, der den Schwerpunkt der Wertschöpfung bei den Spezialtorten ausgemacht haben dürfte. Im Übrigen legt auch das Vorbringen des Antragstellervertreters im Rechtsbehelfsverfahren nahe, dass der Wareneinsatz berücksichtigt wurde, wenn es dort auf eine Nachfrage heißt, "dass auch andere Backwaren, wie z. B. Fruchttorten und Obstschnitten des täglichen Verkaufs aus den Zutaten, die eingekauft wurden, hergestellt werden" (Schriftsatz vom 3. Dezember 2014).

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Dafür, dass der Wareneinsatz vollständig erfasst worden ist, spricht auch der Umstand, dass das Gesamtergebnis unter Einbeziehung der Schätzung in den Streitjahren 2010 und 2012 mit dem niedrigsten Rohgewinnsatz der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums für Finanzen für Bäckereibetriebe übereinstimmt, der sich bei einem Mittelwert von 245 % und einer Bandbreite zwischen 163 % (2010) bzw. 156 % (2011 und 2012) und 376 % bzw. 400 % bewegt. Im Streitjahr 2011 unterschreitet das Gesamtergebnis den untersten Wert sogar erheblich.

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Die Übereinstimmung mit dem untersten Wert der Richtsatzsammlung bzw. im Streitjahr 2011 sogar dessen Unterschreitung belegt zudem, dass die Schätzung keinesfalls überhöht ist, sich vielmehr im untersten Bereich des Schätzungsrahmens bewegt.

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3. Eine Aussetzung der Vollziehung kommt auch nicht gem. § 69 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 FGO wegen einer unbilligen Härte in Betracht. Besondere Nachteile oder die Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz durch die Vollziehung der angegriffenen Bescheide haben die Antragsteller nicht behauptet und sind auch sonst nicht erkennbar.

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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Beschwerde ist gem. § 128 Abs. 3 i. V. m. § 115 Abs. 2 FGO nicht zuzulassen.

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