Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 V 31/20

Tatbestand

I.

1

Der Antragsteller begehrt, die Vollziehung eines Haftungsbescheids über Tabaksteuer auszusetzen.

2

Das Zollfahndungsamt Hamburg ermittelte im Jahr 2015 wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei gegen Herrn A und überwachte ab Ende März 2015 dessen Telekommunikation. Im entsprechenden richterlichen Beschluss heißt es, dass der Beschuldigte im Verdacht stehe, diverse Personen in ... und im ... Randgebiet mit großen Mengen unversteuerter Zigaretten zu beliefern. Er habe in Telefonaten mit Dritten geäußert, regelmäßig aus dem Ausland beliefert zu werden und dass ein Grenzbeamter involviert sei, der offenbar für den "reibungslosen" Grenzübertritt verantwortlich sei. Zur Zwischenlagerung der Zigaretten nutze der Beschuldigte wohl eine Lagerhalle in B und eine Garage in C.

3

Herr A wurde am 15. Juni 2015 bei der Übergabe von ca. 470.000 unversteuerten Zigaretten in B vorläufig festgenommen. Das Landgericht D verurteilte ihn 2016 wegen Steuerhinterziehung durch Einfuhrschmuggel von knapp 13 Millionen Zigaretten zu einer Haftstrafe von vier Jahren.

4

Im Januar 2016 leitete das Zollfahndungsamt ein Ermittlungsverfahren gegen den Antragsteller wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Steuerhehlerei aufgrund der im Rahmen der Überwachung des Herrn A aufgezeichneten Telefonate ein. Die Auswertung der Gespräche belege, dass der Antragsteller in dessen Zigarettengeschäfte involviert gewesen sei. Er habe Zigaretten von Herrn A abgenommen, Zigarettengeschäfte vermittelt und Zigaretten transportiert. Zudem habe er detaillierte Kenntnisse über den Lagerort und den jeweiligen Zigarettenbestand besessen und offenbar auch ohne Herrn A Zugriff auf die Zigaretten gehabt. Dies lasse auf ein großes Maß an Vertrauen und eine erhebliche Tatbeteiligung schließen. Gleichwohl sei die genaue Bezifferung des Tatumfangs problematisch, da trotz der großen Zahl an Gesprächen die jeweils zugrundeliegende Zigarettenmenge nur in wenigen Fällen bestimmbar sei.

5

Im Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs machte der Antragsteller keine Angaben. Ein Mitarbeiter des Zollfahndungsamtes vermerkte, dass der Antragsteller erklärt habe, dass er und Herr A verwandt seien. Im Schlussbericht hielt das Zollfahndungsamt fest, dass der Antragsteller Abnehmer, Lagerverwalter und Verkäufer des Herrn A gewesen sei.

6

Mit Haftungsbescheid vom ... 2019 (xxx) forderte der Antragsgegner den Antragsteller auf, Tabaksteuer i.H.v. ... € zu zahlen. Er habe im Zeitraum März/April 2015 Steuerhehlerei begangen, indem er unversteuerte Zigaretten des Herrn A angekauft und an andere Personen weiterveräußert habe. Der Tatumfang betrage mindestens 35.800 Stück unversteuerte Zigaretten diverser Marken. Die Zigaretten seien zuvor von unbekannten Personen unter Umgehung der gesetzlichen Vorschriften in das deutsche Steuergebiet verbracht worden. Dadurch sei Tabaksteuer i.H.v. ... € verkürzt worden. Der Antragsteller werde gem. § 191 Abs. 1 AO i.V.m. § 71 Abs. 1 AO als Haftungsschuldner für hinterzogene Tabaksteuer i.H.v. "... €" in Anspruch genommen. Zur Erfüllung der Steuerschuld sei er gesamtschuldnerisch nach § 44 AO mit u.a. Herrn A verpflichtet. Hinsichtlich der Berechnung der Tabaksteuer wird auf die Anlage zum Haftungsbescheid verwiesen. Danach geht die Steuer auf zehn Stangen "xxx-1" (26. März 2015), 50 Stangen "xxx-2" (26. März 2015), 115 Stangen unbekannter Marke (1. April 2015) und vier Stangen "xxx-3" (Lagerung; 23. April 2015) zurück.

7

Am 14. Mai 2019 legte der Antragsteller gegen den Haftungsbescheid Einspruch ein. Er sei nicht Tatbeteiligter einer angeblichen Steuerhehlerei gewesen. Der Inhalt der Sachakte stütze diesen Vorwurf nicht.

8

Am 18. Juni 2019 beantragte der Antragsteller die "Aussetzung der Zwangsvollstreckung". Aufgrund seiner Einkommensverhältnisse und Unterhaltsverpflichtungen seien Vollstreckungsmaßnahmen aussichtslos.

9

Mit Bescheid vom 3. September 2019 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Die Aufzeichnungen aus der Telefonüberwachung des Herrn A belegten, dass der Antragsteller in den vier streitgegenständlichen Fällen selbst Steuerhehlerei nach § 374 AO begangen bzw. dazu zumindest Beihilfe geleistet habe. Er habe sowohl selbst Zigaretten, hinsichtlich deren die Tabaksteuer hinterzogen worden sei, an- und verkauft als auch Herrn A bei dessen Verkäufen unterstützt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Bescheid, in dem die Telefonmitschnitte wörtlich wiedergegeben werden, verwiesen. Ob der Antragsteller eine Steuerhehlerei begangen habe, sei lediglich eine strafrechtliche Vorfrage für die Entscheidung, ob die Voraussetzungen für seine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner gegeben seien. Daher sei nach den Verfahrensvorschriften der Abgabenordnung zu ermitteln und zu entscheiden, ob dieser Straftatbestand gegeben sei; die Grundsätze der Strafprozessordnung seien nicht anwendbar. Voraussetzung sei damit insbesondere nicht, dass der Antragsteller strafrechtlich verurteilt worden sei. Sowohl die Steuerhehlerei selbst als auch die Teilnahme daran lösten gem. § 71 AO eine Haftung für die verkürzten Steuern aus. Die Mengenermittlung sei schließlich konservativ erfolgt. Es sei nur das sicher nachweisbare Minimum an Zigaretten zugrunde gelegt worden. Daher beständen an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids keine ernstlichen Zweifel. Auch eine unbillige Härte sei nicht ersichtlich. Entsprechende Gründe seien nicht vorgetragen worden und nach Aktenlage auch nicht ersichtlich.

10

Hiergegen legte der Antragsteller am 4. Oktober 2019 Einspruch ein, den der Antragsgegner mit Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2020 zurückwies. Dabei wiederholte der Antragsgegner die Gründe aus dem Ablehnungsbescheid und ergänzte, dass es nicht ermessensfehlerhaft sei, den Antragsteller neben Herrn A in Anspruch zu nehmen. Der Antragsteller habe vorsätzlich gehandelt, um sich bzw. Dritte zu bereichern, also einen wirtschaftlichen Vorteil aus dem Umstand zu ziehen, dass die Tabaksteuer für die Zigaretten nicht entrichtet worden sei. Schließlich sei angesichts seines monatlichen Einkommens von ca. ... € und eines Steuerbetrages von ... € kein nicht bzw. nur schwer wiedergutzumachender Schaden ersichtlich.

11

Der Antragsteller hat am 19. März 2020 einen Antrag auf gerichtliche Aussetzung der Vollziehung gestellt. Es beständen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids. Die vom Antragsgegner herangezogenen Beweismittel seien nicht ausreichend, diese Zweifel aus dem Wege zu räumen; das Hauptzollamt stütze sich auf Mutmaßungen. Es sei insbesondere nicht nachgewiesen, dass die in den Sachakten genannte Rufnummer (0160...) von ihm, dem Antragsteller, genutzt worden sei. Dies sei nicht seine Nummer. Zudem ließen die Gesprächssequenzen nicht erkennen, dass er diese angeblichen Gespräche geführt habe. Er sei auch nicht mit Herrn A verwandt. Zutreffend sei lediglich, dass seine Ehefrau E heiße.

12

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Haftungsbescheids vom ... 2019 auszusetzen.

13

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

14

Zur Begründung des Antrags verweist der Antragsgegner auf die Gründe des Haftungsbescheids und trägt ergänzend zur Identität des Gesprächsteilnehmers aus der Telekommunikation vor, dass es sich bei der Rufnummer (0160...) um den überwachten Anschluss des Herrn A gehandelt habe. Bei der auf diesem Anschluss durchgeführten Überwachung sei die Telefonnummer des Antragstellers (0176...) festgestellt worden, von der aus der Antragsteller mit Herrn A telefoniert habe. Die Feststellung des jeweiligen Anschlussinhabers sei durch das Zollfahndungsamt über die Bundesnetzagentur erfolgt. Im Telefonat vom 18. April 2015 habe der Gesprächsteilnehmer zudem seine Adresse bestätigt, die mit der Adresse des Antragstellers identisch sei. Wiederholt habe der Gesprächsteilnehmer über eine E gesprochen; hierbei dürfte es sich um die Ehefrau des Antragstellers handeln. Der Antragsteller habe selbst gegenüber dem Zollfahndungsamt mitgeteilt, dass er mit Herrn A verwandt sei. Die sehr umfangreichen privaten Gespräche der beiden belegten dies.

15

Mit Beschluss vom 20. Mai 2020 hat der Senat den Rechtsstreit auf den Einzelrichter übertragen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die Sachakten des Antragsgegners verwiesen.

Entscheidungsgründe

II.

16

Der zulässige Antrag gem. § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO hat nur in geringem Umfang Erfolg. Er ist überwiegend unbegründet.

17

Die Aussetzung der Vollziehung soll gem. § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids vom ... 2019 bestehen, da die unzureichende Begründung des Bescheids zwischenzeitlich geheilt sein dürfte, nur hinsichtlich der Inanspruchnahme des Antragstellers als Haftungsschuldner für die Tat vom 26. März 2015 (zehn Stangen "xxx-1"). In diesem Fall mit einem Anteil an der Haftungssumme von lediglich ... € dürfte eine Steuerhehlerei nicht nachgewiesen sein (1.). Dass die Vollziehung des übrigen Bescheids eine unbillige Härte zur Folge hätte, ist nicht ersichtlich (2.)

18

1. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids, soweit die darin festgesetzte Haftungssumme ... € übersteigt.

19

Ernstliche Zweifel sind gegeben, wenn eine summarische Prüfung ergibt, dass neben für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen. Der Erfolg braucht nicht wahrscheinlicher zu sein als der Misserfolg, es brauchen insbesondere nicht erhebliche Zweifel in dem Sinne zu bestehen, dass eine Aufhebung des Verwaltungsaktes in der Hauptsache mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist; vielmehr genügt, dass der Erfolg des Rechtsbehelfs ebenso wenig auszuschließen ist wie sein Misserfolg. Dabei entscheidet das Gericht auf Basis der vorliegenden Unterlagen, d. h. nur nach Aktenlage und aufgrund von präsenten Beweismitteln. Weitergehende Sachverhaltsermittlungen des Finanzgerichts sind nicht erforderlich. Die Beteiligten haben die entscheidungserheblichen Tatsachen darzulegen und glaubhaft zu machen (vgl. Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, EL 141 Juli 2015, § 69 FGO, Rn. 89, 122, 123 mit Nachweisen zur st. Rspr. des BFH).

20

Nach summarischer Prüfung dürfte der Haftungsbescheid im Wesentlichen rechtmäßig sein. Die ursprüngliche formelle Rechtswidrigkeit des Bescheids aufgrund seiner unzureichenden Begründung dürfte zwischenzeitlich geheilt worden sein (a.), sodass lediglich die Inanspruchnahme des Antragstellers als Haftungsschuldner für die Tat vom 26. März 2015 (zehn Stangen "xxx-1") ernstlichen Zweifel begegnet (b.).

21

a. Der Haftungsbescheid dürfte aufgrund einer unzureichenden Begründung ursprünglich formell rechtswidrig gewesen seien. Nach § 121 Abs. 1 AO ist ein schriftlicher Verwaltungsakt mit einer Begründung zu versehen, soweit dies zu seinem Verständnis erforderlich ist. Von den Fällen des § 121 Abs. 2 AO, in denen es keiner Begründung bedarf, kommt vorliegend keiner in Betracht.

22

Der Begründungszwang dient in erster Linie der Verwirklichung des nach Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten effektiven Rechtsschutzes gegen öffentliche Hoheitsakte, denn erst auf der Grundlage der Begründung eines Verwaltungsakts ist es dem Betroffenen möglich, den Verwaltungsakt und die ihm zugrundeliegenden tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen zu überprüfen (Füssenich in BeckOK AO, § 121, Rn. 1, Stand 15. April 2020). Entscheidend kommt es auf das Verständnis desjenigen an, für den der Verwaltungsakt inhaltlich bestimmt ist. Er soll durch die Begründung verstehen können, warum die Entscheidung getroffen worden ist und so in die Lage versetzt werden, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts überprüfen zu können. Mit Rücksicht auf die individuelle Verständnisfähigkeit des Inhaltsadressaten muss jeweils im Einzelfall geprüft werden, ob eine Begründung erforderlich ist und welche Anforderungen an sie zu stellen sind. Allgemein lässt sich nur sagen, dass für den Inhaltsadressaten die maßgebenden tragenden Erwägungen für die Entscheidung der Finanzbehörde erkennbar sein müssen (Ratschow in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 121, Rn. 2-9 mit Nachweisen zur Rechtsprechung des BFH). Im Fall der Haftung für eine fremde Steuerschuld muss die Begründung den Haftungsschuldner erst recht in die Lage versetzen, den Bescheid zu verstehen. Sie muss daher die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen der Haftungsschuld angegeben, die der Haftende kennen muss, damit er seine Rechte wahrnehmen kann, die ausreichende Darstellung und rechtliche Würdigung des Lebenssachverhalts, der die Haftung auslösen soll sowie die Bezeichnung der Erstschuld, für die gehaftet werden soll. Die Besteuerungsgrundlagen der Erstschuld sind in einem zur Rechtsverteidigung ausreichenden Umfang mitzuteilen. Setzt die Haftung Verschulden voraus, ist darzulegen, worin das Verschulden zu sehen ist. Soll Steuerhinterziehung vorliegen, muss die Verwirklichung der Straftatbestände in objektiver und subjektiver Hinsicht erläutert werden (Intemann in Koenig, AO, 3. Aufl. 2014, § 191, Rn. 72, 73; Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 191 AO, Rn. 63, Stand März 2012). Bereits eine unvollständige Begründung führt zur Anfechtbarkeit des Verwaltungsakts (Fritsch in Koenig, AO, 3. Aufl. 2014, § 121, Rn. 21; Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 121 AO, Rn. 210, Stand September 2014).

23

Diesen Anforderungen werden der wenige Absätze umfassende Haftungsbescheid vom ... 2019 und seine Anlage nicht gerecht. Zum Verständnis des Bescheids wäre eine ausführlichere Begründung insbesondere in tatsächlicher Hinsicht notwendig gewesen. Inhaltsadressat des Verwaltungsakts war der damals anwaltlich nicht vertretene Antragsteller. Ihm ist der Haftungsbescheid erst vier Jahre nach den vorgeworfenen Taten bzw. über drei Jahre nach seiner Aussageverweigerung im gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen Steuerhehlerei zugesandt worden. Dieses Ermittlungsverfahren hat nach Aktenlage zu keiner Verurteilung geführt; sein Ausgang ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht. Diesen Empfängerhorizont berücksichtigend ist die Begründung unzureichend und teilweise auch widersprüchlich. So heißt es auf Seite 2 des Bescheids, dass die hinterzogene Tabaksteuer "... €" betrage, der Antragsteller aber für Tabaksteuer i.H.v. ... € in Haftung genommen werde. Der Antragsteller soll Steuerhehlerei dadurch begangen haben, dass er unversteuerte Zigaretten des Herrn A angekauft und an andere Personen weiterveräußert habe. Hinsichtlich des Falls vom 23. April 2015 ist in der Anlage aber nicht von einem Weiterverkauf, sondern von einer "Lagerung" von vier Stangen Zigaretten die Rede. Darüber hinaus fehlt es an einer nachvollziehbaren Darstellung der lang zurückliegenden konkreten Lebenssachverhalte, die die Haftung auslösen sollen. Insoweit wäre es notwendig gewesen, die vorhandenen Beweismittel zu benennen und die jeweiligen Telefonmitschnitte - wie später geschehen - ggf. zusammenfassend wiederzugeben. Erst hierdurch wäre der jeweilige Vorwurf der Steuerhehlerei sowohl hinsichtlich des objektiven als auch des subjektiven Tatbestands des § 374 AO nachvollziehbar geworden und hätte dem Antragsteller eine Überprüfung des Bescheids ermöglicht.

24

Der Begründungsmangel ist aber aufgrund einer Heilung gem. § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO unbeachtlich geworden. Danach ist eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die den Verwaltungsakt nicht nach § 125 AO nichtig macht, unbeachtlich, wenn die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird. Der Antragsgegner hat die Begründungsmängel durch die Ausführungen im Ablehnungsbescheid vom 3. September 2019 und in der Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2020 dadurch beseitigt, dass er insbesondere die relevanten Gesprächsmitschnitte angeführt und hierdurch den jeweiligen Vorwurf der Steuerhehlerei konkretisiert hat. Auch die notwendige Form hat der Antragsgegner dabei eingehalten. Die Nachholung der fehlenden oder unzureichenden Begründung hat in der Form zu erfolgen, die im Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts maßgebend war. Im Falle eines schriftlichen Verwaltungsakts kann die Begründung daher nur schriftlich nachgeholt werden (Füssenich in BeckOK AO, § 126, Rn. 35, Stand 15. April 2020). Dieser Anforderung werden die o.g. Bescheide aus dem behördlichen AdV-Verfahren gerecht.

25

b. Der Haftungsbescheid dürfte materiell im Wesentlichen rechtmäßig sein. Lediglich hinsichtlich der vorgeworfenen Steuerhehlerei vom 26. März 2015 (zehn Stangen "xxx-1") bestehen ernstliche Zweifel an seiner Rechtmäßigkeit.

26

Rechtsgrundlage des Haftungsbescheids ist § 191 Abs. 1 Satz 1 AO. Danach kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner). Als Haftungsvorschrift kommt vorliegend lediglich § 71 AO in Betracht. Danach haftet, wer eine Steuerhinterziehung oder eine Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen Tat teilnimmt, u.a. für die verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile. Wegen Steuerhehlerei wird gemäß § 374 Abs. 1 AO mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer Erzeugnisse oder Waren, hinsichtlich deren u.a. Verbrauchsteuern hinterzogen worden sind, ankauft oder sonst sich oder einem Dritten verschafft, sie absetzt oder abzusetzen hilft, um sich oder einen Dritten zu bereichern.

27

Nach summarischer Prüfung hat der Antragsteller in den streitgegenständlichen Fällen mit Ausnahme der Tat vom 26. März 2015 (zehn Stangen "xxx-1") jeweils eine Steuerhehlerei begangen.

28

Hinsichtlich der streitgegenständlichen Zigaretten sind Verbrauchsteuern hinterzogen worden. Nach Aktenlage ist es am wahrscheinlichsten, dass die Zigaretten über die deutsch-polnische Grenze geschmuggelt wurden, was zu einer Tabaksteuerschuld des Herrn A als Empfänger der Zigaretten nach § 23 Abs. 1 Tabaksteuergesetz (TabStG) in der im maßgeblichen Zeitraum geltenden Fassung geführt hätte. Dadurch hätte Herr A eine Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 AO begangen. Für den eher unwahrscheinlichen Fall, dass die Zigaretten aus Drittländern in das Steuergebiet eingeführt worden wären, wäre die Steuerschuld nach § 21 TabStG entstanden, was ebenfalls zu einer Strafbarkeit nach § 370 Abs. 1 AO geführt hätte. Jedenfalls steht außer Zweifel, dass eine solche Steuerhinterziehung vorliegt, da Herr A vom Landgericht D deswegen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

29

In drei der vier streitgegenständlichen Fällen dürfte der Antragsteller auch jeweils eine Steuerhehlerei begangen haben.

30

Sein pauschaler Vortrag, er sei an keiner Steuerhehlerei beteiligt gewesen, dürfte eine Schutzbehauptung darstellen. Es bestehen keine Zweifel daran, dass die umfangreichen Gesprächsmitschnitte, die in den Sachakten des Antragsgegners dargestellt sind, aus Gesprächen zwischen ihm und Herrn A stammen. Das Zollfahndungsamt hat über die Bundesnetzagentur ermittelt, dass die Rufnummer, von der aus die Gespräche mit Herrn A geführt wurden, auf den Antragsteller zugelassen war. Auch der Inhalt der Gespräche belegt, dass es sich bei dem Gesprächspartner des Herrn A um den Antragsteller gehandelt hat. So fragte Herr A seinen Gesprächspartner im Telefonat vom 18. April 2015 gegen ... Uhr nach seiner Adresse. Der Gesprächspartner bestätigt die Adresse "X-Straße". Hier wohnte der Antragsteller im streitgegenständlichen Zeitraum.

31

Inhalt der Gespräche war neben privaten und sonstigen "geschäftlichen" Belangen vorrangig der Weiterverkauf der an Herrn A gelieferten unversteuerten Zigaretten. Teilweise wurden Zigarettenmarken offen genannt, teilweise wurden gerichtsbekannte Umschreibungen benutzt.

32

aa. Dies vorausgeschickt bestehen keine Zweifel daran, dass der Antragsteller hinsichtlich der Tat vom 26. März 2015 (50 Stangen "xxx-2") eine Steuerhehlerei gem. § 374 Abs. 1 AO durch eine Absatzhilfe begangen hat.

33

Bei der Absatzhilfe handelt es sich um eine zur Täterschaft erhobene Beihilfe, weil die Absatztat für den Vortäter nicht gesondert strafbar ist. Im Unterschied zum Absetzen, bei dem der Täter im Verhältnis zum Vortäter selbstständig handelt, ist unter Absatzhilfe die unselbstständige, weisungsgebundene Unterstützung des Vortäters zu sehen. Absatzhilfe ist jede Handlung, die geeignet ist, dem Vortäter bei seinen Bemühungen zum Absatz zu helfen bzw. den Absatzerfolg in irgendeiner Form zu fördern. Nach jüngster BGH-Rechtsprechung setzen auch die Tatmodalitäten des Absetzens und der Absatzhilfe das Gelingen des Absatzes, d. h. einen Absatzerfolg, voraus. Absatzhilfe ist typischerweise die Vermittlung von Kontakten zu Kaufinteressenten (Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 374 AO, Rn. 58 und 64.1, Stand Mai 2019). Herr A hat am 26. März 2015 mindestens einen Karton mit 50 Stangen Zigaretten (insgesamt 10.000 Zigaretten) - wohl der Marke "xxx-2" - an einen Abnehmer geliefert. Aus den Gesprächsmitschnitten ergibt sich, dass der Antragsteller zuvor mit diesem Abnehmer gesprochen hatte und gefragt hatte, ob er Zigaretten abnehmen wolle. Hierdurch hat der Antragsteller den späteren Absatzerfolg gefördert, mithin Absatzhilfe geleistet, um sich und/oder Herrn A zu bereichern.

34

bb. Eine weitere Steuerhehlerei des Antragstellers in Form der Absatzhilfe dürfte sich aus dem Gesprächsmitschnitt vom 23. April 2015 (...) ergeben. In diesem Gespräch erklärt Herr A, dass er Zigaretten ("Reste") beim Antragsteller abgeholt habe. Auf Nachfrage konkretisiert er, dass er u.a. vier "xxx-3" mitgenommen habe und erklärt, dass er diese Zigaretten gestern sogleich abgegeben habe. Die Lagerung der Zigaretten durch den Antragsteller zum Weiterverkauf (auch) durch Herrn A stellt in diesem Fall eine Absatzhilfe dar. Ihre Lagerung durch den Antragsteller war ein notwendiger Zwischenschritt zwischen dem Einschmuggeln und ihrem - in diesem Fall - erfolgten Weiterverkauf, der den späteren Absatzerfolg jedenfalls gefördert hat.

35

cc. Aus den Gesprächsmitschnitten ergibt sich zudem hinreichend klar, dass der Antragsteller am 31. März 2015 eine weitere Steuerhehlerei dadurch begangen hat, dass er 115 Stangen Zigaretten unbekannter Marke an einen "F" verkauft hat. Das Treffen mit dieser Person hat der Antragsteller im Telefonat mit Herrn A am 30. März 2015 (...) angekündigt und in einem weiteren Telefonat am 1. April 2015 (...) über den Verlauf des Treffens berichtet. Ob der Antragsteller hierbei selbstständig handelte, sodass ein Absetzen vorläge oder ob eine unselbstständige, weisungsgebundene Unterstützung des Herrn A vorliegt, was zu einer Absatzhilfe führen würde, kann offenbleiben. Eine dieser beiden Tathandlungen hat der Antragsteller jedenfalls verwirklicht, um sich und/oder Herrn A durch den Weiterverkauf der unversteuerten Zigaretten zu bereichern.

36

dd. Aus dem Gesprächsmitschnitt vom 26. März 2015 über zehn Stangen "xxx-1" ergibt sich hingegen keine Steuerhehlerei des Antragstellers. In diesem Telefonat fragt Herr A, ob es noch "viel im Schuppen" gebe. Der Antragsteller erwidert, dass es im Moment nur noch "die Reste von den ..." gebe. Auf Nachfrage konkretisiert er, dass ca. "zehn" vorrätig seien. Herr A fragt darauf, ob nicht doch mehr vorhanden seien. Dies verneint der Antragsteller, woraufhin das Gespräch über diese Zigaretten beendet ist. Ein vollendeter Absatz bzw. eine vollendete Absatzhilfe scheiden aus, da ein Absatzerfolg nicht nachgewiesen ist. Es ist unklar, was mit diesen zehn Stangen im Anschluss an das Gespräch geschehen ist. Insoweit dürfte dem Antragsteller aus diesem Gesprächsmitschnitt wohl nur die Vorbereitung eines künftigen Absatzes bzw. der einer zukünftigen Absatzhilfe nachzuweisen sein, die als solche nicht strafbar sind (Jäger in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 374 AO, Rn. 43). Ob aufgrund eines feststehenden Absatzplans bereits eine versuchte Absatzhilfe in Betracht kommt, kann offenbleiben, da § 71 AO eine vollendete Steuerhehlerei voraussetzt (Jatzke in Gosch, AO/FGO, § 71 AO, Rn. 8, Stand 1. Dezember 2016). Soweit der Antragsgegner in der Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2020 aufgrund der Gesprächsmitschnitte davon ausgeht, dass der Antragsteller unversteuerte Zigaretten auch angekauft bzw. sich verschafft habe, Absatzhilfe bzw. zumindest Beihilfe zur Steuerhehlerei geleistet habe, ist hinsichtlich des o.g. Gesprächsmitschnitts keine dieser Tatalternativen einschlägig. Das wesentliche Merkmal des Ankaufens bzw. Sich-Verschaffens ist, dass die Verfügungsgewalt zu eigenen Zwecken übernommen wird, also darauf abzielt, die Sache dem eigenen Vermögen (oder dem eines Dritten) unter Ausschluss des Vortäters einzuverleiben. Der Erwerber muss dabei unabhängig vom Willen des Vortäters tatsächlich über die Sache verfügen können (Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 374 AO, Rn. 46, Stand Mai 2019). Dies kann vorliegend gerade nicht angenommen werden, da andernfalls der Antragsteller Herrn A keine Auskunft über die vorhandenen Bestände hätte geben müssen. Zudem bestätigt auch der unter bb) behandelte Gesprächsmitschnitt, dass Herr A auch die Verfügungsgewalt über die Zigaretten besaß, die sich im vom Antragsteller verwalteten Lager bzw. Schuppen befanden. Herr A hat auf die dort versteckten Zigaretten nach Belieben zugegriffen. Schließlich kommt auch eine Beihilfe zur Steuerhehlerei vorliegend nicht in Betracht. Der Antragsteller hat Herrn A zwar bei dessen Absatzbemühungen unterstützt. Herr A kann als Vortäter der Steuerhinterziehung aber bereits tatbestandsmäßig nicht sein eigener (Steuer-)Hehler sein (Hauer in BeckOK AO, § 374, Rn. 107, Stand April 2020; Hadamitzky/Senge in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 374 AO, Rn. 34, Stand März 2020).

37

Soweit die Voraussetzungen für eine Haftung des Antragstellers gegeben sind, dürfte auch die konkrete Berechnung der Tabaksteuer rechtmäßig sein. Der Antragsgegner hat seinen Berechnungen jeweils die denkbar geringste Menge an Zigaretten zugrunde gelegt. Fehler in der weiteren Berechnung sind nicht ersichtlich und werden auch vom Antragsteller nicht vorgebracht.

38

Dass der Antragsgegner im Haftungsbescheid nicht das durch § 191 Abs. 1 Satz 1 AO eingeräumte Ermessen ausgeübt hat, dürfte unerheblich sein. Nach zutreffender Rechtsprechung des BFH ist das Ermessen bei einer vorsätzlichen Beteiligung des Haftenden an einer Steuerhinterziehung in der Weise vorgeprägt, dass Ausführungen zur Ermessensentscheidung im Haftungsbescheid oder in der Einspruchsentscheidung entbehrlich sind (BFH, Beschluss vom 13. August 2007, VII B 345/06, juris, Rn. 14). Gleiches gilt im Fall einer Steuerhehlerei. Überdies hat der Antragsgegner in der Einspruchsentscheidung vom 25. Februar 2020 Ermessenserwägungen nachgeholt.

39

2. Dass die Vollziehung des Bescheids, soweit dieser rechtmäßig ist, für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, ist nicht ersichtlich. Eine solche Härte liegt vor, wenn durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids wirtschaftliche Nachteile drohen, die über die eigentliche Zahlung hinausgehen und durch eine etwaige Rückzahlung der eingezogenen Beträge nicht ausgeglichen werden oder nur schwer wiedergutzumachen sind oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz führen würde (Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 FGO, Rn. 104, Stand Juli 2015). Solche Folgen hat der Antragsteller nicht dargelegt, sondern lediglich im behördlichen AdV-Verfahren seine Einkommensverhältnisse beschrieben. Danach verfügt er über einen monatlichen Mittelverdienst von rund ... €. Mithin hat er Einkünfte aus einem Arbeitsverhältnis und kann daher den Vollstreckungsschutz nach der Zivilprozessordnung beanspruchen, sodass keine Pfändung des Antragsgegners über die Pfändungsfreigrenzen hinaus möglich ist. Damit scheidet auch eine Existenzgefährdung aus.

III.

40

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 136 Abs. 1 Satz 3 und 128 Abs. 3 i.V.m. 115 Abs. 2 FGO. Nach § 136 Abs. 1 Satz 3 FGO können einem Beteiligten die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist. Dies ist vorliegend der Fall. Die Aussetzung der Vollziehung ist nur hinsichtlich einer Haftungssumme von ... € anzuordnen, sodass der Antragsgegner lediglich zu einem Anteil von 5,5 % unterlegen ist. Ein solcher Teil ist, da vorliegend lediglich der Regelstreitwert anzusetzen ist (FG Hamburg, Beschluss vom 20. Juli 2012, 4 V 13/12, juris, Rn. 2), als gering zu qualifizieren (Brandt in Gosch, AO/FGO, § 136 FGO, Rn. 43, Stand 1. September 2005).

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