Urteil vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 109/16

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Aufhebung eines Energiesteuerbescheids für den Monat ....

2

Im Zusammenhang mit dem Betrieb eines Steuerlagers der Klägerin kam es zum korrosionsbedingten Austritt von Energieerzeugnissen aus einer Rohrleitung, die zum Zeitpunkt des Austritts ein hohes Alter aufwies. Sie war seit Inbetriebnahme zumindest einmal durch die Voreigentümerin und einmal durch ein Prüfunternehmen auf ihren Allgemeinzustand begutachtet worden. Zudem fanden wiederkehrende Dichtheitsprüfungen mit unterschiedlichen Qualitäten und Prüfintervallen sowie wiederkehrende Prüfungen des kathodischen Korrosionsschutzes statt. Die schadenursächliche Durchrostung folgte aus dem Versagen des kathodischen Korrosionsschutzes. Das von der Klägerin implementierte System zur Erkennung eines Produktverlustes schlug aufgrund der eingestellten Alarmgrenzwerte nicht an. Erkannt wurde der über einen Zeitraum andauernde Produktaustritt angesichts des Absinkens des Produktvorrats der Klägerin.

3

Die Klägerin zeigte dem Beklagten den Untergang der Energieerzeugnisse nebst Menge an. Der Beklagte setzte Energiesteuer für die der Sache nach unstreitige Menge an Energieerzeugnissen fest. Der Einspruch der Klägerin, den sie mit dem Vorliegen eines unvorhersehbaren Ereignisses gemäß § 8 Abs. 1a EnergieStG begründete, blieb angesichts der Einspruchsentscheidung ohne Erfolg.

4

In Folge des Schadensereignisses erließ die zuständige Ordnungsbehörde mehrere Ordnungsverfügungen, die Gegenstand weiterer Gerichtsverfahren wurden.

5

In dem Umweltstrafverfahren wegen des streitbefangenen Schadens erging gegenüber der Klägerin nach einvernehmlicher Abstimmung der Verfahrensbeteiligten ein Bußgeld durch das zuständige Amtsgericht, das die Klägerin akzeptierte. Dem Bußgeldbeschluss wurde zugrunde gelegt, dass zur Überwachung der Rohrleitung nur ein veraltetes und nicht dem Stand der Technik entsprechendes Überwachungssystem implementiert gewesen sei. Erforderlich und dem Stand der Technik angepasst wäre, wie zwischenzeitlich eingerichtet worden sei, ein regelmäßiges Verfahren zur Wartung und Untersuchung von Rohrleitungen durch Befahrung mit einem Molch gewesen.

6

Am ... hat die Klägerin Klage erhoben, die sie im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Die Energieerzeugnisse seien bei der Leckage unwiederbringlich verloren gegangen, weil sie nach Austritt aus der Rohrleitung vollständig im Erdboden versickert seien und nicht mehr im Sinne der KN-Unterposition ... genutzt hätten werden können. Ein Anteil zurückgewonnenen Materials sei nicht mehr im Sinne der KN-Unterposition nutzbar gewesen.

8

Entgegen der Annahme des Beklagten handele es sich um einen Fall unwiederbringlichen Verlustes infolge unvorhersehbarer Ereignisse im Sinne von § 8 Abs. 1a EnergieStG. Ein Ereignis sei dann unvorhersehbar, wenn der Steuerlagerinhaber nicht mit seinem Eintreten habe rechnen können, weil die Wahrscheinlichkeit des Eintretens erfahrungsgemäß sehr gering sei.

9

Die Entstehung der Verbrauchsteuer dürfe nicht von der Einhaltung von Sorgfaltspflichten abhängig gemacht werden. Dies ergebe sich auch aus dem von der Kommission vorgelegten finalen Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über das allgemeine Verbrauchsteuersystem vom 26. Februar 2008 (KOM (2008) 78 endgültig/2 (2008/0041 CNS); im Folgenden Richtlinienvorschlag KOM). Der Entwurf der Erwägungsgründe (9) führe aus, da die Verbrauchsteuer auf den Verbrauch bestimmter Waren erhoben werde, dürfe sie nicht auf zerstörte oder unwiederbringlich verloren gegangene Waren erhoben werden, ungeachtet der Umstände der Zerstörung oder des Verlustes. Art. 7 Abs. 4 RL-Entwurf enthalte die Regelung, dass die vollständige Zerstörung oder der unwiederbringliche Verlust verbrauchsteuerpflichtiger Waren, einschließlich Verlusten, die sich aus der Eigenart der Waren ergäben, nicht als Überführung in den freien Verkehr gälten.

10

Umweltrechtliche Sorgfaltspflichtverletzungen dürften nicht eine Verbrauchbesteuerung nach sich ziehen, damit die Energiesteuer nicht zur Geldbuße werde. Da sich im Unionsrecht keine Definition des Begriffs der Unvorhersehbarkeit finde, sei dieser entgegen der Auffassung des Beklagten gerade nicht eng, sondern großzügig auszulegen. § 13 Branntweinsteuerverordnung (BrStV) und § 11 Tabaksteuerverordnung (TabStV) definierten das unvorhersehbare Ereignis als unbeabsichtigte, also ohne Absicht erfolgte, vollständige Zerstörung oder unwiederbringlichen Verlust der Ware.

11

Das EuGH-Urteil vom 18. Dezember 2007 in der Rechtssache C-314/06, Societe Pipeline Mediterranee et Rhone (SPMR), beziehe sich auf den Begriff der höheren Gewalt, nicht des unvorhersehbaren Ereignisses. Letzterer Begriff sei mit der Neufassung der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (RL 2008/118/EG) erst eingeführt worden. Die Begriffe seien nicht inhaltsgleich auszulegen.

12

Die Beweislast für die Vorhersehbarkeit treffe den Beklagten, weil Art. 7 Abs. 4 RL 2008/118/EG vom Steuerpflichtigen ausdrücklich nur den Nachweis des vollständigen Verlustes der Ware fordere.

13

Die Rohrleitung sei den Abnahme- bzw. Freigabeprüfungen gemäß der Verordnung über Anlagen zur Lagerung, Abfüllung und Beförderung brennbarer Flüssigkeiten zu Lande (VbF) und der TRbF 302 unterzogen worden. Sie, die Klägerin, habe angemessene und wirksame Vorbeugungsmaßnahmen betreffend Leckagen ergriffen. Die Annahme des Beklagten, die Leckage sei mit dem neuesten Stand der Technik mit hoher Wahrscheinlichkeit zu verhindern gewesen, sei spekulativ. Zuzugeben sei, dass aus der Rückschau betrachtet das Leckageüberwachungssystem verbesserungsfähig gewesen sei, woraus sich aber nicht der Schluss der Vorhersehbarkeit der Leckage ergebe. Für einen Hausbesitzer sei ein Einbruch auch nicht deshalb vorhersehbar, weil er sein Haus nicht stets mit einer nach dem neuesten Stand der Technik ausgestatteten Alarmanlage ausgestattet habe.

14

Das Verfahren wegen Gewässer- und Bodenverunreinigung entfalte kein Präjudiz für das strittige Besteuerungsverfahren nach dem Energiesteuerrecht, zumal das Ermittlungsverfahren gegen die persönlich Betroffenen nach § 153 StPO wegen Geringfügigkeit der Schuld eingestellt worden sei.

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Die Klägerin beantragt,
den Steuerbescheid des Beklagten vom ... in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... aufzuheben.

16

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

17

Dies begründet er wie folgt:

18

Die EuGH Rechtsprechung in dem Fall SPMR sei anwendbar. Die streitbefangene Leckage sei vorhersehbar gewesen. Der Begriff des unvorhersehbaren Ereignisses bilde einen Unterfall des Begriffs der höheren Gewalt. Für beide Begriffe sei das Fehlen von Verschulden bzw. sorgfaltswidrigem Handeln Grundvoraussetzung.

19

Zum Schutz der Allgemeinheit und der Gemeingüter seien hinreichende Sicherheit zu gewährleisten und Risiken zu minimieren. Entsprechend dem Vorsorgeprinzip seien technische und organisatorische Anforderungen an den Bau und den Betrieb von Rohrfernleitungen abzuleiten. Erkannte Gefahren seien zu beseitigen und vorsorgliches Handeln sei auch dann geboten, wenn über die näheren Zusammenhänge, die Schwere oder Wahrscheinlichkeit von Konsequenzen noch keine endgültige oder vollständige Klarheit bestehe. Die Funktionstüchtigkeit der von der Klägerin verwendeten Leitung falle in ihr Betriebsrisiko, da sie direkten Einfluss auf die Wartung ihrer Betriebsmittel habe. Die Klägerin habe den sich aufdrängenden Handlungs- und Sanierungsbedarf zur Erreichung betriebswirtschaftlicher Ziele beiseitegeschoben.

20

Es habe sich bei der Leckage nicht um ein singuläres Ereignis gehandelt, sondern um einen langandauernden Korrosionsprozess. Dieser sei bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nach dem Stand der Technik vorher feststellbar und damit vorhersehbar gewesen. Dabei seien weitere Faktoren wie Materialermüdung o. ä. zu berücksichtigen, die regelmäßig mit dem zunehmenden Alter jeder Konstruktion aufträten.

21

Dem Gericht haben folgende Akten vorgelegen, auf die Bezug genommen wird: ...

22

Auf das Protokoll zu dem Erörterungstermin wird Bezug genommen.

23

Die Beteiligten haben der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch den Berichterstatter zugestimmt.

Entscheidungsgründe

I.

24

Die Entscheidung ergeht gemäß § 79a Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch den Berichterstatter und gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.

II.

25

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

26

Der Energiesteuerbescheid vom ... in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).

27

Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG entsteht die Steuer dadurch, dass Energieerzeugnisse im Sinn des § 4 EnergieStG aus dem Steuerlager entfernt werden, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren anschließt (Entnahme in den steuerrechtlich freien Verkehr). Gemäß § 8 Abs. 1a S. 1 EnergieStG entsteht die Steuer nicht, wenn die Energieerzeugnisse infolge unvorhersehbarer Ereignisse oder höherer Gewalt vollständig zerstört oder unwiederbringlich verloren gegangen sind. Gemäß Satz 2 gelten Energieerzeugnisse dann als vollständig zerstört oder unwiederbringlich verloren gegangen, wenn sie als solche nicht mehr genutzt werden können.

28

Nach diesen Maßgaben ist der Steueranspruch durch das Austreten des ... [Energieerzeugnisses aus der Rohrleitung] entstanden.

29

Das streitbefangene ... ist ein Energieerzeugnis (hierzu unter 1.), das aus dem Steuerlager entfernt wurde, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren anschloss (hierzu unter 2.). Die Steuerentstehung ist nicht wegen eines unwiederbringlichen Verlustes aufgrund eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt ausgeschlossen (hierzu unter 3.). Es kann dahinstehen, ob die teilweise Rückgewinnung des verunreinigten [Gemischs] ... die Unwiederbringlichkeit des Verlustes der Ware ausschließen (hierzu unter 4.).

30

1. Energieerzeugnisse im Sinne des § 4 Nr. 3 i.V.m. § 1a Satz 1 Nr. 2 EnergieStG sind Waren der Unterpositionen 2710 11 bis 2710 19 69 KN. Bei dem streitbefangenen ... handelt es sich um ... der KN-Unterposition ....

31

2. Das ... wurde aus dem Steuerlager entfernt, ohne dass sich ein weiteres Steueraussetzungsverfahren anschloss.

32

Der Steuerentstehungstatbestand in § 8 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG setzt Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 lit. a) der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG (RL 2008/118/EG) um. Hiernach entsteht der Verbrauchsteueranspruch zum Zeitpunkt und im Mitgliedstaat der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr. Als Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr im Sinne der Richtlinie gilt die Entnahme verbrauchsteuerpflichtiger Waren, einschließlich der unrechtmäßigen Entnahme, aus dem Verfahren der Steueraussetzung.

33

Der Austritt der streitbefangenen [Energieerzeugnisse] als Leckage aus der Rohrleitung ist als Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr im Sinne der Entnahme verbrauchsteuerpflichtiger Waren aus dem Verfahren der Steueraussetzung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 lit. a) RL 2008/118/EG anzusehen (hierzu unter a.). Die EuGH-Rechtsprechung zur Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (RL 2006/112/EG) führt zu keinem anderen Ergebnis (hierzu unter b.).

34

a. Der Begriff der Entnahme verbrauchsteuerpflichtiger Waren aus dem Verfahren der Steueraussetzung ist in der RL 2008/118/EG nicht ausdrücklich definiert und muss deshalb nach seinem Wortlaut, seinem Kontext und den Zielen der RL ausgelegt werden (EuGH, Urteil vom 28. Januar 2016, C-64/15, BP, Rn. 28).

35

Der Wortlaut der deutschen Fassung der Richtlinie spricht mit dem Tatbestandsmerkmal "Entnahme ... aus dem Verfahren der Steueraussetzung" zunächst für das Erfordernis eines willkürlichen Entnahmeakts. Ein Abgleich mit den englischen und französischen Sprachfassungen der Vorschrift spricht allerdings gegen diese Auslegung. Das in der englischen Fassung genannte Tatbestandsmerkmal "departure ... from a duty suspension arrangement" ist mit "Abgang ... aus einem Steueraussetzungsverfahren" zu übersetzen; das Wort "Abgang" spricht gegen eine Voraussetzung der Willkürlichkeit. Hierauf deutet auch der Wortlaut der französischen Fassung "sortie ... d'un régime de suspension de droits", denn dieser ist ebenfalls mit "Abgang ... aus einem Steueraussetzungsverfahren" zu übersetzen.

36

Gegen ein Willkürlichkeitserfordernis spricht zudem der Regelungszusammenhang des Art. 7 Abs. 2 RL 2008/118/EG mit dessen Abs. 4 UA 1, der lautet: "Die vollständige Zerstörung oder der unwiederbringliche Verlust einem Verfahren der Steueraussetzung unterstellter verbrauchsteuerpflichtiger Waren aufgrund ihrer Beschaffenheit, infolge unvorhersehbarer Ereignisse oder höherer Gewalt oder einer von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates erteilten Genehmigung gelten nicht als Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr." Da ein unwiederbringlicher Verlust von Waren aufgrund ihrer Beschaffenheit, infolge unvorhersehbarer Ereignisse oder höherer Gewalt nicht durch willkürliche Entnahmeakte erfolgt, folgt aus dem Umkehrschluss aus Art. 7 Abs. 4 RL 2008/118/EG, dass ein unwillkürlicher unwiederbringlicher Verlust grundsätzlich nach der gesetzgeberischen Konzeption steuerbar sein soll (Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, 1. Auflage, Rn. C 33).

37

Für diese Auslegung sprechen auch die gemäß den Erwägungen (2) bis (5) und (24) der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (im Folgenden RL 2003/96/EG) und gemäß den Erwägungen (8) und (9) der RL 2008/118/EG verfolgten Ziele. Die RL 2003/96/EG verfolgt ausweislich ihrer Erwägungsgründe (2) bis (5) und (24) das Ziel des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts im Energiesektor insbesondere durch Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, indem sie ein harmonisiertes System der (Mindest-) Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom vorsieht, (st. Rspr. des EuGH, siehe exemplarisch das Urteil vom 7. März 2018, C-31/17, Cristal Union, Rn. 29, m.w.N.). Erwägung (8) RL 2008/118/EG fordert für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes, dass die Voraussetzungen für die Entstehung des Verbrauchsteueranspruchs in allen Mitgliedstaaten gleich sind, weshalb auf Gemeinschaftsebene klargestellt werden muss, zu welchem Zeitpunkt die Überführung der verbrauchsteuerpflichtigen Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr erfolgt und wer der Verbrauchssteuerschuldner ist. Nach Erwägung (9) wird die Verbrauchsteuer auf den Verbrauch bestimmter Waren erhoben, weshalb sie nicht auf Waren erhoben werden sollte, die unter bestimmten Umständen zerstört wurden oder unwiederbringlich verloren gegangen sind.

38

Schließlich folgt aus der Begründung des von der Klägerin in Bezug genommenen Richtlinienvorschlag KOM der Wille des Gesetzgebers, den unwillkürlichen, unwiederbringlichen Verlust verbrauchsteuerpflichtiger Waren als Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr anzusehen. Die Begründung führt aus, dass die ausdrückliche Bezugnahme auf Fehlmengen in der Neufassung der Richtlinie deshalb gestrichen worden sei, weil das Auftreten einer Fehlmenge während eines Verfahrens der Steueraussetzung automatisch eine Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr nach Art. 7 Abs. 2 RL 2008/118/EG darstelle. Gemäß Art. 4 Nr. 7 RL 2008/118/EG umfasst das "Verfahren der Steueraussetzung" neben der Beförderung auch die Herstellung, Verarbeitung und Lagerung verbrauchsteuerpflichtiger Waren.

39

Das Ergebnis entspricht auch der EuGH-Rechtsprechung, nach der Mineralöle allein durch ihre Herstellung im Gemeinschaftsgebiet oder ihre Einfuhr in dieses Gebiet verbrauchsteuerpflichtig würden, und der Steueranspruch auch bei Fehlmengen oder Verlusten entstehe, für welche die zuständigen Behörden keine Befreiung gewährt hätten. Die Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr sei deshalb für die Entstehung der Steuerschuld nicht ausschlaggebend (EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2007, C-314/06, SPMR, Rn. 39). Der EuGH hat diese Rechtsprechung für bei der Beförderung auftretende Fehlmengen unter Anwendung des Art. 10 der neuen Fassung der neue Verbrauchsteuersystemrichtlinie RL 2008/118/EG fortgeführt (EuGH, Urteil vom 28. Januar 2016, C-64/15, BP Europa, Rn. 7). Die Rechtsprechung des EuGH und des BFH zur Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr für bei der Beförderung auftretende Fehlmengen (EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2007, C-314/06, SPMR, Rn. 28 ff.; Urteil vom 28. Januar 2016, C-64/15, BP Europa; BFH, Beschluss vom 7. November 1995, VII B 67/95, BFH/NV 1996, 391) ist auch auf solche Fehlmengen anzuwenden, die im Zuge der Herstellung, Verarbeitung und Lagerung auftreten (vgl. Alexander in Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, EnergieStG/StromStG, § 8 EnergieStG, Rn. 18, Stand Juli 2017; Soyk in Friedrich/Soyk, § 8 EnergieStG, Rn. 41 ff., Stand Oktober 2016, § 14 EnergieStG, Rn. 33, Stand Juni 2018).

40

Nach diesen Maßgaben stellt der unwillkürliche Austritt der streitbefangenen ... [Energieerzeugnisse] als Leckage aus der Rohrleitung eine Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr im Sinne der Entnahme verbrauchsteuerpflichtiger Waren aus dem Verfahren der Steueraussetzung gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. a) RL 2008/118/EG sowie ein Entfernen aus dem Steuerlager gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 EnergieStG dar.

41

b. Die EuGH-Rechtsprechung zur RL 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (RL 2006/112/EG) führt zu keinem anderen Ergebnis.

42

Die Klägerin beruft sich auf das EuGH-Urteil vom 18. Mai 2017 in der Rechtssache C-154/16, Latvijas Dzelzcels, und leitet hieraus ab, dass unwiederbringlich verloren gegangene ... [Energieerzeugnisse] nicht der Energiesteuer als Verbrauchsteuer unterworfen werden dürfe, weil ... [sie] nicht mehr verbraucht werden könnten. In der Rechtssache C-154/16 begehrte das vorlegende Gericht unter anderem Vorabauskunft darüber, ob Art. 2 Abs. 1 lit. d) sowie Art. 70 und 71 der RL 2006/112/EG dahin auszulegen seien, dass auf den vernichteten oder zerstörten oder unwiederbringlich verlorengegangenen Teil einer Ware, die sich im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren befinde, Mehrwertsteuer zu entrichten sei. Der EuGH antwortete, dass unter dem Ausscheiden einer Ware aus dem externen gemeinschaftlichen Versandverfahren, das den Steuertatbestand und den Steueranspruch eintreten lasse, der Eingang dieser Ware in den Wirtschaftskreislauf der Union zu verstehen sei, der ausgeschlossen sei, wenn eine Ware nicht mehr existiere oder von niemandem mehr verwendet werden könne. Folglich könne eine Ware, die vernichtet oder zerstört worden oder unwiederbringlich verlorengegangen sei, während sie sich im externen gemeinschaftlichen Versandverfahren befunden habe, weder als "eingeführt" im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d) RL 2006/112/EG angesehen werden noch nach dieser Bestimmung der Mehrwertsteuer unterliegen, da sie nicht in den Wirtschaftskreislauf der Union eingehen und damit auch nicht aus diesem Verfahren ausscheiden könne. Da es sich bei der Mehrwertsteuer naturgemäß um eine Verbrauchsteuer handele, fände sie auf Waren Anwendung, die in den Wirtschaftskreislauf der Union gelangen und einem Verbrauch zugeführt werden könnten.

43

Diese Entscheidung des EuGH zur Mehrwertsteuersystemrichtlinie RL 2006/112/EG lässt sich nicht auf die Verbrauchsteuersystemrichtlinie RL 2008/118/EG übertragen. Wie oben unter lit. a. ausgeführt, lässt die RL 2008/118/EG, anders als die RL 2006/112/EG, die keine entsprechenden Regelungen enthält, ausdrücklich nur dann die Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr entfallen, wenn die Zerstörung oder der unwiederbringliche Verlust unter bestimmten Umständen geschehen ist, nämlich "aufgrund ihrer Beschaffenheit, infolge unvorhersehbarer Ereignisse oder höherer Gewalt oder einer von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates erteilten Genehmigung". Kein (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal für die Verbrauchbesteuerung ist der tatsächliche und zweckentsprechende Verbrauch der steuerpflichtigen Ware (Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, 1. Auflage, Rn. C 31, 47, unter Bezugnahme auf BFH, Urteil vom 9. April 2014, VII R 7/13, BFH/NV 2014, 1244, juris Rn. 18). Die Generalanwältin am EuGH Juliane Kokott hat betreffend die Vorgängernorm des Art. 7 Abs. 4 RL 2008/118/EG, Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (im Folgenden RL 92/12 EWG), für unerheblich gehalten, dass die Ware tatsächlich nicht dem Verbrauch zugeführt worden, sondern vorher abhandengekommen sei. Der Steuertatbestand bedinge nicht, dass eine verbrauchsteuerpflichtige Ware tatsächlich zweckentsprechend verbraucht worden sei. Der Erwerber einer bereits versteuerten Ware erhalte bei deren Untergang vor ihrem zweckentsprechenden Verbrauch auch keine Erstattung (Schlussanträge vom 18. Juli 2007 in der Rechtssache C-314/06, SPMR, Rn. 48).

44

Die Bezugnahme der Klägerin auf die Begründung des Richtlinienvorschlag KOM zur Neufassung des Art. 7 Abs. 4 RL-Entwurf rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Hiernach hätten verbrauchsteuerpflichtige Waren bei vollständiger Zerstörung oder unwiederbringlichem Verlust nicht als in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt gelten sollen. Entsprechend der Natur der Verbrauchsteuer als Steuer auf den Verbrauch sei für die Anwendung der vorgeschlagenen Regelung entscheidend, ob die unter Steueraussetzung beförderten Waren zerstört worden seien oder ob sie immer noch verwendbar und verfügbar seien und damit zum Verbrauch in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführt werden könnten. Die zuständigen Behörden müssten zukünftig nicht mehr feststellen, ob Fehlmengen auf dem Untergang der Waren oder auf höherer Gewalt beruhten. Der Richtlinienvorschlag KOM wurde jedoch insoweit gerade nicht vom Unionsgesetzgeber umgesetzt: Die vorgeschlagene ersatzlose Streichung der Tatbestandsmerkmale "durch Untergang oder infolge höherer Gewalt" der alten Verbrauchsteuersystemrichtlinie hat keinen Eingang in die RL 2008/118/EG gefunden. Der Gesetzgeber hat im Gegenteil mit der Erwägung (9) und der Neufassung des Art. 7 Abs. 4 RL 2008/118/EG die Tatbestandsmerkmale "aufgrund ihrer Beschaffenheit, infolge unvorhersehbarer Ereignisse oder höherer Gewalt oder einer von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates erteilten Genehmigung" für den Ausschluss von der Steuerentstehung beibehalten. Dass dabei das in der RL 92/12/EWG verwendete Tatbestandsmerkmal "Untergang" durch "Verlust ... infolge unvorhersehbarer Ereignisse" ersetzt wurde, stellt eine Richtigstellung dar, vgl. unten 3.b. (vgl. zu den unionsrechtlichen Unterschieden zwischen Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuern auch das Urteil des erkennenden Senats vom 14. Januar 2020, 4 K 123/15).

45

Das Ergebnis wird durch die auf den vorliegenden Fall noch nicht anwendbare Neufassung des Art. 6 Abs. 5 der Richtlinie (EU) 2020/262 des Rates vom 19. Dezember 2019 zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems gestützt.

46

3. Die Steuerentstehung ist nicht wegen eines unwiederbringlichen Verlustes aufgrund eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt ausgeschlossen

47

§ 8 Abs. 1a Satz 1 EnergieStG setzt Art. 7 Abs. 4 UA 1 RL 2008/118/EG um, wonach unter anderem der unwiederbringliche Verlust einem Verfahren der Steueraussetzung unterstellter verbrauchsteuerpflichtiger Waren infolge unvorhersehbarer Ereignisse oder höherer Gewalt nicht als Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr gilt.

48

Dabei mag dahinstehen, ob vorliegend das Tatbestandsmerkmal des unvorhersehbaren Ereignisses oder jenes der höheren Gewalt einschlägig ist, weil der Begriff "Zufall" synonym mit dem Begriff "unvorhersehbares Ereignis" zu verwenden ist (hierzu unter a.) und weil der EuGH die Geltendmachung der Rechtsbegriffe des "Zufalls" und der "höheren Gewalt" im Geltungsbereich der Verbrauchsteuersystemrichtlinie unter gleichermaßen strenge Voraussetzungen stellt (hierzu unter b.). Die Klägerin trägt für das Vorliegen der Voraussetzungen die Beweislast (hierzu unter c.). Nach diesen Maßgaben liegen die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1a Satz 1 EnergieStG nicht vor (hierzu unter d.).

49

a. Art. 14 Abs. 1 S. 1 RL 92/12/EWG lautet: "Der zugelassene Lagerinhaber wird für Verluste von der Steuer befreit, die während des Verfahrens der Steueraussetzung durch Untergang oder infolge höherer Gewalt entstanden und von den Behörden des jeweiligen Mitgliedstaats festgestellt worden sind." Die Nachfolgevorschrift Art. 7 Abs. 4 UA 1 RL 2008/118/EG lautet: "Die vollständige Zerstörung oder der unwiederbringliche Verlust einem Verfahren der Steueraussetzung unterstellter verbrauchsteuerpflichtiger Waren aufgrund ihrer Beschaffenheit, infolge unvorhersehbarer Ereignisse oder höherer Gewalt oder einer von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates erteilten Genehmigung gelten nicht als Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr." Bei einer Gegenüberstellung der Sprachfassungen fällt auf, dass der in der RL 92/12/EWG weit überwiegend verwendete Zufallsbegriff in der Neufassung der RL 2008/118/EG nur teilweise durch den Begriff des unvorhersehbaren Ereignisses abgelöst wurde; teilweise wurde auch der Begriff "Zufall" beibehalten. Exemplarisch werden die deutschen, französischen, italienischen, englischen und spanischen Sprachfassungen verglichen:

                          

 Fsg. 

Art. 14 RL 92/12/EWG

Art. 7 RL 2008/118/EG

 DE     

durch Untergang oder infolge höherer Gewalt

infolge unvorhersehbarer Ereignisse oder höherer Gewalt

 FR     

des cas fortuits ou cas de force majeure

d'un cas fortuit ou de force majeure

 IT     

imputabili a casi fortuiti o di forza maggiore

per un caso fortuito o per causa di forza maggiore

 EN     

attributable to fortuitous events or force majeure

result of ... unforeseeable circumstances or force majeure

 ES     

por caso fortuito o de fuerza mayor

a circunstancias imprevisibles o fuerza mayor

50

Auch der EuGH verwendet die Begriffe "Zufall" und "unvorhersehbares Ereignis" in den unterschiedlichen Übersetzungen seiner Urteile synonym (siehe etwa die unterschiedlichen Sprachfassungen der Urteile vom 4. Februar 2016, C-659/13 und C34/14, C & J Clark International und Puma). Die deutsche Sprachfassung des Art. 14 Abs. 1 RL 92/12/EWG wurde mit dem Begriff "Untergang" unpräzise übersetzt (vgl. die Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 18. Juli 2007 in der Rechtssache C-314/06, Rn. 22 ff.).

51

Der Senat wendet deshalb die vom EuGH aufgestellten Rechtsgrundsätze für die Geltendmachung der Steuervergünstigung bei "Zufall" und "höherer Gewalt" auf den im vorliegenden Fall maßgeblichen Begriff des "unvorhersehbaren Ereignisses" an.

52

b. Der EuGH stellt die Geltendmachung der Rechtsbegriffe des "Zufalls" und der "höheren Gewalt" im Geltungsbereich der Verbrauchsteuersystemrichtlinie unter gleichermaßen strenge Voraussetzungen.

53

Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH sei die Bedeutung des Begriffs "höhere Gewalt", da dieser auf den verschiedenen Anwendungsgebieten des Gemeinschaftsrechts nicht den gleichen Inhalt habe, anhand des rechtlichen Rahmens zu bestimmen, innerhalb dessen er seine Wirkungen entfalten solle (st. Rspr. des EuGH, Urteile vom 18. Dezember 2007, C-314/06, SPMR, Rn. 25; vom 14. Juni 2012, C-533/10, CIVAD; vom 18. Mai 2017, C-154/16, Latvijas Dzelzcels, Rn. 58 ff., jeweils m.w.N.).

54

Im Zusammenhang mit den Zollvorschriften kennzeichneten sich die Begriffe "Zufall" und "höhere Gewalt" beide durch ein objektives Merkmal, das sich auf ungewöhnliche, außerhalb der Sphäre des Betroffenen liegende Umstände beziehe, und ein subjektives Merkmal, das mit der Verpflichtung des Betroffenen zusammenhänge, sich gegen die Folgen ungewöhnlicher Ereignisse zu wappnen, indem er, ohne übermäßige Opfer zu bringen, geeignete Maßnahmen treffe (EuGH, Urteil vom 18. Mai 2017, C-154/16, Latvijas Dzelzcels, Rn. 58 ff. unter Hinweis auf die Urteile vom 18. Dezember 2007, C-314/06, SPMR; vom 4. Februar 2016, C-659/13 und C-34/14, C & J Clark International und Puma; vgl. auch die Schlussanträge des Generalanwalts Yves Bot vom 17. September 2015 in der verbundenen Rechtssache C-659/13 und C-34/14, C & J Clark/Puma SE, Rn. 135).

55

Diesen Maßstab an die Geltendmachung von Zufall und höherer Gewalt hat der EuGH ausdrücklich auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 92/12/EWG angewendet und dahingehend konkretisiert, ein zugelassener Lagerinhaber könne demnach die Vergünstigung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Befreiung nur beanspruchen, wenn er das Bestehen von außerhalb seiner Sphäre liegenden Umständen nachweise, die ungewöhnlich und unvorhersehbar seien und deren Folgen trotz aller aufgewandten Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können (EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2007, C-314/06, SPMR, Rn. 23 und 31).

56

Der EuGH sieht, auch unter Bezugnahme auf die Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott, die Besteuerung von Fehlmengen als Regelfall der RL 92/12/EWG an und die Befreiung lediglich als Ausnahme davon, die eng auszulegen sei (EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2007, C-314/06, SPMR, Rn. 30; Schlussanträge vom 18. Juli 2007 in der Rechtssache C-314/06, SPMR Rn. 43; siehe auch Urteile vom 18. Mai 2017, C-154/16, Latvijas Dzelzcels, Rn. 62; vom 14. Juni 2012, C-533/10, CIVAD; vom 4. Februar 2016, C-659/13 und C-34/14, C & J Clark International und Puma; vom 25. Januar 2017, C-640/15, Vilkas, jeweils m.w.N.). Die Generalanwältin begründete dies für Art. 14 Abs. 1 RL 92/12/EWG damit, der Begriff der höheren Gewalt lege nach dem allgemeinen Sprachgebrauch nahe, lediglich eine geringe Zahl von Fällen zu umfassen, was sich der Senat auch für den Begriff des unvorhersehbaren Ereignisses zu eigen macht. Der Senat folgt damit nicht der klägerischen Lesart, dass der Begriff des unvorhersehbaren Ereignisses weit auszulegen sei.

57

Andererseits, so führte der EuGH aus, dürfe die Anwendung dieser Voraussetzungen im Zusammenhang des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 92/12/EWG nicht dazu führen, dass dem zugelassenen Lagerinhaber eine absolute Haftung für die Verluste von Waren auferlegt würde, die der Steueraussetzung unterlägen. Insbesondere sei die Voraussetzung, dass die für diese Verluste maßgebenden Umstände außerhalb der Sphäre des zugelassenen Lagerinhabers liegen müssten, nicht auf Umstände beschränkt, die aus dessen Sicht in einem materiellen oder physischen Sinne äußere Umstände seien. Die Voraussetzung sei vielmehr dahin auszulegen, dass sie solche Umstände erfasse, die objektiv der Kontrolle durch den zugelassenen Lagerinhaber entzogen seien oder außerhalb seines Verantwortungsbereichs lägen. Zwar erstrecke sich die Haftung des Betreibers einer Anlage grundsätzlich auf deren technische Defekte. Es lasse sich aber nicht ausschließen, dass ein Phänomen der Korrosion als ein Fall "höherer Gewalt" im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 92/12/EWG anzusehen sein könne, sofern sein Eintritt unter Berücksichtigung des damals gegebenen technologischen Erkenntnisstands in keiner Weise vorhersehbar und daher jeder Möglichkeit der Kontrolle durch den zugelassenen Lagerinhaber entzogen gewesen sei (EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2007, C-314/06, SPMR, Rn. 32f. und 35).

58

Anders als die Klägerin - und die Kommission in dem Verfahren C-314/06 - meinen, sind die Voraussetzungen der Unvorhersehbarkeit nicht bereits dann erfüllt, wenn der Betreiber nachweislich die geltenden technischen Vorschriften eingehalten hat. So formulierte der EuGH: "Auch wenn die Einhaltung der technischen Vorschriften über die Qualität, den Bau, die Wartung und das Betreiben einer Pipeline als eine Voraussetzung für die Feststellung sorgfältigen Verhaltens angesehen werden kann, ist diese Einhaltung als solche nicht entscheidend. Denn eine genügende Sorgfalt verlangt zusätzlich ein ständiges aktives Verhalten, das auf die Identifizierung und Bewertung potenzieller Risiken gerichtet ist, sowie die Fähigkeit, angemessene und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um dem Eintritt solcher Risiken vorzubeugen" (EuGH, Urteil vom 18. Dezember 2007, C-314/06, SPMR, Rn. 37; vgl. auch Jatzke, Europäisches Verbrauchsteuerrecht, Rn. C 51).

59

Der EuGH fordert mithin die Berücksichtigung des zum Schadenszeitpunkt gegebenen technologischen Erkenntnisstands, der aus der Sicht des erkennenden Senats dem nationalen Rechtsbegriff des zum Schadenszeitpunkt aktuellen Standes der Technik entspricht. Der Stand der Technik stellt die vorhandenen technischen Möglichkeiten basierend auf den gesicherten technischen Erkenntnissen dar. Ziffer 1.4 der Europäischen Norm EN 45020 definiert ihn als entwickeltes Stadium der technischen Möglichkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt, soweit Produkte, Prozesse und Dienstleistungen betroffen sind, basierend auf entsprechend gesicherten Erkenntnissen von Wissenschaft, Technik und Erfahrung. Bei dem Stand der Technik wird der rechtliche Maßstab für das Erlaubte oder Gebotene maßgebend an die Front der technischen Entwicklung verlagert, da die allgemeine Anerkennung und die praktische Bewährung allein nicht ausschlaggebend sind. Der Begriff des Stands der Technik fordert mehr als der Begriff der anerkannten Regeln der Technik, denn es reicht aus, dass die Eignung eines Verfahrens oder einer Einrichtung praktisch gesichert erscheint. Abzustellen ist auf den jeweils erreichten technischen Entwicklungsstand (BVerfG, Beschluss vom 8. August 1978, 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89; vgl. zum Charakter der technischen Regel als gerichtlich überprüfungsbedürftiges vorweggenommenes Sachverständigengutachten, BVerwG, Beschluss vom 3. September 2003, 7 B 6/03 m.w.N.; zum strafrechtlichen Sorgfaltsmaßstab unter Berücksichtigung technischer Regeln, zum aktuellen Stand der Technik, Duttge in MüKo StGB, 3. Aufl. 2017, § 15 StGB, Rn. 138f.).

60

Der Senat entnimmt der ständigen EuGH-Rechtsprechung zu den Begriffen Zufall und höhere Gewalt mithin einen strengen Sorgfaltsmaßstab, der im Hinblick auf die Neufassung der RL 2008/118/EG auch aus der Bedeutung des Wortes "unvorhersehbar" folgt und eine vorausschauende, aktive, auf die Vermeidung von Gefahren gerichtete Vorgehensweise des Steuerlagerinhabers nach dem zum Schadensereignis aktuellen Stand der Technik voraussetzt.

61

Soweit der EuGH judiziert hat, dass die Einhaltung der technischen Regeln lediglich eine Mindestanforderung darstellt, ähnelt dies den gesetzgeberischen Wertungen des nationalen Gesetzgebers, die eine Ausprägung gefunden haben in § 19g Abs. 3 WHG alte Fassung und der seit 2009 gültigen Nachfolgevorschrift § 62 Abs. 2 WHG in der Auslegung nach der amtlichen Begründung zur Neufassung des WHG, Bundestagsdrucksache 16/12275, Seite 71. Das BVerwG hat in diesem Zusammenhang den Besorgnisgrundsatz judiziert, wonach die Anforderungen an eine Anlage stiegen, je höher der sich aus den tatsächlichen Umständen ergebende Gefährdungsgrad sei. An die Unwahrscheinlichkeit des Schadenseintritts seien umso größere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden sein könne (BVerwG, Urteil vom 26. Juni 1970, IV C 90.69, NJW 1971, 396; Beschluss vom 17. Juni 2014, 7 B 14/14, UPR 2014, 398).

62

Der Senat verkennt nicht, dass die RL 2008/118/EG und die diesbezügliche EuGH-Rechtsprechung keinen gewässerschützenden Charakter aufweisen. Gleichwohl fordert der EuGH in seiner Rechtsprechung für eine genügende Sorgfalt ein ständiges aktives Verhalten, das auf die Identifizierung und Bewertung potenzieller Risiken gerichtet ist, sowie die Fähigkeit, angemessene und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um dem Eintritt solcher Risiken vorzubeugen.

63

Der Senat wendet deshalb die Grundwertung des Besorgnisgrundsatzes an: Je größer der zu erwartende Schaden, desto höher sind die Sicherheitsanforderungen an die Anlage zu bemessen. Der vom BVerwG entwickelte umweltrechtliche Besorgnisgrundsatz erfordert ein mehrstufiges Sicherheitskonzept, dass aus den Bereichen primäre Sicherheit (Dichtheit und Widerstandsfähigkeit der Anlage beim bestimmungsgemäßen Betrieb), sekundäre Sicherheit (Leckageerkennung, Auffangeinrichtungen mit Leckanzeigegerät), Kontrollmaßnahmen (Überwachung durch automatische Einrichtungen oder das Betriebspersonal, Anlagenprüfung durch zugelassene Sachverständige) sowie Begrenzung von Schadensfolgen (wirksame Rettungsmaßnahmen, abgestimmter Alarmplan) bestehen sollte (Overath in Berendes/Frenz/Müggenborg, 1. Auflage 2011, § 62 WHG, Rn. 24; Czychowski in Czychowski/Reinhardt, WHG, 11. Auflage 2014, § 62 WHG, Rn. 31; vgl. auch Bericht "Verfahren zur Ermittlung der Sicherheit von Rohrfernleitungen" des Ausschusses für Rohrfernleitungen beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, (afr-bericht-06-sicherheitsmanagement-sept2012.pdf, Abruf von der Website des Bundesamtes für Materialforschung am 3. August 2020).

64

Angesichts des potentiellen Schadens, der aus dem Austritt großer Mengen ... aus einer Pipeline resultieren kann, hält der Senat bei entsprechender Anwendung des Besorgnisgrundsatzes ein zweckentsprechenden Organisations- und Sicherheitskonzept des jeweiligen Wirtschaftsteilnehmers für erforderlich. Dieses sollte Regelungen bzw. Überlegungen zu folgenden Bereichen enthalten: Mindestabstand zu parallel verlegten Rohrleitungen; passiver und aktiver Korrosionsschutz; laufende Prüfungen zur Lebensdauerabschätzung, insbesondere durch Ermittlung von Wanddickenverlusten, Korrosion und Materialfehlern, etwa durch Befahrungen mit einem Molch; regelmäßige Bewertung von nicht erreichbaren Abschnitten durch sach- und fachkundige Personen; regelmäßige Stress- und Dichtheitsprüfungen auf Strecke und auch der Schweißnähte; Einrichtungen zur Leckerkennung im Förderbetrieb, im Ruhebetrieb und zur Schleichleckerkennung; Einbau und Verwendung von Absperrarmaturen; permanente Messung und Überwachung des Betriebsdrucks; Kennzeichnung des Trassenverlaufs durch Schilder; Einschätzung möglicher externer Schadensursachen durch Begehungen; Einrichtung eines Systems zum Erhalt von Informationen über Bau- oder Umbaumaßnahmen Dritter, die Auswirkungen auf die Rohrleitungen haben können sowie an den Rohrleitungen selbst; Herstellung eines Leitungskatasters, sofern dies angesichts der Anzahl verlegter Leitungen erforderlich ist.

65

Gegen nachteilige Veränderungen hat der Wirtschaftsteilnehmer durch Modernisierungsinvestitionen Vorsorge zu treffen, weil der Stand der Technik nicht starr ist, sondern sich dynamisch an die wissenschaftliche und technische Entwicklung anpasst (vgl. VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 29. Januar 2020, 5 K 1884/16).

66

Die Einhaltung der technischen Regeln ist, anders als die Klägerin meint, nach den vorgenannten Ausführungen nicht ausreichend. Auch können die § 13 BrStV und § 11 TabStV zu keinem anderen Sorgfaltsmaßstab führen, da die Harmonisierung der Voraussetzungen für die Erhebung von Verbrauchsteuern dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts dient und eine Abweichung von der EuGH-Rechtsprechung durch nationale Durchführungsverordnungen unionsrechtswidrig wäre.

67

c. Die Klägerin trägt für das Vorliegen der objektiven und subjektiven Voraussetzungen eines unvorhersehbaren Ereignisses die Beweislast.

68

Nach der EuGH-Rechtsprechung, die der Senat sich zu eigen macht, kann ein zugelassener Lagerinhaber die Vergünstigung nach Art. 14 Abs. 1 RL 92/12/EWG nur beanspruchen, wenn er das Bestehen außerhalb seiner Sphäre liegender Umständen nachweist, die ungewöhnlich und unvorhersehbar sind und deren Folgen trotz aller aufgewandten Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können (EuGH, Urteile vom 18. Dezember 2007, C-314/06, SPMR, Rn. 31; vom 17. Oktober 2002, C-208/01, Parras Medina). Dass die Klägerin mithin die Feststellungslast für die Einhaltung des strengen Sorgfaltsmaßstabs trägt, entspricht der im nationalen Recht geltenden Grundregel nach der Normenbegünstigungstheorie und der ergänzenden Betrachtung nach Verantwortungssphären (vgl. Seer in Tipke/Kruse AO/FGO, § 96 FGO Rn. 83, 87, Stand August 2018, m.w.N.).

69

d. Nach diesen Maßgaben liegen die Voraussetzungen eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt im Sinne des § 8 Abs. 1a Satz 1 EnergieStG nicht vor.

70

Die als Steuerlagerinhaberin verantwortliche Klägerin hat weder auf Grundlage des aktuellen Standes der Technik ein ständiges aktives Verhalten gezeigt, das auf die Identifizierung und Bewertung potenzieller Risiken gerichtet ist, noch die Fähigkeit, angemessene und wirksame Maßnahmen zu ergreifen, um dem Eintritt solcher Risiken vorzubeugen. Sie hat nicht im Sinne der EuGH-Rechtsprechung alle zumutbare Sorgfalt walten lassen, sondern die als Mindestmaß der Sorgfalt anzusehenden anerkannten Regeln der Technik verletzt und in fahrlässiger Weise den streitbefangenen Produktverlust verursacht, wobei ihr ein Organisationsverschulden vorwerfbar ist.

71

Die Ursache des Verlustes der streitbefangenen Energieerzeugnisse liegt in der Sphäre der Klägerin (hierzu unter aa.). Die Klägerin musste im konkreten Fall besondere Sorgfalt walten lassen, da von der Rohrleitung erkennbar die erhöhte Gefahr eines ... Produktaustritts ausging (hierzu unter bb.). Eine umfassende Lebensdauerabschätzung ist für die Rohrleitung trotzdem zu keinem Zeitpunkt erfolgt (hierzu unter cc.). Die Klägerin legte ihre Einrichtungen zur Erkennung von Leckagen im Förderbetrieb und im Ruhebetrieb nicht darauf aus, einen schwerwiegenden Produktverlust wie den streitbefangenen zu detektieren. Zudem entsprachen diese zum Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht dem Stand der Technik (hierzu unter dd.). Ihre Einrichtungen zum Korrosionsschutz prüfte und unterhielt die Klägerin nur unzureichend (hierzu unter ee.). Die Möglichkeit, einen potentiellen Verlust durch Verschließen im Ruhebetrieb zu begrenzen, nutzte die Klägerin nicht (hierzu unter ff.). Die etwaige Einhaltung bestimmter Genehmigungsverfahren und die Durchführung wiederkehrender Dichtheitsprüfungen durch ... [Prüfunternehmen] entlasten die Klägerin nicht (hierzu unter gg.).

72

aa. Die Ursache des Verlustes der streitbefangenen Energieerzeugnisse liegt in der Sphäre der Klägerin (vgl. zum Sphärenbegriff auch die Schlussanträge der Generalanwältin Juliane Kokott vom 18. Juli 2007 in der Rechtssache C-314/06, SPMR, Rn. 36).

73

Das ... trat aus der von der Klägerin betriebenen Rohrleitung aus, für deren technischen Zustand die Klägerin als Betreiberin verantwortlich war. Die Durchrostung der Rohrleitung beruhte nach den Feststellungen des Gutachters darauf, dass [der kathodische Korrosionsschutz versagte].

74

bb. Die Klägerin musste im konkreten Fall besondere Sorgfalt walten lassen, da von der Rohrleitung erkennbar die erhöhte Gefahr eines schwerwiegenden Produktaustritts ausging.

75

... von der Rohrleitung, ging ... besondere Gefahren im Hinblick auf einen Verlust der in ... [ihr] geförderten Medien aus. [Die einzelnen Eigenschaften] sind risikoerhöhend zu würdigen.

76

... Die betriebsübliche Nutzungsdauer von 12 Jahren gemäß Nr. 2.1 der AfA-Tabelle des BMF vom 1. Juli 1995 für den Wirtschaftszweig "Erdölverarbeitung" trifft zwar keine Regelung betreffend die nach Art. 7 Abs. 4 RL 2008/118/EG erforderliche Sorgfalt, denn sie gilt unmittelbar nur für die steuerrechtliche Bilanzierung. Sie zeigt aber angesichts der ... Überschreitung einer typischen Nutzungsdauer das ... hohe Alter der Leitung auf.

77

... [Zur Anwendung von] § 62 Abs. 4 des WHG vom 1. Juli 2009 i.V.m. § 3 der Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen und über Fachbetriebe vom ... (VAwS) in Verbindung mit Nr. 4.2.3 der bundeseinheitlichen "Technische Regel wassergefährdender Stoffe (TRwS), Allgemeine Technische Regelungen" - TRwS 779 - vom 20. November 2006 ...

78

[Zur Kategorisierung von Rohrleitungen nach] der "Technische Regeln für bestehende unterirdische Rohrleitungen zum Transport von wassergefährdenden Stoffen" - TRwS 789 - (Arbeitsblatt DWA-A 789) ...

79

[Zur technischen Arbeitsanweisung der Klägerin] ...

80

[Zur Anwendung der Technische Regel brennbare Flüssigkeiten (TRbF) 302] ...

81

[Zur nach dem Stand der Technik erforderlichen technischen Ausstattung] ...

82

[Zu Vorschädigungen] ...

83

[Zur Funktionsweise kathodischen Korrosionsschutzes] ...

84

[Zur Baudokumentation] ...

85

[Zu weiteren Risikofaktoren] ...

86

cc. Eine umfassende Lebensdauerabschätzung ist für die Rohrleitung trotzdem zu keinem Zeitpunkt erfolgt.

87

Die Klägerin war nach dem Wasserhaushaltsgesetz verpflichtet, alle 5 Jahre Lebensdauerabschätzungen zur Absicherung eines über zehn Jahre sicheren Betriebs durchzuführen ....

88

Nach Ziffer 3 TRwS 789 ... [sind] ... alle 5 Jahre Lebensdauerabschätzungen zu unterziehen.

89

Die Anwendbarkeit der TRwS 789 ergibt sich aus dem WHG sowie der TRbF 302 (BArbBl. 1982, 78 ff.). Bis zu deren Außerkrafttreten im Jahr 2002 (BArbBl. 2002, 62) war die TRbF 302 gemäß deren Absatz "Geltungsbereich" in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 4 der VbF ... anwendbar. ... Da die Definition dem § 62 Abs. 1 des WHG vom 1. Juli 2009 bzw. deren Vorgängervorschrift des § 19g WHG a.F. (Fassung vom 23. September 1986 und Folgevorschriften) entspricht, sind die dem WHG nachgeschalteten Verordnungen anwendbar, also auch die ... Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen und über Fachbetriebe vom ... (VAwS) und die TRwS 789 (vgl. oben bb.).

90

Die TRwS 789 enthält den sog. Benutzerhinweis, dass sie eine wichtige, jedoch nicht die einzige Erkenntnisquelle für fachgerechte Lösungen sei. Durch ihre Anwendung entziehe sich niemand der Verantwortung für eigenes Handeln oder für die richtige Anwendung im konkreten Fall; dies gelte insbesondere für den sachgerechten Umgang mit den im Arbeitsblatt aufgezeigten Spielräumen.

91

Entgegen ihrer Verpflichtung hat die Klägerin nach den beigezogenen Verwaltungs- und Gerichtsakten und den klägerseitig vorgelegten Prüfunterlagen zu keinem Zeitpunkt eine Lebensdauerabschätzung für die Rohrleitung vorgenommen.

92

Die Klägerin hätte sich gegen den Verlust an Energieerzeugnissen schützen können, indem sie mittels einer Befahrung mit einem Molch die Wanddicke zur Lebensdauerabschätzung der Rohrleitung vollständig oder zumindest umfassend gemessen hätte. In dem ... Gutachten ... wird dies empfohlen, um einen betriebssicheren Zustand der Rohrleitung zu prüfen. Dies bedeutet zugleich, dass die Befahrung mit einem Molch bereits Stand der Technik war.

93

Das erkennende Gericht ist angesichts des unter lit. aa. dargestellten Gefahrenpotentials der Rohrleitung überzeugt, dass die Klägerin deren Wanddicke mit einem Molch umfassend hätte messen müssen. Unstreitig hat die Klägerin vor dem Schaden keine flächendeckende Wanddickenmessung durchgeführt, was ihr auch in dem bestandskräftigen Bußgeldbeschluss des Amtsgerichts ... als Fahrlässigkeit begründender Umstand zur Last gelegt wurde .... Das Amtsgericht stellte mit dem Beschluss fest, dass der Schadenseintritt auf einem veralteten und nicht dem Stand der Technik entsprechenden Leckageüberwachungssystem beruht habe, das aufgrund der vorhandenen Grenzwerte die aufgetretene Leckage nicht alarmiert habe. Erforderlich und dem Stand der Technik angepasst gewesen wären regelmäßige Verfahren zur Wartung und Untersuchung von Rohrleitungen durch Molchung gewesen. Der bei der Klägerin verantwortliche ... habe die Verantwortung für den Vorfall übernommen, was die Klägerin aber nicht von ihrer Verantwortung entlastet habe. Die in dem Verfahren festgestellten Mängel bei der Leckageprävention und der festgestellte Sanierungsbedarf seien nicht ausschließlich durch den ... verursacht, sondern von ihm mit Übernahme der Verantwortung als Belastung mit überreicht worden. ... Der erkennende Senat hat keine Zweifel an diesen Feststellungen des Amtsgerichts. Die Verfahrenseinstellung nach § 153 StPO gegenüber dem im Hinblick auf Fahrlässigkeit geständigen Verantwortlichen würdigt der Senat auch angesichts der diesbezüglichen Abstimmung zwischen Staatsanwaltschaft und Klägerin dahingehend, dass diese die Feststellung von Organisationsmängeln bei der Klägerin nicht ausschließt, sondern im Gegenteil untermauert ....

94

In seinem Eilbeschluss vom ... führte das [Gericht]... aus, die [Ordnungsbehörde] habe von einer Besorgnis der Gefährdung des Wasserhaushaltes i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 WHG ausgehen können, da zum einen keine hinreichenden Prüfungen in der Vergangenheit stattgefunden hätten, die eine konkrete "Erstprüfung" der Gefahrenpotentiale der Rohrleitungsanlagen ermöglichten. Zum anderen würden ... die Durchführung einer umfassenden Bestandsprüfung aller vorhandenen Leitungsanlagen rechtfertigen .... Dass für die ... bis zum Schadenseintritt keine Lebensdauerabschätzung mittels umfassender Wanddickenmessungen durchgeführt wurde, bestritt die Klägerin nicht. Stattdessen vertrat sie vor dem [Gericht] die Rechtsauffassung, stichprobenartige Wanddickenmessungen seien ausreichend, .... Angesichts eines Aufwandes von ... für eine vollständige Molchung ... und einer nach Molchung trotzdem weniger als hundertprozentigen Sicherheit für die Dichtheit sei das Verlangen einer Molchung unverhältnismäßig. Diese Einschätzung teilt der erkennende Senat nicht. Zum einen belegen die [Vorschädigungen eine] Gefährlichkeit. Zum anderen sind die Prüfkosten nicht unangemessen, auch nicht unter energiesteuerrechtlichen Aspekten. Bei der Interessenabwägung sind die Verpflichtungen und Obliegenheiten der Klägerin für den insgesamt sicheren Betrieb ihrer Leitung, also auch nach dem Wasserhaushaltsgesetz und der zivilrechtlichen und strafrechtlichen Haftung mit den Gesamtkosten ins Verhältnis zu setzen. Bei dieser Gesamtbetrachtung kann der bezifferte Aufwand nicht als unangemessen angesehen werden, zumal die Klägerin in ... Betriebsjahren nicht eine einzige umfassende Wanddickenmessung ... vorgenommen hatte ...

95

Die geforderte Befahrung mit einem Molch wäre zur Risikoprävention effektiv gewesen und hätte den streitbefangenen Schaden zur Überzeugung des Gerichts verhindert. Die hohe Präzision des Verfahrens bei der Aufdeckung von Schadstellen zeigt die nach dem Schadenseintritt durchgeführte Ultraschallanalyse mittels eines Molchs. ... angesichts der o.g. Empfehlung der Gutachter hätte die Klägerin die Rohrleitung außer Betrieb nehmen müssen.

...

96

dd. Die Klägerin legte ihre Einrichtungen zur Erkennung von Leckagen im Förderbetrieb und im Ruhebetrieb nicht darauf aus, einen schwerwiegenden Produktverlust wie den streitbefangenen zu detektieren. Zudem entsprachen diese zum Zeitpunkt des Schadenseintritts nicht dem Stand der Technik.

97

Die Prüfintervalle der innerbetrieblichen, weniger akkuraten ... Dichtheitsprüfung betrugen drei Monate. Der Alarmgrenzwert für eine Leckerkennung im Förderbetrieb betrug ... Produktaustritt pro Stunde. Eine Leckerkennung für den Ruhebetrieb und eine Schleichleckerkennung betrieb die Klägerin gar nicht....

98

Die Klägerin sicherte sich mit der vorhandenen Leckerkennungseinrichtung nicht gegen den streitbefangenen Verlust ab. Im Gegenteil war die Einrichtung so dimensioniert, dass ein unentdeckter Produktverlust wie der streitbefangene gerade ermöglicht wurde. Dies ergibt sich bereits aus den Feststellungen ... des ... Gutachtens ... und aus dem konkreten Schadenshergang: Trotz des Funktionierens der von der Klägerin betriebenen Leckerkennung konnte der streitbefangene Verlust von ... [Energieerzeugnissen] unerkannt eintreten. Rechnerisch wäre bei dem eingestellten Alarmgrenzwert von ... pro Stunde in den drei Monaten eines Druckprüfungsintervalls sogar ein Verlust von deutlich mehr als ... [Menge von Energieerzeugnissen] ohne Erkennung möglich gewesen.

99

Die Klägerin wurde damit bereits den Anforderungen der ... TRbF 302, Ziffer 10.5, an Leckerkennungseinrichtungen für den Ruhebetrieb/ Förderpausen nicht gerecht. Hiernach waren ... Einrichtungen zwingend, mittels derer Verluste an Fördermedium während des Förderbetriebs und der Förderpausen festgestellt werden können (Abs. 1) und ferner eine Einrichtung, mit deren Hilfe die Verbindungsleitung auf schleichende Undichtheiten überprüft werden kann (Abs. 3).

100

Zudem entsprachen die Einrichtungen der Klägerin auch nicht dem Stand der Technik. Als Leckerkennungssystem nach aktuellem technischen Stand schlug der ... Gutachter ... Einrichtungen vor, die im Förderbetrieb bei Verlust von ...% der maximalen Fördermenge, im Ruhebetrieb von ... pro Stunde und betreffend Schleichleckagen von weniger als ... pro Stunde ausschlagen. In dem Ergänzungsgutachten ... führt der Gutachter aus, dass mit den gängigen Erfassungseinrichtungen üblicherweise Erkennungsgrenzen zwischen ... erreicht werden. Die Empfehlungen beruhten auf dem im Streitjahr aktuellen technischen Erkenntnisstand. Das ausschließlich auf den Förderbetrieb gerichtete System der Klägerin mit einem um das ...-fache höheren Alarmgrenzwert entsprach dem Stand der Technik nicht im Geringsten.

101

Erschwerend kommt hinzu, dass die Klägerin die Messwerte der von ihr installierten Einrichtungen für Mengen- und Druckmessung im Ruhebetrieb nicht systematisch überprüfte. Stattdessen überließ sie die im Einzelnen sehr komplexe Beurteilung, ob [Bestandsveränderungen]... mit Temperaturschwankungen oder aber mit Undichtigkeiten zu erklären sind, der persönlichen Einschätzung einzelner Mitarbeiter ....

102

Eine Geeignetheit der durchgeführten Druckprüfungen zur Vermeidung neu auftretender Undichtigkeiten lag bei der Rohrleitung mit ihrem besonderen Gefährdungspotential nicht vor. Zu diesem Ergebnis kommen auch das Gutachten ... und [die Ordnungsbehörde] in [der] Stellungnahme gegenüber der Staatsanwaltschaft .... Der ... Gutachter führte zudem aus, eine jährliche Dichtheitsprüfung, wie sie in der TRwS 789 als Alternative zu einem Leckerkennungssystem ermöglicht werde, sei nicht ausreichend, weil eine Vielzahl externer Einwirkungen auf die [Rohrleitung] die Wirksamkeit des [kathodischen Korrosionsschutzes] beinträchtigen könne (zu dem in der TRwS 789 enthaltenen Hinweis auf Sorgfaltspflichten, siehe oben lit. bb.). Das Gericht teilt diese Auffassung des Gutachters, da eine Schleichleckerkennung gemäß Ziffer 10.6 Abs. (3) TRbF 302 nur bei Durchführung von Druckprüfungen mittels geeigneter Methoden als disponibel gelten soll. Die vorliegende Methode war aber zur Risikoprävention nicht geeignet. Soweit die technischen Regelwerke Alternativmaßnahmen zu Sicherheitseinrichtungen zulassen, etwa in Ziffer 10.6, Abs. 3 Satz 2, 11.3 Abs. 2 Satz 3 TRbF 302 oder Ziffer 5 Abs. 3 i.V.m. Tabelle 2 TRwS 789, steht es in der Verantwortung des Betreibers, die Eignung im konkreten Fall sicherzustellen (vgl. TRbF 302: "geeignete Methode", ...; TRwS 789 Benutzerhinweis: "sachgerechter Umgang mit im Arbeitsblatt aufgezeigten Spielräumen"). Dabei ist auch Ziffer 10.7 der TRbF 302 zu würdigen, die ... in besonderen Fällen, zu denen die Rohrleitung gehört, zusätzliche Sicherungen und Einrichtungen als erforderlich ansah, .... Die Klägerin betrieb solche Einrichtungen jedoch nicht.

103

Das [andere Gericht] legte seinem Eilbeschluss ...zudem zu Grunde, dass Dichtheitsprüfungen lediglich bestehende Leckagen aufdecken können, nicht aber die zukünftige Gefahr einer Leckage. Der erkennende Senat teilt diese Einschätzung. Der Verlust von ... [Menge von Energieerzeugnissen] lediglich zwei Monate nach einer erfolgreichen Dichtheitsprüfung zeigt, dass die von der Klägerin vorgesehenen Dichtheitsprüfungen keinen Schutz gegenüber dem streitbefangenen Schaden boten.

104

ee. Ihre Einrichtungen zum Korrosionsschutz prüfte und unterhielt die Klägerin nur unzureichend.

105

Die klägerischen Ausführungen betreffend das Vorliegen eines singulären, unvorhersehbaren Ereignisses ... sind unzutreffend. Es handelte sich weder um ein singuläres Ereignis, da [bereits Vorschäden eingetreten waren] (siehe oben, lit. bb.). Noch war das Ereignis unvorhersehbar, sondern es wäre mittels Intensivmessungen erkannt worden, die bereits deutlich vor dem Schadenseintritt hätten durchgeführt werden müssen.

106

[Der kathodische Korrosionsschutz] hätte von der Klägerin regelmäßig, konkret aber auch anlassbezogen, intensiv durchgemessen werden müssen.

107

Für den sicheren Betrieb ... hätte die Klägerin sicherstellen müssen, dass [der kathodische Korrosionsschutz] ... allgemein betriebssicher und wirksam ist, ... und dass kritische Stellen ... auszuschließen sind, an denen [der kathodische Korrosionsschutz] ... unwirksam sein könnte...

108

[Der kathodische Korrosionsschutz] ... stellte angesichts ... die einzige effektive Korrosionsschutzmaßnahme für die risikobehaftete Rohrleitung dar (siehe dahingegen Ziffer 6 und Ziffer 7.7 Abs. 1 Nr. 2 der TRbF 302, die neben dem [kathodischen Korrosionsschutz] zusätzlich eine intakte Umhüllung fordern).

109

[Der] erst seit ... vorhandene [ kathodische Korrosionsschutz] ... wies bis ...und seit ... nicht, jedenfalls nicht flächendeckend, die erforderlichen Potentiale auf (siehe oben, lit. bb.).

110

Die Klägerin hätte Intensiv- und Sondermessungen ... wiederkehrend, jedenfalls aber auch anlassbezogen, zur Risikoprävention vornehmen müssen. Dies unterließ sie in fahrlässiger Weise.

111

Wegen der fehlerhaften Ergebnisse der Routinemessungen empfahlen die mit der Messung beauftragten Unternehmen seit ... wiederholt, Sondermessungen zur Fehlersuche durchzuführen, was die Klägerin nicht wie empfohlen durchführte .... Die von der Klägerin vorgelegten Prüfberichte von ... weisen beginnend in ...Auffälligkeiten und Fehler am [kathodischen Korrosionsschutz] und ... [weitere Probleme] aus (vgl. Prüfberichte ...). Insbesondere aus den Prüfberichten vom ... ergeben sich [Probleme mit dem kathodischen Korrosionsschutz].

112

Zwar wird in dem Ergänzungsgutachten ..., ausgeführt, die Sondermessung habe die Eingrenzung des Fehlers der ... betroffen und nicht dem Nachweis des [kathodischen Korrosionsschutzes] an der Schadensstelle gedient. Angesichts ... [ließen sich aber die Probleme ersehen]. ... Der Klägerin war mithin bewusst, dass im Rahmen von Lebensdauerabschätzungen (siehe oben lit. cc.) ... Intensivmessungen durchzuführen gewesen wären.

113

Bei einer Intensivmessung wären nach den Feststellungen des Gutachters ... Fehlstellen ... festgestellt worden.

114

[Zu später durchgeführten Intensivmessungen] ...

115

Der ... Gutachter konnte nicht ausschließen, was angesichts der Beweislastverteilung zu Lasten der Klägerin wirkt, dass die übrigen im Zuge der Routine- und Intensivmessungen am [kathodischen Korrosionsschutz] festgestellten Fehler die streitbefangene Korrosion verstärkt haben können ....

116

[Zum Setzen einer eigenen Veranlassung der Intensivmessungen] ...

117

[Zur besonderen vorliegenden Gefahr]

118

Im Hinblick auf ein Organisationsverschulden der Klägerin kommt erschwerend hinzu, dass die [im kathodischen Korrosionsschutz] ... festgestellten Fehler auf grundlegend mangelnde Kenntnisse der Mitarbeiter der Klägerin über die Funktionsweise ... hindeuten, weshalb der ... Gutachter Nachschulungen vorschlug ....

119

ff. Die Möglichkeit, einen potentiellen Produktverlust durch Verschließen der Rohrleitung im Ruhebetrieb zu begrenzen, nutzte die Klägerin nicht.

120

Sie hatte im Gegenteil ihre Mitarbeiter angewiesen, zur Vermeidung von Überdruck in Förderpausen stets eine Seite der Rohrleitung offen zu betreiben .... Dies widerspricht Ziffer 15.7.1 der "Technische Regeln für brennbare Flüssigkeiten TRbF 20 - Läger" (TRbF 20). Danach müssen Absperreinrichtungen und andere Verschlüsse an Öffnungen von Tanks, solange sie nicht benutzt werden, fest verschlossen und so gesichert sein, dass ein unbeabsichtigtes Lockern ausgeschlossen ist.

121

Zwar äußerte sich der ... Gutachter ... dahingehend, der offene Ruhebetrieb stelle zwar grundsätzlich kein regelkonformes, aber auch nicht notwendigerweise ein pflichtwidriges Betreiben im Sinne der Regelwerke dar. Die Regelungen stellten insoweit keine Mussvorschrift dar, sondern böten im Rahmen einer allgemeinen Gefahrenanalyse einen Gestaltungsspielraum .... Unter Berücksichtigung des konkreten Gefährdungspotentials der Leitung (siehe oben lit. bb.) erkennt der Senat, anders als der Gutachter, aber sehr wohl einen Verstoß gegen die TRbF 20 und gegen die Sorgfaltspflichten eines sorgfältigen Steuerlagerinhabers.

122

Die Klägerin sicherte sich erst nach dem Schadenseintritt und nach der entsprechenden Empfehlung in dem ... Gutachten ... gegen ... Produktverluste ab, indem sie einen abgesperrten Ruhebetrieb einführte. Hierdurch sollten etwaige Schleichleckagen auf geringe Mengen begrenzt werden. Im Gegenzug entstand lediglich ein geringer zusätzlicher Aufwand durch die Überwachung des Drucks ....

123

gg. Die etwaige Einhaltung bestimmter Genehmigungsverfahren und die Durchführung wiederkehrender Dichtheitsprüfungen durch [das Prüfunternehmen] ... entlasten die Klägerin nicht.

124

Von dem angesichts der Gefährlichkeit der Rohrleitung konkretisierten Sorgfaltsmaßstab nach unionsrechtlichen Grundsätzen (siehe oben, lit. b. und lit. d.bb.) kann sich die Klägerin nicht, wie sie zu meinen scheint, durch das Vorliegen etwaiger gewerberechtlicher oder immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen befreien.

125

Die Voreigentümerin ... hatte [in der Vergangenheit eine gewerberechtliche Anzeige an die zuständige Behörde abgegeben] ... Durch diese Anzeige im Jahr ... werden die unionsrechtlichen Sorgfaltspflichten nicht [längere Zeiträume] suspendiert oder erleichtert.

126

Gleiches gilt für die in dem Gutachten erwähnte Genehmigung [einer] ... Nutzungsänderung ... gemäß § 15 Abs. 1 des Bundesimmissionsschutzgesetzes .... Diese Genehmigung ist gemäß § 6 BImSchG zu erteilen, wenn sichergestellt ist, dass die sich aus § 5 BImSchG und einer auf Grund des § 7 BImSchG erlassenen Rechtsverordnung ergebenden Pflichten erfüllt werden, und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften und Belange des Arbeitsschutzes der Errichtung und dem Betrieb der Anlage nicht entgegenstehen. Die Genehmigung entbindet nicht von der Einhaltung der Sorgfaltspflichten eines Anlagenbetreibers, sondern betont im Gegenteil deren Bedeutung. Denn gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BImSchG (in der Fassung vom 14.5.1990) sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit und die Nachbarschaft nicht hervorgerufen werden können, und Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechenden Maßnahmen zur Emissionsbegrenzung. Eine Erleichterung des Sorgfaltsmaßstabs ist durch das Innehaben der Genehmigung nicht intendiert. Der durch die Gesetze, Verordnungen und technischen Regeln konkretisierte, aber nicht verbindlich niedergelegte nationale gewässerschutzrechtliche und immissionsschutzrechtliche Sorgfaltsmaßstab stellt lediglich das Mindestmaß für das unionsrechtliche Sorgfaltsgebot zur Voraussetzung des unabwendbaren Ereignisses dar, indiziert aber gerade nicht dessen Einhaltung (siehe oben, lit. a.).

127

Die Klägerin kann sich nicht dadurch exkulpieren, dass sie wiederkehrende Prüfungen gemäß ... TRbF 302 durch [das Prüfunternehmen] ... durchführen ließ. Wie oben unter bb. bis ff. ausgeführt, hielt die Klägerin die nach dem Stand der Technik erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen in eklatanter Weise nicht ein. Die ... Prüfungen entbinden den Anlagenbetreiber nicht von der Verpflichtung zum sicheren Betrieb nach § 62 WHG, § 5 BImSchG, deren Mindestanforderungen die einschlägigen technischen Regelwerke konkretisieren (vgl. neben den zahlreichen angesprochenen Verstößen etwa Ziffer 11.1 TRbF 302). Die Klägerin kann nicht ihre steuerrechtliche Verantwortlichkeit für den verlustfreien Betrieb im Sinne des § 8 Abs. 1a EnergieStG und des Art. 7 Abs. 4 RL 2008/118/EG auf [das Prüfunternehmen] ... dergestalt übertragen, dass der Korrosionsschaden an der Rohrleitung trotz ihres eigenen sorglosen Verhaltens als unvorhersehbar angesehen werden könnte.

128

4. Es kann dahinstehen, ob die teilweise Rückgewinnung des verunreinigten Gemischs ... die Unwiederbringlichkeit des Verlustes der Ware [ausschließt].

129

Der Beklagte vertritt unter Bezugnahme auf den Beschluss des erkennenden Senats vom 16. Mai 2012, 4 V 47/12, die Auffassung, dass die von der Klägerin zurückgewonnene ... [Menge Energieerzeugnisse] nicht im Sinne des § 8 Abs. 1a EnergieStG unwiederbringlich verloren gegangen seien. Dem Beschluss folgend liegt ein Untergang der Ware im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 RL 92/12/EWG nur vor, wenn das Energieerzeugnis ohne menschlichen Handlungswillen eine Substanzveränderung erfährt, die eine wirtschaftliche Verwendung und damit den bestimmungsgemäßen Gebrauch oder Verbrauch auf Dauer unmöglich macht, zum Beispiel durch Versickern im Erdreich. Danach könnte ein Energieerzeugnis nicht als verloren angesehen werden, das von dem Steuerpflichtigen aufbereitet und sodann als vertragsgemäß geliefert wird (zur Vergleichbarkeit des Untergangs mit dem unwiederbringlichen Verlust aufgrund unvorhersehbare Ereignisses siehe oben, Ziffer 3.b.).

130

Die Frage kann im vorliegenden Fall dahinstehen, weil der erkennende Senat die gemäß § 8 Abs. 1a EnergieStG erforderliche weitere Voraussetzung des unvorhersehbaren Ereignisses als nicht gegeben ansieht (siehe oben, Ziffer 3.).

131

5. Die Klägerin ist als Steuerlagerinhaber gemäß § 8 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EnergieStG Steuerschuldner. Der Steueranspruch war gemäß §§ 169 Abs. 2 Nr. 1 und 170 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 S. 2 der Abgabenordnung (AO) zum Zeitpunkt der Festsetzung unverjährt. Die Festsetzung ohne vorherige formularmäßige Anmeldung war gemäß § 8 Abs. 3 in Verbindung mit § 167 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AO rechtmäßig.

III.

132

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

133

Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben, § 115 Abs. 2 FGO.

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