EuGH-Vorlage vom Finanzgericht Hamburg (4. Senat) - 4 K 56/18

Tenor

I. Das Verfahren wird bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union ausgesetzt.

II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden folgende Fragen zur Auslegung von Handlungen der Organe der Union im Wege der Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Besteht die unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben zuzüglich Zinsen zu erstatten, auch in Fällen, in denen der Grund für die Erstattung nicht ein vom Gerichtshof der Europäischen Union festgestellter Verstoß der Rechtsgrundlage gegen das Unionsrecht, sondern eine vom Gerichtshof getroffene Auslegung einer (Unter-)Position der Kombinierten Nomenklatur ist?

2. Sind die Grundsätze des vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch auf die Zahlung von Ausfuhrerstattungen, die die mitgliedstaatliche Behörde unter Verstoß gegen das Unionsrecht verweigert hat, übertragbar?

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt Zinsen für zu Unrecht nicht gewährte Ausfuhrerstattungen sowie zu Unrecht festgesetzte Sanktionen.

2

Die Klägerin führte Geflügelschlachtkörper in Drittländer aus. Im Zeitraum zwischen Januar und Juni 2012 versagte das beklagte Hauptzollamt der Klägerin für die ausgeführten Waren die Gewährung von Ausfuhrerstattungen unter Hinweis darauf, dass die ausgeführten Erzeugnisse nicht von handelsüblicher Qualität seien, weil die Geflügelschlachtkörper nicht vollständig gerupft gewesen seien bzw. zu viele Innereien aufgewiesen hätten (vgl. zu den Einzelheiten u.a. FG Hamburg, Urteile vom 18.02.2014, 4 K 18/12 bzw. 4 K 264/11), und setzte gegenüber der Klägerin zudem eine Sanktion mit der Begründung fest, dass sie eine höhere als ihr zustehende Ausfuhrerstattung beantragt habe.

3

Nachdem das Finanzgericht Hamburg auf der Grundlage der eingeholten Vorabentscheidungsersuchen des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 24.11.2011 (verbundene Rechtssachen C-323/10 bis C-326/10) entschieden hatte, dass das Vorhandensein von wenigen Federn nicht erstattungsschädlich sei (FG Hamburg, Urteile vom 18.02.2014, 4 K 18/12 bzw. 4 K 264/11) bzw. dass dem Schlachtkörper insgesamt bis zu vier der dort bezeichneten Innereien beigelegt sein dürften, half das beklagte Hauptzollamt den Einsprüchen der Klägerin in der Weise ab, dass die beantragten Ausfuhrerstattungen gewährt und die festgesetzten Sanktionen erstattet wurden.

4

Mit Schreiben vom 16.04.2015 beantragte die Klägerin beim beklagten Hauptzollamt für die in der Vergangenheit zu Unrecht nicht gewährten Ausfuhrerstattungen und die zu Unrecht festgesetzten Sanktionen die Gewährung von Zinsen für den Zeitraum der vorenthaltenen Erstattungen bzw. festgesetzten Sanktionen, was das beklagte Hauptzollamt mit Bescheid vom 22.07.2015 ablehnte. Ihren hiergegen gerichteten Einspruch wies das beklagte Hauptzollamt mit Einspruchsentscheidung vom 18.04.2018 zurück.

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Mit ihrer am 23.05.2018 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren fort. Sie meint, ihr Anspruch auf Zahlung von Zinsen folge unmittelbar aus dem Unionsrecht. So bestehe nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ein allgemeiner unionsrechtlicher Anspruch auf Herausgabe zu Unrecht erlangter Bereicherungen, der sich nicht nur auf die zu Unrecht vereinnahmten bzw. zu Unrecht ausbezahlten Beträge selbst beziehe, sondern auch die Erstattung von Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit der betreffenden Kapitalsumme in Form von Zinsen umfasse. Dass eine derartige unionsrechtliche Pflicht zur Zahlung von Zinsen auf jegliche Beträge bestehe, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben worden seien, selbst wenn keine entsprechende Anspruchsgrundlage in den nationalen Gesetzen existiere, habe der Gerichtshof der Europäischen Union für eine Vielzahl von verschiedenen Steuern und Abgaben festgestellt. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in der Rechtssache C-365/15 noch einmal ausdrücklich bestätigt, dass die mitgliedstaatlichen Behörden auch ohne entsprechende rechtliche Grundlage in den nationalen Bestimmungen verpflichtet seien, Beträge, die unionsrechtswidrig einbehalten oder erhoben worden seien, zu verzinsen. Die Ausführungen des beklagten Hauptzollamtes, dass die beantragten Ausfuhrerstattungsbeträge nicht unionsrechtswidrig einbehalten bzw. dass keine unionsrechtswidrigen Sanktionen erhoben worden seien, gingen fehl. Insbesondere komme es nicht darauf an, dass es erst mehrerer Gerichtsentscheidungen bedurft habe, um Klarheit darüber zu erhalten, ob die zur Ausfuhr angemeldeten Geflügelschlachtkörper von handelsüblicher Qualität gewesen seien.

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Das beklagte Hauptzollamt betont demgegenüber, es habe der Klägerin seinerzeit die Ausfuhrerstattungen nicht unionsrechtswidrig verweigert, sondern entsprechend den geltenden Verordnungen - Verordnung (EG) Nr. 800/1999 bzw. Nr. 612/2009 - sowie der nationalen Rechtsprechung gehandelt. Die Klägerin habe zunächst keinen Anspruch auf die Gewährung von Ausfuhrerstattungen gehabt. Diese Ansprüche resultierten vielmehr erst aus der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in den verbundenen Rechtssachen C- 323/10 bis 326/10 sowie den nachgehenden Urteilen des Finanzgerichts Hamburg. Insofern sei dies als ein solches Ereignis anzusehen, welches sowohl in der Sphäre des Wirtschaftsbeteiligten als auch der Zollbehörden dazu führen könne, dass die Abgaben zunächst nicht in zutreffender Höhe erhoben würden. In Fallkonstellationen dieser Art ergebe sich für keine der beiden Seiten im Nachgang im Falle einer Korrektur ein Zinsanspruch; das habe der Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache C-365/15 ausdrücklich bestätigt.

Entscheidungsgründe

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Der Beschluss ergeht gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) in der Besetzung mit drei Berufsrichtern ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter; bei - so wie hier - Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung wirken die ehrenamtlichen Richter nicht mit (§ 5 Abs. 3 Satz 2 FGO).

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Der Senat setzt das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 74 FGO aus und legt dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 Unterabsatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die im Tenor genannten Fragen zur Vorabentscheidung vor, weil die rechtliche Würdigung des Falles unionsrechtlich zweifelhaft ist.

I. Rechtlicher Rahmen

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Für die Entscheidung des Rechtsstreits sind folgende Bestimmungen maßgebend:

1. Nationale Vorschriften

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a) Abgabenordnung (AO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 01.10.2002 (Bundesgesetzblatt I S. 3866):

§ 1 Anwendungsbereich

(1) Dieses Gesetz gilt für alle Steuern einschließlich der Steuervergütungen, die durch Bundesrecht oder Recht der Europäischen Union geregelt sind, soweit sie durch Bundesfinanzbehörden oder Landesfinanzbehörden verwaltet werden. Es ist nur vorbehaltlich des Rechts der Europäische Union anwendbar.

...

(3) Auf steuerliche Nebenleistungen sind die Vorschriften dieses Gesetzes vorbehaltlich des Rechts der Europäischen Union sinngemäß anwendbar ...

§ 3 Steuern, steuerliche Nebenleistungen

(1) Steuern sind Geldleistungen, die nicht eine Gegenleistung für eine besondere Leistung darstellen und von einem öffentlich-rechtliche Gemeinwesen zur Erzielung von Einnahmen allen auferlegt werden, bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft; die Erzielung von Einnahmen kann Nebenzweck sein.

...

(3) Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Art. 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union sind Steuern im Sinne dieses Gesetzes ...

(4) Steuerliche Nebenleistungen sind ... Zinsen nach den §§ 233 bis 237, ... Zinsen auf Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Art. 5 Nummer 20 und 21 des Zollkodex der Union ...

§ 37 Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis

(1) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach Absatz 2 sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche.

(2) Ist eine Steuer, Steuervergütung, ein Haftungsbetrag oder eine steuerliche Nebenleistung ohne rechtlichen Grund gezahlt oder zurückgezahlt worden, so hat derjenige, auf dessen Rechnung die Zahlung bewirkt worden ist, an den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten oder zurückgezahlten Betrags ...

§ 233 Grundsatz

Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37) werden nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist ...

§ 236 Prozesszinsen auf Erstattungsbeträge

(1) Wird durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder auf Grund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt oder eine Steuervergütung gewährt, so ist der zu erstattende oder zu vergütende Betrag vorbehaltlich des Absatzes 3 vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen. Ist der zu erstattende Betrag erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit entrichtet worden, so beginnt die Verzinsung mit dem Tag der Zahlung

(2) Absatz 1 ist entsprechend anzuwenden, wenn

1. sich der Rechtsstreit durch Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsakts oder durch Erlass des beantragten Verwaltungsakts erledigt oder

2. eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder ein unanfechtbarer Verwaltungsakt, durch den sich der Rechtsstreit erledigt hat,

a) zur Herabsetzung der in einem Folgebescheid festgesetzten Steuer,

b) zur Herabsetzung der Gewerbesteuer nach Änderung des Gewerbesteuermessbetrags führt ...

11

b) Marktorganisationsgesetz (MOG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 07.11.2017 (Bundesgesetzblatt I S. 3746), zuletzt geändert durch Artikel 281 der Verordnung vom 19.06.2020 (Bundesgesetzblatt I S. 1328):

§ 6 Vergünstigungen

(1) Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Bundesministerium) wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch Rechtsverordnung, die nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf, soweit dies zur Durchführung von

1. Regelungen im Sinne des § 1 Absatz 2 hinsichtlich Marktordnungswaren, soweit diese Regelungen nicht unter Nummer 2 fallen, bei

a) Ausfuhrerstattungen

      b)  ...

erforderlich ist, Vorschriften zu erlassen über das Verfahren sowie über die Voraussetzungen und die Höhe dieser Vergünstigungen, soweit sie nach den Regelungen im Sinne des § 1 Absatz 2 bestimmt, bestimmbar oder begrenzt sind ...

§ 14 Zinsen

(1) Ansprüche auf Erstattung von Vergünstigungen sowie auf Beträge, die wegen Nichteinhaltung anderweitiger Verpflichtungen zu erstatten sind, sind vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Werden Abgaben nicht rechtzeitig gezahlt, sind sie vom Fälligkeitstag an mit fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Satz 1 oder 2 ist nicht anzuwenden, soweit Regelungen im Sinne des § 1 Absatz 2 etwas anderes vorsehen.

(2) Ansprüche auf Vergünstigungen und im Rahmen von Interventionen sind ab Rechtshängigkeit nach Maßgabe der §§ 236, 238 und 239 der Abgabenordnung zu verzinsen. Im Übrigen sind diese Ansprüche unverzinslich.

2. Vorschriften des Unionsrechts

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Verordnung (EG) Nr. 800/1999 (VO Nr. 800/1999) der Kommission vom 15.04.1999 über gemeinsame Durchführungsvorschriften für Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen (Amtsblatt L 102/11 mit späteren Änderungen):

65. Erwägungsgrund:

Um die Gleichbehandlung aller Ausführer in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, ist hinsichtlich der Ausfuhrerstattungen ausdrücklich vorzusehen, dass jeder zu Unrecht gezahlte Betrag vom Begünstigten mit Zinsen zurückzuzahlen ist. Gleichzeitig sind die Rückzahlungsmodalitäten zu regeln. Zum besseren Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft sollte diese Verpflichtung bei Abtretung des Erstattungsanspruchs auch für den Übernehmer gelten.

Artikel 49

(1) Die Erstattung wird nur auf spezifischen Antrag des Ausführers von dem Mitgliedstaat gezahlt, in dessen Hoheitsgebiet die Ausfuhranmeldung angenommen wurde ...

(2) Die Unterlagen für die Zahlung der Erstattung oder die Freigabe der Sicherheit sind, außer im Fall höherer Gewalt, innerhalb von zwölf Monaten nach dem Tag der Annahme der Ausfuhranmeldung einzureichen ...

...

(8) Die Zahlung gemäß Absatz 1 wird von den zuständigen Behörden innerhalb von drei Monaten ab dem Tage getätigt, an dem sie über alle zur Bearbeitung der Unterlagen erforderlichen Angaben verfügen ...

Artikel 51

(1) Wird festgestellt, dass ein Ausführer eine höhere als die ihm zustehende Ausfuhrerstattung beantragt hat, so entspricht die für die betreffende Ausfuhr zu zahlende Erstattung der für die tatsächliche Ausfuhr geltenden Erstattung, vermindert um einen Betrag in Höhe

a) des halben Unterschieds zwischen der beantragten Erstattung und der für die tatsächliche Ausfuhr geltenden Erstattung,

b) des doppelten Unterschieds zwischen der beantragten und der geltenden Erstattung, wenn der Ausführer vorsätzlich falsche Angaben gemacht hat.

II. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen

1. Zinsen auf zu Unrecht gezahlte Sanktionen

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Die Klägerin begehrt zum einen Zinsen auf die ihr vom beklagten Hauptzollamt zwischenzeitlich erstatteten Sanktionen ab dem Zeitpunkt ihrer Entrichtung. Auf nationale Vorschriften kann die Klägerin dieses Begehren nicht stützen. Nach § 233 Satz 1 AO werden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Erstattungsansprüche gehören (§ 37 Abs. 2 Satz 1 AO), nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist. Insoweit kommt als nationale Anspruchsgrundlage allein die Vorschrift des § 236 AO in Betracht, auf die die Klägerin ihr Zinsbegehren jedoch nicht mit Erfolg stützen kann. Denn die Klägerin hat gegen die Bescheide des beklagten Hauptzollamtes, mit denen die Sanktionen festgesetzt wurden, zwar jeweils Einspruch eingelegt, jedoch keine Klage erhoben. Auch die Vorschrift des § 14 MOG scheidet als Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin ersichtlich aus, da der nationale Gesetzgeber in dieser Vorschrift zwar die Verzinsung von Ansprüchen auf Erstattung von Ausfuhrerstattungen, nicht aber auch die Verzinsung von Erstattungsansprüchen in Bezug auf zu Unrecht erhobene Sanktionen geregelt hat.

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In der Verordnung Nr. 800/1999 findet sich ebenfalls keine Rechtsgrundlage, auf die die Klägerin ihr Begehren stützen könnte. Der Unionsgesetzgeber hat in Art. 52 Abs. 1 VO Nr. 800/1999 lediglich den umgekehrten Fall geregelt, nämlich die Verzinsung von zu Unrecht gewährten Ausfuhrerstattungen sowie die Verzinsung von Sanktionen.

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Der Erfolg der von der Klägerin erhobenen Klage ist mithin davon anhängig, ob sie ihr Begehren auf den vom EuGH entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruch stützen kann, was nach dem Dafürhalten des beschließenden Senats unionsrechtlich zweifelhaft ist.

2. Zinsen auf verzögert ausbezahlte Ausfuhrerstattungen

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Die Klägerin begehrt zum anderen Zinsen auf die ihr vom beklagten Hauptzollamt verzögert ausbezahlten Ausfuhrerstattungen. Auch dieses Begehren kann sie auf keine nationale Vorschrift stützen; die vorstehenden Ausführungen gelten entsprechend. Mit Blick auf das Unionsrecht ist zwar festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber in Art. 49 Abs. 8 VO Nr. 800/1999 geregelt hat, dass die Zahlung der Erstattung nach Art. 49 Abs. 1 VO Nr. 800/1999 von den zuständigen Behörden innerhalb von drei Monaten ab dem Tag getätigt wird, an dem sie über alle zur Bearbeitung der Unterlagen erforderlichen Angaben verfügen. Eine Regelung darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Ausführer Zinsen auf verzögert ausbezahlte Ausfuhrerstattungen verlangen kann, fehlt jedoch in der Verordnung Nr. 800/1999.

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Der Erfolg der von der Klägerin erhobenen Klage ist somit (ebenfalls) davon abhängig, ob die Grundsätze des vom EuGH entwickelten unionsrechtlichen Zinsanspruchs auch auf die Gewährung von Ausfuhrerstattungen, die die mitgliedstaatliche Behörde unter Verstoß gegen das Unionsrecht verweigert hat, übertragbar sind.

III. Rechtliche Erwägungen des Senats

1. Zur ersten Vorlagefrage: Zinsen auf erstattete Sanktionen

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Der EuGH hat zuletzt mit Urteil vom 18.01.2017 (Wortmann, C-365/15) entschieden, dass, werden (Einfuhr-)Abgaben unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben, eine unionsrechtliche Pflicht der Mitgliedstaaten besteht, Rechtssuchenden, die einen Anspruch auf die Erstattung der entrichteten Beträge haben, diese ab dem Zeitpunkt ihrer Entrichtung zu verzinsen (Leitsatz 1 des Urteils). Diese Entscheidung des EuGH folgt einer Reihe von Entscheidungen, in denen der Gerichtshof die Mitgliedstaaten aus dem Unionsrecht verpflichtet hat, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben nicht nur zu erstatten, sondern dem Einzelnen auch die Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen zu ersetzen (vgl. insbesondere EuGH, Urteil vom 27.09.2012, Zuckerfabrik Jülich, verbundene Rechtssachen C-113/10, C-147/00 und C-234/10, Rz. 65; Urteil vom 18.04.2013, Irimie, C-565/11, Rz. 28; Urteil vom 19.07.2012, Littlewoods Retail u.a., C-591/10, Rz. 25), wobei Zinsen grundsätzlich für den Zeitraum vom Tag der zu Unrecht erfolgten Zahlung der fraglichen Abgabe bis zum Tag ihrer Erstattung zu zahlen sind (siehe nur EuGH, Urteil vom 18.04.2013, Irimie, C-565/11, Rz. 28).

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Die vorstehend zitierten Urteile des EuGH betrafen zwar entweder Steuern (Urteil vom 18.04.2013, Irimie, C-565/11; Urteil vom 19.07.2012, Littlewoods Retail u.a., C-591/10) oder traditionelle Eigenmittel der Europäischen Union (Urteil vom 18.01.2017, Wortmann, C-365/15 - Antidumpingzölle -; Urteil vom 27.09.2012, Zuckerfabrik Jülich, verbundene Rechtssachen C-113/10, C-147/10 und C-234/10 - Zuckerabgabe - ), die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben wurden, während in diesem Verfahren eine von der mitgliedstaatlichen Behörde zu Unrecht festgesetzte Sanktion in Rede steht. Auf Art. 51 VO Nr. 800/1999 gestützte Sanktionen stellen indes keine Abgaben, sondern Geldbußen dar, die der Wirtschaftsteilnehmer zahlt, weil er in seinem Ausfuhrerstattungsantrag falsche Angaben gemacht hat (vgl. EuGH, Urteil vom 11.07.2002, Käserei Champignon Hofmeister, C-210/00, Leitsatz 1). Diese rechtliche Qualifikation der Sanktionen gilt ungeachtet des Umstands, dass der Unionsgesetzgeber die Sanktion in Art. 51 Abs. 1 VO Nr. 800/1999 faktisch als einen unselbständigen Rechnungsposten bei der Festsetzung des dem Ausführer zustehenden Erstattungsbetrages ausgestaltet hat. Dies gilt selbst dann, wenn die Verminderung des Erstattungsanspruchs nach Maßgabe des Art. 51 Abs. 1 lit. a) oder b) VO Nr. 800/1999 - wie im Falle der Klägerin - zu einem Negativbetrag geführt hat, den die Klägerin zunächst - freilich letztlich zu Unrecht - nach Art. 51 Abs. 4 VO Nr. 800/1999 zu zahlen hatte.

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Der beschließende Senat hat jedoch keinen vernünftigen Zweifel, dass die Rechtsprechung des EuGH, wonach der unionsrechtliche Grundsatz, nach dem die Erstattung von Beträgen, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben worden sind, nicht nur die zu Unrecht gezahlten Beträge umfasst, sondern auch deren Zinsen seit der zu Unrecht erfolgten Zahlung, in einem weiten, generellen Sinne zu verstehen ist: Hat die mitgliedstaatliche Behörde unter Verstoß gegen das Unionsrecht eine öffentlich-rechtliche Geldleistungspflicht festgesetzt, ist dem Rechtssuchenden, der einen Anspruch auf Erstattung dieser Geldleistungspflicht hat, diese ab dem Zeitpunkt ihrer Entrichtung verzinst zu erstatten. Auf die rechtliche Einordnung der Geldleistungspflicht als (Einfuhr-)Abgabe, Steuer oder - wie hier - Sanktion kommt es nicht an.

21

Unionsrechtlich zweifelhaft erscheint dem beschließenden Senat allerdings, ob die vorstehend beschriebene Pflicht der Mitgliedstaaten auch in Fällen besteht, in denen der Grund für die Erstattung nicht ein vom EuGH festgestellter Verstoß der Rechtsgrundlage gegen das Unionsrecht, sondern eine vom EuGH getroffene Auslegung einer (Unter-)Position der Kombinierten Nomenklatur ist. Der zu betrachtende Rechtsstreit ist nämlich dadurch gekennzeichnet, dass der EuGH - im Unterschied zu den Sachverhalten, die den Entscheidungen des Gerichtshofs in den Rechtssachen C-365/15 (Wortmann), C-565/11 (Irimie) und C-113/10 (Zuckerfabrik Jülich) zugrunde lagen - die Rechtsgrundlage, auf die das beklagte Hauptzollamt die gegenüber der Klägerin festgesetzte Sanktion gestützt hatte, nicht wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht für ungültig oder unanwendbar erklärt hat. Vielmehr hat der EuGH auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats mit Urteil vom 24.11.2011 (verbundene Rechtssachen C-323/10 bis C-326/10) die Unterposition 0207 1210 bzw. 0207 1290 des Anhangs I der Verordnung Nr. 3846/87 zur Erstellung einer Nomenklatur der landwirtschaftlichen Erzeugnisse für Ausfuhrerstattungen - eine Vorschrift des Sekundärrechts - (lediglich) ausgelegt.[1]

22

Der beschließende Senat neigt indes einem Verständnis zu, dass der vom EuGH aus dem Unionsrecht abgeleitete Zinsanspruch nicht auf Fallkonstellationen beschränkt ist, in denen der Gerichtshof die Rechtsgrundlage für die Zahlungspflicht im nationalen Recht oder Unionsrecht für unanwendbar oder nichtig erklärt, weil diese gegen (höheres) Unionsrecht verstößt. Der vom EuGH mehrfach hervorgehobene Gesichtspunkt der Kompensation der Vermögensnachteile, die der Einzelne aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit von Geldbeträgen erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 27.09.2012, Zuckerfabrik Jülich, verbundene Rechtssachen C-113/10, C-147/10 und C-234/10, Rz. 65; Urteil vom 18.04.2013, Irimie, C-565/11, Rz. 21), dürfte vielmehr auch auf den Ausgangsfall zutreffen. Auch die Klägerin hat nämlich dadurch Einbußen erlitten, dass ihr die finanziellen Mittel, die sie zur Zahlung der zu Unrecht festgesetzten Sanktionen aufbringen musste, nicht als liquide Mittel zur Verfügung standen.

23

Dass auch in einem Fall wie dem der Klägerin der Rechtssuchende einen Anspruch darauf hat, dass die unionsrechtswidrig festgesetzten Beträge zuzüglich Zinsen zu erstatten sind (vgl. EuGH, Urteil vom 19.07.2012, Littlewoods Retail u.a., C-591/10, Rz. 26; Urteil vom 27.09.2012, Zuckerfabrik Jülich, verbundene Rechtssachen C-113/10, C-147/10 und C-234/10, Rz. 66), dürfte sich zudem auch aus dem Umstand ergeben, dass die Entschädigung für die mangelnde Verfügbarkeit des Geldes als Verpflichtung ausgestaltet sein dürfte, die akzessorisch zur Erstattung der Hauptschuld ist (vgl. zu diesem Aspekt auch Schlussanträge des Generalanwalts Sánchez-Bordona in der Rechtssache C-365/15, Wortmann, Rz. 55). Bei dieser Prämisse dürfte es dann aber keinen Unterschied machen, ob der EuGH wegen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht eine unionsrechtliche oder mitgliedstaatliche Norm für ungültig oder unanwendbar erklärt, oder ob der Verstoß gegen das Unionsrecht darin besteht, dass eine Vorschrift des Sekundärrechts von den mitgliedstaatlichen Behörden - wie der EuGH später festgestellt hat - falsch ausgelegt worden ist und der Rechtssuchende deshalb zu Unrecht Sanktionen zahlen musste. In beiden Konstellationen dürfte der Gerichtshof die Wirksamkeit des Unionsrechts wiederhergestellt haben.

24

Der Einwand des beklagten Hauptzollamtes, der Klägerin habe zunächst kein Anspruch auf die Gewährung von Ausfuhrerstattung zugestanden, die Festsetzung einer Sanktion sei daher zunächst rechtmäßig gewesen, da die Auslegung und das Verständnis der Unterpositionen der Kombinierten Nomenklatur im Einklang mit der nationalen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gestanden habe, dürfte vorliegend mit Blick auf den von der Klägerin geltend gemachten Zinsanspruch keine andere rechtliche Würdigung zulassen. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH wird durch die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV vornimmt, erläutert und erforderlichenfalls verdeutlicht, in welchem Sinn und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre (siehe nur EuGH, Urteil vom 22.10.1998, C-10/97 bis C-22/97, Rz. 23). Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschrift in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschrift betreffenden Streit vorliegen (EuGH, Urteil vom 22.10.1998, verbundene Rechtssachen C-10/97 bis C-22/97, Rz. 23). So dürfte der Fall auch hier liegen. Die vom EuGH in seinem Urteil vom 24.11.2011 (verbundene Rechtssachen C-323/10 bis C 326/10, Gebr. Stolle und Doux Geflügel) vorgenommene Auslegung der Unterposition 0207 1210 bzw. 0207 1290 des Anhangs I der Verordnung Nr. 3846/87 wirkt ex-tunc mit der Folge, dass die gegenüber der Klägerin festgesetzte Sanktion von Anfang an unionsrechtswidrig und damit unter Verstoß gegen das Unionsrecht festgesetzt war.

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Der beschließende Senat hat schließlich bedacht, dass der EuGH in seinem Urteil vom 18.01.2017 (Wortmann, C-365/15) Sachverhalte aufgezeigt hat, bei denen eine spätere Korrektur der zunächst in nicht zutreffender Höhe festgesetzten Abgaben keinen Zinsanspruch auslöst (Rz. 29 ff. des Urteils). Diesen Sachverhalten ist gemein, dass die Neuberechnung der Abgaben mit der Folge der Erstattung bzw. Nacherhebung der Abgaben auf der Grundlage nachträglicher Informationen erfolgt. Im Streitfall indes erfolgte die Erstattung der Sanktion nicht aufgrund nachträglicher (tatsächlicher) Informationen, sondern aufgrund - angesichts der vom EuGH vorgenommenen Auslegung der Position der Kombinierten Nomenklatur - geläuterter Rechtserkenntnis.

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Angesichts der vorstehend dargelegten Zweifel an der Auslegung des einschlägigen Unionsrechts hat der Senat beschlossen, dem EuGH die im Tenor genannte erste Frage im Wege des Vorabentscheidungsersuchens vorzulegen.

2. Zur zweiten Vorlagefrage: Zinsen auf die verzögert ausbezahlten Ausfuhrerstattungen

27

Es gibt im Unionsrecht keine Vorschrift, die einen Zinsanspruch für den Fall vorsieht, dass eine Ausfuhrerstattung zu Unrecht verzögert ausbezahlt wird. In der Verordnung Nr. 800/1999 ist lediglich geregelt, dass die Zahlung der Ausfuhrerstattung von den zuständigen Behörden innerhalb von drei Monaten ab dem Tag getätigt wird, an dem sie über alle zur Bearbeitung der Unterlagen erforderlichen Angaben verfügen (vgl. Art. 49 Abs. 8 VO Nr. 800/1999). Diese Regelung, die Wettbewerbsverzerrungen unter den Mitgliedstaaten vermeiden soll (vgl. 61. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 800/1999), verhält sich jedoch nicht zu der Frage, welche Rechte dem Ausführer zustehen, wenn die Frist des Art. 49 Abs. 8 VO Nr. 800/1999 abgelaufen und die mitgliedstaatliche Behörde die Ausfuhrerstattung nicht ausbezahlt hat.

28

In Ermangelung einer Regelung des Unionsrechts dürfte es somit grundsätzlich der innerstaatlichen Rechtsordnung des einzelnen Mitgliedstaates zukommen, die Bedingungen für die Zahlung von Zinsen für verzögert ausbezahlte staatliche Subventionen zu regeln. Insoweit ist festzustellen, dass das nationale Recht keinen allgemeinen Rechtsgrundsatz auf (angemessene) Verzinsung rückständiger staatlicher Leistungen, sondern lediglich eine Verzinsung nach Maßgabe genau umschriebener Tatbestände kennt. Auf die Vorschrift des § 236 AO, die über § 14 Abs. 2 MOG auf Ansprüche auf Vergünstigungen, zu denen auch Ausfuhrerstattungen gehören (§ 6 Abs. 1 Nr. 1a MOG), anwendbar ist, kann sich die Klägerin im Streitfall aber nicht berufen, da der vom beklagten Hauptzollamt verzögert erfüllte Anspruch auf Gewährung von Ausfuhrerstattungen nicht rechtshängig war.

29

Der beschließende Senat geht davon aus, dass die vorstehend beschriebenen nationalen Bedingungen für die Zahlung von Zinsen zwar grundsätzlich in der Verantwortung des einzelnen Mitgliedstaates liegen, dass die Bedingungen der jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung indes u.a. dem Grundsatz der Effektivität entsprechen müssen (vgl. bez. der Zuteilung von Emissionszertifikaten: EuGH, Urteil vom 22.02.2018, Ineos Köln GmbH, C-572/16, Rz. 42). Denn auch diese Bedingungen dürfen nach der Einschätzung des Senats nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt - hierzu dürfte auch der fristgerecht erfüllte Anspruch auf Auszahlung der Ausfuhrerstattung nach Maßgabe der Verordnung Nr. 800/1999 zählen -, praktisch unmöglich machen. Ob freilich vorliegend die vom Mitgliedstaat aufgestellten Bedingungen für die Verzinsung verzögert ausbezahlter Ausfuhrerstattungen dem Grundsatz der Effektivität genügen, erscheint dem beschließenden Senat nicht frei von Zweifeln zu sein.

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Da die Klägerin für die ausgeführten Geflügelschlachtkörper Ausfuhrerstattungen, auf die sie nach dem Unionsrecht einen Anspruch hatte, zeitlich erst stark verzögert ausbezahlt bekam, hat sie Einbußen aufgrund der mangelnden Verfügbarkeit dieser Geldbeträge erlitten; sie dürfte sich damit in einer ähnlichen Situation befunden haben wie ein Abgabenpflichtiger, der unter Verstoß gegen das Unionsrecht zur Entrichtung von Abgaben herangezogen wird.

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Der EuGH hat in seinem Urteil in der Rechtssache Wortmann (Urteil vom 18.01.2017, C-365/15) den Gesichtspunkt der "gewissen Symmetrie" (Rz. 29 des Urteils) zwischen der Lage der Wirtschaftsteilnehmer, die aufgrund eines Fehlers unionsrechtswidrig einen Vorteil erlangt haben, und der Lage der Wirtschaftsteilnehmer, die aufgrund eines Fehlers unionsrechtswidrig einen Nachteil erlitten haben, betont. Ausweislich des 65. Erwägungsgrundes der Verordnung Nr. 800/1999 ist, um die Gleichbehandlung aller Ausführer in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, hinsichtlich der Ausfuhrerstattung ausdrücklich vorzusehen, dass jeder zu Unrecht gezahlte Betrag vom Begünstigten mit Zinsen zurückzuzahlen ist. Entsprechend dieser unionsrechtlichen Vorgabe hat der nationale Gesetzgeber in § 14 Abs. 1 Satz 1 MOG bestimmt, dass Ansprüche auf Erstattung von Vergünstigungen vom Zeitpunkt ihrer Entstehung an zu verzinsen sind. Eine am Grundsatz der Symmetrie orientierte Ausgestaltung der innerstaatlichen Rechtsordnung könnte gebieten, dass ein Wirtschaftsteilnehmer ebenfalls einen Zinsanspruch bereits ab dem Zeitpunkt der unrechtmäßigen Versagung der Ausfuhrerstattung beanspruchen kann, anderenfalls der vom EuGH hervorgehobene Gesichtspunkt der "gewissen Symmetrie" zwischen der Lage des Wirtschaftsbeteiligten und der Lage der Zollverwaltung - wie der vorliegende Fall anschaulich zeigen dürfte - nur höchst unvollkommen verwirklicht wäre.

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Allerdings hat der Mitgliedstaat in § 14 Abs. 2 MOG wenigstens geregelt, dass Ansprüche auf Vergünstigungen ab Rechtshängigkeit nach Maßgabe der §§ 236, 238 und 239 AO zu verzinsen sind. Dem Wirtschaftsteilnehmer steht somit zumindest zum Teil eine angemessene Entschädigung für die finanziellen Einbußen zu, die er dadurch erlitten hat, dass der Mitgliedstaat in unionsrechtswidriger Weise die Ausfuhrerstattungen verspätet ausbezahlt hat. Freilich bleibt diese Entschädigungsoption dem Wirtschaftsteilnehmer verschlossen, der - wie die Klägerin - den Anspruch auf Ausfuhrerstattung nicht rechtshängig gemacht hat.

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Dass ein Wirtschaftsbeteiligter seinen Anspruch auf Ausfuhrerstattungen nicht auch gerichtlich verfolgt, sondern lediglich mit einem Rechtsbehelf auf der ersten Stufe (vgl. Art. 44 Abs. 2 lit. a) UZK bzw. Art. 243 Abs. 2 lit. a) ZK) gegenüber der mitgliedstaatlichen Zollbehörde geltend macht, kommt in der Praxis häufig im Hinblick darauf vor, dass die Beteiligten - wie im Übrigen auch die Klägerin und das beklagte Hauptzollamt - den Ausgang eines gerichtlichen Musterverfahrens abwarten. Dieses prozessökonomische Verhalten ist dann für den Wirtschaftsbeteiligten mit der Konsequenz verbunden, dass er bei einem für ihn positiven Ausgang des Musterverfahrens nach nationalem Recht keine Zinsen beanspruchen kann. Diese rechtliche Konsequenz dürfte sich allein mit der Überlegung rechtfertigen, dass es sich bei der Entscheidung, den Anspruch auf Ausfuhrerstattung (auch) gerichtlich zu verfolgen oder aber den Ausgang eines Musterverfahrens abzuwarten, um eine autonome Entscheidung des Wirtschaftsbeteiligten handelt, der dann auch die rechtlichen Folgen dieser von ihm zu verantwortenden Entscheidung - den Verzicht auf einen Zinsanspruch nach § 236 AO - zu tragen hat.

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Es ließe sich schließlich erwägen, dass der Grund für die Zuerkennung von Zinsen (wohl auch) in einem Bereicherungsverbot liegt (vgl. Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston vom 27.10.2011 in den verbundenen Rechtssachen C-113/10, C-147/10 und C-234/10, Zuckerfabrik Jülich u.a., Rz. 125). Wenn der Mitgliedstaat von einem Wirtschaftsbeteiligten einen Betrag erhält, auf den der Mitgliedsstaat keinen Rechtsanspruch hatte, ist dieser ungerechtfertigt bereichert. In der Rechtssache Masdar (Urteil vom 16.12.2008, C-47/07 P) hat der Gerichtshof festgestellt, dass eine Person, die einen Verlust erlitten hat, der zu einem Vermögenszuwachs bei einer anderen Person geführt hat, ohne dass ein Rechtsgrund für diese Bereicherung besteht, im Allgemeinen gegen den Bereicherten einen Herausgabeanspruch bis zur Höhe dieses Verlustes hat (Rz. 44 des Urteils). Eine - wie im Ausgangsfall - verspätete Auszahlung der Ausfuhrerstattung führt indes zu keiner Bereicherung des Mitgliedstaates, da dieser über einen begrenzten Zeitraum lediglich Aufwendungen erspart. Damit dürfte ein bereicherungsrechtlicher Grund für die Zuerkennung von Zinsen fehlen.

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Angesichts der vorstehend dargelegten Zweifel an der Auslegung des einschlägigen Unionsrechts hat der Senat beschlossen, dem EuGH die im Tenor genannte zweite Frage im Wege des Vorabentscheidungsersuchens vorzulegen.

[1] Im konkreten Fall stellte der Gerichtshof klar, dass die Unterposition 0207 1210 bzw. 0207 1290 so auszulegen ist, dass ein Geflügelschlachtkörper, dem nach Durchlaufen des maschinellen Rupfvorgangs noch einige kleine Kielfedern, Federn, Federenden und Haarfedern anhaften, von der Unterposition 0207 1210 erfasst wird, sofern diese Reste mit dem Beschaffenheitsmerkmal eines bratfertigen Hähnchens und mit einer gesunden und handelsüblichen Qualität vereinbar sind (Leitsatz 3 und Rz. 87) bzw. dass eine unregelmäßige Zusammensetzung dadurch gekennzeichnet ist, dass dem Geflügelschlachtkörper insgesamt bis zu vier der dort bezeichneten Innereien - einfach oder mehrfach - beigegeben sein dürfen (Leitsatz 2 und Rz. 93).

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