Urteil vom Finanzgericht Hamburg (6. Senat) - 6 K 188/18

Tatbestand

1

Streitig ist, in welchem Umfang bei der Einkommensteuer 2013 eine ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigt werden kann.

2

Die Kläger sind Eheleute und werden zusammen veranlagt. U.a. erklärten sie in ihrer elektronisch übermittelten Einkommensteuererklärung für 2013 vom 18. November 2014 Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Die Steuerpflichtigen reichten im Nachgang zur elektronisch übermittelten Steuererklärung weitere Unterlagen ein. Daraus ergab sich, dass es sich bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb im Wesentlichen um einen vorläufig ermittelten (noch nicht gesondert und einheitlich festgestellten) Veräußerungsgewinn nach § 16 Abs. 2 EStG in Höhe von … Euro aus der Veräußerung des Kommanditanteils an der A GmbH und Co. KG sowie einen Veräußerungsverlust nach § 17 Abs. 2 EStG in Höhe von … Euro aus der Veräußerung der Anteile an der Verwaltungsgesellschaft B GmbH handelte.

3

Mit Einkommensteuerbescheid vom 19. Januar 2015 setzte der Beklagte die Einkommensteuer für 2013 auf … Euro fest. Dabei berücksichtigte der Beklagte den Veräußerungsgewinn und den Veräußerungsverlust in der oben genannten Höhe. Ein ermäßigter Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG wurde dabei nicht angewandt. Der laufende Gewinn aus Beteiligungen wurde mit 0 Euro festgesetzt. Der Bescheid erging nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

4

Mit Änderungsbescheid vom 24. November 2015 setzte der Beklagte die Einkommensteuer auf … Euro herauf, nachdem am 5. November 2015 ein Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG für 2013 für die A GmbH und Co. KG ergangen war, aus dem sich ein Veräußerungsgewinn in Höhe von … Euro ergab. Der dort festgestellte laufende Gewinn von … Euro wurde nicht in den Einkommensteuerbescheid übernommen. Der Feststellungsbescheid selbst beruhte auf der am 29. Juni 2015 eingegangenen Feststellungserklärung.

5

Am 30. November 2015 rief der Steuerberater der Kläger beim Beklagten an und teilte mit, dass ihm aufgefallen sei, dass bereits im Erstbescheid vom 19. Januar 2015 auf den Veräußerungsgewinn kein ermäßigter Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG gewährt worden sei.

6

Mit Schreiben vom 10. Dezember 2015 erhoben die Kläger Einspruch gegen den Änderungsbescheid. Zur Begründung führten sie aus, der Bescheid berücksichtige den Antrag auf Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf den Veräußerungsgewinn nicht. Vorsorglich werde der Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG wiederholt.

7

Mit Bescheid vom 23. Dezember 2015 änderte der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 2013 dahingehend, dass die ursprüngliche Einkommensteuer festgesetzt wurde. Dabei berücksichtigte der Beklagte den Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG, verwies aber auf den ihm gesetzten Änderungsrahmens nach § 177 der Abgabenordnung (AO), der nur eine Herabsetzung der Steuer auf die ursprüngliche Höhe erlaube.

8

Die Kläger hielten ihren Einspruch aufrecht. Der ermäßigte Steuersatz müsse auf den vollen Veräußerungsgewinn angewandt werden. Der Einkommensteuerbescheid könne wegen einer offenbaren Unrichtigkeit bzw. neuen Tatsachen geändert werden. Es habe einen Fehler gegeben. Dieser sei folgendermaßen zustanden gekommen: Die Steuerberatungskanzlei arbeite mit xxx zusammen. Die Steuerklärung sei lokal in der Kanzlei gespeichert und werde dann mit Hilfe von xxx an den Beklagten übermittelt. Die Mitarbeiterin des Steuerberaters habe die ermäßigte Steuer für den Veräußerungsgewinn 1 im Programm beantragt. Das sei nach ihrem Verständnis der Veräußerungsgewinn gewesen, der in der ersten Zeile unter der „Anlage G Veräußerungsgewinne – steuerpflichtige“ ausgewiesen sei. Leider seien die Veräußerungsgewinne falsch herum nummeriert gewesen (in Zeile 1 habe der Veräußerungsgewinn 2 (§ 16 EStG) gestanden und in Zeile 2 der Veräußerungsgewinn 1 (§ 17 EStG)), so dass der Antrag auf ermäßigte Steuer dem Veräußerungsgewinn nach § 17 EStG zugeordnet worden sei. Dort sei der Antrag nicht relevant gewesen und dem Beklagten auch nicht übermittelt worden. Daher sei der Antrag gestellt worden, jedoch aufgrund eines Datenübermittlungsfehlers nicht dem Beklagten übermittelt worden. Es werde daher Wiedereinsetzung beantragt und beantragt, dass diese offensichtliche Unrichtigkeit berichtigt werde. Es liege ein mechanisches Versehen der Mitarbeiterin der Kanzlei vor. Jedenfalls müsse der Steuerbescheid aufgrund nachträglich bekannt gewordener Tatsachen geändert werden. Es liege kein grobes Verschulden vor, weil es sich um eine reine Nachlässigkeit gehandelt habe.

9

Mit Einspruchsentscheidung vom 10. August 2018 wies der Beklagte den Antrag zurück. Soweit eine Wiedereinsetzung in die Einspruchsfrist beantragt werde, fehle es an näheren Darlegungen zu den Gründen für die Versäumnis. Es liege keine offenbare Unrichtigkeit vor. Er, der Beklagte, habe keine erkennbare Unrichtigkeit als eigene übernommen. Weder der Steuererklärung noch den Anlagen sei zu entnehmen gewesen, dass ein Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG habe gestellt werden sollen. Es liege auch keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache vor, weil die Ausübung eines Wahlrechts keine Tatsache darstelle. Selbst wenn man annähme, dass ein Wahlrecht – nur an der falschen Stelle – mit der Steuererklärung ausgeübt worden sei und zudem diesen Umstand als Tatsache beurteilen würde, läge jedenfalls ein grobes Verschulden vor, weil die Mitarbeiterin des Steuerberaters bei der Eintragung in das Formular nachgedacht habe (also kein Flüchtigkeitsfehler vorliege) und im Nachhinein kein Einspruch eingelegt worden sei, obwohl sich bei Prüfung des Steuerbescheides hätte aufdrängen müssen, dass die Steuer nach § 34 Abs. 1 EStG und nicht nach § 34 Abs. 3 EStG berechnet worden sei. Es hätte aufgrund der eigenen Steuerberechnung und der sich daraus ergebenden Steuerhöhe auffallen müssen, dass ein Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG nicht berücksichtigt worden sei. Es habe ein grobes Verschulden vorgelegen, weil es sich nicht um einen Flüchtigkeitsfehler gehandelt habe und innerhalb der Einspruchsfrist der Fehler hätte bemerkt werden können.

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Die Kläger haben am 12. September 2018 Klage erhoben. Zur Begründung führen sie vertiefend aus: Der gesamte Veräußerungsgewinn dürfe nur ermäßigt nach § 34 Abs. 3 EStG besteuert werden. Es habe ein Datenübermittlungsfehler vorgelegen, so dass Wiedereinsetzung zu gewähren sei. Es sei ein Antrag auf Anwendung des Freibetrages und des ermäßigten Steuersatzes gestellt worden, der den Beklagten nicht erreicht habe – wie sich im Laufe des Prozesses herausgestellt habe. Die gesetzliche Frist zur Antragstellung sei versäumt worden. Auf diese sei § 110 AO anwendbar. Dieses Versäumnis sei aber entschuldbar, weil für die Mitarbeiterin des Steuerberaters nicht erkennbar gewesen sei, dass der Antrag das Finanzamt nicht erreichen würde. Unmittelbar nach Kenntniserlangung hätten sie, die Kläger, den Antrag auf Wiedereinsetzung gestellt. Wenn bei der Abgabe der Steuererklärung auf Papier die Seite mit dem Antrag verloren gehe, werde Wiedereinsetzung gewährt. Dies müsse bei der elektronischen Übermittlung gleichermaßen gelten. Im Übrigen liege kein Organisationsverschulden vor, weil die Mitarbeiterin sorgfältig ausgewählt worden sei und eine berufsübliche Arbeitsorganisation vorgelegen habe.

11

Auch müsse der Einkommensteuerbescheid wegen des Vorliegens neuer Tatsachen geändert werden. Tatsache könne alles sein, was Merkmal oder Teilstück eines steuergesetzlichen Tatbestandes sein könne. Tatsache sei daher auch, dass mit der Eintragung der Ziffer 1 im xxx-Programm ein Antrag auf Gewährung des Freibetrages und des ermäßigten Steuersatzes gestellt worden sei. Es sei ein rein mechanischer Fehler unterlaufen, so dass kein grobes Verschulden vorgelegen habe. Für die zuständige Mitarbeiterin sei schuldfrei nicht erkennbar gewesen, dass eine fehlerhafte Zuordnung vorgelegen habe. Das xxx-Programm sei ausgesprochen verwirrend. Es sei auch kein grobes Verschulden darin zu sehen, dass ein Einspruch nicht eingelegt worden sei, weil aus der eigenen Steuerberechnung die Abweichung zum Steuerbescheid hätte ersichtlich sein müssen. Eine solche Abweichung habe nicht vorgelegen, weil auch in den Berechnungen der xxx der ermäßigte Steuersatz nicht berücksichtigt worden sei. Der normale Steuerberater verfüge nicht mehr über die Fähigkeit, anhand der ins Programm eingegebenen Daten den Steuerbetrag halbwegs genau „über den Daumen“ zu abzuschätzen. Selbst wenn ein Verschulden der Mitarbeiterin vorgelegen habe, sei dieses nicht zuzurechnen, weil die Mitarbeiterin sorgfältig ausgewählt und fortgebildet worden sei.

12

Hilfsweise müsse der Einkommensteuerbescheid wegen offenbarer Unrichtigkeit geändert werden. Der Mitarbeiterin des Steuerberaters sei ein reiner Eingabefehler unterlaufen. Dies gelte, auch wenn – wie sich im Laufe des Prozesses herausgestellt habe – der Antrag wegen der EDV-Funktionalitäten den Beklagten nicht erreicht habe. Zudem sei eine solche Antragstellung die Regel, wenn der Steuerpflichtige den einzigen ihm verbliebenen großen Vermögensgegenstand veräußere und die Altersgrenze erreicht habe. Es hätte sich dem Beklagten aufdrängen müssen, dass ein Antrag bei § 16 EStG hätte gestellt sein sollen. Bei § 17 EStG, bei dem ein Verlust zu verzeichnen gewesen sei, hätte ein solcher Antrag keinen Sinn gemacht.

13

Während des gerichtlichen Verfahrens hat der Beklagte mit Datum vom 12. August 2020 einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2013 erlassen. Die Einkommensteuer ist auf … Euro festgesetzt worden. Der Veräußerungsgewinn ist mit … Euro angesetzt worden. Zusätzlich sind laufende Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von … Euro angesetzt worden. Dieser Änderung hat eine Änderung des Bescheides für 2013 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG für die A GmbH und Co. KG vom 7. April 2020 zugrunde gelegen.

14

Die Klägerseite macht insoweit geltend, dass ihnen die Grundlagenbescheide nicht bekannt gegeben worden seien. Ein laufender Gewinn der A GmbH & Co. KG sei erstmals mit … Euro im Bescheid vom 5. November 2015 festgesetzt worden. Der laufende Gewinn könne nicht mehr berücksichtigt werden, weil der Einkommensteuerbescheid vom 27. November 2015 und der Bescheid vom 23. Dezember 2015 einen solchen laufenden Gewinn nicht enthalten hätten. Inzwischen sei Festsetzungsverjährung eingetreten. Der Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG hätte zudem berücksichtigt werden müssen.

15

Die Klägerseite hat am 12. August 2020 einen Antrag auf ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG gestellt.

16

Mit Bescheid vom 24. August 2020 hat der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 2013 abermals geändert. Die Einkommensteuer hat er auf … Euro festgesetzt. Den Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG hat der Beklagte bei der Berechnung einbezogen und eine danach eine festzusetzende Einkommensteuer von … Euro errechnet. Wegen der Änderungsbeschränkung des § 177 AO, die nach Ansicht des Beklagten vorlag, hat er die Einkommensteuer auf … Euro festgesetzt.

17

Die Klägerseite meint, dass es wegen des neu aufgelebten Wahlrechts keine Begrenzung nach § 177 AO gebe. Jedenfalls sei der Änderungsrahmen nach § 177 AO falsch bestimmt worden. Der Änderungsrahmen bestehe zwischen der Differenz von der am höchsten festgesetzten Steuer von … Euro zur niedrigsten festgesetzten Steuer von … Euro mithin … Euro. Der materielle Fehler könne daher vollumfänglich korrigiert werden. Bei der Bestimmung des Änderungsrahmens seien Änderungen durch Grundlagenbescheide nicht zu berücksichtigen. Mehr- oder Mindersteuern, die sich aus der gleichzeitigen Aufhebung oder Änderung zu Ungunsten oder zu Gunsten des Steuerpflichtigen ergäben, seien nicht miteinander zu saldieren, sondern jeweils getrennt mit den aus der Fehlerberichtigung resultierenden Mehr- oder Mindersteuern zu verrechnen. Die zutreffende Steuer sei damit … Euro.

18

Die Kläger beantragen,
den angefochtenen Bescheid zu ändern und die Einkommensteuer unter Berücksichtigung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 3 EStG auf den vollen Veräußerungsgewinn
- ohne Anwendung des § 177 AO und
- ohne Berücksichtigung geänderter Grundlagenbescheide für die A GmbH und Co. KG und
- unter Ansatz eines laufenden Gewinns aus der A GmbH und Co. KG in Höhe von … Euro nur im Veränderungsrahmen des § 177 AO neu festzusetzen.

19

Der Beklagte beantragt sinngemäß,
die Klage abzuweisen.

20

Ein Antrag sei in der bei ihm, dem Beklagten, eingegangenen Einkommensteuererklärung nicht enthalten gewesen. Der Bearbeiter im Finanzamt sehe das, was der Sender der Erklärung bei Absendung sehe nämlich den sog. Hauptvordruck. In diesem sei kein Antrag erkennbar gewesen, dieser ergebe sich auch nicht aus den Kennziffern im Hauptvordruck.

21

Der Antrag sei erst im Rahmen des Einspruchs gegen den Änderungsbescheid gestellt worden. Eine Wiedereinsetzung scheitere daran, dass die Entscheidung keinen Einspruch gegen den ursprünglichen Bescheid einzureichen, auf einem nicht entschuldbaren Irrtum beruhe. Der Vergleich mit einer eingereichten Steuererklärung in Papierform hinke, weil in der Konstellation die Seite existiert habe, hier aber der Antrag gar nicht gestellt worden sei. Es liege keine offenbare Unrichtigkeit vor, weil er, der Beklagte, eigene Rechtsüberlegungen hätte anstellen müssen über die Frage, ob ein anderer Antrag den steuerlichen Interessen besser entsprochen hätte. Damit scheide ein reiner Übernahmefehler aus. Eine Änderung wegen einer nachträglich bekannt gewordenen Tatsache scheide aus, weil die Ausübung eines Wahlrechts keine Tatsache darstelle.

22

Der ursprüngliche Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2013 bezüglich der A GmbH und Co. KG sei zwar tatsächlich nicht wirksam bekanntgegeben worden, dies sei nunmehr mit der Übersendung am 12. August 2020 nachgeholt worden. Dies gelte auch für den geänderten Bescheid in dieser Sache, der ebenfalls den Klägern nunmehr übermittelt werde. In der Sache beruhe die Änderung des Grundlagenbescheides auf einer Außenprüfung und sei mit einem Einspruch angegriffen, so dass der Ablauf der Feststellungsverjährung gehemmt sei.

23

Da im Prozess ein Antrag auf ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 3 EStG eingegangen sei, könne dieser in dem Umfang berücksichtigt werden, in dem der Berichtigungsrahmen durch die Änderung eröffnet sei. Eine Berücksichtigung des materiellen Fehlers sei nur soweit möglich, wie die steuerliche Auswirkung innerhalb des Berichtigungsrahmens liege, den eine Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheides auslöse. Die Untergrenze des Berichtigungsrahmens liege bei … Euro. Denn so hoch sei die ursprüngliche Steuer im Bescheid vom 19. Januar 2015 festgesetzt worden.

24

Im Prozess ist nicht vorgetragen worden, dass gegen die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 2013 bezüglich der B GmbH von der Klägerseite Einspruch eingelegt worden wäre.

25

Der Senat hat das Verfahren mit Beschluss vom 14. Februar 2020 auf die Einzelrichterin übertragen.

26

Entscheidungsgründe

27

I. Die Entscheidung konnte durch die Einzelrichterin ohne mündliche Verhandlung ergehen, weil der Senat den Rechtsstreit auf diese übertragen hat, vgl. § 6 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und die Beteiligung einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt haben, vgl. § 90 Abs. 2 FGO.

28

II. Die zulässige Klage ist unbegründet.

29

Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2013 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 24. August 2020, der nach § 68 Abs. 1 Satz 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden ist, ist nicht rechtswidrig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, vgl. § 100 Abs. 1 FGO. Der Beklagte musste bei dem angefallenen Veräußerungsgewinn nur im Änderungsrahmen des § 177 AO den ermäßigten Steuersatz gemäß § 34 Abs. 3 Satz 1 EStG anwenden und hat die Untergrenze des Änderungsrahmens zutreffend ermittelt (1.). Der laufende Gewinn von … Euro musste in voller Höhe berücksichtigt werden (2.).

30

1. Nach § 34 Abs. 3 Satz 1 EStG kann die Steuer auf außerordentliche Einkünfte auf Antrag unter bestimmten Voraussetzungen nach einem ermäßigten Steuersatz bemessen werden. Bei der Abgabe der Steuererklärung ist vorliegend kein wirksamer Antrag im Sinne der Norm gestellt worden und dieser Fehler war keiner Behebung zugänglich (a)). Der Antrag vom 12. August 2020 konnte nur im Rahmen des von § 177 AO vorgegebenen Änderungsrahmens berücksichtigt werden, den der Beklagte zutreffend ermittelt hat (b)).

31

a) Mit der Steuererklärung ist kein wirksamer Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG gestellt worden und Korrekturvorschriften oder eine Wiedereinsetzung kommen nicht in Betracht.

32

Der von der Mitarbeiterin im Programm des Steuerberaters der Antragsteller eingegebenen Antrag wurde dem Beklagten nicht übermittelt (aa)), es lag kein Übernahmefehler des Beklagten nach § 129 AO vor (bb)), § 173a AO galt im streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht (cc)), die Voraussetzungen einer Änderung des Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind ebenfalls nicht gegeben (dd)) und schließlich kam auch keine Wiedereinsetzung nach § 110 AO in Betracht (ee)).

33

aa) Der Antrag in der abgegebenen Steuererklärung ist dem Finanzamt nicht zugegangen.

34

Zwar hat die Mitarbeiterin einen Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG in das Programm der Steuerberatungskanzlei eingegeben, aber dieser Antrag ist nicht beim Beklagten – auch nicht in falsch zugeordneter Form – eingegangen. Weder war aus dem Hauptvordruck noch aus den Kennziffern ein Antrag erkennbar. Vielmehr ist dieser – von der Mitarbeiterin in die Maske eingegebene Antrag – elektronisch anscheinend als nicht relevant verarbeitet worden und daher gelöscht worden, so dass er im Hauptvordruck nicht mehr auftauchte. Dies ist zwischen den Beteiligten nunmehr auch unstreitig.

35

bb) Es lag kein Übernahmefehler nach § 129 AO des Beklagten vor.

36

Nach Satz 1 dieser Vorschrift kann – und muss bei berechtigtem Interesse (S. 2) – die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, jederzeit berichtigen. Ähnliche offenbare Unrichtigkeiten sind mechanische Fehler, die ebenso mechanisch, d.h. ohne weitere Prüfung, erkannt und berichtigt werden können (BFH, Urteil vom 10. Dezember 2019, IX R 23/18, DStR 2020, 289, juris, Rn. 19; BFH, Urteil vom 24.1.2019, V R 32/17, DStRE 2019, 717). Dagegen zählen zu solchen offenbaren Unrichtigkeiten nicht Fehler bei der Auslegung oder Anwendung einer Rechtsnorm, eine unrichtige Tatsachenwürdigung oder die unzutreffende Annahme eines in Wirklichkeit nicht vorliegenden Sachverhalts. Dabei ist § 129 AO schon dann nicht anwendbar, wenn auch nur die ernsthafte Möglichkeit besteht, dass die Nichtbeachtung einer feststehenden Tatsache auf einer fehlerhaften Tatsachenwürdigung oder einem sonstigen sachverhaltsbezogenen Denk- oder Überlegungsfehler gründet oder auf mangelnder Sachverhaltsaufklärung beruht (BFH, Urteil vom 10. Dezember 2019, IX R 23/18, DStR 2020, 289, juris, Rn. 19; BFH, Urteil vom 24.1.2019, V R 32/17, DStRE 2019, 717 m.w.N.). Auch Fehler bei Eintragungen in Eingabewertbögen für die automatische Datenverarbeitung oder Eingaben in Computerprogramme können als rein mechanische Versehen offenbare Unrichtigkeiten sein, etwa bei Verwendung falscher Schlüsselzahlen oder dem Übersehen notwendiger Eintragungen (BFH, Beschluss vom 6. Februar 2008, VII B 23/07, BFH/NV 2008, 814, juris, Rn. 7; vgl. auch BFH, Urteil vom 10. Dezember 2019, IX R 23/18, DStR 2020, 289, juris, Rn. 19).

37

Da die Unrichtigkeit nicht aus dem Bescheid selbst erkennbar sein muss, ist § 129 AO nach ständiger Rechtsprechung auch dann anwendbar, wenn das Finanzamt offenbar fehlerhafte Angaben des Steuerpflichtigen als eigene übernimmt (BFH, Urteil vom 16. September 2015, IX R 37/14, BStBl. II 2015, 1040, juris, Rn. 16). Unrichtigkeiten auf der Seite des Steuerpflichtigen sind offenbar, wenn sie sich ohne weiteres aus der Steuererklärung des Steuerpflichtigen, deren Anlagen sowie den in den Akten befindlichen Unterlagen für das betreffende Veranlagungsjahr ergeben (BFH, Urteil vom 16. September 2015, IX R 37/14, BStBl. II 2015, 1040, juris, Rn. 16). Der Fehler muss dabei für jeden unvoreingenommenen Dritten klar und eindeutig als offenbare Unrichtigkeit erkennbar sein (BFH, Urteil vom 3. August 2015, X R 20/15, BFH/NV 2017, 438, juris, Rn. 19 m.w.N.). In anderen Worten: Eine offenbare Unrichtigkeit liegt nicht vor, wenn die Finanzbehörde die Unrichtigkeit in der Steuererklärung des Steuerpflichtigen nicht erkennen konnte und sich deshalb nicht zu eigen machen konnte. Dann handelt es sich nicht um einen (Übernahme-)Fehler der Finanzbehörde (von Wedelstädt in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Stand: Januar 2018, § 129 AO Rn. 44).

38

Nach diesen Grundsätzen liegt kein Fehler im Sinne von § 129 AO vor. Einzig in Betracht käme ein sog. Übernahmefehler des Beklagten. Dann aber hätte sich die Unrichtigkeit (Antrag bei § 17 und nicht bei § 16 EStG gestellt) ohne weiteres aus der Steuererklärung, den Anlagen oder anderen in den Akten befindlichen Unterlagen ergeben müssen. Dies ist nicht der Fall. Weder ist aus dem dem Finanzamt übermittelten Hauptvordruck noch aus den dazu eingereichten Anlagen erkennbar, dass überhaupt ein Antrag gestellt werden sollte. Die elektronische Maske, aus der der Fehler erkennbar gewesen wäre, ist dem Beklagten nicht übermittelt worden. Aus diesem Grunde war der Fehler nicht offenbar. Dies gilt auch ohne Rücksicht darauf, ob der Sachbearbeiter verpflichtet gewesen wäre, die Kläger auf die Möglichkeit der Stellung des Antrags hinzuweisen (vgl. BFH, Urteil vom 13. Juni 1989, VIII R 174/85, BStBl. II, 1989, 789, juris, Rn. 21).

39

cc) § 173a AO galt im streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht.

40

Danach sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit dem Steuerpflichtigen bei der Erstellung seiner Steuererklärung Schreib- oder Rechenfehler unterlaufen sind und er deshalb der Finanzbehörde bestimmte, nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheids rechtserhebliche Tatsachen unzutreffend mitgeteilt hat. Diese Vorschrift ist durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens vom 18. Juli 2016 (BGBl. I, S. 1679) eingefügt worden und gilt mit Wirkung ab dem 1. Januar 2017. D.h. die Vorschrift gilt erst nach dem hier streitigen Veranlagungsjahr 2013.

41

dd) Die Voraussetzungen einer Änderung des Steuerbescheides nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind ebenfalls nicht gegeben.

42

Nach dessen Satz 1 sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Unter einer Tatsache versteht man jeden Lebenssachverhalt, der Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also tatsächliche Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (BFH, Urteil vom 31. März 1981, VII R 1/79, juris, Rn. 44; von Wedelstädt, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Stand: August 2019, § 173 AO Rn. 3). Nachträglich bekannt gewordene Tatsachen können auch vorliegen, wenn der Steuerpflichtige Tatsachen in der Steuererklärung versehentlich nicht angegeben hat und eine Berichtigung wegen offenbarer Unrichtigkeit entfällt (von Wedelstädt, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Stand: August 2019, § 173 AO Rn. 3). Die erstmalige oder geänderte Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts (Gestaltungsrechts) ist keine Tatsache, sondern eine Verfahrenshandlung (BFH, Urteil vom 13. Juni 1989, VIII R 174/85, BStBl. II, 1989, 789, juris, Rn. 23; von Wedelstädt, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Stand: August 2019, § 173 AO Rn. 22).

43

Nach diesen Maßstäben liegt schon keine Tatsache vor. Denn die Ausübung eines Gestaltungsrechts (Antragsrecht) ist ein Wahlrecht und kein Lebenssachverhalt, der dem Beweis zugänglich wäre. Die Kläger haben auch nicht versehentlich eine Tatsache in ihrer Steuererklärung nicht angegeben, sondern das ihnen zustehende Wahlrecht bei § 16 EStG nicht ausgeübt. Dass hinter dieser Nichtausübung eine Verwechslung der Zeilen im Computerprogramm stand, ist unerheblich, weil dies nichts daran ändert, dass es sich bei der Ausübung oder Nichtausübung eines Antragsrechts nicht um eine Tatsache handelt. Ein Wahlrecht ist kein Lebenssachverhalt, im Sinne eines tatsächlichen Vorgangs, sondern ein Gestaltungsrecht.

44

ee) Schließlich kam auch keine Wiedereinsetzung nach § 110 AO in Betracht.

45

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, vgl. § 110 Abs. 1 Satz 1 AO. Nach Satz 2 ist das Verschulden dem Vertretenen zuzurechnen. Nach Absatz 2 der Vorschrift ist der Antrag innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, wobei die Tatsachen zur Begründung des Antrags bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen sind und die versäumte Handlung nachzuholen ist. Unter diesen Umständen kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden. Die Voraussetzung für eine Wiedereinsetzung liegen nicht vor.

46

(1) Eine Wiedereinsetzung in die Wahlrechtsausübung ist nicht möglich, weil es sich bei der Ausübung des Wahlrechts – Antragstellung – nicht um eine gesetzliche Frist handelt. Diese setzt § 110 AO nach seinem eindeutigen Wortlaut aber voraus. Gesetzliche Fristen sind solche Fristen, die im Gesetz als solche bestimmt sind (vgl. Bruns, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Stand: April 2020, § 108 AO Rn. 16). In § 34 Abs. 3 EStG ist hingegen nur von der Antragstellung die Rede, nicht aber von einer im Gesetz dazu bestimmten Frist.

47

(2) Auch eine Wiedereinsetzung in die versäumte Einspruchsfrist ist nicht möglich. Zwar haben die Kläger nach Ergehen des ersten Bescheides am 19. Januar 2015 die Einspruchsfrist – eine gesetzliche Frist – versäumt. Nachdem – nach Ergehen des Änderungsbescheides am 24. November 2015 – aufgefallen war, dass der ermäßigte Steuersatz nicht gewährt worden war, haben die Kläger innerhalb der Monatsfrist, nämlich am 10. Dezember 2015, den Antrag nach § 34 Abs. 3 EStG nachgeholt. Aber die Fristversäumnis war schuldhaft. Ein Verschulden liegt bei einem Irrtum über materielles Recht vor. Dieser Irrtum hindert nämlich den Steuerpflichtigen nicht, die Frist zu wahren. Vielmehr lässt er diese bewusst verstreichen (BFH, Urteil vom 29. Februar 2012, IX R 3/11, juris Rn. 16ff.; Brandis, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Stand: September 2020, § 110 AO, Rn. 14 m.w.N.). Hier wurde es schuldhaft unterlassen, einen Einspruch einzulegen. Es wurde bewusst kein Einspruch eingelegt, man ließ bewusst die Bestandskraft des Bescheides eintreten. Dass man dies aufgrund einer falschen Tatsachengrundlage (Antragstellung bei § 34 Abs. 3 EStG) tat, spielt für die Frage der schuldhaften Fristversäumnis keine Rolle.

48

b) Der Antrag vom 12. August 2020 durfte nur im Änderungsrahmen von § 177 AO berücksichtigt werden (aa)). Die Untergrenze hat der Beklagte zutreffend ermittelt und die Steuer entsprechend festgesetzt (bb)).

49

aa) Die Voraussetzungen von § 177 Abs. 1 AO liegen vor. Nach dieser Vorschrift sind, wenn die Voraussetzungen für die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides zuungunsten des Steuerpflichtigen vorliegen, soweit die Änderung reicht, zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen solche materiellen Fehler zu berücksichtigen, die nicht Anlass der Aufhebung oder Änderung sind.

50

(1) Die Anwendung von § 177 Abs.1 AO setzt zunächst die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides zu Ungunsten des Steuerpflichtigen voraus. Dies ist hier der Fall.

51

Diese Voraussetzung erfüllen alle Fälle der Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden und ihnen gleichgestellter Bescheide nach den Vorschriften der Abgabenordnung (von Wedelstädt, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Stand: Mai 2018, § 177 AO Rn. 8). Das gilt auch für die Änderung eines Steuerbescheides auf Grund eines Grundlagenbescheides nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (BFH, Urteil vom 22. April 2015, X R 24/13, juris, Rn. 16; BFH, Urteil vom 14. Oktober 2009, X R 14/08, juris, Rn. 26).

52

Vorliegend wurde der Einkommensteuerbescheid 2013 auf Grund eines Grundlagenbescheides zuungunsten der Kläger geändert. Denn der Bescheid für 2013 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Abs. 4 EStG für die A GmbH und Co. KG vom 7. April 2020 stellt einen solchen Grundlagenbescheid dar (vgl. § 171 Abs. 10 Satz 1 AO) und der Einkommensteuerbescheid 2013 konnte daraufhin nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert werden.

53

(2) § 177 Abs. 1 AO erlaubt es dann, materielle Fehler zu berichtigen, die nicht Anlass der Aufhebung oder Änderung sind. Ein solcher Fehler liegt hier vor.

54

Gemäß § 177 Abs. 3 AO sind materielle Fehler im Sinne der Vorschrift alle Fehler einschließlich offenbarer Unrichtigkeiten im Sinne des § 129 AO, die zur Festsetzung einer Steuer führen, die von der kraft Gesetzes entstandenen Steuer abweicht. Ein materieller Fehler ist auch zu bejahen, wenn erst die nachträgliche, aber gleichwohl zulässige Ausübung eines Wahlrechts zu einer materiell unrichtigen Besteuerung führt (BFH, Urteil vom 3. März 2011, IV R 235/09, juris Rn. 22; von Wedelstädt, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Stand: Mai 2018, § 177 AO Rn. 17). Zwar wird durch die Nachholung eines Antrags oder durch die Ausübung oder Änderung eines Wahlrechts kein rechtswidriger Zustand beseitigt, aber weil im Umfang der anderweitigen Änderung die Bestandskraft durchbrochen wurde, kann ein Wahlrecht ausgeübt werden. Dadurch wird der Steuerbescheid insoweit materiell fehlerhaft und eine Fehlersaldierung nach § 177 AO zulässig (von Wedelstädt, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Stand: Mai 2018, § 177 AO Rn. 17).

55

Danach hat die Ausübung des Wahlrechts nach § 34 Abs. 3 EStG durch das Schreiben vom 12. August 2020 zu einem materiellen Fehler im Sinne von § 177 AO geführt.

56

bb) Auch wenn die Ausübung des Wahlrechts damit grundsätzlich zugunsten der Kläger berücksichtigt werden kann, schränkt § 177 Abs. 1 AO die Berichtigungsmöglichkeit dahingehend ein, als die materiellen Fehler nur berücksichtigt werden dürfen „soweit die Änderung reicht“. Der Berichtigungsrahmen, der sich nach dem Umfang richtet, in dem die materielle Bestandskraft durch die Änderung durchbrochen ist, darf weder überschritten noch unterschritten werden (BFH, Urteil vom 14. Oktober 2009, X R 14/08, juris, Rn. 26). Das heißt, die Berichtigung nach § 177 AO kann bei einer Änderung zu Ungunsten des Steuerpflichtigen die bisherige Steuer nicht unterschreiten und auch nicht zu einer höheren Steuer führen, als sich auf Grund der Änderung ergibt, bei einer Änderung zu Gunsten die bisherige Steuer nicht übersteigen und auch nicht zu einer niedrigeren Steuer führen, als die Änderung zur Folge hat (von Wedelstädt, in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Stand: Mai 2018, § 177 AO Rn. 26).

57

Vorliegend hat der Beklagte die Untergrenze des Änderungsrahmens zutreffend ermittelt. Die bisherige Steuer – vor der Änderung des Einkommensteuerbescheides 2013 durch die erfolgte Änderung des Grundlagenbescheides – betrug … Euro. Diese Untergrenze der festgesetzten Steuer darf durch die Berichtigung des materiellen Fehlers nicht unterschritten werden. Aus diesem Grund ist die Steuer zutreffend auf diesen Betrag festgesetzt worden.

58

Nichts anderes ergibt sich aus dem in der mündlichen Verhandlung diskutierten Urteil des BFH vom 9. Dezember 2015 (X R 56/13, juris). Dort betont der BFH im Gegenteil, dass die Änderung eines Antrags- oder Wahlrechts für sich genommen keine Änderungsvorschrift darstellt, sondern dass es für Änderungen einer eigenen Änderungsvorschrift bedarf (BFH, Urteil vom 9. Dezember 2015, IX R 56/13, juris, Rn. 27).

59

Zwar wird dort sodann im weiteren offengelassen, ob dies auch gilt, wenn ein Grundlagenbescheid eine Anpassung des Folgebescheides gerade im Hinblick auf den Veräußerungsgewinn verlangt, auf den sich das Wahlrecht bezieht, dem lag aber eine andere Konstellation als im vorliegenden Fall zugrunde. Denn hier knüpft die (Nicht-)Ausübung des Wahlrechts nicht an eine betragsmäßige Veränderung des Veräußerungsgewinns im Grundlagenbescheid an. Vielmehr sollte das Wahlrecht von Anfang an ausgeübt werden.

60

2. Der laufende Gewinn aus der Beteiligung an der A GmbH und Co. KG musste in voller Höhe von … Euro im Einkommensteuerbescheid 2013 gemäß § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO berücksichtigt werden.

61

Nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid, dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, geändert wird. Der Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15a Absatz 4 EStG vom 7. April 2020 stellt unbestritten einen solchen Grundlagenbescheid dar. Die Finanzbehörde ist auch dann verpflichtet, bei einer vorausgegangenen Auswertung gemachte „Anpassungsfehler“ durch entsprechende Änderungen zu berücksichtigen, wenn sie bei Erlass des Folgebescheids die rechtliche Bedeutung des Grundlagenbescheids zunächst (zum Teil) verkannt hat und deshalb den Inhalt des Grundlagenbescheids nicht oder nicht in der richtigen Weise in den Folgebescheid übernimmt (BFH, Urteil vom 29. Juni 2005, X R 31/04, juris, Rn. 12ff.; Loose, in: Tipke/Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Stand: Juli 2017, § 175 AO Rn. 12). Eine Änderung des Folgebescheids zur Herbeiführung eines materiell richtigen Ergebnisses ist selbst dann geboten, wenn sie dazu dient, eine zuvor versäumte Anpassung des Folgebescheids nachzuholen (BFH, Urteil vom 29. Juni 2005, X R 31/04, juris, Rn. 16).

62

Nach diesen Maßstäben durfte der Beklagte den ursprünglich bei der Einkommensteuer 2013 gar nicht berücksichtigten laufenden Gewinn, der im Feststellungsbescheid zunächst mit … Euro und durch den Änderungsbescheid vom 7. April 2020 auf … Euro feststellt wurde, in voller Höhe beim Einkommensteuerbescheid 2013 ansetzen. Die ursprünglich versäumte Anpassung des Einkommensteuerbescheides an den Feststellungsbescheid ist damit in Höhe von … Euro nachgeholt und zugleich auf … Euro berichtigt worden.

63

Ob die Feststellungsfrist für den Erlass des Feststellungsbescheids abgelaufen war, oder ob der Ablauf durch die nach unbestrittener Aussage des Beklagten durchgeführte Außenprüfung bei der A GmbH und Co. KG, die mit Prüfungsbericht vom 18. Februar 2020 abgeschlossen hat, gemäß § 171 Abs. 4 AO, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO gehemmt war, kann offenbleiben. Denn insoweit handelt es sich um eine Einwendung, die im Verfahren gegen den Feststellungsbescheid geltend zu machen wäre. Insoweit ist nicht vorgetragen, dass ein Einspruch eingelegt worden wäre, so dass das Verfahren auch nicht nach § 74 FGO ausgesetzt werden musste (vgl. BFH, Beschluss vom 8. Januar 2013, X B 203/12, juris, Rn. 14; BFH, Beschluss vom 24. März 1999, I B 14/98, juris, Rn. 3). Selbst wenn ein solcher eingelegt worden sein sollte, würde im Rahmen des Ermessen bei § 74 FGO das Interesse an einer zügigen Gerichtsentscheidung im vorliegenden Fall, der die lang zurückliegende Einkommensteuer 2013 betrifft, das Aussetzungsinteresse überwiegen.

64

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

65

IV. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 115 Abs. 2 FGO).

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