Urteil vom Finanzgericht Hamburg (2. Senat) - 2 K 172/11

Tatbestand

1

Streitig ist die Berücksichtigung von Ausbildungskosten zum Verkehrsflugzeugführer.

2

Der Kläger schloss im ... 2003 einen Schulungsvertrag mit der A über eine fliegerische Grundausbildung zum Verkehrsflugzeugführer ab. Im Streitjahr 2004 entstanden ihm für diese Ausbildung Aufwendungen von insgesamt ... € (u.a. Ausbildungskosten von ... €). Der Beklagte berücksichtigte mit Einkommensteuerbescheid für 2004 vom 7. März 2008 lediglich Berufsausbildungskosten von 4.000 € als Sonderausgaben und setzte die Einkommensteuer auf 0 € fest. Mit Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2004 vom selben Tag stellte er einen verbleibenden Verlustvortrag wie im Vorjahr mit ... € fest. Gegen beide Bescheide richtete sich der Einspruch vom 9. März 2008, mit dem der seinerzeitige Verfahrensbevollmächtigte des Klägers, Steuerberater B, das Ruhen des Verfahrens mit Blick auf die beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängige Revision in einem Parallelverfahren anregte (VI R 59/09). Im Einvernehmen der Beteiligten ruhte daraufhin das Einspruchsverfahren im Hinblick auf die beim BFH anhängigen Revisionsverfahren VI R 6/07 und VI R 14/07.

3

Unter dem 12. Februar 2009 teilte der Beklagte Steuerberater B mit, dass die Verlustfeststellungsbescheide zum 31. Dezember 2003, 2004 und 2005 (unter dem Datum des 13. Februar 2009) geändert worden seien, weil sich bei der Einkommensteuerveranlagung für 2006 ergeben habe, dass zum 31. Dezember 2002 eine Verlustfeststellung zum 31. Dezember 2002 vom Finanzamt C erfolgt sei, die bisher nicht berücksichtigt worden sei. Ferner heißt es in dem Schreiben:
"Bitte prüfen Sie Ihren gegen den Feststellungsbescheid 31.12.2004 eingelegten Einspruch."
Darauf antwortete Steuerberater B am 12. März 2009:
"bezugnehmend auf Ihr Schreiben vom 12.02.2009 nehmen wir hiermit den Einspruch gegen den Feststellungsbescheid zum 31.12.2004 vom 09.03.2008 zurück."

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Nachdem Steuerberater B zunächst um Beendigung der Verfahrensruhe und Übermittlung einer klagefähigen Entscheidung gebeten hatte, erklärte er nach einem Telefonat mit dem Beklagten mit Schriftsatz vom 21. August 2009 die Unwirksamkeit der Einspruchsrücknahme. In dem Rücknahmeschreiben habe er auf das Beklagten-Schreiben vom 12. Februar 2009 verwiesen. Darin sei es lediglich um die Aufsummierung der Verluste aus 2002 in die Jahre 2003 und 2004 gegangen. Der Einspruch vom 9. März 2008 habe sich gegen die Ablehnung der Feststellung der Verluste per 31. Dezember 2004 gerichtet. Da das Verfahren ruhend gestellt gewesen sei, habe sich die Rücknahme des Einspruchs lediglich auf die Aufsummierung der entstandenen und schon festgestellten Verluste der Vorjahre und deren Vortrag gerichtet.

5

Ausweislich eines Aktenvermerks vom 27. August 2009 deutete der Beklagte daraufhin die Rücknahme des Einspruchs gegen den Verlustfeststellungsbescheid "aus Vereinfachungsgründen" in eine Rücknahme des Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid 2004 um, der anderenfalls "als unzulässig zu verwerfen gewesen wäre". Dies teilte der Beklagte Steuerberater B mit Schreiben vom 9. Oktober 2009 mit.

6

Am 26. September 2011 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben gegen den geänderten Verlustfeststellungsbescheid vom 13. Februar 2009. Nach der neueren BFH-Rechtsprechung sei geklärt, dass die Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung zum Verkehrsflugzeugführer als vorab entstandene Werbungskosten anzuerkennen seien.

7

Mit während des Klageverfahrens am 15. Dezember 2011 erlassener Einspruchsentscheidung hat der Beklagte daran festgehalten, dass die jüngste BFH-Rechtsprechung ihn nicht binde und die zwischenzeitliche Gesetzesänderung, wonach Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung oder ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittle, keine Werbungskosten seien, rückwirkend für das Streitjahr anzuwenden sei. Sonach seien die geltend gemachten Ausbildungskosten weiterhin nicht zu berücksichtigen.

8

Wegen verfassungsrechtlicher Zweifel an der rückwirkenden Geltung der Neuregelung des Abzugs von Berufsausbildungskosten ruhte das Verfahren erneut wegen der diesbezüglichen Revision VI R 8/12. Auf die Vorlage des BFH mit Beschluss vom 17. Juli 2014 hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 19. November 2019 den Ausschluss des Werbungskostenabzugs für Berufsausbildungskosten als verfassungsgemäß angesehen (2 BvL 22/14).

9

Nach Wiederaufnahme des Verfahrens beruft sich der Kläger darauf, dass die Ausbildung im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses erfolgt sei und deshalb der Werbungskostenabzug weiterhin nach § 9 Abs. 6 des Einkommensteuergesetzes zulässig sei. Er habe nach seiner Ausbildung einen Arbeitsvertrag mit der A erhalten, und zwar im Rahmen eines Konzerntarifvertrages, mit dem einerseits der Arbeitgeber garantiert und andererseits er sich selbst verpflichtet habe, bei der A zu arbeiten, anderenfalls die Ausbildungskosten zurückzuzahlen seien. Darüber hinaus habe die A Reisekosten, Kosten für fliegerärztliche Untersuchungen u.ä. übernommen und stark vergünstigte Flugtickets zur Verfügung gestellt. Die Ausbildung habe erst am ... 2007 mit der Anstellung zum 1. Offizier bei der A geendet. Möglicherweise handele es sich auch um eine Zweitausbildung.

10

In formeller Hinsicht ist der Kläger der Ansicht, dass die Rücknahme des Einspruchs gegen den Verlustfeststellungsbescheid unwirksam sei. Die streitigen Verluste in Höhe von ... € seien in dem geänderten Feststellungsbescheid nicht enthalten gewesen, insoweit liege eine offenbare Unrichtigkeit vor, jedenfalls handele es sich nur um eine Teilabhilfe, sodass die Rücknahme des Einspruchs nur als gegen den Teilabhilfebescheid bezüglich der Aufsummierung der Verluste gerichtet anzusehen sei. Die Finanzverwaltung habe die Einspruchsrücknahme durch ihre Fehldeutung im Schreiben vom 9. Oktober 2009 auch provoziert und sich selbst nicht auf die Einspruchsrücknahme berufen.

11

Der Kläger beantragt sinngemäß,
den geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2004 dergestalt zu ändern, dass ein verbleibender Verlustvortrag zum 31. Dezember 2004 von ... € festgestellt wird

12

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

13

Der Beklagte hält in der Sache daran fest, dass die Ausbildungskosten nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden könnten. Es habe kein Ausbildungsdienstverhältnis bestanden. Vielmehr habe der Kläger zunächst eine Erstausbildung auf der Grundlage des Schulungsvertrages vom ... September 2003 absolviert. Finanziert sei die Berufsausbildung über ein Darlehen der A, das bis zum Beginn des Arbeitsverhältnisses zins- und tilgungsfrei gewesen sei. Die Zeit nach erfolgreich abgeschlossener Berufsausbildung bis zur Aufnahme der Tätigkeit als Flugzeugführer ab ... 2006 sei durch ein Praktikum bei der D AG überbrückt worden.

14

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

15

Die den Kläger betreffende Steuerakte hat vorgelegen.

...

Entscheidungsgründe

16

Das Gericht entscheidet im Einverständnis der Beteiligten gem. § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.

I.

17

Die Klage ist als Untätigkeitsklage zulässig erhoben worden. In der Sache bleibt ihr aber der Erfolg versagt. Der angegriffene Verlustfeststellungsbescheid ist bereits bestandskräftig geworden.

18

a) Der erstmalige Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31. Dezember 2004 vom 7. März 2008 ist wirksam mit Einspruch vom 9. März 2008 angefochten worden. Der am 13. Februar 2009 ergangene Änderungsbescheid wurde gemäß § 365 Abs. 3 der Abgabenordnung (AO) Gegenstand des laufenden Einspruchsverfahrens. Mit Schreiben vom 12. März 2009 hat der seinerzeitige Verfahrensbevollmächtigte des Klägers den Einspruch zurück genommen mit der Folge des Verlustes des eingelegten Einspruchs (§ 362 Abs. 2 AO).

19

Zwar hat Steuerberater B mit Schriftsatz vom 21. August 2009 die Unwirksamkeit seiner Rücknahme erklärt. Es liegen aber keine Gründe vor, auf die die Unwirksamkeit der Rücknahme (§ 362 Abs. 2 AO) gestützt werden könnte. Grundsätzlich ist ein Widerruf, eine Zurücknahme oder Anfechtung wegen Irrtums ausgeschlossen. Etwas Anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die Rücknahme durch Druck, Drohung oder sonstige unlautere Mittel seitens der Finanzbehörde ausgelöst worden ist, d.h. nur in krassen Fällen unzulässiger Einwirkung auf die Willensbildung des Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 29. Juni 2005 II R 21/04, BFH/NV 2005, 1964; s.a. Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 362 AO Rz. 10 m.w.N.). Daran fehlt es im Streitfall. Zwar mag die Frage des Beklagten im Hinweisschreiben vom 12. Februar 2009, ob der Einspruch gegen den Verlustfeststellungsbescheid für 2004 zurückgenommen werde, nicht besonders sinnvoll gewesen sein, weil sich die Streitfrage durch die Berücksichtigung eines nachträglich bekannt gewordenen aus dem Jahr 2002 resultierenden Verlustvortrags nicht erledigen konnte. Es fehlen aber jegliche Anhaltspunkte dafür, dass damit in unlauterer Weise Druck auf den Kläger bzw. seinen Bevollmächtigten ausgeübt werden sollte, den Einspruch zurück zu nehmen. Die Frage beruhte vielmehr ersichtlich nur auf einer (zu) flüchtigen Aktendurchsicht.

20

Überdies scheidet eine unzulässige Einwirkung des Finanzamtes auf die Entschließungsfreiheit des Einspruchsführers aus, wenn dieser selbst oder - wie im Streitfall - sein Bevollmächtigter rechts- oder sachkundig ist.

21

b) Die Rücknahmeerklärung ist auch einer Auslegung oder Umdeutung nicht zugänglich.

22

Eine Deutung der Rücknahme des Einspruchs in eine "Teilrücknahme", betreffend die Feststellung der aus 2002 resultierenden, bis dahin nicht berücksichtigten Verluste, kommt nicht in Betracht. Über diese Verluste bestand zu keinem Zeitpunkt Streit, einer Rücknahme eines hiergegen gerichteten Einspruchs fehlt jede Grundlage. Auch im Wortlaut der Rücknahmeerklärung findet sich kein Anklang für eine Beschränkung der Rücknahme des Einspruchs. In diesem Zusammenhang beruft sich der Klägervertreter auch zu Unrecht darauf, dass das ursprüngliche Einspruchsverfahren weiterhin geruht habe. Abgesehen davon, dass auch bei einem Ruhen des Verfahrens der Rechtsbehelf zurückgenommen werden kann, hatte Steuerberater B mit Schriftsatz vom 24. Juli 2009 die Aufhebung der Ruhendstellung beantragt, die damit nach § 363 Abs. 2 Satz 4 AO endete.

23

Eine Umdeutung der Erklärung als Rücknahme des Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid kommt ebenfalls nicht in Betracht.

24

Steuerberater B hat auf die Bitte des Beklagten, den Einspruch gegen den Feststellungsbescheid zum 31. Dezember 2004 zu prüfen, unzweideutig erklärt, dass er den Einspruch gegen diesen Bescheid zurücknimmt. Angesichts der Eindeutigkeit der Erklärung kommt eine Auslegung von vorneherein nicht in Betracht. Eine Umdeutung der Rücknahmeerklärung ist ebenfalls ausgeschlossen. Zwar gilt auch im Finanzprozess der Grundsatz der "rechtsschutzgewährenden Auslegung" (z.B. BFH-Urteile vom 19. April 2007 IV R 28/05, BStBl II 2007, 704 und vom 8. Mai 2008 VI R 12/05, BStBl II 2009, 116, m. w. N.). Eine eindeutige Erklärung eines rechtskundigen Prozessvertreters kann aber auch unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes nicht abweichend von ihrem tatsächlichen Inhalt gedeutet werden (z.B. BFH-Beschlüsse vom 4. November 2008 V B 114/08, BFH/NV 2009, 400 und vom 19. Juli 2010 I B 207/09, BFH/NV 2011, 48). Gleiches muss für das Rechtsbehelfsverfahren gelten. Bei vertretenen Steuerpflichtigen stehen die Eindeutigkeit des eingelegten Rechtsbehelfs oder der abgegebenen Prozesserklärungen einer Auslegung bzw. Umdeutung entgegen. Es ist ein Gebot der Rechtssicherheit, einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe mit seinen Prozesserklärungen beim Wort zu nehmen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 29. Juli 1993 X B 210/92, BFH/NV 1994, 382; vom 10. April 2002 VIII B 122/01, BFH/NV 2002, 1309 und vom 4. November 2008 V B 114/08, BFH/NV 2009, 400).

25

Der Umstand, dass der Beklagte "aus verfahrensökonomischen Gründen" die Rücknahme des Einspruchs gegen den Verlustfeststellungsbescheid in eine Rücknahme des Einspruchs gegen den Einkommensteuerbescheid umgedeutet hat, kann daran nichts ändern. Denn das Gericht hat jederzeit von Amts wegen die Sachurteilsvoraussetzungen zu prüfen und ist insoweit an eine rechtliche Beurteilung durch das Finanzamt nicht gebunden.

26

Danach ist das Gericht an einer materiellen Entscheidung gehindert.

II.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gem. § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.

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