Urteil vom Finanzgericht Köln - 8 K 1602/98
Tenor
Anmerkung: Die Klage wurde abgewiesen.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beklagte die Klägerin zu Recht von der mündlichen Steuerberaterprüfung ausgeschlossen hat.
3Die Ertragsteuerklausur in der Steuerberaterprüfung 1997 war einigen Bewerbern bekannt. Der mit der Aufgabenstellung für die Ertragsteuerklausur beauftragte Beamte des Freistaates Sachsen hatte als Vorlage eine von ihm überarbeitete Übungsklausur des A. aus dem Jahre 1993 verwendet und als eigenen Aufgabenentwurf ausgegeben. Die Übungsklausur wurde, was der fragliche Beamte nicht wußte, im Jahre 1997 von dem A. auch selbst überarbeitet und erneut als Übungsklausur in einem Vorbereitungskurs geschrieben. Diese Umstände waren den für die Durchführung der Steuerberaterprüfung verantwortlichen obersten Finanzbehörden der Länder nicht bekannt. Hiervon haben sie vielmehr erst nach der schriftlichen Steuerberaterprüfung, aber vor der Bewertung der Klausuren erfahren.
4Der Beklagte teilte der Klägerin durch Bescheid vom ... mit, daß der Prüfungsausschuß für Steuerberater für die von ihm in der Steuerberaterprüfung 1997 geschriebenen Aufsichtsarbeiten folgende Noten festgesetzt habe:
5Verfahrensrecht und andere Steuerrechtsgebiete 6,0
6Ertragsteuerrecht 5,0
7Buchführung und Bilanzwesen 5,0.
8Da die Gesamtnote für die schriftliche Prüfung somit 5,33 betrage, sei die Klägerin nach § 25 Abs. 2 DVStB von der mündlichen Prüfung ausgeschlossen und habe mithin die Steuerberaterprüfung 1997 nicht bestanden.
9Mit der dagegen ... erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, bei der Steuerberaterprüfung 1997 sei der Gleichheitsgrundsatz verletzt worden, weil die Ertragsteuerklausur vorab einer unbekannten Anzahl von Anwärtern bekannt gewesen sei, so daß diese die Lösungen hätten "herunterschreiben" können. Im übrigen meint die Klägerin, für die beiden anderen Klausuren hätten ihr noch weitere Punkte gutgebracht werden müssen. Insoweit wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 13.06.1998 Bezug genommen.
10Die Klägerin beantragt,
11den Bescheid des Beklagten vom ... aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, sie zur mündlichen Steuerberaterprüfung zuzulassen.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Der Beklagte trägt vor, der Grundsatz der Chancengleichheit gebiete zwar, möglichst gleichmäßige äußere Rahmenbedingungen bei der Prüfung für alle Prüfungskandidaten zu schaffen, um damit allen Prüflingen gleiche Erfolgschancen einzuräumen. Von einer Bevorzugung könne jedoch nur dann die Rede sein, wenn die Prüfungsbehörde in Kenntnis der Tatsache, daß einem Teil der Prüfungskandidaten die Lösung einer Klausur bekannt oder zumindest vertraut ist, die Aufgabe trotzdem stellt und damit diese Kandidaten gegenüber den übrigen Kandidaten, die die Arbeit nicht kennen, bevorzugt. Im Streitfall könne von einer bewußten Bevorzugung oder Benachteiligung von Prüfungskandidaten aber nicht gesprochen werden. Denn die Prüfungsbehörden hätten erst nach der schriftlichen Steuerberaterprüfung 1997 erfahren, daß die Ertragsteuerklausur einigen Prüfungskandidaten bekannt war. Die Kenntnis des "Klausurverfassers" sei den einzelnen Prüfungsbehörden nicht zuzurechnen. Die Teilnehmer an den Kursen des Steuerrechts-instituts Knoll seien also nicht bewußt bevorzugt worden. Vielmehr hätten diese Kandidaten, deren Anzahl nicht bekannt sei, lediglich zufällig das "Glück" gehabt, eine Prüfungsaufgabe zur Bearbeitung zu erhalten, auf die sie durch die Teilnahme an den Veranstaltungen des Steuerrechtsinstituts gut vorbereitet waren. Im übrigen gäbe es keinen Rechtssatz, der es einer Prüfungsbehörde verbiete, bei der Auswahl ihrer Arbeiten auf bereits veröffentlichte Fälle zurückzugreifen.
15Zu einer Benachteiligung der Klägerin sei es auch deshalb nicht gekommen, weil die Bewertungskriterien für die Steuerberaterprüfung bereits im Vorfeld der schriftlichen Prüfung festgelegt würden. Sie orientierten sich nicht an einer irgendwie gearteten Durchfallquote, sondern an einem absoluten Bewertungsmaßstab. Das Prüfungsverfahren ziele darauf ab, die wahren Leistungen und Befähigungen des einzelnen Prüflings zu ermitteln. Der Prüfling solle mit der Prüfung darlegen, daß er in der Lage sei, den Beruf als Steuerberater ordnungsgemäß auszuüben. Die Qualität der von dem einzelnen Prüfungskandidaten gezeigten Leistung ändere sich nicht dadurch, daß ein anderer Prüfungskandidat durch eine gewisse Unzulänglichkeit des Prüfungsverfahrens einen Vorteil erlange. Ein Anspruch auf ordnungsgemäße Durchführung des Prüfungsverfahrens als Geseztesvollzugsanspruch unabhänig von eigenen Rechten stehe den Prüfungsteilnehmern nicht zu. Solange das Prüfungsverfahren des Kandidaten selbst korrekt verlaufe und seine eigenen Prüfungsleistungen ordnungsgemäß bewertet würden, könne er sich nicht auf die Begünstigung anderer Prüfungsteilnehmer berufen. Dem entspreche auch, daß der Bewertungsmaßstab für die Korrektur der Klausuren nach Bekanntwerden der genannten Umstände nicht geändert worden sei. Die Tatsache, daß einigen Prüflingen die Klausur bekannt war, führe mithin nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung für die übrigen Kandidaten und stelle mithin keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dar.
16Zur Vergabe weiterer Punkte trägt der Beklagte vor, nach ständiger Rechtsprechung unterlägen Prüfungsentscheidungen nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Das Gericht könne grundsätzlich nur prüfen, ob die für die Prüfung maßgebenden Verfahrensbestimmungen eingehalten worden sind und ob die Prüfer bzw. der Prüfungsausschuß allgemein gültige Bewertungsgrundsätze beachtet haben, sich von sachfremden Erwägungen haben leiten lassen oder von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen sind. Einer gerichtlichen Prüfung unterlägen demnach nicht:
17a) prüfungsspezifische Wertungen des Prüfers;
18- ob und in welcher Weise bei Anwendungen eines Punkteschemas Punkte jeweils vergeben werden;
c) die Gewichtung einzelner Prüfungsbestandteile.
20Die Rügen der Klägerin betreffen nach Meinung des Beklagten ausschließlich prüfungsspezifische Fragen, die nicht gerichtlich nachprüfbar sind. Im übrigen sei anzumerken, daß selbst dann, wenn der Klägerin alle Punkte, die sie nach ihrer Auffassung zu unrecht nicht erhalten habe, zugestanden würden, die beiden beanstandeten Klausuren bestenfalls mit 4,5 bewertet werden könnten. Angesichts der Note für die dritte Klausur ("6") hätte die Klägerin auch in diesem Fall die Steuerberaterprüfung nicht bestanden.
21Auf die Durchführung des verwaltungsinternen Kontrollverfahrens hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung verzichtet.
22Entscheidungsgründe:
23Die Klage ist unbegründet.
24Die Klägerin ist gemäß §§ 15 und 25 Abs. 2 der Durchführungsverordnung zum Steuerberatungsgesetz zu Recht von der mündlichen Prüfung ausgeschlossen worden, so daß er die Prüfung nicht bestanden hat. Denn die Gesamtnote für die schriftliche Prüfung übersteigt die Zahl 4,5.
25Der Beklagte hat den Grundsatz der Chancengleichheit nicht verletzt. Dieser Grundsatz, in dem der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG seine prüfungsrechtliche Ausprägung gefunden hat, gebietet für das Prüfungsverfahren, möglichst geichmäßige äußere Voraussetzungen für alle Prüflinge zu schaffen und damit allen Prüflingen gleiche Erfolgschancen einzuräumen (BVerwG vom 16.01.1984 7 B 169.83 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 189). Damit ist jede Form von Bevorzugung oder Benachteiligung von Prüfungskandidaten verboten. Beide Arten von Ungleichbehandlung sind geeignet, den Zweck der Prüfung zu vereiteln und das Prüfungsergebnis zu verfälschen. Von einer Bevorzugung oder Benachteiligung kann jedoch nur dann die Rede sein, wenn die Prüfungsbehörde in Kenntnis der Tatsache, daß die Lösung einer Arbeit einem Teil der Prüfungskandidaten bekannt ist, die Aufgabe trotzdem stellt und damit diese Prüflinge bewußt gegenüber den übrigen Prüfungsteilnehmern, die die Arbeit nicht kennen, bevorzugt (vgl. BVerwG vom 23.03.1994 6 B 72/93, DVBl 1994, 651).
26Die Chancengleichheit ist nicht verletzt, wenn ein Prüfungsteilnehmer zufällig das Glück hat, eine Aufgabe zur Bearbeitung zu erhalten, die er bereits ganz oder teilweise kennt. Die Prüfungsbehörde muß zwar alles in ihrer Macht Stehende tun, um derartige Zufälle auszuschließen, gänzlich vermeiden lassen sie sich jedoch nicht. Denn es ist kaum zu umgehen, daß Prüfungsaufgaben bereits einmal von einem Gericht, einem Lehrbuch oder auch in einem Repetitorium behandelt worden sind. Es ist kein Rechtssatz ersichtlich, der es einer Prüfungsbehörde verbietet, bei der Auswahl ihrer Arbeiten auf bereits veröffentlichte oder sonst bekannte Fälle zurückzugreifen. Zweck einer Prüfung ist es festzustellen, ob ein Prüfling über das notwendige Fachwissen verfügt. Das kann vielfach nur dadurch ermittelt werden, daß bekannte Fälle oder Fragen zur Prüfung gestellt werden, die in der Fachliteratur und in Fallsammmlungen veröffentlicht sind (vgl. BVerwG vom 23.03.1994, a.a.O.).
27Ob der Beklagte sich die Kenntnis des Beamten des Freistaates Sachsen zurechnen lassen muß, kann dahinstehen. Denn diesem Beamten war nur bekannt, daß der fragliche Fall vier Jahre zuvor in einem Repetitorium behandelt worden war. Mit einem solchen Kenntnisstand der Prüfungsbehörde wird der Grundsatz der Chancengleichheit nicht verletzt. Denn nach einer derart langen Zeit erinnert sich kaum noch jemand an die Lösung einer vielschichtigen Aufgabe. Es war schon unwahrscheinlich, daß sich überhaupt noch Teilnehmer des Repetitoriums von 1993 der Steuerberaterprüfung 1997 unterziehen würden. Der Beamte war nicht verpflichtet, sich bei dem Repetitorium zu erkundigen, ob die Aufgabe in der Zwischenzeit nochmals behandelt worden war (a.A. Hessisches FG vom 08.10.1998 13 K 795/98, EFG 1999, 251). Eine solche Nachfrage erscheint sachwidrig. Denn unabhängig von ihrem Ergebnis bietet sie einen Hinwies auf den Prüfungsstoff, mit dem sich dann das Repetitorium vermutlich in jedem Fall noch intensiv befaßt hätte.
28Im übrigen hat die Klägerin durch den Umstand, daß die Repetitoriumsteilnehmer die Aufgabe schon einmal bearbeitet hatten, keinen Nachteil erlitten. Dies ergibt sich daraus, daß bei dem Prüfungsverfahren, auf das sich die Prüfungsbehörden der einzelnen Bundesländer verständigt haben, kein Vergleich zwischen den einzelnen Prüfungsleistungen vorgenommen wird, sondern eine jede Prüfungsleistung anhand des im Lösungsvorschlag enthaltenen Optimum gemessen und anhand der dort für die einzelnen Prüfungsteile vorgesehenen Punkte bewertet wird. Demzufolge kommt es auf den Durchschnitt nicht an, so daß sich selbst ein durch rechtswidrige Begünstigung einzelner gehobener Durchschnitt nicht nachteilig auf die Bewertung der Leistung der Klägerin auswirken kann.
29Anhaltspunkt dafür, daß die Prüfer angesichts ungewöhnlich zahlreicher guter Lösungen unbewußt die Klägerin unter Abweichung von dem vorgegebenen Punkteschema benachteiligt haben, fehlen. Den Prüfern war vielmehr bewußt, worauf die ungewöhnlich zahlreichen guten Lösungen zurückzuführen waren. Dies spricht dafür, daß die Prüfer in Wahrnehmung ihrer Prüferverantwortung die übrigen Arbeiten eher nachsichtig berurteilt haben (vgl. FG Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart, vom 09.06.1998 4 K 29/98, EFG 1998, 1437).
30Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß bei der Steuerberaterprüfung, anders als bei sog. Laufbahnprüfungen, weder Noten (§ 28 Abs. 1 Satz 4 DVStB) noch Platzziffern vergeben werden. Schließlich würde auch eine neue Ertragsteuerklausur für die Klägerin nichts an dem Umstand ändern, daß die Repetitoriumsteilnehmer besser vorbereitet waren. Denn die bereits abgeschlossene Steuerberaterprüfung 1997 kann für die Repetitoriumsteilnehmer nicht nachträglich für nicht bestanden erklärt und (teilweise) wiederholt werden (FG München vom 15.07.1998 4 K 592/98, EFG 1998, 1615).
31Mit ihrem weiteren Begehren, für die eine oder andere Antwort in der schriflichen Prüfung mehr Punkte zu vergeben, kann die Klägerin nicht durchdringen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, schriftliche Arbeiten im Rahmen der Steuerberaterprüfung aufgrund eigenen Sachverstandes zu bewerten. Deswegen kann sich der Prüfling nicht mit Erfolg darauf berufen, daß ihm einige Punkte noch hätten gutgebracht werden müssen. Bei einer vollen fachlichen Nachprüfung der Arbeiten durch die Gerichte bestände die Gefahr, daß diese einen Maßstab an eine einzelne Prüfungsarbeit legen, der nicht unbeeinflußt von dem Vorbringen des klagenden Prüflings ist und erheblich von dem Maßstab abweicht, den sich der Prüfungsausschuß in einer ständigen Prüfungspraxis erarbeitet hat. Ein Prüfling mit schlechteren Leistungen als andere könnte durch die Gerichte bevorzugt werden. Insbesondere ist es nicht Aufgabe des Gerichts nachzuprüfen, ob die getroffene Prüfungsentscheidung die allein richtige gewesen ist (vgl. BFH-Urteile vom 26.06.1973 VII R 43/72, BStBl II 1973, 747; v. 26.08.1976 VII R 17/74, BStBl II 1976, 797). Für eine entsprechende Nachprüfung ist das verwaltungsinterne Kontrollverfahren vorgesehen. Auf dessen Durchführung hat die Klägerin jedoch verzichtet.
32Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
33Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.