Urteil vom Finanzgericht Köln - 13 K 5958/98
Tenor
Anmerkung: Der Klage wurde stattgegeben.
1
Tatbestand
2Die Kläger betreiben einen Pressevertrieb in der Rechtsform einer atypisch stillen Gesellschaft. Die einzige Betriebsstätte befindet sich in ... A-Stadt, B-Straße 2. Das Betriebsgrundstück liegt im Abbaubereich des C-Vereins AG (C). Der letzte Abbau in diesem Gebiet fand im Jahre 1992 statt.
3Das auf dem Grundstück im Jahre 1988 mit Herstellungskosten von 567.599 DM errichtete Gebäude trug im Laufe der Zeit bergbaubedingt erhebliche Schäden davon. Am 19.3.1992 erfolgte eine Begutachtung der Schäden durch Mitarbeiter des C. Festgestellt wurden unter anderem Verformungen der Stützenkonstruktion und der Trapezblechaußenwandverkleidungen, Schäden am Hallenboden sowie Undichtigkeit von Fenstern. Wegen der noch anhaltenden Bergeinwirkungen wurde vereinbart, die Beseitigung der Schäden Anfang 1993 in Angriff zu nehmen. Zwischenzeitlich notwendige Reparaturen zur Erhaltung von Bausubstanz oder Betriebsfunktion sollten ausgeführt werden.
4Am 3.7.1993 brannte das Betriebsgebäude nieder. Bergbaubedingte Reparaturarbeiten waren bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt. In einer Besprechung am 8.7.1993 wies der C darauf hin, daß durch den Brandschaden ehemals vorhandene Schadensersatzansprüche untergegangen seien. Lediglich die Instandsetzung der noch vorhandenen, durch den C geschädigten Gebäudeteile falle weiterhin in die Reparaturpflicht des C. Am 25.10.1993 erklärte sich der C schließlich bereit, eine Pauschalentschädigung in Höhe von 245.000 DM zu zahlen, mit der alle durch Bergschäden herzuleitenden Ersatzansprüche abgegolten sein sollten. Der Ersatzanspruch gegen den C wurde bei der Regulierung durch die Feuerversicherung schadensmindernd berücksichtigt.
5Bei der Erstellung der Bilanz zum 31.12.1993 buchte die klägerische Gesellschaft den Restbuchwert des Betriebsgebäudes zum 3.7.1993 (297.997 DM) vollständig aus. Dem Aufwand aus der Abschreibung stellte sie den Ertrag aus Versicherungsanspruch (654.822 DM) und C-Entschädigung (245.000 DM abzüglich Gutachterkosten in Höhe von 1.895 DM = 243.105 DM) gegenüber. Die Differenz zwischen Restbuchwert und Entschädigungen erfaßte sie in einem Sonderposten mit Rücklageanteil nach R 35 EStR (599.930 DM). Zum 31.12.1994 zog sie die Rücklage von den Herstellungskosten des in diesem Jahre fertiggestellten Nachfolgegebäudes ab. Der so ermittelte Gewinn des Jahres 1993 wurde mit dem unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheid vom 7.7.1995 erklärungsgemäß festgestellt.
6Im Rahmen einer mit Bericht vom 6.3.1997 abgeschlossenen Betriebsprüfung des Finanzamts für Großbetriebsprüfung D-Stadt gelangte der Prüfer hingegen zu der Auffassung, daß nach dem Brandschaden vom 3.7.1993 die Beseitigung des Bergschadens nicht mehr durchführbar gewesen sei und deshalb keine Rücklage für Ersatzbeschaffung wegen der Entschädigungszahlung des C gebildet werden könne. Das Gebäude sei einzig und allein wegen des Brandschadens aus dem Betriebsvermögen ausgeschieden. Die gebildete Rückstellung sei daher in Höhe von 245.000 DM im Jahre 1993 gewinnwirksam aufzulösen (Tz. 12 des Berichts).
7Der Beklagte folgte der Auffassung des Finanzamts für Großbetriebsprüfung mit dem nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Gewinnfeststellungsbescheid vom 2.5.1997, den er an E als Empfangsbevollmächtigten der F adressierte.
8Mit dem hiergegen für die Firma F erhobenen Einspruch wurde geltend gemacht, daß verschiedene Gebäudeteile, wie etwa Hallenboden und Sozialräume, von dem Brand nahezu unversehrt geblieben und allein bergbaubedingt geschädigt gewesen seien. Im Rahmen des Neuaufbaus seien diese Teile dann repariert worden. Wegen der Vermischung von Herstellungskosten und Reparaturaufwendungen sei insgesamt Herstellungsaufwand angenommen worden. Hinsichtlich der Bergschäden liege ebenso wie im Falle des Brandes höhere Gewalt vor.
9Mit der Einspruchsentscheidung vom 9.7.1998, die der Beklagte an E und G in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter der F adressierte, wurde der Gewinn aus Gewerbebetrieb unter Berücksichtigung der in der Rückstellung enthaltenen Gutachterkosten um 1.895 DM herabgesetzt. Im übrigen wies der Beklagte auf Weisung der Oberfinanzdirektion H vom 19.6.1998 den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, daß ein Bergschaden nicht als höhere Gewalt gewertet werden könne und es daher an einer notwendigen Voraussetzung für die Bildung der Rücklage fehle. Höhere Gewalt liege nur bei Elementarereignissen wie z. B. Brand, Sturm oder Überschwemmung sowie bei Diebstahl, nicht aber bei Verkehrsunfällen vor. Solchen Ereignissen sei gemeinsam, daß sie außergewöhnlich seien und der Steuerpflichtige, der mit ihrem Eintritt nicht rechnen müsse, sich ihnen nicht entziehen könne. Errichte hingegen ein Steuerpflichtiger ein Gebäude in einem Abbaugebiet für Steinkohle, so müsse er mit möglichen Schäden durch Absenkung des Bodens o. ä. rechnen und könne sich solchen Schäden entziehen, indem er bereits bei Konstruktion und Herstellung besondere Maßnahmen ergreife.
10Den so ermittelten Gewinn wies der Beklagte abweichend von der bisherigen Verteilung den Gesellschaftern jeweils hälftig zu. Eine Rechtsbehelfsbelehrung bezüglich der Klagebefugnis des Empfangsbevollmächtigten i. S. d. § 48 FGO enthält die Einspruchsentscheidung nicht.
11Mit der vorliegenden Klage machen die Kläger geltend, daß die Rücklage für Ersatzbeschaffung dem Zweck diene, ohne Zutun und gegen den Willen des Steuerpflichtigen realisierte Gewinne nicht der Besteuerung zu unterwerfen. Entsprechend dieser Zweckbestimmung sei der Begriff der höheren Gewalt nicht im bürgerlich-rechtlichen Sinne an Elementarereignisse gebunden, wie die Einbeziehung von Diebstahlschäden zeige. Der abweichenden Auffassung der Finanzverwaltung bezüglich der Qualifikation von unverschuldeten Verkehrsunfällen als höhere Gewalt sei zwischenzeitlich der BFH mit Urteil vom 14.10.1999 IV R 15/99 entgegengetreten.
12Zudem hätten sie bei der Erstellung des Gebäudes alle Sorgfalt walten lassen, um Schäden zu vermeiden. Die ihnen von dem C mit Schreiben vom 23.9.1987 auferlegten Sicherungs- und Anpassungsmaßnahmen gegen Bergschäden seien voll- umfänglich erfüllt worden, anderenfalls keine Ersatzpflicht des C für den eingetretenen Schaden bestanden hätte. Auf das Institut der Bauwarnung gemäß § 113 Bundesberggesetz sei insoweit zu verweisen.
13Zu bedenken sei schließlich, daß Bergschäden letztlich aufgrund gesetzlicher Regelung zu erdulden seien. Mit der Auffassung von Richter (DStR 1966, 628) könnten Bergschäden somit auch als unmittelbarer behördlicher Eingriff angesehen werden, was den Voraussetzungen des A 35 EStR genüge.
14Unverständlich sei schließlich, warum die Ausführung der Reparaturen durch sie selbst zu einem anderen steuerlichen Ergebnis als die Naturalrestitution durch den C führe.
15Mit dem Änderungsbescheid vom 24.9.1998, den die Kläger gemäß § 68 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gemacht haben, hat der Beklagte dem klägerischen Begehren bezüglich der Gewinnverteilung entsprochen.
16Die Kläger beantragen,
17unter Änderung des Feststellungsbescheides vom 24.9.1998 die Entschädigungszahlung des C in Höhe von 243.105 DM der Rücklage für Ersatzbeschaffung zuzuführen.
18Der Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
20Zur Begründung verweist er auf seine Einspruchsentscheidung.
21Entscheidungsgründe
22Die Klage ist zulässig und begründet.
23Die vorliegende Klage ist zulässigerweise gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 2 FGO von beiden Beteiligten der atypisch stillen Gesellschaft erhoben worden, weil die Beteiligten nicht spätestens bei Erlaß der Einspruchsentscheidung über die Klagebefugnis des Gesellschafters E als Empfangsbevollmächtigter belehrt worden sind (§ 48 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 3 FGO). Als Inhaber des Handelsgeschäfts war Herr E im übrigen nicht zur Vertretung berechtigter Geschäftsführer der Innengesellschaft im Sinne des § 48 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alternative FGO (vgl. dazu Tipke/Kruse, AO und FGO, 16. Aufl., Lfg. 89, § 48 FGO, Tz. 13). Auf die rein formelle Beschwer der Adressierung der Einspruchsentscheidung an Herrn G als nicht einspruchsbefugten Gesellschafter kommt es danach für die Zulässigkeit der Klage nicht an. Unabhängig von diesem Adressierungsmangel ist die Einspruchsentscheidung wirksam ergangen, so daß der Senat zur Sache entscheiden kann. Denn den als Adressaten genannten Gesellschaftern war durch die Fassung des Rubrums unzweideutig erkennbar, daß hierdurch der Einspruch des Empfangsbevollmächtigten zu der streitbefangenen Einkünftefeststellung für die atypisch stille Gesellschaft beschieden werden sollte.
24Der bei der klägerischen Gesellschaft eingetretene Bergschaden ist als Ereignis aufgrund höherer Gewalt im Sinne des R 35 Abs. 10 EStR 1993 zu qualifizieren, so daß die hierfür erhaltene und erst im Folgejahr zu Wiederherstellungszwecken verbrauchte Entschädigung in Höhe von 243.105 DM in der Bilanz zum 31.12.1993 als Rücklage für Ersatzbeschaffung gewinnmindernd zu berücksichtigen ist. Die Gewerbesteuerrückstellung ist entsprechend anzupassen.
25Nach der insoweit mit der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (Urteil des BFH vom 14.10.1999 IV R 15/99, BStBl II 2001, 130, mit weiteren Nachweisen) übereinstimmenden Richtlinienregelung des R 35 EStR kann eine Gewinnrealisierung durch Aufdeckung stiller Reserven ausnahmsweise dann vermieden werden, wenn eine Wirtschaftsgut aufgrund höherer Gewalt oder infolge oder zur Vermeidung eines behördlichen Eingriffs gegen eine Entschädigung aus dem Betriebsvermögen ausscheidet und alsbald ein funktionsgleiches Ersatzwirtschaftsgut angeschafft wird. Erhält der Steuerpflichtige in diesem Fall eine Entschädigung, so kann in Höhe der Entschädigung eine Rücklage gebildet werden, wenn das Wirtschaftsgut erst in einem späteren Wirtschaftsjahr repariert wird (R 35 Abs. 10 EStR 1993).
26Schäden aufgrund höherer Gewalt im Sinne der oben genannten Rechtsgrundsätze ist gemeinsam, daß sie wie der Verlust aufgrund eines elementaren Naturereignisses unverschuldet erlitten werden (Urteil des BFH vom 14.10.1999, a. a. O.). Den Naturereignissen werden deshalb Schädigungen durch Menschen gleichgestellt, die ähnlich elementar und unvermeidbar von außen einwirken und sich für den Steuerpflichtigen als unvermeidbare Zufallsereignisse, wenn auch durch Menschen verursacht, darstellen. Anerkannt ist daher, daß auch Schäden aufgrund Diebstahls, Brandstiftung, Baumängel oder eines fremdverschuldeten Autounfalls zur Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung berechtigen können (Werndl in: Kirchhof/Söhn, § 6 EStG Tz. B 141; Lademann/Plewka/Schmidt, § 5 EStG, Tz. 1485; Bordewin in: Bordewin/Brandt, § 4 - 5 EStG, Tz. 1265; H 35 (2) EStR 2001). Der Grund für diese Gleichstellung liegt darin, daß höhere Gewalt im Sinne eines zur Bildung einer Rücklage für Ersatzbeschaffung berechtigenden Schadensereignisses jedenfalls nicht in einem engeren Sinne als nach der von der höchstrichterlichen Zivilrechtsprechung vertretenen Auslegung (Urteile des BGH vom 20.4.1955 VI ZR 42/54, VersR 1955, 346, und vom 15.11.1966 VI ZR 280, 64, VersR 1967, 138) verstanden werden kann (Urteil des BFH vom 14.10.1999, a. a. O.). Danach ist höhere Gewalt ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder Handlungen dritter Personen einwirkendes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch die äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit vom Geschädigten in Kauf zu nehmen ist.
27Die damit bezeichneten Voraussetzungen des fehlenden mitwirkenden Verschuldens des Geschädigten, der Unvorhersehbarkeit, der Unabwendbarkeit und des Nichtvorliegens alltäglicher Häufigkeit treffen indessen in gleicher Weise wie auf Diebstahl, Brandstiftung, Baumängel oder unverschuldete Verkehrsunfälle auf den vorliegenden Fall eines Gebäudeschadens durch Bergeinwirkung zu, so daß der Senat keinen sachgerechten Anlaß zu einer Differenzierung bezüglich dieser Ereignisse im Hinblick auf die Berechtigung sieht, die erlangte Entschädigung ohne steuerliche Belastung zur Wiederherstellung des Wirtschaftsguts zu verwenden (so auch Loose in: Herrmann/Heuer/Raupach, § 5 EStG, Tz. 585, und Richter in DStR 1966, 627, 628). Denn der von der klägerischen Gesellschaft nicht verschuldete Bergschaden war für sie nach bauordnungsrechtlicher Zulassung und Erfüllung der von dem C auferlegten Sicherungs- und Anpassungsmaßnahmen bei der Errichtung der Lagerhalle im Jahre 1988 weder vorhersehbar noch abwendbar. Vielmehr hatte die klägerische Gesellschaft mit der Erfüllung dieser zusätzlichen Auflagen alle nach menschlicher Voraussicht vernünftigerweise in Betracht kommende Vorsorge getroffen, um einen künftig eintretenden Bergschaden zu verhüten. Unabhängig von der Lage des Gebäudes in einem Bergabbaugebiet kann der Eintritt von Bergschäden schließlich auch nicht als so häufig qualifiziert werden, daß diese von dem Geschädigten in Kauf genommen werden müßten. Dies muß namentlich für solche Gebäude gelten, bei deren Errichtung die Gefahrenlage durch Bergeinwirkungen bereits in vollem Umfange bekannt war und durch von sachkundiger Seite auferlegte Vorsorgemaßnahmen berücksichtigt worden ist.
28Der Senat läßt die Revision zur Fortbildung des Rechts zu, da die höchstrichterliche Rechtsprechung den Fall einer Rücklage für Ersatzbeschaffung wegen Bergschadens bislang nicht entschieden hat.
29Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3 FGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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