Urteil vom Finanzgericht Köln - 7 K 3767/03
Tenor
Der Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 17. Mai 2004 wird dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer auf ....... EUR herabgesetzt wird.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung ohne Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden soweit nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in der selben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die von der Klägerin vorgenommene Lieferung von sogenannten Milchersatzprodukten pflanzlichen Ursprungs dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG unterliegt, insbesondere ob diese Milchersatzprodukte zu den in der genannten Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG aufgeführten Gegenständen gehören.
3Die Klägerin verkauft und liefert Milchersatzprodukte pflanzlichen Ursprungs, die wie sonstige Lebensmittel und Getränke für Verbraucher im allgemeinen Handel erhältlich sind. Dabei handelte es sich um aus Soja, Reis oder Hafer gewonnene Flüssigkeiten, die als Substitut für trinkbare Kuhmilch eingesetzt werden.
4Die pflanzlichen Milchersatzprodukte verfügen wie tierische Milchprodukte über den für den Verbraucher maßgeblichen Eiweißgehalt sowie über vergleichbare Mengen an Kohlehydraten und an Mineralstoffen.
5Sie sind ebenso wie tierische Milch zur Prävention vor Osteoporose geeignet. Die Nährwerte der pflanzlichen Milchersatzprodukte entsprechen den Nährwerten tierischer Kuhmilch, insbesondere hinsichtlich des Brennwerts, des Eiweiß, der Kohlenhydrate, der Fette und des Calciums ist eine Vergleichbarkeit gegeben.
6Die pflanzlichen Milchersatzprodukte sind ebenso wie tierische Milch zum direkten Verzehr als Getränk, zur Zubereitung anderer Lebensmittel, für Nachspeisen oder als Beigabe für Kaffee und Tee zu verwenden. Aufgrund der übereinstimmenden Eigenschaften tierischer Milch und pflanzlicher Milchersatzprodukte werden beide Milcharten in Kochrezepten gleichermaßen für die Zubereitung von Speisen empfohlen.
7Die pflanzlichen Milchersatzprodukte dienen darüber hinaus als Substitut für Verbraucher, die an einer Überempfindlichkeit gegen Milchzucker (sogenannte Laktoseüberempfindlichkeit) leiden und deshalb keine Milch tierischen Ursprungs verzehren können. Dies trifft auf ca. 15 % der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland zu. Darüber hinaus ersetzen pflanzliche Milchersatzprodukte tierische Milch im Fall einer Kuhmilcheiweißallergie, von der ca. 2 % der deutschen Bevölkerung betroffen sind. Die Milchersatzprodukte ersetzen aufgrund ihrer Cholesterinfreiheit und ihres günstigen Fettsäureprofils Milch tierischen Ursprungs auch bei Verbrauchern, die an Fettstoffwechselstörungen leiden.
8Die pflanzlichen Milchersatzprodukte ähneln schließlich in ihrer Beschaffenheit und ihrem Aussehen tierischen Milchprodukten.
9Die Klägerin unterwarf unter anderem auch für das zweite Quartal 2002 den Verkauf dieser pflanzlichen Milchersatzerzeugnisse dem ermäßigten Steuerersatz gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG.
10Im Rahmen einer am 12.03.2002 für den Voranmeldungszeitraum Januar bis Dezember 2001 angemeldeten und am 30.09.2002 für den Zeitraum des ersten und zweiten Quartals 2002 erweiterten Umsatzsteuersonderprüfung gelangte der Beklagte zu der Auffassung, dass es sich bei den pflanzlichen Milchersatzprodukten nicht um solche Waren handele, die in der Liste der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG als dem ermäßigten Steuersatz unterliegende Gegenstände aufgeführt seien und deshalb auch nicht dem ermäßigten Steuersatz von 7 % zu unterwerfen seien.
11Im Rahmen des Umsatzsteuerprüfungsberichts vom 21.10.2002 wies der Beklagte daraufhin, dass die Umsätze aus dem Verkauf der von der Klägerin produzierten Milchersatzprodukte dem ermäßigten Steuersatz unterworfen worden seien. Der ermäßigte Steuersatz gemäß § 12 Abs. 2 UStG sei jedoch nur anzuwenden, wenn das Produkt in der Liste der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 UStG aufgeführt sei. Dies sei jedoch nicht der Fall. Insbesondere seien die von der Klägerin produzierten und vertriebenen Milchersatzprodukte nicht dem Kapitel 21 des Zolltarifs zuzuordnen. Auch Position 22.02 des Zolltarifs können nicht herangezogen werden, da es sich insoweit nicht um ein Milchmischgetränk handele. Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes sei daher nicht möglich und die betreffenden Umsätze der Regelbesteuerung zu unterwerfen.
12Auf der Grundlage dieses Umsatzsteuersonderprüfungsberichts erließ der Beklagte am 06.12.2002 einen geänderten Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für das zweite Kalendervierteljahr 2002, in dem nunmehr die Lieferung der Milchersatzprodukte nicht mehr mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 %, sondern dem Regelsteuersatz von 16 % unterworfen wurde, was insoweit zu einer Mehrsteuer in Höhe von 155.011 EUR führte.
13Hiergegen legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein, den der Beklagte am 10.06.2003 als unbegründet zurückwies.
14Dabei stellte der Beklagte im wesentlichen darauf ab, dass dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG nur die Lieferung, der Eigenverbrauch, die Einfuhr und der gemeinschaftliche Erwerb der in der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG aufgeführten Gegenstände unterliegen würden. Diejenigen Gegenstände, die nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG dem ermäßigten Steuersatz unterliegen würden, seien insoweit in der Anlage 2 erschöpfend aufgezählt. Der Inhalt der einzelnen Warenbegriffe sei darin durch Verweisung auf den Zolltarif (Kapitel, Position, Unterposition) festgelegt worden. Bei Expositionen (aus Position ...) würden nicht alle Gegenstände der Position des Zolltarifs dem ermäßigten Steuersatz unterliegen. In diesem Fall seien zum Beispiel die begünstigten Waren ausdrücklich aufgeführt, so dass alle anderen Waren der genannten Position von der Vergünstigung ausgeschlossen seien.
15Aufgrund der ausdrücklichen Verweisung auf den Zolltarif würden insoweit die zolltariflichen Vorschriften unmittelbar gelten. Bei Auslegung der einzelnen Regelungen der Anlage 2 des UStG kommt es deshalb allein auf die zolltariflichen Vorschriften und Begriffe an. Damit würde eine Auslegung ausscheiden, die sich an den umsatzsteuerlichen Zielsetzungen und Grundsätzen orientiere. Nicht gewünschte Konsequenzen des strengen Zolltarifs müsse der Gesetzgeber erforderlichenfalls durch Einführung einer ausdrücklichen Ausnahme in der betreffenden Bestimmung der Anlage 2 vermeiden.
16Ausweislich einer eingeholten unverbindlichen Zolltarifauskunft der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt Berlin (ZPLA) sei festzustellen, dass es sich bei den von der Klägerin erstellten pflanzlichen Milchersatzprodukten um Getränke handeln würde, die von der Position 22.02 des Zolltarifs erfasst würden.
17Da nach Ziffer 35 der Anlage 2 zum § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG aus Position 22.02 des Zolltarifs nur Milchmischgetränke mit einem Anteil an Milch oder Milcherzeugnissen von mindestens 75 % des Fertigerzeugnisses ermäßigt zu besteuern seien, seien die Produkte der Klägerin daher nicht nach Ziffer 35 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG begünstigt und würden daher dem Regelsteuersatz unterliegen. Aufgrund der Exposition des Milchgetränks mit einem Anteil an Milch oder Milcherzeugnissen von mindestens 75 % des Fertigerzeugnisses beabsichtige der Gesetzgeber lediglich tierische Milchprodukte zu begünstigen. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortinhalt. Denn unter Milch werde im allgemeinen Sprachgebrauch nur das tierische Erzeugnis verstanden, zumal der Gesetzgeber Milchmischprodukte der Milch gegenüberstehe. Zweck der Vorschrift sei zudem die Begünstigung von Roherzeugnissen der Landwirtschaft, wie zum Beispiel Obst, Gemüse, Kartoffeln, Eier und Milch. Diesen Roherzeugnissen könne lediglich die tierischen Milch zugeordnet werden.
18Im Rahmen ihrer hiergegen fristgerecht erhobenen Klage macht die Klägerin geltend, dass es rechtswidrig sei, die Lieferung pflanzlicher Milchersatzprodukte nicht dem ermäßigten Steuersatz, sondern dem Regelsteuersatz zu unterwerfen. Die Klägerin ist der Auffassung, dass die Besteuerung zum Regelsatz nach § 12 Abs. 1 UStG gegen Art. 12 und Anhang H der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17.05.1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG), den Grundsatz der steuerlichen Wettbewerbsneutralität und gegen das verfassungsrechtliche Gebot, Belastungsentscheidungen folgerichtig umzusetzen, verstoße. Schließlich würden die durch die Klägerin gelieferten Waren auch bei zollrechtlicher Auslegung der Anlage zum Umsatzsteuergesetz dem ermäßigten Steuersatz unterliegen.
19So seien nach Art. 12 Abs. 3 Buchst. a Unterabs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG die Mitgliedstaaten berechtigt, die im Anhang H der Richtlinie aufgeführten Umsatzkategorien einem ermäßigten Steuersatz zu unterwerfen. Dies gelte nach Kategorie Nr. 1 des Anhangs H der Richtlinie insbesondere für Nahrungsmittel einschließlich nicht alkoholischer Getränke und die als Ersatz für Nahrungsmittel verwendeten Erzeugnisse. Der genaue Anwendungsbereich der einzelnen Kategorie könne dabei anhand der Kombinierten Nomenklatur abgegrenzt werden. Übe jedoch ein Mitgliedsstaat diese Ermächtigung aus, so sei er nicht berechtigt, innerhalb eines vom Anhang H erfassten Vorgangs Untergruppen zu schaffen. Daher sei es nicht möglich, aus der Warenkategorie der nichtalkoholischen Getränke nur einzelne dieser Getränke zu begünstigen.
20Der nationale Gesetzgeber habe jedoch die Ermächtigung, nichtalkoholische Getränke nach einem ermäßigten Steuersatz zu besteuern, nicht als solche ausgeübt, sondern entgegen dem Gemeinschaftsrecht innerhalb des Begriffs der nichtalkoholischen Getränke Untergruppen geschaffen, die unterschiedlichen Steuersätze unterliegen würden. So begünstige das nationale Recht entgegen Anhang H Kategorie Nr. 1 der Richtlinie nicht allgemein nichtalkoholische Getränke, sondern nur einzelne Arten von Getränken, wie z. B. Milch oder Milchmischgetränke. Nicht begünstigt seien demgegenüber z. B. Frucht- und Gemüsesäfte oder Wasser in zur Abgabe an den Verbraucher bestimmten Fertigpackungen.
21Die Bildung unzulässiger Untergruppen sei auch nicht über den Einleitungssatz des Anhangs H der Richtlinie zu rechtfertigen. Danach könne zwar bei Übertragung der einzelnen Kategorien des Anhangs H der Richtlinie in einzelstaatliche Vorschriften der genaue Geltungsbereich der jeweiligen Kategorie anhand der Kombinierten Nomenklatur abgegrenzt werden. Hieraus ergebe sich aber keine Befugnis, den Inhalt einzelner Kategorie zu verändern oder einzelne Kategorien in begünstigte und nichtbegünstigte Vorgänge aufzuteilen. Es bestehe vielmehr nur die Möglichkeit, den aufgrund der jeweiligen Ziffer des Anhangs H feststehenden Inhalt einzelner Kategorien gegenüber den in Anhang H nicht erwähnten Vorgängen abzugrenzen.
22Im Streitfall liege auch keine nach Anhang H der Richtlinie zulässige Bezugnahme auf die Kombinierte Nomenklatur vor. Denn der Begriff Milchmischgetränke mit einem Anteil an Milch oder Milcherzeugnisse von mindestens 75 % des Fertigerzeugnisses spiele nach der Kombinierten Nomenklatur keine Rolle. Gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UstG in Verbindung mit Nr. 35 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG würden nicht alle, sondern nur einzelne Waren der Position 22.02 des Harmonisierten Systems dem ermäßigten Steuersatz von 7 % unterliegen.
23Zudem sei der Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber entgegenstehenden Regelungen des nationalen Rechts zu beachten. Verstoße das nationale Recht gegen die Richtlinie 77/388/EWG, stehe dem Gemeinschaftsrecht ein Vorrang gegenüber der Regelung des nationalen Rechts zu. Beschränke daher eine Regelung des nationalen Rechts die Begünstigung für einen einheitlich zu besteuernden Vorgang auf einen Teilbereich dieses Vorgangs, so sei die Begünstigung über den Teilbereich hinaus auf alle Sachverhalte dieses Vorgangs anzuwenden.
24Im Streitfall habe der nationale Gesetzgeber von der nach der Richtlinie 77/388/EWG bestehenden Möglichkeit Gebrauch gemacht, nichtalkoholische Getränke zu begünstigen. Dabei habe er aber innerhalb dieses einheitlich zu besteuernden Warenkreises Untergruppen geschaffen, ohne dass diese Abgrenzung auf der Kombinierten Nomenklatur beruhe. Gemeinschaftsrechtlich bestehe jedoch nur die Befugnis, entweder alle nichtalkoholischen Getränke ermäßigt zu besteuern, oder die Regelbesteuerung von Getränken in vollem Umfang beizubehalten. Die durch den Gesetzgeber beabsichtigte steuerliche Begünstigung nichtalkoholischer Getränke könne richtlinienkonform nur durch die Begünstigung aller nichtalkoholischer Getränke erfolgen. Für eine Begünstigung zumindest der pflanzlichen Milchersatzprodukte spreche darüber hinaus der Substitutionscharakter dieser Ware. Denn zu der nach Anhang H Nr. 1 der Richtlinie einheitlich zu besteuernden Warengruppe der Nahrungsmittel einschließlich nichtalkoholischer Getränke gehörten auch die als Ersatz für Nahrungsmittel verwendeten Erzeugnisse. Da Milch pflanzlichen Ursprungs tierische Milch bei deren Unverträglichkeit aus gesundheitlichen Gründen ersetze, verbiete sich zumindest im Hinblick auf diesen Substitutionscharakter eine steuerliche Differenzierung zwischen Milch und Milchmischgetränken tierischen und pflanzlichen Ursprungs.
25Unabhängig von der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf alle nichtalkoholischen Getränke der Position 22.02 des Harmonisierten Systems sei zumindest der Begriff Milchmischgetränke konform auszulegen. Denn entgegen der Auffassung des Beklagten sei die Anlage 2 zum Umsatzsteuergesetz im Hinblick auf gegenüber der Kombinierten Nomenklatur eigenständige Begriffe umsatzsteuerrechtlich auszulegen. Bei dieser Auslegung sei auch der Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu beachten.
26Nach der Rechtsprechung des BFH komme es für die Auslegung der Anlage zum Umsatzsteuergesetz auf zollrechtliche Vorschriften und Begriffe an, wenn die Anlage auf derartige Begriffe verweise. Nehme demgegenüber eine sogenannte Exposition lediglich einzelne bestimmte Gegenstände einer zolltariflichen Warenposition von der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes aus, sei der Anwendungsbereich dieser Exposition umsatzsteuerrechtlich zu bestimmen.
27Bei der gebotenen umsatzsteuerrechtlichen Auslegung sei der Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu beachten. Nach der Rechtsprechung des EuGH müssten danach gleichartige und deshalb im Wettbewerb miteinander stehende Waren einem einheitlichen Steuersatz unterliegen. Im Streitfall seien Milchgetränke tierischen Ursprungs und die von der Klägerin gelieferten Milchgetränke pflanzlichen Ursprungs gleichartig und stünden deshalb im Wettbewerb miteinander. Die Gleichartigkeit resultiere aus ihrer ähnlichen Beschaffenheit, der identischen Art des Verzehrs und ihren vergleichbaren Nährwerten. Bei den von der Klägerin gelieferten Waren handele es sich um eine Flüssigkeit, die nach Farbe, Beschaffenheit und Aussehen der Milch tierischen Ursprungs entspreche. Es bestünden keine Unterschiede hinsichtlich der Verwendung. Milch tierischen und Milch pflanzlichen Ursprungs könne nur pur als Flüssigkeit, als Beigabe zu Tee und Kaffee oder als Zutat für Gebäck, Nachspeisen, Püree, Soßen etc. verzehrt werden. Dementsprechend würden Rezepte für die Zubereitung von Lebensmitteln Milch pflanzlichen Ursprungs alternativ zu Milch tierischen Ursprungs benennen. Schließlich bestünden auch im Hinblick auf die Nährwerteigenschaften keine Unterschiede, die die Anwendung verschiedener Steuersätze rechtfertigten.
28Letztlich sei auch Artikel 3 des Grundgesetzes zu beachten. Umsatzsteuerrechtliche Differenzierungen bedürften daher eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes. Solle durch die steuerliche Begünstigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG der Bezug der lebensnotwendigen Verbrauchsgüter entlastet werden, bestünde für eine steuerliche Differenzierung zwischen Milch tierischen Ursprungs und pflanzlichen Milchersatzprodukten kein derartiger sachlicher Rechtfertigungsgrund. Denn beide Warenarten wiesen dieselben für den Verbraucher spezifischen Eigenschaften und Nährwerte auf. Darüber hinaus stelle Milch pflanzlichen Ursprungs ein Substitut für tierische Milch dar. Bei den Milchersatzprodukten pflanzlichen Ursprungs handele es sich für Personen, die unter Milch- und Eiweißallergie und Überempfindlichkeit gegen Milchzucker leiden würden, um ein ebenso notwendiges Verbrauchsgut, wie es tierische Milch für andere Konsumenten darstelle.
29Der Beklagte hat am 28.04.2004 den Umsatzsteuerjahresbescheid für 2002 erlassen. Der Bescheid erging unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
30Der Beklagte hat am 17.05.2004 den Umsatzsteuerjahresbescheid für 2002 gemäß § 164 Abs. 2 geändert. Der Vorbehalt der Nachprüfung blieb bestehen.
31Im Rahmen des zuletzt genannten Bescheids gelangt der Beklagte unter Berücksichtigung des Regelsteuersatzes von 16%, den er hinsichtlich der von der Klägerin erklärten, und ihrer Auffassung nach mit einem Steuersatz von 7% zu versteuernden, Umsätze zugrundelegt, zu einem Umsatzsteuerbetrag von ....... EUR. Die Klägerin gelangt hinsichtlich dieser Umsätze in Höhe von ....... EUR unter Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes von 7% zu einem Steuerbetrag von ....... EUR.
32Die Klägerin beantragt,
33den Umsatzsteuerbescheid 2002 vom 28.04.2004 in der Fassung vom 17.05.2004 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer 2002 auf
34./. ...... EUR herabgesetzt wird, im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
35Der Beklagte beantragt,
36die Klage abzuweisen,
37im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
38E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
39Die Klage richtet sich zulässigerweise gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 2002 und nicht mehr gegen den ursprünglich angefochtenen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für das 2. Quartal 2002. Denn mit dem Erlass des Umsatzsteuerjahresbescheids 2002 vom 28.04.2004 während der Anhängigkeit des vorliegenden Klageverfahrens ist dieser Bescheid gemäß § 68 S. 1 FGO kraft Gesetzes an die Stelle des ursprünglich angefochtenen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheids getreten und zum Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden.
40Insoweit entspricht es der Rechtsprechung des BFH, dass ein Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid als Klagegegenstand durch einen im Verlaufe des Klageverfahrens erlassenen Umsatzsteuerjahresbescheid im Sinne des § 68 S. 1 FGO ersetzt wird und dass der Umsatzsteuerjahresbescheid zum Gegenstand des betreffenden Klageverfahrens wird (vgl. Beschluss des BFH vom 22. Oktober 2003 V B 103/02, BFH/NV 2004, 502).
41Mit der Änderung des Umsatzsteuerjahresbescheids 2002 vom 28.04.2004 am 17.05.2004 ist wiederum dieser Änderungsbescheid, ebenfalls gemäß § 68 S. 1 FGO, zum Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens geworden.
42Die Klage ist begründet.
43Der ermäßigte Steuersatz von 7 % ist gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Anlage 2 UStG auch auf die von der Klägerin gelieferten pflanzlichen Milchersatzprodukte anzuwenden. Die Vorschrift des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG ist insoweit unter Berücksichtigung des Regelungsgehalts des Artikel 12 Abs. 3 Buchstabe a Unterabsatz 3 i.V.m. Anhang H der Richtlinie 77/388/EWG dahingehend richtlinienkonform auszulegen, dass auch pflanzliche Milchersatzprodukte vom Anwendungsbereich des ermäßigten Steuersatzes erfasst werden.
44Der angefochtene Umsatzsteuerbescheid 2002 verletzt die Klägerin daher in ihren Rechten im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO und ist vom Senat gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO zu ändern; die Umsatzsteuer ist entsprechend dem Antrag der Klägerin herabzusetzen.
45I. Das Umsatzsteuergesetz sieht in Anlage 2 Nr. 4 und Nr. 35 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG vor, dass Milch und Milcherzeugnisse sowie Milchmischgetränke mit einem Anteil an Milch oder Milcherzeugnissen von mindestens 75 % vom Hundert des Fertigerzeugnisses zu denjenigen Gegenständen gehören, die dem ermäßigten Steuersatz von 7 % gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG unterliegen.
46Der erkennende Senat vermag dem Wortlaut dieser Warenbezeichnungen nicht die Bedeutung zu entnehmen, dass sie inhaltlich einzig und allein auf tierische Milchprodukte zur Anwendung gelangen könnten. Der insoweit verwandte Begriff der "Milch" lässt es nach Auffassung des erkennenden Senats, jedenfalls in umsatzsteuerrechtlicher Hinsicht nicht ausgeschlossen erscheinen, dass unter dem Begriff der Milch im Rahmen einer richtlinienkonformen Auslegung nicht nur Milch tierischen Ursprungs, sondern auch Milch pflanzlichen Ursprungs subsummiert werden kann, auch wenn sich dies in zolltariflicher oder lebensmittelrechtlicher Hinsicht möglicherweise anders verhalten mag.
47Der insoweit gebotenen Beachtung des sich aus Artikel 12 Abs. 3 Buchstabe a Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG ergebenden Gebots der steuerlichen Neutralität kann im Streitfall nur im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung der Warenbezeichnungen Nr. 4 und 35 der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG Rechnung getragen werden.
481. Durch Artikel 12 Abs. 3 Buchstabe a Unterabsatz 3 i.V.m. Anhang H der Richtlinie 77/388/EWG sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft dazu ermächtigt worden, neben dem "Normalsatz" außerdem ein oder zwei ermäßigte Steuersätze anzuwenden. Gemäß dieser Richtlinienbestimmung ist dieser ermäßigte Steuersatz nur auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H der Richtlinie 77/388/EWG genannten Kategorien anwendbar.
49Auf der Grundlage des Anhangs H zu Artikel 12 Abs. 3 Buchstabe a Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG hat der deutsche Gesetzgeber in § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. der hierzu ergangenen Anlage 2 eine Liste der dem ermäßigten Steuersatz unterliegenden Gegenstände aufgestellt, wobei sich die dort aufgeführten Warenbezeichnungen an den Kapiteln, Positionen, Unterpositionen sowie Expositionen des Zolltarifs orientieren.
50Dabei wird durch die Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG der ermäßigte Steuersatz u.a. für nahezu alle Lebensmittel gewährt, was mit der sozialpolitischen Zielsetzung der Vorschrift zu begründen ist, durch die ermäßigte Besteuerung der lebensnotwendigen Verbrauchsgüter für die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen eine spürbare steuerliche Entlastung bei den grundlegenden Bedarfsgütern zu bewirken. Dieses Vorgehen des deutschen Gesetzgebers ist auch durch die Richtlinie gedeckt, denn in Kategorie 1 des Anhangs H zu Art. 12 Abs. 3 Buchstabe a Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388/EG sind unter anderem Nahrungs- und Futtermittel (einschließlich Getränke, alkoholische Getränke jedoch ausgenommen) als solche Gegenstände aufgeführt, auf die der ermäßigte Steuersatz angewandt werden kann.
51Das Umsatzsteuergesetz trifft somit im Rahmen des § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Anlage 2 UStG auf der Grundlage des insoweit verbindlichen Artikels 12 Abs. 3 Buchstabe a Unterabsatz 3 i.V.m. Anhang H der Richtlinie 77/388/EWG eine Auswahl der ermäßigt zu besteuernden Gegenstände.
522. Zwar können die Mitgliedstaaten bei der Übertragung der mit dem ermäßigten Steuersatz zu besteuernden Gegenstände aus den in Anhang H der Richtlinie 77/388/EWG enthaltenen Kategorien in ihre einzelstaatlichen Rechtsvorschriften den genauen Geltungsbereich der betreffenden Kategorien anhand der Kombinierten Nomenklatur abgrenzen. Die Mitgliedstaaten müssen dabei jedoch den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten. Bei der Auswahl und Bestimmung der Befreiungstatbestände verbietet es dieser Grundsatz, gleichartige und miteinander im Wettbewerb stehende Waren und Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.
53So hat der Europäische Gerichtshof in jüngerer Zeit wiederholt und verstärkt hervorgehoben, dass unterschiedliche Mehrwertsteuersätze nur dann zulässig sind, wenn sie nicht den dem gemeinsamen Mehrwertsteuersystem zugrundeliegenden Grundsatz der steuerlichen Neutralität verletzen, der von den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie 77/388/EWG zu beachten ist (vgl. EuGH-Urteile vom 7. September 1999 C-216/97, UVR 1999, 405, vom 3. Mai 2001 C-481/98, Beilage zu BFH/NV 2001, 142 sowie vom 11. Oktober 2001 C-267/99, Beilage zu BFH/NV 2002, 21; allgemein zum Grundsatz der umsatzsteuerlichen Neutralität aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben des weiteren EuGH-Urteile vom 25. Juni 1997 C-45/95, UVR 1997, 331; vom 11. Juni 1998 C-283/95, UVR 1998, 308). Der Europäische Gerichtshof konkretisiert diesen Grundsatz der steuerlichen Neutralität dahingehend, dass es nach diesem Prinzip insbesondere unzulässig sei, gleichartige und deshalb miteinander im Wettbewerb stehende Waren hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. In Folge dessen seien solche Erzeugnisse einem einheitlichen Steuersatz zu unterwerfen. Dementsprechend schließe der Grundsatz der steuerlichen Neutralität auch die Grundsätze der Einheitlichkeit der Mehrwertsteuer und der Beseitigung von Wettbewerbsverzerrungen ein (vgl. EuGH-Urteile vom 3. Mai 2001 C-481/98, Beilage zu BFH/NV 2001, 142 und vom 11. Oktober 2001 C-267/99, Beilage zu BFH/NV 2002, 21). Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verbiete es insoweit, dass Wirtschaftsteilnehmer, die die gleichen Umsätze bewirkten, bei der Besteuerung unterschiedlich behandelt würden (vgl. EuGH-Urteil vom 7. September 1999 C-216/97, UvR 1999, 405).
54Zwar ermächtige Artikel 12 Abs. 3 a Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG die Mitgliedstaaten dazu, auf bestimmte im Anhang H dieser Richtlinie aufgeführte Waren und Dienstleistungen einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden und zwar falle die Entscheidung über die Ausübung dieses Rechts allein in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Bei der Ausübung dieser Zuständigkeit müssten die Mitgliedstaaten jedoch den Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachten. Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes hervorgehe, verbiete es dieser Grundsatz insbesondere, gleichartige und deshalb miteinander im Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln. Auf solche Waren oder Dienstleistungen sei daher ein einheitlicher Steuersatz anzuwenden (so zuletzt noch EuGH-Urteil vom 23. Oktober 2003 C-109/02, BStBl II 2004, 337 = 482).
55So gesehen handelt es sich bei dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität um einen Artikel 12 Abs. 3 Buchstabe a Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG immanenten und diese Regelung konkretisierenden Wesensbestandteil, der ein Kernelement und eine Elementarvoraussetzung für die Anwendung unterschiedlicher Steuersätze darstellt. Denn nur unter Berücksichtigung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität im Rahmen des Artikel 12 Abs. 3 Buchstabe a Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG kann die wettbewerbsneutrale Anwendung unterschiedlicher Steuersätze sichergestellt werden.
56II. Vor dem Hintergrund dieses Regelungsgehalts des Art. 12 Abs. 3 Buchstabe a Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG ist § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Anlage 2 UStG, dahingehend richtlinienkonform auszulegen, dass der ermäßigte Steuersatz nach dieser Vorschrift auch für pflanzliche Milchersatzprodukte und nicht lediglich für Milch tierischen Ursprungs zur Anwendung gelangt.
571. Es handelt sich bei den von der Klägerin gelieferten pflanzlichen Milchersatzprodukten in tatsächlicher Hinsicht um Gegenstände, die sowohl im Hinblick auf ihre chemische Beschaffenheit und Zusammensetzung, als auch im Hinblick auf ihr Aussehen sowie insbesondere auch hinsichtlich ihrer Verwendungsbreite und Einsatzmöglichkeiten den tierischen Milchprodukten im wesentlichen gleichartig sind. Die von der Klägerin gelieferten pflanzlichen Milchersatzprodukte verfügen über einen den tierischen Milchprodukten vergleichbaren Eiweißgehalt sowie eine vergleichbare Menge an Kohlenhydraten und Mineralstoffen. Auch weisen die pflanzlichen Milchersatzprodukte im Vergleich mit den tierischen Milchprodukten entsprechende Nähr- und Brennwerte auf. Ebenso wenig unterscheiden sich beide Produktgruppen hinsichtlich des Eiweiß- und des Fettgehalts sowie den Calciumbestandteilen.
58Es steht darüber hinaus auch zur Überzeugung des erkennenden Senats fest, dass die von der Klägerin gelieferten pflanzlichen Milchersatzprodukte den identischen Einsatzbereich als Getränk, als Zutat bei der Zubereitung von Speisen sowie als Beigabe von Getränken - Kaffee und Tee - haben. Dieser Umstand ist dem Gericht darüber hinaus bereits aus eigener Anschauung bekannt.
59Von dieser, in den wesentlichen Punkten bestehenden, Gleichartigkeit der tierischen Milchprodukte sowie der pflanzlichen Milchersatzprodukte geht im übrigen auch der Beklagte selbst aus.
602. Als Folge dieser tatsächlichen Feststellung, nämlich dass es sich bei den tierischen Milchprodukten und den pflanzlichen Milchersatzprodukten um im wesentlichen gleichartige Waren- bzw. Produktgruppen handelt, insbesondere im Hinblick auf ihre Beschaffenheit und ihre Einsatzmöglichkeiten als Getränk und Zutat für die Zubereitung von Speisen, ergibt sich zugleich, dass es sich bei den tierischen Milchprodukten sowie bei den pflanzlichen Milchersatzprodukten um ausreichend gleichartige Produkte handelt, die deshalb unmittelbar miteinander im Wettbewerb stehen.
61Denn mit den genannten nahezu übereinstimmenden, zumindest aber ganz überwiegend vergleichbaren Nährwerten sprechen beide Produktgruppen, also sowohl die tierischen Milcherzeugnisse, als auch die pflanzlichen Milchersatzprodukte, die gleichen aktuellen und potentiellen ernährungs- und gesundheitsbewussten Verbrauchergruppen an. Aus diesem Grunde handelt es sich bei der Klägerin und den Herstellern der herkömmlichen tierischen Milchprodukte bzw. bei den pflanzlichen Milchersatzprodukten und den tierischen Milchprodukten um gleichartige und deshalb miteinander unmittelbar im Wettbewerb stehende Marktteilnehmer/Anbieter bzw. Waren. Insoweit besteht kein sachlicher Grund dafür, warum diese gleichartigen und miteinander im Wettbewerb stehenden Marktteilnehmer und Waren mit unterschiedlichen Mehrwertsteuersätzen belegt werden sollten und aus welchem sachlichen Grund damit eine effektive - preisliche - Benachteiligung der mit dem höheren Mehrwertsteuersatz belasteten Warengruppe der pflanzlichen Milchersatzprodukte am Markt gerechtfertigt sein sollte.
623. Soweit der erkennende Senat im Aussetzungsbeschluss vom 10.04.2003 zum Aktenzeichen 7 V 582/03 für das einstweilige Rechtsschutzverfahren darauf hingewiesen hat, dass insoweit möglicherweise noch eine weitere Sachaufklärung dahingehend erforderlich sei, inwieweit die Klägerin mit ihren Produkten in einem ganz überwiegenden oder lediglich in einem zu vernachlässigenden Umfang die gleichen Verbraucherkreise und Käuferschichten anspricht, wie die Hersteller herkömmlicher tierischer Milchprodukte, so verfolgt der Senat diesen, im summarischen, einstweiligen Rechtsschutzverfahren aufgegriffenen Gedanken nicht weiter.
63Für den Senat ist im Rahmen des vorliegenden Hauptsacheverfahrens maßgeblich und letztlich entscheidend, dass die Klägerin mit ihren pflanzlichen Milchersatzprodukten auf dem Markt der Milchprodukte insgesamt, sowohl als Getränk als auch als Zutat zur Speisezubereitung, zu den tierischen Milchprodukten bereits derzeit in unmittelbarem Wettbewerb steht. Dabei müssen der Klägerin in umsatzsteuerlicher Hinsicht die gleichen Wettbewerbsbedingungen geboten werden, wie diese denjenigen Unternehmen geboten werden, die sich mit der Lieferung tierischer Milchprodukte befassen, damit die Klägerin nicht bereits durch einen erhöhten Umsatzsteuersatz preisliche Wettbewerbsnachteile erleidet.
64III. Im Streitfall ergibt sich die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die von der Klägerin gelieferten pflanzlichen Milchersatzprodukte aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Anlage 2 UStG.
651. Das nationale Umsatzsteuerrecht ist von den es anwendenden Gerichten und Finanzbehörden richtlinienkonform auszulegen. Die Verpflichtung zur richtlinienkonformen Auslegung beruht gemeinschaftsrechtlich auf Artikel 10 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EGV), dem Gebot des gemeinschaftsfreundlichen Verhaltens. Danach haben die Mitgliedstaaten der Europäischen Union alle Maßnahmen zu treffen, die der Erfüllung des Vertrages oder von Handlungen der Gemeinschaft dienen und alle insoweit störenden Maßnahmen zu unterlassen (so allgemein zu Umfang, Inhalt und Grenzen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts Geiger, EUV/EGV, 4. Auflage 2004, Artikel 10 EGV Rdn. 27 ff. sowie 34 ff.; Artikel 249 EGV Rdn. 12 ff.; Schroeder in Streinz, EUV/EGV, 1. Auflage 2003, Artikel 249 EGV Rdn. 125 - 131). Insbesondere aus Artikel 249 Abs. 3 EGV ist abzuleiten, dass das nationale Umsatzsteuerrecht im Hinblick auf die Richtlinie 77/388/EWG richtlinienkonform auszulegen ist. Denn gemäß Artikel 249 Abs. 3 EGV ist die Richtlinie für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel der Umsetzung.
66In der Rechtsprechung des Bundesfinanzhof ist die richtlinienkonforme Auslegung von Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes, gleichgültig ob diese dem Steuerbürger günstiger oder ungünstiger als das nationale Umsatzsteuerrecht sind, anerkannt (vgl. z.B. Urteile des BFH vom 2. April 1998 V R 34/97, BStBl II 1998, 695; vom 27. Juli 2000 V R 55/99, BStBl II 2001, 426; vom 25. April 2002 V R 58/00, BStBl II 2003, 436).
672. Im Streitfall ergibt sich aus dieser Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung der Bestimmungen des nationalen Umsatzsteuerrechts, dass § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Anlage 2 UStG richtlinienkonform dahingehend auszulegen ist, dass der ermäßigte Steuersatz von 7 % auch für die Lieferung von pflanzlichen Milchersatzprodukten anzuwenden ist.
68Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Artikel 12 Abs. 3 a Unterabsatz 3 i.V.m. Anhang H der Richtlinie 77/388/EWG folgt, dass die Mitgliedstaaten bei der Ausübung ihrer durch Artikel 12 Abs. 3 Buchstabe a Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG eingeräumten Ermächtigung zur Einführung eines ermäßigten Steuersatzes den Grundsatz der steuerlichen Neutralität zu beachten haben. Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität stellt insoweit einen Artikel 12 Abs. 3 a Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG immanenten Grundsatz dar, den die Mitgliedstaaten bei der Inanspruchnahme der Ermächtigung des Artikels 12 Abs. 3 a Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG zu beachten haben. Dieser Grundsatz verbietet es, gleichartige und deshalb miteinander im Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.
69Da es sich bei der tierischen Milch und den pflanzlichen Milchersatzprodukten, wie bereits festgestellt, um ausreichend gleichartige und deshalb miteinander unmittelbar im Wettbewerb stehende Waren handelt, folgt aus Artikel 12 Abs. 3 a Unterabsatz 3 i.V.m. Anhang H der Richtlinie 77/388/EWG, dass eine Differenzierung zwischen Milch tierischen Ursprungs und pflanzlichen Milchersatzprodukten hinsichtlich des Steuersatzes zu einer Wettbewerbsverzerrung führt und mithin nicht zulässig ist.
703. Diese richtlinienkonforme Auslegung der Bestimmung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Anlage 2 UStG hält sich auch noch in den Grenzen des Wortlauts des Gesetzes, denn unter die Begriffe, Milch, Milcherzeugnisse oder Milchmischgetränke können in umsatzsteuerlicher Hinsicht auch pflanzliche Milchersatzgetränke subsumiert werden. Denn bei denjenigen Warenbezeichnungen, die nicht insgesamt auf die zolltariflichen Begriffe verweisen, sondern nur einzelne Waren- und Produktgruppen in Bezug nehmen, was die Nr. 4 und 35 der Anlage 2 bei den Begriffen Milch, Milcherzeugnissen und Milchmischgetränken gerade tun, hat die umsatzsteuerliche Zielsetzung des Gesetzes grundsätzlich Vorrang (vgl. BFH-Urteil vom 14. Januar 1997 VII R 47/96, BStBl II 1997, 481). Somit kann es im Streitfall insoweit nicht auf die zolltariflichen oder lebensmittelrechtlichen Auslegungsinhalte und -grenzen für den Milchbegriff ankommen, entscheidend ist insoweit vielmehr eine von der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Umsatzsteuerrechts geprägte Auslegung des Milchbegriffs.
71IV. Soweit der Beklagte demgegenüber geltend gemacht hat, dass er aufgrund der Regelung des Artikels 12 Abs. 3 Buchstabe a Unterabsatz 3 der Richtlinie 77/388/EWG und des dazu ergangenen Anhangs H nicht ermächtigt sei, den ermäßigten Steuersatz anzuwenden, vielmehr die Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG einer solchen Erweiterung gerade entgegenstehe, so ist dieser Rechtsstandpunkt des Beklagten nicht durchgreifend.
72Abgesehen davon, dass es nach Auffassung des Senats nicht zwingend ist, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung der Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG bereits konkret an die Existenz von pflanzlichen Milchersatzprodukten gedacht hat, die nach Kenntnis des Senats erst seit Anfang der 80er Jahre in nennenswertem Umfang auf dem deutschen Markt angeboten werden, und deshalb ganz bewusst die pflanzlichen Milchersatzprodukte von der umsatzsteuerlichen Privilegierung ausschließen wollte, erscheint es aus Sicht des Senats auch nicht eindeutig, dass die Nummern 4 und 35 der Anlage 2, Milch und Milcherzeugnisse bzw. Milchmischgetränke mit einem Anteil an Milch und Milcherzeugnissen von mindestens 75 % des Fertigerzeugnisses, sich ausschließlich - grammatikalisch wie inhaltlich - in umsatzsteuerlicher Hinsicht nur auf tierische Milchprodukte beziehen müssen und eine Einbeziehung pflanzlicher Milchprodukte oder pflanzlicher Milchmischgetränke von vornherein ausgeschlossen ist.
73Für den erkennenden Senat ist insoweit jedoch entscheidend, dass, selbst wenn die Rechtsauffassung des Beklagten zutreffend sein sollte, dass die Anlage 2 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG in Verbindung mit der Kombinierten Nomenklatur unter Zugrundelegung zolltariflicher - nicht umsatzsteuerrechtlicher - Auslegungsgrundsätze eine entsprechende Einbeziehung der pflanzlichen Milchersatzprodukte nicht gestatte, in diesem Fall dennoch ein Verstoß gegen den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der steuerlichen Neutralität gegeben ist.
74Dieser Verstoß lässt sich aber nur durch eine gemeinschaftsrechtskonforme bzw. richtlinienkonforme Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Anlage 2 ausräumen, die sich dabei auch noch in den Grenzen des Wortlauts der betreffenden nationalen Umsatzsteuerregelung hält.
75V. Die von der Klägerin begehrte Herabsetzung der festgesetzten Umsatzsteuer ist auch rechnerisch nachvollziehbar.
76Der Beklagte hat hinsichtlich der von der Klägerin zum ermäßigten Steuersatz angemeldeten Umsätze von ......... EUR unter Berücksichtigung der von der Klägerin in Ansatz gebrachten 7 %igen Umsatzsteuer den Bruttobetrag i.H.v. ......... EUR errechnet und hieraus die 16 %ige Umsatzsteuer herausgerechnet. Dies ergibt eine 16 %ige Umsatzsteuer i.H.v. ....... EUR.
77Die Klägerin hat hingegen aus diesen Umsätzen lediglich eine 7 %ige Umsatzsteuer i.H.v. ....... EUR errechnet, so dass der Differenzbetrag i.H.v. ....... EUR von der festgesetzten Umsatzsteuer i.H.v. ......EUR abzusetzen ist und sich mithin ein festzusetzender Mehrwertsteuerbetrag i.H.v. ...... EUR ergibt.
78Der Senat setzt daher gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO die Umsatzsteuer auf
79./. ...... EUR herab.
80VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
81VII. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3, § 155 FGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
82VIII. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. So hat der Bundesfinanzhof, soweit ersichtlich, bislang noch nicht die Frage entschieden, welche Bedeutung der vom Europäischen Gerichtshof in letzter Zeit immer stärker betonte Grundsatz der steuerlichen Neutralität für die Regelungen des nationalen Umsatzsteuerrechts hinsichtlich der differenzierten Geltung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 12 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. Anlage 2 UStG auf vergleichbare bzw. gleichartige Warengruppen hat. Dies gilt um so mehr vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 23.10.2003 (Rs. C-109/02, BStBl II 2004, 337 = 482) zur Gleichbehandlung von Ensembles und Solisten bei der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes und der sich daraus ergebenden Unvereinbarkeit des § 12 Abs. 2 Nr. 7 UStG mit Artikel 12 Abs. 3 Buchstabe a Unterabsatz 3 Richtlinie 77/388/EWG.
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