Urteil vom Finanzgericht Köln - 5 K 1348/11
Tenor
Die Grunderwerbsteuerbescheide vom 22.02.2010 und 20.04.2010 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 28.03.2011 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten darüber, ob der Festsetzung von Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) die Festsetzungsverjährung entgegensteht.
3Mit Vertrag vom 30.01.2002, UR.Nr. a/2002 B, erwarb der Kläger von Frau A 100 % der Anteile an der B GmbH (GmbH). Frau A hatte die Anteile zuletzt mit Vertrag vom 25.04.2001, UR.Nr. b/2001 B, als Treuhänderin vom Kläger als Treugeber erworben. Dem Kaufvertrag vom 30.01.2002 war ein Kaufangebot vom 02.11.2001, UR.Nr. c/2001 B, der C-Finanz-Vermittlung GmbH an den Kläger zum Erwerb der Anteile an der GmbH vorausgegangen. Dieses Angebot nahm der Kläger mit Vertrag ebenfalls vom 30.01.2002, UR.Nr. d/2002 B, an. Die Verträge a/2002 B und d/2002 B wurden der Körperschaftsteuerstelle des Beklagten durch den Notar mit Schreiben vom 31.01.2002 übersandt und gingen dort am 05.02.2002 ein. Das Kaufangebot c/2001 B wurde ebenfalls an den Beklagten übersandt und ging dort am 09.11.2001 ein. Am 27.03.2002 erstellte die Körperschaftssteuerstelle eine entsprechende Kontrollmitteilung an die Grunderwerbsteuerstelle, der u.a. die Verträge a/2002 B, d/2002 B und c/2001 B beigefügt waren. Ob diese Mitteilung bei der Grunderwerbsteuerstelle eingegangen ist, ist zwischen den Beteiligten streitig.
4Zum Vermögen der GmbH gehörten zum Zeitpunkt der Anteilsvereinigung verschiedene Grundstücke. Dieser Vorgang wurde im Rahmen einer Betriebsprüfung des Finanzamts D bei der GmbH festgestellt und an die zuständige Grunderwerbsteuerstelle des Beklagten mit Schreiben vom 24.09.2009 weiter geleitet.
5Daraufhin setzte der Beklagte mit Bescheid vom 30.09.2009 Grunderwerbsteuer gemäß § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG in Höhe von 105.292,00 € fest. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit der Begründung der inhaltlichen Unbestimmtheit des Verwaltungsaktes Einspruch ein, dem der Beklagte entsprach und den Bescheid aufhob. Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 22.02.2010 gegenüber dem Kläger dann erneut Grunderwerbsteuer fest und stützte sich hierbei auch auf die verlängerte Festsetzungsfrist von fünf Jahren nach § 169 Abs. 2 Satz 2 Abgabenordnung (AO), weil die Grunderwerbsteuer leichtfertig verkürzt worden sei. Im Verlauf des hiergegen gerichteten Einspruchsverfahrens erließ der Beklagte aufgrund geänderter Mitteilungen über die Feststellung der Bedarfswerte am 20.04.2010 einen Änderungsbescheid, der zum Gegenstand des Einspruchsverfahrens wurde. Der Einspruch wurde mit Entscheidung vom 20.03.2011 als unbegründet zurückgewiesen, wobei der Beklagte die Grunderwerbsteuer in Auswertung des Bescheides über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes auf den 30.01.2001 für Zwecke der Grunderwerbsteuer verminderte. Zur Begründung seiner ablehnenden Entscheidung führte der Beklagte wie folgt aus:
6Durch den Vertrag vom 25.01.2001 sei bereits eine Anteilsvereinigung nach § 1 Abs. 3 GrEStG durch A verwirklicht worden. Die Verwirklichung sei unabhängig davon, dass diese nur 10 % als eigene und 90 % der Anteile als Treuhänderin gehalten habe. Im Rahmen des § 1 Abs. 3 GrEStG könne auch in der Hand eines Treuhänders eine Anteilsvereinigung stattfinden.
7Mit Vertrag vom 31.01.2002 habe der Kläger von Frau A 100 % der Anteile an der GmbH erworben und somit eine Anteilsvereinigung i.S. des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG verwirklicht. Die Vorschrift des § 3 Nr. 8 GrEStG komme nicht zur Anwendung, da für den Übertragungsvorgang, durch den der Treuhänder den Anspruch auf Übereignung des Grundstücks erlangt habe, die Steuer nicht entrichtet worden sei. Gemäß § 16 Abs. 5 GrEStG finde die Vorschrift des § 16 Abs. 2 GrEStG ebenfalls keine Anwendung, da ein in § 1 Abs. 3 GrEStG bezeichneter Erwerbsvorgang nicht ordnungsgemäß angezeigt worden sei. Eine Änderungssperre nach § 173 Abs. 2 AO auf Grund der für die Jahre 2001 bis 2004 bei der GmbH durchgeführten Betriebsprüfung greife nicht, da sich der Umfang der Änderungssperre ausschließlich nach dem Inhalt der Prüfungsanordnung richte. Da im Rahmen der Betriebsprüfung keine Anordnung hinsichtlich der Grunderwerbsteuer erfolgt sei, trete auch keine Änderungssperre ein. Gemäß § 170 AO beginne die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden sei. Dies wäre vorliegend mit Ablauf des Kalenderjahres 2002 gewesen mit der Folge, dass die regelmäßige vierjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO mit Ablauf des 31.12.2006 geendet hätte. Abweichend hiervon bestimme jedoch § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO in den Fällen, in denen eine Anzeige zu erstatten sei, dass die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginne, in dem die Anzeige eingereicht werde, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, welches auf das Kalenderjahr folge, in dem die Steuer entstanden sei. Anzeigepflichten bestünden gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG sowohl für den beurkundenden Notar als auch gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 6 GrEStG für die Vertragspartner. Da die Vertragsparteien ihrer Anzeigepflicht nicht nachgekommen seien, beginne vorliegend, selbst wenn der Notar seine Anzeigepflicht erfüllt hätte, die Festsetzungsverjährungsfrist erst mit Ablauf des 31.12.2005 und ende nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO bei Annahme einer leichtfertigen Steuerverkürzung i.S. des § 378 AO nach fünf Jahren zum 31.12.2010. Die Übersendung der Verträge durch den beurkundenden Notar an die Körperschaftsteuerstelle sei nicht ausreichend, da die für die Verwaltung der Grunderwerbsteuer zuständige Organisationseinheit keine positive Kenntnis des Erwerbsvorgangs erlangt habe.
8Es sei auch zu Recht von einer leichtfertigen Steuerverkürzung auszugehen. Leichtfertig verkürzt seien die Beträge, für die der objektive und subjektive Tatbestand des § 378 AO erfüllt sei. Leichtfertigkeit bedeute einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit, der in etwa der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechtes entspreche und im Gegensatz dazu auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters abstelle. Die Nichterstattung einer erforderlichen Anzeige sei eine gravierende Pflichtverletzung. Der Kläger sei im Zeitpunkt der Anteilsübertragung im Januar 2002 alleiniger Geschäftsführer der GmbH gewesen. Auf Grund seiner kaufmännischen Tätigkeit seien an ihn sogar höhere Anforderungen zu stellen. Er hätte sich bei rechtlichen Zweifeln über seine steuerlichen Pflichten bei qualifizierten Auskunftspersonen erkundigen müssen. Dann wäre ihm bekannt gewesen, mit welchem Inhalt und in welcher Form der Steuerpflichtige seine Anzeigepflichten zu erfüllen habe und insbesondere, dass der Erwerb bei der Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamts anzuzeigen sei. Es liege vorliegend auch ein Ursachenzusammenhang zwischen der Verletzung der Anzeigepflicht und der eingetretenen Steuerverkürzung vor. Der Taterfolg müsse gerade auf der Sorgfaltspflichtverletzung beruhen. Für ein Unterlassen nach § 370 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sei es aber ausreichend, dass der Täter die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch den Steueranspruch konkret gefährdet habe. Nur wenn die rechtzeitige und zutreffende Steuerfestsetzung aus anderen Gründen unterblieben sei, obwohl sie der Finanzbehörde rechtlich und tatsächlich ohne weiteres möglich gewesen wäre, habe der Steuerpflichtigen den Steueranspruch konkret nicht gefährdet.
9Mit der hiergegen gerichteten Klage trägt der Kläger wie folgt vor:
10Den materiell-rechtlichen Ausführungen des Beklagten zur Entstehung der Grunderwerbsteuer sei zu folgen. Der Festsetzung der Grunderwerbsteuer durch Bescheide vom 22.02. bzw. 20.04.2010 stehe jedoch der Ablauf der Festsetzungsfrist entgegen.
11Entgegen der Ansicht des Beklagten liege eine Verletzung der Anzeigepflicht nicht vor. Aufgrund der Kontrollmitteilung an die Grunderwerbsteuerstelle vom 27.03.2002 und der Übersendung der UR-Nr. c/2001B am 07.11.2001 habe diese als zuständige Stelle positive Kenntnis von den hier relevanten Vorgängen gehabt. Die Verletzung einer etwaigen Anzeigepflicht könne daher nicht relevant sein. Da die zuständige Grunderwerbsteuerstelle den gesamten Vorgang gekannt habe, würden die Anforderungen an die Anzeigeverpflichtung überspannt, wenn auch in einem solchen Falle verlangt würde, dass die Anzeige genau an die Grunderwerbsteuerstelle adressiert sein müsse, zumal § 19 Abs. 4 GrEStG nur das Finanzamt und nicht die zuständige Grunderwerbsteuerstelle als Adressat bezeichne. Im Übrigen genüge es, wenn einer der zu einer Anzeige Verpflichteten seiner Anzeigepflicht nachkomme. Dann werde der Beginn der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht dadurch weiter hinausgeschoben, dass für denselben Rechtsvorgang ein weiterer Anzeigeverpflichteter seine Anzeigepflicht nicht erfüllt habe. Deshalb habe die maßgebliche Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO am 01.01.2003 begonnen und sei gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO am 31.12.2006 abgelaufen.
12Auch die Voraussetzungen für eine leichtfertige Steuerverkürzung gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO lägen nicht vor. Leichtfertigkeit bedeute einen erhöhten Grad von Fahrlässigkeit. Der Begriff umfasse ein Verhalten, das gravierend gegen die Sorgfaltspflichten verstoße und dem Täter besonders vorzuwerfen sei, weil er den Erfolg vielleicht hätte vorhersehen und dementsprechend vermeiden können. Im Rahmen der Anzeigeverpflichtung des Grunderwerbsteuergesetzes habe bisher lediglich das Finanzgericht (FG) Bremen mit Urteil vom 19.01.1993 2 K 163/90, EFG 1993, 540, und der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 19.02.2009 II R 49/07, DStRE 2009, 877, über eine leichtfertige Steuerverkürzung geurteilt. Entgegen der Auffassung des Beklagten könnten hieraus aber keine Rückschlüsse für den vorliegenden Sachverhalt gezogen werden. Das FG Bremen habe über einen Sachverhalt entschieden, bei dem ein Notar seiner Pflicht gemäß § 18 GrEStG nicht nachgekommen sei. Der BFH habe einen Einbringungstatbestand zu beurteilen gehabt und festgestellt, dass bloße Untätigkeit nicht automatisch Leichtfertigkeit ausschließe. Nach diesem Urteil müsse sich der Steuerpflichtige bei Zweifeln über seine steuerlichen Pflichten bei qualifizierten Auskunftspersonen erkundigen und dabei seien an einen Kaufmann zumindest bei Rechtsgeschäften, die zu seiner kaufmännischen Tätigkeit gehörten, höhere Anforderungen zu stellen als bei anderen Steuerpflichtigen. Die Erkundigungspflichten umfassten auch die an eine Steuerpflicht anknüpfenden Verfahrenspflichten. Wer die Steuerpflicht seines Verhaltens kenne, sei umso mehr gehalten, sich um die damit verbundenen Erklärungs- und Anzeigepflichten zu kümmern. Das FG Bremen betone, dass für die subjektive Vorwerfbarkeit auf die äußerlich erkennbaren Indizien abzustellen und das Maß der Vorwerfbarkeit an den individuellen Fähigkeiten des Täters zu orientieren sei. Wegen der Kompliziertheit des Steuerrechtes dürften jedoch keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Das FG vergleiche diesbezüglich zutreffend den Notar mit einem steuerlichen Berater, der sich höheren Anforderungen stellen müsse. Vorliegend habe es sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht um ein Rechtsgeschäft gehandelt, das zur kaufmännischen Tätigkeit des Klägers gehört habe. Der Verkauf von Gesellschaftsanteilen im Privatvermögen hänge nicht mit der Führung der Geschäfte der GmbH zusammen. Gemäß dem BFH-Urteil müsse der Steuerpflichtige seine Steuerpflicht gekannt haben. Eine Verletzung der Anzeigepflicht setze also zumindest das Erahnen einer Steuerpflicht voraus. Der Schluss, dass bei einer Anteilsveräußerung an einer Gesellschaft, die Eigentümerin von Grundstücken sei, ebenfalls Grunderwerbsteuer ausgelöst werden könne, verlange schon vertiefte Kenntnisse im Steuerrecht. Es sei damit nahezu ausgeschlossen, dass der Kläger seine Steuerpflicht habe erahnen können. Es lägen keinerlei äußere Indizien vor, die darauf schließen ließen, dass der Kläger eine Grunderwerbsteuerpflicht erkannt habe. Von ihm zu verlangen, er müsse sich entsprechend über seine formalen Pflichten informieren, gehe fehl.
13Zumindest aber sei im Hinblick auf die vorherigen Ausführungen nicht davon auszugehen, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen einer etwaigen Verletzung einer Anzeigepflicht des Klägers und der eingetretenen Steuerverkürzung bestehe. Der Taterfolg beruhe gerade nicht auf der möglichen Sorgfaltspflichtverletzung. Die rechtzeitige und zutreffende Steuerfestsetzung sei vielmehr unterblieben, obwohl die relevanten Umstände dem Beklagten rechtlich und tatsächlich bekannt gewesen seien und dieser ohne Weiteres Grunderwerbsteuer hätte festsetzen können. Der Kläger habe den Steueranspruch somit nicht konkret gefährdet.
14Der Kläger beantragt,
15die Grunderwerbsteuerbescheide vom 22.02.2010 und 20.04.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.03.2011 aufzuheben.
16Der Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Er verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung und trägt ergänzend wie folgt vor:
19Der Grunderwerbsteuerstelle sei der Vorgang erst durch Kontrollmitteilung des Finanzamts D vom 18.09.2009 bekannt geworden, so dass die leichtfertige Steuerverkürzung ursächlich mit der fehlenden Anzeige der Vertragsparteien verbunden sei. Entgegen der Darstellung der Kläger sei der Notar durch seine Anzeige gemäß § 54 Einkommensteuerdurchführungsverordnung (EStDV) seiner Anzeigepflicht nach §§ 19, 20 GrEStG nicht nachgekommen. Denn dem Anzeigeerfordernis sei nur genügt, wenn die Anzeige an die Grunderwerbsteuerstelle des zuständigen Finanzamtes gesandt werde. Die Übersendung an eine andere Stelle reiche nicht aus. Es liege eine leichtfertige Steuerverkürzung vor, denn die grunderwerbsteuerliche Anzeigepflicht der Steuerschuldner bestehe unabhängig davon, ob und inwieweit dieser die Grunderwerbsteuerpflichtigkeit des Rechtsvorganges erkenne bzw. wisse, dass insoweit eine Anzeigepflicht bestehe. Die gesetzlich vorgeschriebene Pflicht zur Anzeige der der Grunderwerbsteuer unterliegenden Vorgänge sei wie die gesetzlich normierte Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen eine objektive, die unabhängig von subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten des zur Anzeige Verpflichteten bestehe.
20Entscheidungsgründe
21I.
22Die Klage ist begründet. Die streitige Grunderwerbsteuerfestsetzung ist rechtswidrig, da sie nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen ist.
231. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG (in der für den Streitfall maßgebenden Fassung) unterliegt der Grunderwerbsteuer ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung unmittelbar oder mittelbar von mindestens 95 vom Hundert der Anteile an einer Gesellschaft begründet, zu deren Vermögen ein inländisches Grundstück gehört.
24Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG liegen vor.
25Der Kläger erwarb durch den Vertrag vom 30.01.2002, UR.Nr. a/2002 B, unmittelbar alle Anteile an der GmbH. Zu diesem Zeitpunkt gehörten die streitbefangenen Grundstücke auch zum Vermögen der GmbH. Dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG vorliegen, ist zwischen den Beteiligten im Übrigen auch nicht streitig.
262. Entgegen der Ansicht des Beklagten steht der streitigen Grunderwerbsteuerfestsetzung jedoch die Festsetzungsverjährung entgegen. Da die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Steuer entstanden ist und die Grunderwerbsteuer gemäß § 14 GrEStG und § 38 AO mit der Wirksamkeit des Erwerbsvorgangs am 30.01.2002 entstanden ist, begann die Festsetzungsfrist grundsätzlich mit Ablauf des Jahres 2002. Da der streitige Bescheid erst im Jahr 2010 erging, wäre die Festsetzungsfrist nur gewahrt, wenn deren Lauf gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO wegen Nichterstattung einer Anzeige erst mit Ablauf des 31.12.2005 begonnen und sich die Festsetzungsfrist darüber hinaus wegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung im Sinne des § 378 AO durch den Kläger gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO auf 5 Jahre verlängert hätte. Die Festsetzungsfrist wäre vorliegend somit nur gewahrt, wenn sowohl die Anzeigepflicht nach §§ 18, 19 GrEStG verletzt worden wäre, als auch dem Kläger eine leichtfertige Steuerverkürzung gemäß § 378 AO vorzuwerfen wäre.
27a. Der Beklagte geht zu Recht davon aus, dass die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des 31.12.2005 begann. Die Voraussetzungen des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO liegen vor, da entgegen der Ansicht der Kläger keine wirksame Anzeige der streitigen Anteilsübertragung erfolgt ist.
28Sowohl der Kläger (gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 6 GrEStG) als auch der beurkundende Notar (gemäß § 18 Abs. 2 GrESt) waren verpflichtet, dem Beklagten die Anteilsübertragung anzuzeigen. Der Kläger selbst hat unstreitig keine Anzeige erstattet. Die Anteilsvereinigung wurde lediglich vom Notar mit Schreiben vom 31.01.2002 angezeigt. Zwar reicht es nach der Rechtsprechung grundsätzlich aus, wenn der Notar seine Anzeigepflicht ordnungsgemäß erfüllt (vgl. BFH - Urteil vom 06.07.2005 II R 9/04, BFHE 210, 65, BStBl II 2005, 780) bzw. wenn nur einer der Anzeigeverpflichteten seine Anzeigepflicht erfüllt (BFH-Urteil vom 18.04.2012 II R 51/11, BFH/NV 2012, 1390 zu § 16 Abs. 5 GrEStG). In einem solchen Fall kann sich die Finanzbehörde nicht auf das Fehlen einer Anzeige durch den Steuerpflichtigen berufen. Vorliegend kommt die Anzeige des Notars dem Kläger jedoch nicht zugute, da diese nicht ordnungsgemäß war, weil das Gericht nicht feststellen konnte, dass die Anzeige des Notars an die zuständige Grunderwerbsteuerstelle gelangt ist.
29Eine ordnungsgemäße Anzeige setzt zunächst voraus, dass durch sie die einwandfreie Identifizierung von Veräußerer, Erwerber und Urkundsperson (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 6 GrEStG) und ggf. der Gesellschaft (§ 20 Abs. 2 GrEStG) ermöglicht wird; ferner müssen der Anzeige in der Regel die in § 18 Abs. 1 Satz 2 bzw. § 19 Abs. 4 Satz 2 GrEStG genannten Abschriften beigefügt werden. Um dem Finanzamt die erforderliche Prüfung zu ermöglichen, ist es für eine ordnungsgemäße Anzeige eines nach § 1 Abs. 2a GrEStG steuerbaren Vorgangs erforderlich, dass ihr diejenigen Rechtsvorgänge eindeutig und vollständig entnommen werden können, die den Tatbestand nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 ausgelöst oder zur Tatbestandsverwirklichung beigetragen haben. Aufgrund der dem Finanzamt durch eine solche Anzeige eröffneten Ermittlungsmöglichkeiten setzt eine ordnungsgemäße Anzeige nicht zusätzlich voraus, dass die Anzeige auch die der betreffenden Gesellschaft gehörenden Grundstücke bezeichnet (geänderte Rechtsprechung des BFH in BFH/NV 2012, 1390). Das Finanzamt ist auch bei insoweit fehlenden Angaben in der Lage, sich aufgrund des übrigen Anzeigeinhalts die entsprechenden Informationen aufgrund eigener Ermittlungsmaßnahmen zu verschaffen. Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, war die Anzeige des Notars mit Schreiben vom 31.01.2002, der auch die Verträge a/2002 B und d/2002 B beigefügt waren, formal nicht zu beanstanden. Das Schreiben enthielt alle erforderlichen Angaben und Anlagen.
30Nach § 18 Abs. 5 GrEStG ist die Anzeige an das für die Besteuerung des grunderwerbsteuerlichen Vorgangs zuständige Finanzamt zu richten. Dies war im Streitfall unstreitig der Beklagte. Die in § 19 GrEStG vorgeschriebene Anzeige soll es der zuständigen Finanzbehörde ermöglichen, grunderwerbsteuerrechtlich relevante Erwerbsvorgänge zu ermitteln. Diese Möglichkeit setzt positive Kenntnis von dem Rechtsvorgang voraus. Dies wiederum bedeutet, dass die Kenntnis grundsätzlich bei der für die Verwaltung der Grunderwerbsteuer zuständigen Organisationseinheit der zuständigen Finanzbehörde vorhanden sein muss. Eine Information, die lediglich potentiell die Möglichkeit für ein Grunderwerbsteuerfestsetzungsverfahren eröffnet, konkret aber nicht dazu führen kann, da sie lediglich einer hierfür nicht zuständigen Stelle der zuständigen Finanzbehörde vorliegt, die deren grunderwerbsteuerrechtliche Relevanz nicht erkennt, ist kein positives Wissen in diesem Sinne (vgl. BFH-Urteile vom 11.06.2008, II R 55/06, BFH/NV 2008, 1876 und vom 21.06.1995 II R 11/92, BStBl II 1995, 802). Erlangt aber das Finanzamt bzw. die zuständige Stelle des Finanzamtes innerhalb der Anzeigefrist durch eigene Ermittlungen oder von dritter Seite vollständige Kenntnis von den steuerpflichtigen Vorgängen, steht dies einer ordnungsgemäßen Anzeige nicht entgegen. Dies folgt aus dem Sinn und dem (Sicherungs-)Zweck der Vorschrift, dem Finanzamt zeitnah die für die Besteuerung erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen. Diesem Sicherungszweck ist bereits durch die rechtzeitige positive Kenntnis des Finanzamts Genüge getan (BFH-Urteil vom 18.04.2012 II R 51/11, BFH/NV 2012, 1342 zu § 16 Abs. 5 GrEStG). Auch unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, haben jedoch der Kläger bzw. der Notar ihre Anzeigepflicht nicht erfüllt. Vorliegend hatte der Notar die Anzeige mit den hier relevanten Vorgängen (Verträge a/2002 B und d/2002 B) mit Schreiben vom 31.01.2002 lediglich an die Körperschaftsteuerstelle des Beklagten übersandt. Das Anschreiben enthielt keinen Hinweis darauf, dass es auch dazu dienen sollte, beim Beklagten eine Prüfung dahingehend zu veranlassen, ob im Hinblick auf die übersandten Vertragsurkunden vom 30.01.2002 von einem grunderwerbsteuerpflichtigen Rechtsvorgang auszugehen ist. Die Grunderwerbsteuerstelle wurde nicht durch den Notar über das Schreiben unterrichtet.
31Dass das Schreiben nebst Anlagen finanzamtssintern an die Grunderwerbsteuerstelle weitergegeben wurde, konnte das Gericht nicht feststellen. Zwar befindet sich in der Körperschaftsteuerakte eine an die Grunderwerbsteuerstelle des Beklagten gerichtete Kontrollmitteilung vom 27.03.2002, der u.a. die hier relevanten Verträge a/2002 B, d/2002 B und c/2001 B beigefügt sein sollten. Eine entsprechende Kontrollmitteilung findet sich jedoch nicht in der Grunderwerbsteuerakte. Der Beklagte hat insoweit schlüssig dargelegt, dass diese Mitteilung nicht bei der Grunderwerbsteuerstelle eingegangen ist, da anderenfalls zumindest ein Eingangsvermerk erstellt worden wäre, was jedoch nicht der Fall gewesen sei. Wenn auch gewisse Zweifel an der Darstellung des Beklagten verbleiben, lässt sich letztlich nicht abschließend klären, ob die Kontrollmitteilung bei der Grunderwerbsteuerstelle eingegangen ist. Die insoweit verbleibende Unsicherheit geht zu Lasten des Klägers. Dieser muss nachweisen, dass eine ordnungsgemäße Anzeige erfolgt ist. Dementsprechend begann im Streitfall die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2005.
32b. Entgegen der Ansicht des Beklagten verlängert sich jedoch im Streitfall die grundsätzlich vierjährige Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO) nicht wegen einer leichtfertigen Steuerverkürzung des Klägers oder des beurkundenden Notars, der durch Nichtanzeige eine sogenannte fremdnützige Steuerhinterziehung begehen kann (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 28.04.1998 IX R 49/96, BStBl II 1998, 458 und Urteil des FG Bremen vom 19.01.1993 II 163/90, EFG 1993, 540 sowie Urteil des FG Münster vom 24.09.2009 8 K 2284/06 GrE, EFG 2010, 507), gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 und 3 AO auf 5 Jahre. Nur in diesem Falle hätte die mit Ablauf des 31.12.2005 begonnene Festsetzungsfrist zum 31.12.2010 und damit erst nach Ergehen der streitigen Bescheide geendet.
33Zwar haben hier sowohl der Notar als auch der Kläger - wie zuvor bereits ausgeführt - durch die Nichterstattung einer ordnungsgemäßen Anzeige gemäß §§ 18 Abs. 2 und 19 Abs. 1 Nr. 6 den objektiven Tatbestand einer (fremdnützigen) Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 und 4 AO verwirklicht. Der Notar hätte die Anzeige gemäß §§ 18 Abs. 3 innerhalb von zwei Wochen nach der Beurkundung erstatten müssen. Der Kläger hätte seine Anzeige gemäß § 19 Abs. 3 GrEStG innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Anteilsübertragung einreichen müssen. Da beides nach den vorangegangenen Ausführungen nicht festgestellt werden kann, haben sowohl der Notar als auch der Kläger den Beklagten pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen. Dadurch sind Steuern verkürzt worden, weil die Grunderwerbsteuer nicht rechtzeitig festgesetzt werden konnte (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4 AO).
34Für eine leichtfertige Steuerverkürzung aufgrund der nicht ordnungsgemäß erfolgten Anzeige fehlt es jedoch am Verschulden. Leichtfertigkeit im Sinne des § 378 AO ist gegeben, wenn dem Täter ein erhöhter Grad von Fahrlässigkeit zur Last fällt, der etwa der groben Fahrlässigkeit des bürgerlichen Rechts entspricht, im Gegensatz dazu aber auf die persönlichen Fähigkeiten des Täters abstellt (vgl. BFH-Urteil vom 04.02.1987 I R 58/86, BStBl II 1988, 215).
35Anders als in dem Falle, dass überhaupt keine Anzeige erfolgt, kann im Streitfalle nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, dass zumindest der Notar wusste, dass die Anzeige an die Körperschaftsteuerstelle für Zwecke der Grunderwerbsteuer nicht ausreichte. Beim Kläger selber ist ein solches Wissen nicht vorauszusetzen. Zudem konnte der Kläger auch davon ausgehen, dass der Notar die erforderliche Anzeige erstattete. Ob in der Übersendung der erforderlichen Anzeige lediglich an die Körperschaftsteuerstelle ohne weiteren Hinweis auf die grunderwerbsteuerliche Relevanz ein erhöhter Grad der Fahrlässigkeit liegt, brauchte das Gericht jedoch nicht abschließend zu entscheiden. Denn selbst wenn dies bejaht würde, fehlt es an dem im Übrigen erforderlichen Ursachenzusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des Notars und des Klägers einerseits und der eingetretenen Steuerverkürzung andererseits. Ein Ursachenzusammenhang ist nur gegeben, wenn der Taterfolg gerade auf der Sorgfaltspflichtverletzung beruht, sich also als Realisierung der in ihr angelegten Gefahr darstellt. Für die Begehungsform des Unterlassens nach § 370 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist dabei erforderlich - aber auch ausreichend -, dass der Täter die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und dadurch den Steueranspruch konkret gefährdet hat. Unterbleibt die rechtzeitige und zutreffende Steuerfestsetzung aus anderen Gründen, obwohl sie der Finanzbehörde rechtlich und tatsächlich ohne weiteres möglich gewesen wäre, hat der Steuerpflichtige den Steueranspruch nicht konkret gefährdet (vgl. Urteil des FG Baden-Württemberg vom 17.03.2004, 5 K 59/01, EFG 2004, 867, m.w.N. Urteil des FG Münster, a.a.O.). In diesem Sinne ist der Rechtswidrigkeitszusammenhang bzw. Ursachenzusammenhang unterbrochen, da die Festsetzung der Grunderwerbsteuer vorliegend nur deshalb unterblieben ist, weil die von der Körperschaftsteuerstelle erstellte Kontrollmitteilung an die Grunderwerbsteuerstelle des Beklagten - den diesbezüglichen Vortrag des Beklagten als richtig unterstellt - entweder trotz Kenntnis aller für die Grunderwerbsteuerfestsetzung relevanten Informationen und deren Bedeutung für die Grunderwerbsteuer nicht abgesandt wurde oder amtsintern verloren gegangen ist. In beiden Fällen ist der Ursachenzusammenhang zwischen der nicht ordnungsgemäßen Anzeige und der Nichtfestsetzung der Grunderwerbsteuer aus nicht vom Kläger oder dem Notar zu vertretenden Gründen unterbrochen worden. Die verspätete Grunderwerbsteuerfestsetzung beruht somit nicht auf der fehlerhaften Anzeige durch den Notar bzw. den Kläger.
36II.
37Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
38III.
39Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
This content does not contain any references.