Urteil vom Finanzgericht Köln - 2 K 3712/10
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 29.012 € festgesetzt.
1
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin die Frist für die Erstattung von Kapitalertragsteuer versäumt hat, ob ihr ggf. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder hilfsweise eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu gewähren ist.
3Die Klägerin hielt im Streitjahr 1999 einen i.S.d. Mutter-Tochter-Richtlinie zur Freistellung berechtigenden Anteil an der in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen A GmbH in B.
4Für die Jahre 1995 bis 1999 fand bei der A GmbH eine Außenprüfung statt. Im Zeitpunkt der Betriebsprüfung war Herr C Geschäftsführer sowohl der A GmbH als auch der Klägerin. Die Prüfer erachteten bestimmte betriebliche Vorgänge („Lizenzen“) als verdeckte Gewinnausschüttungen an die Klägerin. Infolgedessen ergingen am 30. Dezember 2002 geänderte Körperschaftsteuerbescheide. Hiergegen wurde Einspruch eingelegt und schließlich ein Verständigungs- und Schiedsverfahren mit den Niederlanden eingeleitet. Die A GmbH wurde während der Betriebsprüfung und im Verständigungsverfahren durch die Prozessbevollmächtigte der Klägerin, die Q Deutschland, vertreten. Die Inlandssachverhalte wurden während der Betriebsprüfung von dem ständigen steuerlichen Berater der A GmbH, Herrn G, betreut, dem auch die spätere Umsetzung der Verständigungsvereinbarung in der Buchhaltung der A GmbH oblag. Das Verständigungsverfahren führte am 15. August 2006 zu einer Einigung. Daraufhin wurde die Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland teilweise zurückgenommen. Das Finanzamt K übersandte der A GmbH sodann im Oktober 2006 den Inhalt des schriftlichen Protokolls der Verständigungsvereinbarung vom 27. September 2006. Die A GmbH stimmte der Verständigungsvereinbarung und deren Umsetzung im Februar 2007 zu. Der seinerzeit niederländische Bevollmächtigte der Klägerin (Q/NL) wurde mit Schreiben des niederländischen Finanzministeriums vom 15. März 2007 über den Inhalt der Verständigungsvereinbarung informiert (Bl. 118 f. der FG-Akte, inoffizielle englische Übersetzung Bl. 120 f. der FG-Akte). Die Klägerin wurde im Verständigungsverfahren von der niederländischen Q vertreten. Aufgrund der Ergebnisse der Verständigungsvereinbarung und der Änderung der Steuerbescheide änderte die A GmbH im Mai 2007 die bestehende Kapitalertragsteueranmeldung für das Streitjahr 1999 gegenüber dem Finanzamt K. Der für das Streitjahr 1999 angemeldete Steuerbetrag i.H.v. 29.012,23 € wurde am 13. bzw. 22. Juni 2007 vom Finanzamt K eingezogen.
5Am 25. Januar 2008 stellte die Klägerin per Telefax einen Antrag auf Erstattung dieser Kapitalertragsteuer. Zugleich beantragte sie hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Der Antrag ist dem Beklagten am 29. Januar 2008 in Papierform per Post zugegangen. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand trug die Klägerin vor, dass sie die Frist ohne Verschulden versäumt habe. Die A GmbH habe trotz der Abgabe der geänderten Kapitalertragsteueranmeldungen versehentlich keine Steuerbescheinigungen ausgestellt und an sie übermittelt. Sie habe daher nicht gewusst, ob und in welcher Höhe Kapitalertragsteuer einbehalten und wann diese gezahlt worden sei. Da die Kapitalertragsteuer von der A GmbH im Jahr 2006 im Hinblick auf verdeckte Gewinnausschüttungen in den Jahre 1998 und 1999 zu zahlen gewesen sei und folglich keine Dividendenzahlungen an sie, die Klägerin, erfolgt seien, sei diese Unkenntnis der Zahlungen nicht verwunderlich. Hinzu komme, dass sie aufgrund der Mutter-Tochter-Richtlinie nicht davon habe ausgehen müssen, dass Kapitalertragsteuer einbehalten werde und dass ein entsprechender Antrag auf Erstattung dieser Beträge erforderlich sei. Die dem Antrag zu Grunde liegenden Steuerbescheinigungen seien von der A GmbH erst im Januar 2008 erstellt worden. Erst aufgrund dieser Bescheinigungen habe sie, die Klägerin, mit Sicherheit davon ausgehen können, dass Kapitalertragsteuer tatsächlich abgeführt worden sei und dass ein Handeln erforderlich werde.
6Mit Bescheid vom 1. August 2008 wurde der Antrag der Klägerin wegen Versäumung der Antragsfrist abgelehnt.
7Hiergegen legte die Klägerin fristgemäß Einspruch ein.
8Mit Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2010 wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
9Zur Begründung ihrer hiergegen fristgemäß erhobenen Klage trägt die Klägerin vor, dass der Beklagte den Ablehnungsbescheid auf den Ablauf der Frist gemäß § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG stütze.
10Keine Anwendbarkeit des § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG (§ 52 Abs. 59a EStG)
11Die Sätze 7 und 8 des § 50d Abs. 1 EStG seien erst durch das Gesetz vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 2001, 3794) eingefügt worden und daher im Streitfall nicht anwendbar. Dies folge aus der einschlägigen Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 59a EStG. Diese Bestimmung regle unter Bezugnahme auf das KStG, dass § 50d EStG in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 1999 letztmals anzuwenden sei auf die Veranlagungszeiträume 2001 bzw. 2002.
12Aus systematischen Erwägungen sowie nach dem Willen des Gesetzgebers könne auf verdeckte Gewinnausschüttungen für die Zeiträume vor dem 1. Januar 2002 nur die Fassung des § 50d Abs. 1 EStG angewendet werden, die vor der Änderung durch das Steueränderungsgesetz 2001 vom 20. Dezember 2001 gegolten habe. Dies folge insbesondere aus dem Grundsatz, dass das Steuerrecht in die Rechte des Steuerpflichtigen eingreife und insoweit das Gesetz die Art und Weise sowie den Umfang des Eingriffs im Voraus genau regeln müsse, um dem Grundgesetz (Art. 3 und 20) und allgemeinen Rechtsstaatsprinzipien gerecht zu werden.
13Gemäß § 52 Abs. 59a Satz 1 EStG sei die Regelung des § 50d EStG in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 1999 (eine Fassung ohne die Sätze 7 und 8) letztmals für Ausschüttungen anzuwenden, für die der vierte Teil des KStG nach § 34a Abs. 10a KStG in der Fassung des Art. 3 des Gesetzes vom 23. Oktober 2000 (BGBl I 2000, 1433) letztmals anzuwenden sei. Die Regelungen des § 34a Abs. 10a KStG seien zwischenzeitlich in § 34 Abs. 12 KStG übernommen worden. Hierin werde die letztmalige Anwendung des „alten Anrechnungsverfahrens“ geregelt. Für andere als offene Gewinnausschüttungen regele § 34 Abs. 12 Satz 1 Nr. 2 KStG, dass das Anrechnungsverfahren letztmals anzuwenden sei auf Gewinnausschüttungen, die in dem Wirtschaftsjahr erfolgt seien, das dem in § 34 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 KStG genannten Wirtschaftsjahr vorangehe. § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG nehme wiederum Bezug auf die erstmalige Anwendung des KStG in der Fassung des Art. 3 des Gesetzes vom 23. Oktober 2000. Dieses KStG sei nach § 34 Abs. 2 KStG wiederum grundsätzlich ab dem Veranlagungszeitraum 2001, bei abweichendem Wirtschaftsjahr ab dem Veranlagungszeitraum 2002 anzuwenden. Jedenfalls sei auf das Streitjahr 1999 das alte KStG anzuwenden. Dementsprechend sei für die verdeckten Gewinnausschüttungen nach dem Wortlaut des § 52 Abs. 59a Satz 1 EStG § 50d EStG ohne die Sätze 7 und 8 anzuwenden.
14Nach § 52 Abs. 59a Satz 3 EStG sei § 50d EStG in der Fassung des StÄndG 2001 ab dem 1. Januar 2002 (n.F.) anzuwenden. Lediglich für Anträge auf die Erteilung von Freistellungsbescheinigungen, die bis zum 31. Dezember 2001 gestellt worden seien, sei § 50d Abs. 2 Satz 4 EStG n.F. nicht anzuwenden. § 52 Abs. 59a Satz 3 EStG sei mit Gesetz vom 20. Dezember 2001 eingefügt worden. Sofern für alle Fälle ab dem 1. Januar 2002 bereits § 50d EStG n.F. hätte Anwendung finden sollen, so hätte es keinen Sinn ergeben, § 52 Abs. 59a Satz 1 EStG nicht zu löschen. Es sei aufgrund der „Nähe“ der Sätze 1 und 3 nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Konflikt nicht gesehen habe. Dementsprechend sei § 52 Abs. 59a EStG so zu verstehen, dass grundsätzlich ab dem 1. Januar 2002 § 50d EStG n.F. anzuwenden sei. Dagegen sei für Altjahre, in denen das Anrechnungsverfahren noch gegolten habe, § 50d EStG a.F. anzuwenden.
15Keine Festsetzungsverjährung aufgrund Verdrängung
16des § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG durch § 175a Satz 2 AO
17Selbst wenn § 50d Abs. 1 EStG n.F. anzuwenden sein sollte, sei im vorliegenden Fall keine Festsetzungsverjährung eingetreten, da die einjährige Ablaufhemmung des § 175a Satz 2 AO eingreife. Folglich gelte unabhängig von der Sechsmonatsfrist des § 50d EStG die längere Frist des § 175a AO. § 175a AO bezwecke, nach Abschluss des Verständigungsverfahrens die Umsetzung der Verständigungsvereinbarung beim Steuerpflichtigen zu ermöglichen und zwar unabhängig von etwaigen sonstigen Festsetzungs- oder Verjährungsfristen. Die verdeckte Gewinnausschüttung und die damit zusammenhängende Kapitalertragsteuer seien unmittelbare Folgen des Verständigungsverfahrens. Die Verständigungsvereinbarung sei im Laufe des Jahres 2007 wirksam geworden und der Antrag auf Kapitalertragsteuererstattung sei am 28. Januar 2008 gestellt worden. Folglich sei der Antrag auf Freistellung und Erstattung vor Ablauf der in § 175a AO bestimmten Frist gestellt worden.
18Für die Steuerfestsetzung bestimme § 155 Abs. 1 AO, dass auch die volle oder teilweise Freistellung von der Steuer durch Steuerbescheid erfolge. Damit sei § 175a AO anwendbar. Dies ergebe sich auch aus der Systematik der Abgabenordnung und der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 14/7341, Seite 13), sowie aus dem Sinn und Zweck des § 175a AO. Entgegen der Auffassung des Beklagten gehe aus § 175a AO nicht hervor, dass nach unmittelbarer und mittelbarer Umsetzung einer Verständigungsvereinbarung zu differenzieren sei.
19EU-Rechtswidrigkeit und impliziter Antrag auf Kapitalertragsteuererstattung
20bei Beantragung eines Verständigungsverfahrens
21Es werde gebeten, den Antrag auf Einleitung des Verständigungs- und Schiedsverfahrens ergänzend dahingehend auszulegen, dass damit auch die Freistellung von Kapitalertragsteuer beantragt worden sei. Wenn ein Verständigungs- und Schiedsverfahren zwischen den Finanzbehörden von zwei EU-Ländern beantragt werde, so enthalte der entsprechende Antrag implizit auch den Antrag auf Freistellung von der Quellensteuer für etwaige verdeckte Gewinnausschüttungen. Dies folge aus der Tatsache, dass eine Doppelbesteuerung gemäß dem Verständigungs- und Schiedsverfahren vermieden werden solle. Die Finanzbehörden der beiden Länder würden in diesem Verfahren außerdem grundlegend über die Verhältnisse der beteiligten Steuerpflichtigen informiert und sämtliche für die Freistellung von Kapitalertragsteuer erforderlichen Informationen erhalten.
22Das Erfordernis einer Freistellungsbescheinigung sei jedenfalls für den hier zu beurteilenden Fall EU-rechtswidrig. Zwar habe der EuGH die Vereinbarkeit des Freistellungsverfahrens mit EU-Recht als rechtmäßig erachtet. Der EuGH habe sich jedoch bisher noch nicht mit einem Fall befasst, in dem ein Verständigungsverfahren eine verdeckte Gewinnausschüttungen bestätigt hätte und in dem die beteiligten Finanzbehörden die Verhältnisse der Verfahrensbeteiligten genau gekannt hätten.
23Dabei sei insbesondere die sehr kurze Frist von sechs Monaten des § 50d Abs. 1 Satz 8 EStG EU-rechtswidrig. Das deutsche Recht mache diese kurze Frist für eine ausländische Gesellschaft davon abhängig, wann eine inländische Gesellschaft die Kapitalertragsteuer zahle. Es werde vom deutschen Recht nicht sichergestellt, dass die ausländische Gesellschaft von der Zahlung überhaupt Kenntnis erhalte.
24Im Übrigen würden Steuerausländer durch das Erstattungsverfahrens diskriminiert. Vergleiche man das Verfahren der Erstattung bzw. Anrechnung der Kapitalertragsteuer bei In- und EU-Ausländern, so stelle man eine erhebliche verfahrensrechtliche Schlechterstellung der EU-Ausländer fest.
25Werde für einen Inländer Kapitalertragsteuer einbehalten, so habe dieser nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG die Möglichkeit, die Kapitalertragsteuer auf die eigene Steuer anzurechnen. Da die Anrechnung als Teil der Erhebung und nicht als Teil der Steuerfestsetzung angesehen werde (vgl. Schmidt, EStG, § 36, Rn. 30, könne eine unterbliebene Abrechnung fünf Jahre innerhalb der Zahlungsverjährung nachgeholt werden (vgl. Schmidt, EStG, § 36, Rz. 31).
26Werde für einen Ausländer Kapitalertragsteuer einbehalten, so bleibe nach § 50d Abs. 1 Satz 8 EStG nur eine Frist von sechs Monaten. Im Falle einer verdeckten Gewinnausschüttung, die im Rahmen einer Betriebsprüfung festgestellt werde, dürfte regelmäßig die Vierjahresfrist i.S.d. § 50d Abs. 1 Satz 7 EStG vorüber sein, so dass nur die „Ablaufhemmung“ des § 50d Abs. 1 Satz 8 EStG greife.
27Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
28Sollte eine Fristversäumnis dennoch bejaht werden, sei ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Sie sei ohne Verschulden gehindert gewesen, die gesetzliche Frist des § 50d Abs. 7 und 8 EStG einzuhalten und den Antrag vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer zu stellen. Sie habe keine Kenntnis von dem Zeitpunkt der Einreichung der Kapitalertragsteueranmeldungen beim Finanzamt durch die A GmbH gehabt.
29Sie und ihre rechtlichen Vertreter hätten lediglich die schriftliche Verständigungsvereinbarung gekannt, die von der niederländischen Behörde mitgeteilt worden sei. Bis Januar 2008 habe sie jedoch keine Kenntnis von der Zahlung der Kapitalertragsteuer gehabt. Ihr sei auch keine Dividende zugeflossen, da die deutsche Finanzverwaltung bei der A GmbH eine verdeckte Gewinnausschüttung versteuert habe. Daher habe sie auch nicht wissen können, dass eine verdeckte Gewinnausschüttung nach deutschem Recht Quellensteuer zu Ihren Lasten ausgelöst habe.
30Auch habe sie keine Kenntnis davon gehabt, dass es eines Freistellungsbescheids bedürfe, wenn eine verdeckte Gewinnausschüttung bei der Umsetzung eines Verständigungsverfahrens angenommen werde.
31Die Kenntnisse des Geschäftsführers und des steuerlichen Beraters der A GmbH seien ihr nicht zuzurechnen. Die A GmbH sei weder ihr gesetzlicher noch rechtsgeschäftlicher Vertreter.
32Die Klägerin beantragt,
331) unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 1. August 2008 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2010 den Beklagten dazu zu verpflichten, deutsche Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. § 43b EStG bzw. Art. 13 DBA-NL nebst Solidaritätszuschlages für die Gewinnausschüttung der A GmbH im Jahre 1999 i.H.v. insgesamt 29.012,24 € (= Kapitalertragsteuer i.H.v. 27.499,83 € + SolZ i.H.v. 1.512,40 €) zu erstatten;
342) hilfsweise die Revision zuzulassen.
35Der Beklagte beantragt,
36die Klage abzuweisen.
37Der Beklagte trägt vor, dass der Kapitalertragsteuererstattungsantrag der Klägerin verspätet eingereicht worden sei. Die Abzugsteuerbeträge auf die verdeckte Gewinnausschüttung für 1999 seien am 13./22. Juni 2007 abgeführt worden. Folglich sei auch die nach § 50d Abs. 1 Satz 8 EStG n.F. verlängerte Antragsfrist sechs Monate darauf, also spätestens am 22. Dezember 2007, abgelaufen. Der streitige Erstattungsantrag der Klägerin sei erst am 29. Januar 2008 vorgelegt worden.
38Anwendbarkeit des § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG (§ 52 Abs. 59a EStG)
39Entgegen der Auffassung der Klägerin sei § 50d EStG in der Fassung vom 20. Dezember 2001 (n.F.) im Streitfall anwendbar. Die Regelung des § 52 Abs. 59a Satz 1 EStG stehe dem nicht entgegen. Diese bestimme nicht die Anwendbarkeit des § 50d EStG in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 1999 - § 50d EStG a.F. - für Kapitalerträge, die in den Veranlagungszeiträumen 2001 bzw. 2002 und davor zugeflossen seien. Schon der Wortlaut mit der Formulierung „… letztmals anzuwenden für …“ belege dies. Auch die Systematik der Sätze 1 bis 3 bringe dies zum Ausdruck: Während Satz 1 die Anwendbarkeit des § 50d EStG a.F. auf die genannten Fällen normiere, erkläre Satz 2 die auf § 50d EStG a.F. folgende Regelung für die Fälle anwendbar, für die Satz 1 nicht gelte. Im Anschluss daran bestimme Satz 3, dass § 50d EStG n.F. ab dem 1. Januar 2002 anzuwenden sei.
40Die demnach schon aus dem Gesetz abzulesende unbedingte Geltung des § 50d Abs. 2 EStG n.F. für Anträge, die nach dem 31. Dezember 2001 gestellt worden seien und die ausdrückliche Erwähnung derjenigen Anträge, die bis zum 31. Dezember 2001 gestellt worden seien, würden zeigen, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen sei, dass jedenfalls für Anträge, die ab dem 1. Januar 2002 bei ihm, dem Beklagten, eingegangen seien, schon § 50d EStG n.F. Anwendung finde. Hier sei als Bezugspunkt für die Bestimmung des anwendbaren Rechts der Antragseingang gewählt worden, so dass der Antrag aus dem Jahr 2008 der Regelung des § 50d EStG n.F. unterliege.
41Festsetzungsverjährung mangels Verdrängung
42des § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG durch § 175a Satz 2 AO
43Soweit die Klägerin von einer vorrangigen Anwendung des § 175a Satz 2 AO ausgehen, sei dem nicht zu folgen. Wie sie selbst darlege, zähle § 175a AO systematisch zu den Änderungsnormen der §§ 172 ff. AO und damit in den Regelungsbereich der Steuerfestsetzung. Demgegenüber betreffe § 50d Abs. 1 EStG n.F. die Steuererstattung. Hierbei handele es sich um getrennte, voneinander zu differenzierende Verfahren. Ihm, dem Beklagten, sei die Zuständigkeit für Erstattungen und Freistellungen, aber keine Zuständigkeit für Steuerfestsetzungen übertragen (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 FVG).
44Der Wortlaut der Norm zeige, dass die Ablaufhemmung des Satzes 2 nur insoweit eingreife, als es nach Satz 1 auch tatsächlich infolge eines Verständigungsverfahrens notwendig werde, Steuerfestsetzungen des Betreibers eines Verständigungsverfahren zu erlassen oder zu ändern. Der von der Klägerin begehrte Freistellungsbescheid sei aber gerade nicht zur Umsetzung der Verständigungsvereinbarung zu erlassen. Vielmehr diene er der Verwirklichung des Anspruches auf Erstattung einbehaltene Kapitalertragsteuer, die ansonsten als abschließende Körperschaftsbesteuerung der beschränkt steuerpflichtigen Klägerin in der Bundesrepublik Deutschland gelte (vgl. § 32 KStG). Die hier streitige Kapitalertragsteueranmeldung sei selbst nie Gegenstand eines Verständigungsverfahrens gewesen.
45Keine EU-Rechtswidrigkeit und kein impliziter Antrag auf Kapitalertragsteuererstattung bei Beantragung eines Verständigungsverfahrens
46Entgegen der Auffassung der Klägerin verstoße die in § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG geregelte Antragsfrist auch nicht gegen die Vorgaben des Europarechts. Eine diskriminierende Schlechterstellung der Klägerin gegenüber inländischen Steuerpflichtigen sei schon deshalb nicht gegeben, weil den Steuerinländer insoweit nach §§ 44b Abs. 3 Satz 1, 44a Abs. 1, 2 und 5 EStG sogar noch kürzere Verjährungsfristen treffen würden.
47Die Zweistufigkeit des Steuerabzugsverfahrens mit der eigenständigen Möglichkeit einer anschließenden Steuererstattung sei aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Der EuGH habe sie als im Grundsatz gemeinschaftsrechtskonform angesehen (vgl. EuGH-Urteil vom 3. Oktober 2006 – Rs. C-290/04, „Scorpio“, BFH/NV 2007, Beilage 1, 36; ebenso BFH-Urteil vom 20. Dezember 2006 – I R 13/06, BStBl. II 2007, 616, BFHE 216, 259).
48Gerade im Falle der Kapitalertragsteuer würden diese Verfahrensabläufe nämlich zu einer Gleichbehandlung der gebietsfremden mit den inländischen Muttergesellschaften führen, die ebenfalls zunächst den Steuerabzug hinnehmen müssten und eine Anrechnung bzw. Auszahlung der einbehaltenen und abgeführten Abzugsteuerbeträge erst im Zusammenhang mit der Veranlagung zur Körperschaftsteuer erreichen könnten.
49Der Antrag auf Durchführung des Verständigungsverfahrens beinhalte nicht auch einen Antrag auf Erstattung von Kapitalertragsteuer. Im Streitfall sei das Verständigungsverfahren durch die GmbH und nicht durch die Klägerin betrieben worden. Der Entschluss zur Stellung eines Antrags auf Kapitalertragsteuererstattung könne nur durch die betroffene Vergütungsgläubigerin selbst, hier also die Klägerin, erfolgen.
50Keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
51Der Klägerin könne für die versäumte Antragsfrist keine Widereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, da nicht auszuschließen sei, dass die Frist schuldhaft versäumt worden sei.
52Es habe in der Verantwortung der Klägerin bzw. ihres bevollmächtigten Vertreters gelegen, rechtzeitig alle organisatorischen Vorkehrungen zu treffen, damit im Streitfall ein Freistellungsantrag im Sinne des § 50d EStG rechtzeitig eingereicht werde. Die von der Klägerin geltend gemachten Unkenntnis über die steuerlichen Auswirkungen der Festsetzung einer verdeckten Gewinnausschüttung würden die Versäumung der Antragsfrist nicht entschuldigen.
53Schon die von der Klägerin angegebene Unkenntnis über die Entstehung eines Steuerabzugsbetrages und die Möglichkeit, eine Freistellung zu veranlassen, erscheine nicht plausibel. So sei der Geschäftsführer der Klägerin im Zeitpunkt der Betriebsprüfung auch Geschäftsführer der GmbH gewesen. Der Betriebsprüfungsbericht weise wiederholt darauf hin, dass für die verdeckte Gewinnausschüttung der GmbH an die Klägerin als Anteilseignern Kapitalertragsteuer anzumelden sei.
54Aber selbst wenn den Angaben der Klägerin über ihre Unkenntnis zu folgen sein sollte, entschuldige diese die Fristversäumnis nicht. Denn nach der BFH-Rechtsprechung habe sich der Steuerpflichtige über seine steuerlichen Pflichten, ggf. unter Beiziehung qualifizierter Auskunftspersonen, zu erkundigen
55Letztlich komme es im Streitfall aber auch nicht darauf an, ob die eingetretene Fristversäumnis auf einem Verschulden beruhe. Denn letztlich sei die Frage der Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Streitfall nicht einschlägig.
56Im Streitfall würden die Fristen des § 50d Abs. 1 Satz 7 EStG und des § 169 Abs. 1 Satz 3 AO parallel laufen.
57Der BFH stelle mit seinen Entscheidungen vom 24. Januar 2008 (VII R 3/07) und vom 12. Mai 2009 (VII R 5/08) klar, dass bei Ablauf der Festsetzungsfrist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen bleibe. Im Streitfall sei der Antrag erst eingegangen, nachdem die gesetzlichen Fristen des § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG verstrichen seien. Deshalb habe auch eine Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht in Gang gesetzt werden können. Infolgedessen sei der von der Klägerin geltend gemachte Erstattungsanspruch erloschen.
58Entscheidungsgründe
59Die Klage ist unbegründet.
60Der Ablehnungsbescheid vom 1. August 2008 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 22. Oktober 2010 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die von ihr begehrte Erstattung von Kapitalertragsteuer, da sie die Frist des § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung versäumt hat und ihr keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.
61I. Können Einkünfte, die dem Steuerabzug u.a. vom Kapitalertrag unterliegen, nach § 43b EStG oder nach einem Doppelbesteuerungsabkommen nicht oder nur nach einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden, so sind gemäß § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG die Vorschriften über die Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Steuer durch den Schuldner der Kapitalerträge ungeachtet der § 43b EStG sowie des Abkommens anzuwenden. Unberührt bleibt nach 50d Abs. 1 Satz 2 EStG der Anspruch des Gläubigers der Kapitalerträge Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer. Die Erstattung erfolgt nach § 50d Abs. 1 Satz 3 EStG auf Antrag des Gläubigers der Kapitalerträge.
62Verfahrensrechtliche Grundlage der Steuererstattung ist der Freistellungsbescheid i.S. des § 155 Abs. 1 Satz 3 AO, in dem über die Höhe des unbesteuert bleibenden Teils der Vergütung - und damit zugleich des Erstattungsanspruchs - entschieden wird (vgl. BFH-Urteil vom 11. Oktober 2000, I R 34/99, BStBl II 2001, 291).
63Dieser Freistellungsbescheid ist zu erteilen, wenn die bezeichneten Einkünfte nach einem DBA nicht oder nur nach einem niedrigeren Steuersatz besteuert werden.
64II. Die Klägerin hat von ihrer Tochtergesellschaft, der A GmbH, verdeckte Gewinnausschüttungen bezogen. Verdeckte Gewinnausschüttungen gehören nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zu den Kapitalerträgen, auf die gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 EStG (bei Körperschaften i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG) Kapitalertragsteuer erhoben wird. Die Kapitalertragsteuer ist vom inländischen vGA-Gewährenden bei der zuständigen Finanzbehörde anzumelden und abzuführen (§ 44 Abs. 1 EStG).
65Die Klägerin als ausländische Muttergesellschaft kann unter den Voraussetzungen des § 50d EStG die Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer in dem Umfang beim Beklagten beantragen, der durch die Mutter-Tochter-Richtlinie (§ 43b EStG) oder die einschlägigen DBA-Bestimmungen festgelegt wird.
66III. Die Kapitalertragsteuererstattung nach § 50d Abs. 1 EStG setzt u.a. voraus, dass der Antrag auf Erstattung innerhalb einer Frist von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Kapitalerträge oder Vergütungen bezogen worden sind, gestellt wird (§ 50d Abs. 1 Satz 7 EStG). Diese Frist endet jedoch nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer (§ 50d Abs. 1 Satz 8 EStG).
67Diese Frist hat die Klägerin versäumt. Sie hat die verdeckten Gewinnausschüttungen im Jahre 1999 bezogen. Damit liefe die Frist für die Beantragung der Kapitalertragsteuererstattung grundsätzlich bis zum 31. Dezember 2003 (§ 50d Abs. 1 Satz 7 EStG). Da die Kapitalertragsteuer von der A GmbH jedoch erst danach, am 13. bzw. 22. Juni 2007 entrichtet wurde, ist die Frist nach § 50d Abs. 1 Satz 8 EStG zu bemessen. Sie lief folglich am 13. bzw. 22. Dezember 2007 ab. Die Klägerin hat den Antrag auf Erstattung der Kapitalertragsteuer indes erst später, nämlich am 25. Januar 2008 per Telefax bzw. 29. Januar 2008 per Post eingereicht.
68IV. Es kann dahingestellt bleiben, ob § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG – wie von der Klägerin vertreten – nach § 52 Abs. 59a EStG im Streitfall nicht anwendbar ist. Denn auch nach der „alten Rechtslage“ hätte die Klägerin die Frist zur Beantragung der Kapitalertragsteuererstattung versäumt.
69a. Nach der „alten Rechtslage“, also der Rechtslage vor Einführung von § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG durch das StÄndG 2001 vom 20. Dezember 2001 (BGBl I 2001, 3794), beträgt die Festsetzungsfrist, soweit für den Streitfall von Interesse, vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO). Sie beginnt regelmäßig mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). Die Kapitalertragsteuer entsteht dabei mit dem Zufluss des Kapitalertrags (§ 44 Abs. 1 Satz 2 EStG). Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO kann jedoch u. a. in denjenigen Fällen, in denen eine Steueranmeldung abzugeben ist, der Anlauf der Festsetzungsfrist durch die Nichtabgabe der Anmeldung gehemmt werden. Die Frist beginnt dann - vorbehaltlich eines späteren Fristanlaufs gemäß § 170 Abs. 1 AO - erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steueranmeldung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres nach dem Jahr der Entstehung der Steuer. Dabei war jedoch umstritten, ob sich diese Anlaufhemmung auf das Steuerschuldverhältnis zum Vergütungsgläubigers auswirkt, wenn der Vergütungsschuldner es unterlassen hat, die Steuer beim Finanzamt anzumelden (vgl. hierzu Hahn-Joecks, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d Rn. A 68).
70Nach dieser „alten Rechtslage“ lief die Frist – selbst unter Anwendung der umstrittenen Anlaufhemmung - bereits am 31.Dezember 2006 ab. Die Kapitalertragsteuer ist 1999 entstanden. Mangels Einreichung einer Steueranmeldung begann die Frist mit Ablauf des dritten Kalenderjahres nach dem Jahr der Entstehung, also am 1. Januar 2003. Sie endete vier Jahr später, mithin am 31. Dezember 2006. Der Antrag wurde jedoch erst im Januar 2008 gestellt.
71b. Soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung geäußert hat, dass sie bei Anwendung der alten, vor 2002 geltenden Gesetzesfassung jedoch die Möglichkeit hätte, über die Erlangung einer Freistellungsbescheinigung eine Erstattung zu bewirken, ist dies im Streitfall nicht erheblich. Denn Gegenstand des Klageverfahrens ist der Antrag auf Erstattung nach § 50d Abs. 1 EStG. Die Klägerin hat keinen Antrag auf Erlass einer Freistellungsbescheinigung i.S.d. § 50d Abs. 2 EStG gestellt.
72V. Für die Beantragung der Kapitalertragsteuererstattung gilt im Streitfall auch nicht die längere Frist gemäß § 175a AO.
731. § 175a AO ist im Streitfall nicht einschlägig.
74Nach § 175a Satz 1 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit dies u.a. zur Umsetzung einer Verständigungsvereinbarung geboten ist. Gemäß § 175 a Abs. 1 Satz 2 AO endet die Festsetzungsfrist insoweit nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Wirksamwerden der Verständigungsvereinbarung.
75Dabei gilt § 175a AO nur für die Steuerbescheide, die Gegenstand des Verständigungsverfahrens waren (vgl. FG München, Urteil vom 28. Oktober 2008 – 6 K 2831/07; Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 175a AO, Tz. 7).
76Hierfür sprechen der Wortlaut sowie der Sinn und Zweck des § 175a AO, der sich insbesondere an die Verwaltung richtet.
77§ 175a AO richtet sich an die Verwaltung, weil er vorsieht, dass Steuerbescheide zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern sind. Die Norm betrifft hingegen nicht die Einreichung von Anträgen. § 175a AO gibt damit nur der Steuerverwaltung die Möglichkeit, nach Abschluss einer Verständigungsvereinbarung die insoweit erforderlichen, genannten Maßnahmen zu ergreifen. Diese werden dabei ausdrücklich darauf beschränkt, dass sie zur Umsetzung der Verständigungsvereinbarung geboten sind. Mittelbare Folgen, die etwa einen am Verständigungsverfahren nicht beteiligten Steuerpflichtige betreffen, und die sogar ein aktives Tätigwerden des nicht beteiligten Steuerpflichtigen in Form einer Antragstellung erfordern, sind von § 175a AO nicht erfasst.
78Eine entsprechende Anwendung des § 175a AO auf Bescheide, die nicht Gegenstand des Verständigungsverfahrens waren, ist nicht möglich (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 175a AO, Tz. 7; Seibel, in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, § 175a AO, Rn. 3; König, in König, AO, § 175a, Rn. 1).
792. Angesichts dessen gelangt § 175a AO im Streitfall nicht zur Anwendung. Denn Gegenstand der Verständigungsvereinbarung war die Behandlung der verdeckten Gewinnausschüttungen bei der A GmbH. Die Klägerin war nicht am Verständigungsverfahren beteiligt. Sie begehrt die Erstattung von Kapitalertragsteuer. Der Anspruch der Klägerin auf Kapitalertragsteuererstattung war nicht Gegenstand des Verständigungsverfahrens. Er ergibt sich lediglich als mittelbare Folge aus der Verständigungsvereinbarung. Er ist auch nicht zur Umsetzung der Verständigungsvereinbarung durch die Finanzverwaltung „geboten“. Denn die Kapitalertragsteuererstattung wird nicht von Amts wegen gewährt, sondern erfordert einen Antrag des Vergütungsgläubigers.
80VI. Die Fristenregelung des § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG ist mit EU-Recht vereinbar.
811. Die Klägerin wird durch die Fristenregelung des § 50d Abs. 1 Sätze 7 und 8 EStG im Verhältnis zum inländischen Steuerpflichtigen nicht benachteiligt. Für die Fälle, in denen nicht eine Abstandnahme vom Steuerabzug nach § 44a EStG vorgesehen ist, endet für unbeschränkt steuerpflichtige Vergütungsgläubiger die Frist zur Beantragung der Erstattung von Kapitalertragsteuer nach § 44b Abs. 3 Satz 1 EStG am 31. Dezember des Jahres, das dem Kalenderjahr folgt, in dem die Einnahmen zugeflossen sind. Die Festsetzungsverjährung richtet sich dabei nach § 169 Abs. 2 AO. Unter den Voraussetzungen der §§ 172 ff. AO ist also unter Umständen eine Kapitalertragsteuererstattung binnen vier Jahren möglich. Dabei beginnt diese Festsetzungsfrist grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 AO). In denjenigen Fällen, in denen eine Steueranmeldung abzugeben ist, wird der Anlauf der Festsetzungsfrist durch die Nichtabgabe der Anmeldung gehemmt (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO). Die Frist beginnt dann erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steueranmeldung eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres nach dem Jahr der Entstehung der Steuer, wobei dies jedoch in den Fällen der Kapitalertragsteuererstattung strittig ist. Wie bereits zuvor dargelegt, lief diese Frist - selbst unter Anwendung der Anlaufhemmung - im Streitfall am 31.Dezember 2006 ab. Die Klägerin ist damit im Hinblick auf den Erstattungsanspruch gegenüber einem inländischen Vergütungsgläubiger nicht benachteiligt. Denn die für sie geltende Frist nach § 50d Abs. 1 Sätze 7, 8 EStG lief erst am 31. Dezember 2007 ab.
822. Soweit die Klägerin eine Ungleichbehandlung darin sehen möchte, dass der inländische Steuerpflichtige - im Gegensatz zum ausländischen - nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG die Möglichkeit habe, die Kapitalertragsteuer innerhalb der fünfjährigen Zahlungsverjährungsfrist auf die eigene Steuer anzurechnen, vermag dies einen Verstoß gegen EU-Recht nicht zu begründen.
83Denn insoweit gelangt beim Steuerinländer das Verfahren der Anrechnung der Kapitalertragsteuer zur Anwendung. Ein solches Anrechnungsverfahren ist für den im Ausland ansässigen Vergütungsgläubiger nicht vorgesehen, da er im Inland nicht veranlagt wird. Dies ist EU-rechtlich nicht zu beanstanden. Im Streitfall steht dem auch nicht das EuGH-Urteil vom 20. Oktober 2011, C-284/09 – EU-Kommission gegen BRD, Slg 2011, I-9879). Denn diese EuGH-Entscheidung betrifft die Besteuerung von im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Gesellschaften, die nicht unter den Anwendungsbereich der Mutter-Tochter-Richtlinie fallen. Die Klägerin hingegen hält einen i.S.d. Mutter-Tochter-Richtlinie zur Freistellung berechtigenden Anteil an der im Inland ansässigen A GmbH. Sie ist damit nach nationalem Recht grundsätzlich in vollem Umfang entlastungsberechtigt.
84VII. Die von der Klägerin geforderte EU-rechtskonforme Auslegung ist mangels EU-Rechtswidrigkeit nicht erforderlich.
85Der von der Klägerin geforderten Auslegung würden auch der klare Wortlaut und der Wille des Gesetzgebers entgegenstehen. Nach der Gesetzesbegründung zur Einführung von § 50d Abs. 1 Satz 8 EStG hat der Gesetzgeber das Problem erkannt, dass Steuerabzüge erst kurz vor Ablauf der Festsetzungsfrist erfolgen können. Er hat dabei aber den Schutz des Vergütungsgläubigers nicht an die Kenntnis von der Abführung der Kapitalertragsteuer geknüpft. Den Vergütungsgläubiger hat er durch Satz 8 geschützt. Der Gesetzgeber führt hierzu in der Gesetzesbegründung aus, dass Satz 8 sicherstelle, dass die Frist nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer abläuft. Damit kann der Gläubiger der Kapitalerträge bzw. der Vergütungen seine Rechte aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens auch dann noch geltend machen, wenn ein vom Schuldner unterlassener Steuerabzug erst kurz vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist nachgeholt wird, z.B. in Fällen verdeckter Gewinnausschüttungen (vgl. BT-Drucks. 14/7341, Seite 13).
86VIII. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Antrag auf Durchführung eines Verständigungsverfahrens nicht mit einem inzidenten Antrag auf Kapitalertragsteuererstattung verbunden.
87Einem solchen inzidenten Antrag steht bereits entgegen, dass die Klägerin nicht den Antrag auf Durchführung des Verständigungsverfahrens gestellt hat und nicht Beteiligte des Verständigungsverfahrens war. Der Antrag auf Durchführung des Verständigungsverfahrens wurde vielmehr durch die A GmbH gestellt. Die GmbH war jedoch nicht berechtigt, den Antrag auf Erstattung von Kapitalertragsteuer zu stellen. Hierzu war nur die Klägerin befugt.
88IX. Im Übrigen ist im Streitfall nicht der Gedanke des Art. 25 Abs. 2 Satz 2 OECD-MA fruchtbar zu machen, wonach die Verständigungsregelung ungeachtet der Fristen des innerstaatlichen Rechts der Vertragsstaaten durchzuführen ist.
89Denn zum einen war die streitige Kapitalertragsteuererstattung nicht Gegenstand der Verständigungsvereinbarung und zum anderen enthält das DBA-Niederlande keine dem Art. 25 Abs. 2 Satz 2 OECD-MA entsprechende Regelung (vgl. Art. 22 DBA-Niederlande).
90X. Der Klägerin kann im Hinblick auf die versäumte Frist des § 50d Abs. 1 Sätze 7, 8 EStG keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO gewährt werden. Die Anwendung des § 110 AO ist im Streitfall aufgrund des Ablaufs der Festsetzungsfrist ausgeschlossen.
911. Fällt der Ablauf der Frist für die Beantragung einer Steuervergütung mit dem Ablauf der Festsetzungsfrist zusammen und wird ein entsprechender Antrag erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist und damit nach dem Erlöschen des Vergütungsanspruchs gestellt, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 Abs. 1 AO mit der Folge einer rückwirkenden Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 AO nicht in Betracht (BFH-Urteile vom 24. Januar 2008 - VII R 3/07, BStBl II 2008, 462, BFHE 220, 214; vom 12. Mai 2009, VII R 5/08, BFH/NV 2009, 1602).
92Der Ablauf der Festsetzungsfrist wird nicht bereits durch die bloße Möglichkeit gehemmt, dass der Steuerpflichtige innerhalb der in § 110 Abs. 2 und 3 AO festgelegten Fristen einen Antrag auf Wiedereinsetzung stellen könnte. Vielmehr läuft die Festsetzungsfrist unabhängig davon (durch bloßen Zeitablauf) ab, ob der Antrag infolge eines schuldhaften Verhaltens des Steuerpflichtigen oder ohne dessen Verschulden nicht fristgerecht bei der Finanzbehörde eingegangen ist (BFH-Urteil vom 12. Mai 2009, VII R 5/08, BFH/NV 2009, 1602).
932. Die Frist nach § 50d Abs. 1 Sätze 7, 8 EStG stellt eine Antragsfrist und zugleich auch eine spezielle Festsetzungsfrist dar (vgl. Gosch, in Kirchhof, EStG, § 50d, Rn. 11b). Diese Frist lief im Streitfall am 31. Dezember 2007 ab. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde indes mit dem Antrag Erstattung von Kapitalertragsteuer erst am 25. Januar 2008 per Telefax bzw. am 29. Januar 2008 per Post gestellt. Die Frist des § 50d Abs. 1 Sätze 7, 8 EStG war zu diesem Zeitpunkt bereits abgelaufen. Folglich scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.
94Selbst wenn man in § 50d Abs. 1 Sätze 7, 8 EStG keine spezielle Festsetzungsfrist sehen wollte, wäre im Streitfall die allgemeine Festsetzungsfrist nach §§ 169 ff. AO – wie zuvor dargelegt – im Zeitpunkt der Beantragung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgelaufen gewesen. Folglich wäre auch insoweit eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeschlossen.
953. Dass die Klägerin innerhalb der Frist des § 50d Abs. 1 Sätze 7, 8 EStG nach ihrem Vortrag keine positive Kenntnis von der Abführung der Kapitalertragsteuer und folglich von ihrem Erstattungsanspruch gehabt haben mag, ist dabei hinzunehmen. Es entspricht dem Wesen von Verjährungsfristen, formellen Rechtsfrieden herzustellen und zwar unabhängig von den Gründen, die der Herstellung materieller Gerechtigkeit entgegenstehen mögen.
96XI. Ungeachtet dessen wäre der Klägerin ohnehin keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 110 AO zu gewähren.
97Die Klägerin hat die Frist nicht unverschuldet versäumt (§ 110 Abs. 1 AO). Denn die Klägerin wurde im März 2007 über das Ergebnis des Verständigungsverfahrens informiert (vgl. Bl. 120 der FG-Akte). Wenn hierbei auch nicht ausdrücklich die Kapitalertragsteuer erwähnt wurde, so ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Klägerin steuerrechtlich beraten war und auch ihre Berater Kenntnis vom Ergebnis des Verständigungsverfahrens hatten (vgl. Bl. 118 der FG-Akte). Der ihnen – nach dem Vortrag der Klägerin – unterlaufene Rechtsirrtum, die Rechtsfolgen der Verständigungsvereinbarung nicht gekannt zu haben, ist nicht entschuldbar. Angesichts dessen, dass sie um die Rechtsfolgen der Verständigungsvereinbarung hätten Bescheid wissen müssen, hätten sie bei Anwendung der insoweit bestehenden Sorgfaltspflichten auch die Pflicht gehabt, sich bei ihrer Tochtergesellschaft über die Entrichtung der Kapitalertragsteuer zu informieren. Die Klägerin muss sich das Verhalten ihrer Berater zurechnen lassen (§ 110 Abs. 1 Satz 2 AO).
98XII. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
99XIII. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52, 63 GKG.
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