Urteil vom Finanzgericht Köln - 9 K 1363/14
Tenor
Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 9. April 2014 wird der Einkommensteuerbescheid 2011 vom 20. Dezember 2013 mit der Maßgabe geändert, dass die Rentenzahlungen des Klägers i.H.v. 10.000 € als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG berücksichtigt werden. Die Neuberechnung der Einkommensteuer wird dem Beklagten übertragen.
Die Revision wird zugelassen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob monatliche Zahlungen i.H.v. 2000 € des Klägers an seine Eltern im Rahmen einer so genannten gleitenden Vermögensübergabe als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a des Einkommensteuergesetz – EStG – zu berücksichtigen sind. Dabei ist ausschließlich streitig, ob § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in der vor dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung anwendbar ist. Die übrigen Voraussetzungen für die Berücksichtigung der Altenteilsleistungen als Sonderausgaben liegen nach den übereinstimmenden Angaben beider Beteiligten unstreitig vor.
3Mit notariellem Vertrag vom 5. April 2003 übertrugen die Eltern dem Kläger und seiner Schwester das mit einem Mehrfamilienhaus bebaute und vermietete Grundstück in der A-Straße ... in B. In § 4 in der notariellen Urkunde behielten die Eltern sich den Nießbrauch bis zum Tod des Längstlebenden vor. Die Möglichkeit, das vorbehaltene Nießbrauchsrecht durch eine spätere Rente abzulösen, wurde in den notariellen Vertrag nicht aufgenommen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Urkunde Nr. .../2003 des Notars C aus D, verwiesen (Bl. 38 ff. der Prozessakte). In einer weiteren notariellen Urkunde vom 6. April 2011 wurde das Nießbrauchsrecht der Eltern gegen Gewährung einer vom Kläger zu zahlenden monatlichen Rente i.H.v. 2000 € abgelöst. Wegen der Einzelheiten wird auf die Urkunde Nr. .../2011 des Notars E verwiesen (Bl. 45 ff. der Prozessakte).
4In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2011 machte der Kläger 10.000 € Sonderausgaben im Rahmen einer gleitenden Vermögensübergabe geltend. Im (geänderten) Einkommensteuerbescheid vom 20. Dezember 2013 ließ der Beklagte diese Sonderausgaben unberücksichtigt. Stattdessen setzte er den in der Rente enthaltenen Zinsanteil als laufende Werbungskosten an und erhöhte die AfA aufgrund der aus der Rentenzahlung resultierenden nachträglichen Anschaffungskosten.
5Hiergegen legte der Kläger am 3. Januar 2014 Einspruch ein, den der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 9. April 2014 als unbegründet zurückwies.
6Hiergegen hat der Kläger fristgerecht am 13. Mai 2014 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er wie bereits im Einspruchsverfahren vor, aus einem Schreiben seiner Eltern vom 21. Dezember 2002 und einem Schreiben von ihm und seiner Schwester vom 27. Dezember 2002, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Anlagen K5 und K6 zum Schriftsatz des Klägers vom 20. Juni 2014), ergebe sich eine verbindliche Vereinbarung, das vorbehaltene Nießbrauchsrecht später durch eine Rentenzahlung abzulösen. Dass diese Schreiben kein Datum für die Ablösung enthielten, sei unschädlich. In den Schreiben sei festgelegt, dass der Nießbrauch nur solange bestehen solle, wie die Eltern in B wohnen und sich um die vermieteten Wohnungen kümmern konnten. Entsprechend hätte der Nießbrauch mit Wegzug der Eltern aus B durch eine Rentenzahlung ersetzt werden sollen.
7Der Kläger beantragt
8unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 9. April 2014 den Einkommensteuerbescheid 2011 vom 20. Dezember 2013 mit der Maßgabe zu ändern, dass Versorgungsleistungen i.H.v. 10.000 € als Sonderausgaben gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG berücksichtigt werden.
9Der Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Zur Begründung verweist er auf das BMF-Schreiben vom 11. März 2010, 2010-03-11 IV C 3-S 2221/09/10004, BStBl I 2010, 227. In Randziffer 85 dieser Verwaltungsanweisung sei geregelt, dass die Ablösung eines Nießbrauchs gegen Zahlung einer Rente nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2008 ab dem 1. Januar 2008 nur noch dann in voller Höhe als Sonderausgabe berücksichtigt werden könne, wenn die Ablösung des Nießbrauchsrechts bereits im Übertragungsvertrag vor dem 1. Januar 2008 verbindlich vereinbart worden sei. Nur in diesem Falle gelte § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in der alten Fassung weiter. Der Kläger und seine Eltern hätten in dem notariellen Übertragungsvertrag nicht festgelegt, ob und unter welchen Bedingungen das mit der Übertragung vereinbarte Nießbrauchsrecht zu einem späteren Zeitpunkt abgelöst werden solle. Die Schreiben vom 21. Dezember 2002 und 27. Dezember 2002 könnten eine solche vertragliche Vereinbarung nicht ersetzen. Die steuerrechtliche Anerkennung eines Übertragungsvertrages gegen Versorgungsleistungen setze voraus, dass die gegenseitigen Rechte und Pflichten klar und eindeutig vereinbart und ernsthaft gewollt seien und die Leistung der Vereinbarung entsprechend erbracht werde. Vor diesem Hintergrund könne es dahinstehen, ob der Zeitpunkt für die Ablösung des Nießbrauchsrechts durch die Schreiben der Vertragsbeteiligten hinreichend definiert sei. Denn die Vertragsbeteiligten hätten nicht festgelegt, in welcher Höhe und mit welchen Fälligkeitsterminen die Ratenzahlungen erfolgen sollten. Der Umstand, dass die Möglichkeit der Ablösung des Nießbrauchsrechts im Übertragungsvertrag vom 5. April 2003, der rund 3,5 Monate nach den vorgenannten Schreiben abgeschlossen wurde, nicht enthalten sei, lasse vermuten, dass die entsprechenden Absichtserklärungen von den Beteiligten bewusst nicht in dem notariellen Vertrag aufgenommen worden seien. Die Vertragsbeteiligten hätten sich die Ausgestaltung einer Ablösungsvereinbarung daher offen gehalten, ohne sich durch den notariell beurkundeten Vertrag auch insoweit zu binden.
12Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 9. April 2014 und die Klageerwiderung des Beklagten verwiesen.
13Entscheidungsgründe
14Das Gericht entscheidet ohne mündliche Verhandlung, weil beide Beteiligten auf die Durchführung einer solchen verzichtet haben.
15Die Klage ist begründet.
16Der angefochtene Einkommensteuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger im Sinne des § 100 Abs. 1 S. 1 FGO in seinen Rechten.
17Nach § 52 Absatz 23g EStG in der für das Streitjahr 2011 anzuwendenden Fassung ist § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG n.F. auf alle Versorgungsleistungen anzuwenden, die auf nach dem 31. Dezember 2007 vereinbarten Vermögensübertragungen beruhen. Für Versorgungsleistungen, die auf vor dem 1. Januar 2008 vereinbarten Vermögensübertragungen beruhen, ist daher § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in der Fassung vor der Änderung durch Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2007 weiter anzuwenden. Eine Ausnahme besteht nach § 52 Absatz 23g Satz 2 EStG nur dann, wenn die ertragssichernde Einheit ausschließlich auf ersparten Aufwendungen beruht.
18Nach diesen Grundsätzen ist auf die Versorgungsleistung des Klägers § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in der Fassung vor der Änderung durch Art. 1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2007 anzuwenden. Die vom Kläger an seine Eltern gezahlten Versorgungsleistungen beruhen auf dem Übertragungsvertrag über das Mehrfamilienhaus vom 5. April 2003 und damit auf einem vor dem 1. Januar 2008 erfolgten Vermögensübergang.
19Zwar war in dem Übergabevertrag selbst „lediglich“ ein Nießbrauchsrecht und damit noch keine Versorgungszahlungen zu Gunsten der Eltern des Klägers vereinbart. Hierdurch wird der Zusammenhang der im Vertrag vom 6. April 2011 vereinbarten Versorgungszahlungen mit der vorangegangenen Vermögensübertragung jedoch nicht durchbrochen.
20Der für die Abziehbarkeit als dauernde Last erforderliche sachliche Zusammenhang mit der Vermögensübergabe wurde nach der zu § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. ergangenen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs nicht dadurch unterbrochen, dass sich die Übergeber zunächst den Nießbrauch an dem übertragenen Vermögen vorbehalten hatten und der Nießbrauch später durch Versorgungszahlungen abgelöst wurde. Dies galt nicht nur für den Fall, dass die Ablösung des Nießbrauchs durch eine Versorgungsrente bereits in dem Übergabevertrag fest vereinbart war (vgl. BFH-Urteil vom 3. Juni 1992 X R 14/89, BStBl. II 1993, 23), sondern auch dann, wenn diese auf einem erst später gefassten Entschluss beruhte (BFH-Urteil vom 3. Juni 1992 X R 147/88, BStBl. II 1993, 98). Denn in beiden Fällen wird mit der Ablösung des Nießbrauchs durch die Versorgungsrente ein weiterer Schritt zur endgültigen Vermögensübergabe hin vollzogen.
21Die Maßstäbe, nach denen unter der Geltung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. der sachliche Zusammenhang der Versorgungsleistungen mit einer Vermögensübergabe beurteilt wurde, gelten auch für die Beurteilung der Frage, ob Versorgungsleistungen im Sinne des § 52 Absatz 23g EStG auf einer vor dem 1. Januar 2008 vereinbarten Vermögensübertragung beruhen. Entgegen der in Rn. 85 des BMF-Schreiben vom 11. März 2010, 2010-03-11 IV C 3-S 2221/09/10004, a.a.O., vertretenen Rechtsauffassung kann die Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. bei Ablösung eines Nießbrauchs nach dem 31. Dezember 2007 nicht auf den Fall beschränkt werden, dass die Ablösung und deren Zeitpunkt bereits in dem Übertragungsvertrag verbindlich vereinbart wurden. Das Gesetz enthält eine solche Einschränkung ausdrücklich nicht.
22Sie kann auch nicht im Wege einer teleologischen Gesetzesreduktion in die Vorschrift „hineingelesen“ werden. Eine solche teleologische Reduktion ist dadurch gekennzeichnet, dass die auszulegende Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut hinsichtlich eines Teils der von ihr erfassten Fälle für unanwendbar erklärt wird, weil ihr Sinn und Zweck, die Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelung gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen. (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03. Juni 2015 – 4 B 458/15 –, Rn. 22, juris). Eine solche Annahme ist bereits deshalb nicht gerechtfertigt, weil das zeitliche Auseinanderfallen zwischen dem Nießbrauchsvorbehalt und der sich in aller Regel erst Jahre später anschließenden Ablösung durch eine Leibrente nach der langjährigen Finanzrechtsprechung und Verwaltungsauffassung gerade dem Wesen des Versorgungsvertrages hin zur endgültigen Vermögensübertragung entspricht und damit dem Sinn und Zweck der Vorschrift nicht entgegenstehen kann.
23Vor diesem Hintergrund ist auf den vorliegenden Sachverhalt § 10 Abs. 1 Nr. 1 a EStG a.F. anzuwenden. Da die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen dieser Vorschrift nach den übereinstimmenden Angaben der Beteiligten vorliegen und keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass es sich um einen der Ausnahmevorschrift des § 52 Abs. 23g Satz 2 EStG unterfallenden Sachverhalt handelt, in dem das übertragene Vermögen nur deshalb einen ausreichenden Ertrag bringt, weil ersparte Aufwendungen zu den Erträgen des Vermögens gerechnet werden, war der Klage stattzugeben.
24Das Gericht hat die Neuberechnung der Einkommensteuer gemäß § 100 Abs. 2 S. 2 FGO dem Beklagten übertragen, weil der Berücksichtigung der begehrten 10.000 € Sonderausgaben der in den Rentenzahlungen enthaltene und als Werbungskosten berücksichtigte Zinsanteil sowie die Erhöhung der AfA aufgrund der kapitalisierten Rente gegenzurechnen sind.
25Im Hinblick auf das beim BFH unter dem Aktenzeichen IX R 32/14 anhängige Revisionsverfahren war auch im vorliegenden Fall die Revision zuzulassen.
26Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
27Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
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