Urteil vom Finanzgericht Köln - 1 K 1796/13
Tenor
Es wird festgestellt, dass der Widerruf der Freistellung vom Lohnsteuerabzug mit Bescheid vom 27.09.2012 rechtswidrig war.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten im Rahmen des Widerrufs einer Freistellungsbescheinigung darüber, ob der Bundesrepublik Deutschland das Besteuerungsrecht für das Ruhegehalt eines in Ungarn lebenden deutschen Beamten zusteht oder ob dieses bei Ungarn liegt.
3Der Kläger ist Deutscher und war als Beamter ... in Deutschland beschäftigt. Er bezieht Ruhegehalt und lebt seit dem 01.05.2004 mit seiner Frau ausschließlich in Ungarn.
4Mit Bescheid vom 19.10.2010 erteilte der Beklagte der das Ruhegehalt auszahlenden Bundesfinanzdirektion eine Bescheinigung darüber, dass der Arbeitslohn des Klägers nach § 39d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 39b Abs. 6 EStG und dem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Ungarn Artikel/Absatz 18 vom 01.01.2011 bis 31.12.2013 nicht dem Steuerabzug unterliegt. Am 08.11.2010 änderte der Beklagte das auf dem Bescheid falsch vermerkte Geburtsdatum des Klägers vom …1954 auf …1945. Mit Bescheid vom 27.09.2012 widerrief der Beklagte die Freistellung vom 19.10.2010 gegenüber der Bundesfinanzdirektion ... mit Wirkung ab dem 01.10.2012, da nach Art. 18 Abs. 2 b) des neuen DBA-Ungarn dem Wohnsitzstaat für Ruhegehaltszahlungen aus öffentlichen Kassen nur dann das ausschließliche Besteuerungsrecht zustehe, wenn die natürliche Person dort ansässig und ein Staatsangehöriger dieses Staates sei. Dies sei beim Kläger nicht der Fall, da dieser die deutsche Staatsangehörigkeit habe.
5Seinen hiergegen am 18.10.2012 erhobenen Einspruch begründete der Kläger damit, dass Art. 18 Abs. 2 DBA-Ungarn unter dem Vorbehalt des Art. 17 Abs. 2 DBA-Ungarn stehe. Hier werde geregelt, dass dieser nicht gelte, wenn der Empfänger am Tage des Austauschs der Ratifizierungsurkunden des Abkommens im anderen Vertragsstaat ansässig war. Dies sei bei ihm der Fall. Sollte Art. 17 Abs. 2 DBA-Ungarn nicht zur Anwendung kommen, liege eine Ungleichbehandlung von Rentnern und Beamten mit Versorgungsbezügen vor. Daneben hebe der Bescheid vom 27.09.2012 den Bescheid vom 19.10.2010 auf, obwohl am 08.11.2010 ein Änderungsbescheid ergangen sei. Auch sei der Widerruf nicht an ihn (den Kläger) adressiert, was diesen unwirksam mache.
6Den Einspruch wies der Beklagte mit Entscheidung vom 30.04.2013 (zugegangen am 14.05.2013) als unbegründet zurück. Die Nichtanwendung des Art. 17 Abs. 2 DBA-Ungarn begründete er damit, dass sich diese Regelung ausschließlich auf Leistungen aufgrund gesetzlicher Sozialversicherung beziehe. Auch sei eine Ungleichbehandlung mit Renten zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung gerechtfertigt. Schließlich sei der Widerruf an den richtigen Adressaten ergangen; der Widerruf könne so ausgelegt werden, dass er auch den Bescheid vom 08.11.2010 erfasse, in dem nur das Geburtsdatum geändert worden sei.
7Mit der hiergegen am 13.06.2013 erhobenen Klage wiederholt der Kläger sein Vorbringen hinsichtlich der Anwendung von Art. 17 Abs. 2 DBA-Ungarn und ergänzt, dass durch diese Regelung Härten durch die Neuregelung des DBA vermieden werden sollten. Durch den Verweis in Art. 18 Abs. 2 DBA-Ungarn habe man sich eine Wiederholung des Textes sparen wollen. Auch sei zu berücksichtigen, dass es in Ungarn keine Unterscheidung zwischen privaten Renten und staatlichen Versorgungen gebe.
8Der Kläger beantragt sinngemäß,
9festzustellen, dass der Widerruf der Freistellung vom Lohnsteuerabzug mit Bescheid vom 27.09.2012 rechtswidrig war.
10Der Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Nach Ansicht des Beklagten kommt Art. 17 Abs. 2 2. HS DBA-Ungarn vorliegend nicht zum Tragen. Eine andere Auslegung mache die Regelung von Art. 18 Abs. 2 DBA-Ungarn überflüssig. Art. 17 Abs. 2 DBA-Ungarn ermögliche auch eine Besteuerung im Ansässigkeitsstaat, so dass dieser Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung treffen müsse. Nach einem - auf entsprechende Anfrage des Klägers an diesen gerichtetes - Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 22.03.2013 betreffe Art. 17 Abs. 2 DBA-Ungarn nur Rentner, die in Zeiten des kalten Krieges nach Deutschland ausgewandert sind und sich dort ein Rentenrecht erarbeitet haben. Eine Ungleichbehandlung zwischen Ruhegehältern und Renten aus der gesetzlichen Sozialversicherung liege nicht vor, da dieser Personenkreis in der Regel die ungarische Staatsangehörigkeit habe.
13Mit Klageerhebung (Bl. 4 d. A.) und Schreiben vom 11.04.2016 (Bl. 51 d. A.) haben die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
14Entscheidungsgründe
15Der Senat entscheidet im Einverständnis der Beteiligten nach § 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung.
16Die zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet.
17I.
18Der Kläger hat die ursprünglich gegen den Widerruf seiner nach § 39b Abs. 6 EStG erteilten Lohnsteuerfreistellungsbescheinigung erhobene Klage zulässig in eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO umgestellt. Denn der Kläger hat trotz der Erledigung des Rechtsstreits weiterhin ein Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Widerrufs.
19Der Rechtsstreit hat sich mit Ablauf des ursprünglichen Freistellungszeitraums und der Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung für 2013 in 2014 erledigt, da hiernach gemäß § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG eine Änderung und damit eine Erstattung der einbehaltenen Lohnsteuer nicht mehr möglich ist (vgl. FG Baden-Württemberg, Urteil vom 06.06.1997 12 K 48/97, EFG 1997, 981, nachgehend BFH-Urteil vom 17.12.1997 I R 60-61/97, BStBl II 1999, 13).
20Das Feststellungsinteresse des Klägers begründet sich zum einen aufgrund der Gefahr, dass der Beklagte wegen der unveränderten tatsächlichen Verhältnisse einen erneuten Freistellungsantrag ablehnen wird sowie zum anderen aus dem prozessökonomischen Gesichtspunkt, dass der Beklagte auch bei einer in Deutschland durchzuführenden Veranlagung die Ruhegehaltszahlungen als in Deutschland steuerpflichtig ansehen wird.
21II.
22Die Klage ist auch begründet.
231.
24Der Beklagte hat zu Unrecht die dem Kläger erteilte Freistellungsbescheinigung mit Wirkung ab dem 01.10.2012 widerrufen, da auch nach der Neuregelung des DBA-Ungarn (2011) mit Wirkung ab dem 01.01.2012 (BGBl II 2012, Nr. 2, Seite 47) für die Besteuerung des vom Kläger von der Bundesfinanzdirektion ... bezogenen Ruhegehalts nicht das sog. Kassenstaatsprinzip greift, sondern die Besteuerung nach der Ansässigkeit bzw. dem Wohnsitz erfolgt.
25Nach Art. 18 Abs. 2 a) DBA-Ungarn (2011) werden Ruhegehälter, die vom Vertragsstaat gezahlt werden, nur in diesem besteuert (sog. Kassenstaatsprinzip). Hiervon macht Art. 18 Abs. 2 b) DBA-Ungarn (2011) nur für den Fall eine Ausnahme, dass der Ruhegehaltsempfänger im anderen Vertragsstaat ansässig und auch dessen Staatsangehöriger ist. Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger nicht vor, da er deutscher Staatsbürger ist. Der Kläger kann sich jedoch nach Art. 18 Abs. 2 DBA-Ungarn (2011) auf die Vertrauensschutzregelung das Art. 17 Abs. 2 2. HS DBA-Ungarn (2011) berufen, da er am Tage des Austauschs der Ratifizierungsurkunden zum DBA-Ungarn (2011) am 30.12.2011 in Ungarn und damit im anderen Vertragsstaat ansässig war.
26Entgegen der Ansicht des Beklagten verweist Art. 18 Abs. 2 DBA-Ungarn (2011) insbesondere auf die Regelung des Vertrauensschutzes in Art. 17 Abs. 2 2. HS DBA-Ungarn (2011). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der Regelung, der eine uneingeschränkte Verweisung enthält. Im Übrigen wäre eine Verweisung nur auf Art. 17 Abs. 2 1. HS DBA-Ungarn (2011) entbehrlich, da diese Regelung ebenfalls das Kassenstaatsprinzip formuliert, das auch Art. 18 Abs. 2 a) DBA-Ungarn (2011) vorsieht. Es würde sich mithin um einen Verweis auf eine identische Rechtsfolge handeln.
27Daneben regelt Art. 17 Abs. 2 2. HS DBA-Ungarn (2011) auch nicht, wie vom Beklagten behauptet, dass neben der Besteuerung im Kassenstaat (Art. 17 Abs. 1 1. HS DBA-Ungarn (2011)) auch eine Besteuerung im Ansässigkeitsstatt möglich ist. Nach dieser Ansicht würde die Vorschrift eine Doppelbesteuerung ermöglichen, die das DBA aber gerade vermeiden will (vgl. auch Reith in Wassermeyer, DBA, Stand 03/2013, Ungarn Art. 17 Rdnr. 27; Vogel/Lehner, DBA, 6. Auflage, OECD-MA 2005, Art. 18 Rdnr. 85c).
28Weiterhin ist entgegen den Ausführungen des Bundesministeriums der Finanzen im Schreiben vom 22.03.2013 nicht ersichtlich, dass die Regelung des Art. 17 Abs. 2 2. HS DBA-Ungarn (2011) nur für den kleinen Personenkreis von Sozialversicherungsrentnern gelte, die in Zeiten des kalten Krieges nach Deutschland ausgewandert waren und hier einen Rentenanspruch erworben haben. Eine entsprechende Einschränkung sieht die Regelung nicht vor. Vielmehr umfasst sie sämtliche Sozialversicherungsrentner, die an oder vor dem Tag des Austausches der Ratifizierungsurkunden im anderen Vertragsstaat ansässig waren, und zwar unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit.
29Schließlich ist nicht ersichtlich, weshalb die Auslegung des Gerichts nach Ansicht des Beklagten Art. 18 Abs. 2 DBA-Ungarn (2011) überflüssig machen sollte.
302.
31Dem Anspruch steht auch nicht der Umstand entgegen, dass durch Art. 2 Nr. 16 Buchst. e Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetz die Vorschrift des § 39b Abs. 6 EStG, aufgrund derer die Freistellungsbescheinigung erlassen wurde, ab dem 01.01.2012 aufgehoben und durch das elektronische Mitteilungsverfahren – hier § 39 Abs. 4 Nr. 6 EStG (2012) – ersetzt wurde. Da das elektronische Mitteilungsverfahren bis heute nicht eingesetzt werden kann, werden die Regelungen des Papierbescheinigungsverfahrens für nach DBA steuerfreien Arbeitslohn zunächst fortgeführt (§ 52 Abs. 51b EStG (2012); vgl. auch Krüger in L.Schmidt, EStG, 35. Aufl. 2016, § 39b Rdnr. 25).
32III.
33Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
34IV.
35Die Revision war aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung des Verfahrens gemäß § 115 Abs. 2 Satz 1 FGO zuzulassen.
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Referenzen
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