Urteil vom Finanzgericht Köln - 8 K 3037/12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Einkommensteuerpflicht des Klägers bzw. die Steuerfreiheit seines Gehalts in den Streitjahren 2007-2009.
3Der Kläger ist brasilianischer Staatsangehöriger und ist – nach Lage der Akten seit mindestens ....11.1991 – Inhaber einer Niederlassungserlaubnis gemäß § 28 Abs. 2 AufenthG. Er ist verheiratet mit Frau A1 und seit dem ....10.1991 mit seiner Hauptwohnung in B, C-Straße a bzw. ab dem ....1.1993 C-Straße b gemeldet. Gemeinsam haben sie zwei mittlerweile volljährige Kinder.
4Der Kläger wurde vom Staatssekretariat des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten in Brasilien für eine Tätigkeit in der Botschaft der Föderativen Republik Brasilien (Brasilien) in Deutschland angeworben. Nach seiner Einreise nach Deutschland erhielt er einen Arbeitsvertrag als Ortskraft in der Botschaft, in der er seit dem ....1980, zunächst als Verwaltungsassistent, angestellt war. Mit Wirkung zum ....1990 wurde er zum technischen Assistenten befördert. Bis heute ist er in der Handelsabteilung der Botschaft Brasiliens in Deutschland, inzwischen in Berlin, tätig. Die Botschaft führte in den Streitjahren von dem Gehalt des Klägers Sozialversicherungsabgaben an die deutschen Sozialversicherungsträger ab.
5Der Beklagte forderte den Kläger mit Schreiben vom 20.6.2010 dazu auf, Steuererklärungen für die Streitjahre abzugeben. Dabei wies er darauf hin, dass das Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) Deutschlands mit Brasilien im Jahr 2005 gekündigt worden sei.
6Der Kläger beantragte daraufhin beim Beklagten zunächst telefonisch (Aktenvermerk vom 22.6.2010 in der Steuerakte), dann über seinen damaligen Bevollmächtigen mit Schreiben vom 2.7.2010 und 20.7.2010 (Rechtsbehelfsakte) einen Protokollausweis für Ortskräfte, in dem ihm die Steuerfreiheit seines von der Brasilianischen Botschaft gezahlten Gehalts bescheinigt werden sollte. Auf den Aktenvermerk vom 22.6.2010 sowie die Schreiben vom 2.7.2010 und 20.7.2010 nebst Anlagen wird Bezug genommen. Der Beklagte nahm hierzu mit Schreiben vom 5.7.2010 und 22.7.2010 (Rechtsbehelfsakte), auf die Bezug genommen wird, Stellung. Im Schreiben vom 5.7.2010 führte er insbesondere aus, dass nach bundeseinheitlicher Praxis der Finanzverwaltung alle von den ausländischen Vertretungen am Ort eingestellten Bediensteten (Ortskräfte) ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit als in der Bundesrepublik Deutschland ständig ansässig angesehen würden, es sei denn, dass der Leiter der ausländischen Mission im Einzelfall darlege, dass und aus welchen Gründen die betreffende Ortskraft sich nur vorübergehend in der Bundesrepublik aufhalte und die Absicht habe, später in den Entsendestaat oder in ein drittes Land auszuwandern.
7Der Kläger reichte mit Schreiben vom 9.9.2010 seine Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre 2007 und 2008 beim Beklagten ein. Darin beantragte er jeweils die getrennte Veranlagung und erklärte Einnahmen ausschließlich zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit.
8Der Beklagte setzte die Einkommensteuer der Jahre 2007 und 2008 erstmals mit Bescheiden vom 6.10.2010 fest. Die Steuerfestsetzungen ergingen teilweise vorläufig hinsichtlich der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, da aufgrund des ungewissen Status in Bezug auf das Beschäftigungsverhältnis mit der Botschaft von Brasilien unklar sei, ob die Steuerbefreiung nach dem Wiener Übereinkommen vom 18.4.1961 über diplomatische Beziehungen (BGBl. II 1964, 957; -WÜD-) gewährt werden könne.
9Der Kläger legte gegen beide Bescheide mit Schreiben vom 28.10.2010 Einspruch ein. Mit dem Einspruch wandte sich der Kläger zunächst nur gegen eine nur teilweise Berücksichtigung von Familienheimfahrten. Mit Schreiben vom 8.11.2010 erweiterte er sein Begehren auf die Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks hinsichtlich eines noch mit Rückwirkung abzuschließenden DBA im Verhältnis Deutschland und Brasilien. Zur Begründung führte er an, Brasilien habe bereits Verhandlungen hinsichtlich eines neuen DBA aufgenommen.
10Der Beklagte half den Einsprüchen hinsichtlich der Familienheimfahrten mit Änderungsbescheiden zur Einkommensteuer 2007 und 2008 vom 14.12.2010 teilweise ab. Die Änderungsbescheide ergingen weiterhin teilweise vorläufig mit dem vorgenannten Vermerk.
11Am 27.12.2010 reichte der Kläger seine Einkommensteuererklärung 2009 beim Beklagten ein, in der er ebenfalls eine getrennte Veranlagung beantragte und Einnahmen nur zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit erklärte. Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 2009 mit Bescheid vom 28.1.2011 fest. Die Festsetzung erging teilweise vorläufig mit dem oben genannten Vermerk.
12Der Kläger legte gegen den Einkommensteuerbescheid 2009 mit Schreiben vom 28.2.2011 Einspruch ein. Er begründete den Einspruch damit, dass er sich auf eine Erweiterung des Vorläufigkeitsvermerks beziehe. Die Erweiterung betreffe den nicht vorhandenen Vorläufigkeitsvermerk hinsichtlich eines noch abzuschließenden DBA mit Rückwirkung im Verhältnis Deutschland und Brasilien.
13Mit Schreiben vom 22.12.2011 (Rechtsbehelfsakte) begründete der Kläger seine Einsprüche weiter damit, dass ihm aufgrund eines in Brasilien geführten Rechtsbehelfsverfahrens mit Urteil vom 23.11.2011 rückwirkend ein Beamtenstatus zuerkannt worden sei. Als Beamter könne er die Steuerbefreiung nach dem WÜD beanspruchen. Auf das Schreiben wird Bezug genommen.
14Der Beklagte wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidung vom 4.9.2012, auf die Bezug genommen wird, als unbegründet zurück und erklärte die Bescheide hinsichtlich der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit für endgültig.
15Zur Begründung führte er aus, eine Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 29 EStG sei für die Streitjahre zu versagen. Ein Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Nr. 1 AO komme nicht in Betracht. Von einem unmittelbar bevorstehenden Abschluss und Inkrafttreten eines neuen DBA im Verhältnis Deutschland und Brasilien sei nicht auszugehen. Der mit Urteil vom 23.11.2011 zugesprochene Beamtenstatus mache den Kläger nicht automatisch zu einem amtlich entsandten Mitglied der diplomatischen Mission Brasiliens. Der Status als Ortskraft werde nicht beeinträchtigt. Zudem könne der Beamtenstatus nicht rückwirkend zugesprochen werden. Schließlich hätte eine turnusmäßige Versetzung an andere ausländische Dienstorte des Entsendestaates nicht erfolgen können, da der Kläger als Ortskraft nicht über diesen Dienstsitz hinaus habe eingesetzt werden können. Auch habe der Kläger nie eine Bescheinigung vorgelegt, in der der Staat Brasilien zusichere, den Kläger in absehbarer Zeit in den Entsendestaat oder ein drittes Land versetzen zu wollen. Im Übrigen berief er sich auf die im Schreiben vom 5.7.2010 dargelegten Gründe.
16Hiergegen richtet sich der Kläger mit seiner fristgerecht erhobenen Klage.
17Der Kläger trägt vor, er sei in den Streitjahren zwar formell noch Ortsangestellter der Botschaft Brasiliens in Deutschland gewesen. Aufgrund einer Bestimmung der Verfassung Brasiliens von 1988 habe er jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt als Beamter und damit als Mitglied des technischen Personals gegolten. Zunächst habe sein Beschäftigungsverhältnis den Bestimmungen des brasilianischen Gesetzes Nr. 1.711 von 1952 unterlegen, wonach er eine Ortskraft gewesen sei. Mit Art. 243, § 1 des brasilianischen Gesetzes Nr. 8.112 von 1990 seien alle dem Gesetz Nr. 1.711 unterstehenden Beschäftigten in den Beamtenstatus erhoben worden. Das brasilianische Ministerium habe sich jedoch geweigert, diesen Statuswechsel zu vollziehen. Mit Urteil vom 23.11.2011 habe das oberste brasilianische Bundesgericht seinem Antrag stattgegeben, ihn mit Wirkung ab dem 11.12.1990 in den Beamtenstatus zu erheben. Am 2.2.2015 sei er vom Ministerium für auswärtige Angelegenheiten Brasiliens aufgrund des Urteils des Obersten Gerichtshofs dann auch verbeamtet worden. Seine Verbeamtung sei rückwirkend zum 12.12.1990 erfolgt. Die brasilianische Botschaft habe das Auswärtige Amt mit Verbalnote vom 8.10.2015 über die rückwirkende Verbeamtung unterrichtet.
18Zum Nachweis hat er eine Bescheinigung der brasilianischen Botschaft vom 17.8.2015 (Anlage K 12, Bl. 146 der Akte) vorgelegt, aus der hervorgeht, dass er zum 2.2.2015 verbeamtet sei und dies rückwirkend seit dem 12.12.1990 gelte. Zudem hat er ein Schreiben der brasilianischen Botschaft vom 8. bzw. 12.10.2015 vorgelegt (Anlage K 14, auf Portugiesisch vom 8.10., Bl. 148 der Akte; nichtamtliche Übersetzung vom 12.10. auf Bl. 149 der Akte), in dem diese dem Auswärtigen Amt unter anderem mitteilt, dass der Kläger rückwirkend ab dem 12.12.1990 dem Stammpersonal zugerechnet werde. Auf die deutsche Übersetzung des Schreibens (Bl. 149 der Akte) wird Bezug genommen.
19Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe für die Streitjahre als Konsularbeamtem das Steuerprivileg gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 des Konsularvertrags zwischen dem Deutschen Reich und Brasilien vom 10.1.1882 (RGBl. 1882, 69; Anlage K9, Bl. 78-109 der Akte) zu. Der deutsch-brasilianische Konsularvertrag sei ungeachtet des Umstandes, dass der Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Brasilien geschlossen worden sei, immer noch wirksam und werde in seiner Anwendung auch nicht von dem WÜD bzw. dem Wiener Übereinkommen vom 24.4.1963 über konsularische Beziehungen (BGBl. II 1969, 1585 -WÜK-) verdrängt. Der Vertrag sei auch sachlich auf ihn anwendbar. Er übe eine als konsularisch zu qualifizierende Tätigkeit aus. Der Begriff der Konsulartätigkeit sei vertragsautonom zu bestimmen, um zu verhindern, dass ein spezifisch national geprägtes Begriffsverständnis ein internationales Übereinkommen präge und so den gewünschten Vereinheitlichungseffekt verhindere. Daraus folge insbesondere, dass es auf die Eingliederung der Handelsabteilung in die Organisationsstruktur der Botschaft Brasiliens nicht ankomme. Er selbst sei auch als Konsularagent im Sinne des Konsularvertrages anzusehen. Der Begriff, wie er in dem Vertrag gebraucht werde, sei als Synonym für den heute üblichen Begriff des Konsularbeamten zu verstehen. Das ergebe sich aus Art. 2 Satz 1 des Konsularvertrages. Darin sei die Rede von Generalskonsuln, Konsuln, Vizekonsuln und Konsularagenten. Konsularagenten seien demnach die niedrigste Stufe der konsularisch tätigen Personen unter dem Vertrag. Dies entspreche heutigen Konsularbeamten. Laut Meyers Großem Konversationslexikon, Bd. 11, Leipzig 1911, Seite 433, seien Konsularagenten „Privatbevollmächtigte des Konsuls, zu deren Ernennung die absendende Regierung ihre Zustimmung erklärt habe, ohne dass ihnen eine selbständige Ausübung der konsularischen Rechte zukomme“. Gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 2 des Konsularvertrags seien alle Konsularagenten von direkten Steuern und Abgaben befreit. Auf seine Ansässigkeit komme es dabei nicht an.
20Hilfsweise berufe er sich auf Art. 49 Abs. 1 des WÜK, der einem Konsularbeamten ebenfalls Steuerbefreiung gewähre. Das Übereinkommen stelle in Art. 70 klar, dass seine Vorschriften auch dann anzuwenden seien, wenn konsularische Aufgaben durch eine diplomatische Mission (Botschaft) wahrgenommen würden.
21Sofern seine Tätigkeit nicht als konsularische qualifiziert werden könne, nehme er die Steuerbefreiung gemäß Art. 37 Abs. 2 i.V.m. Art. 34 des WÜD in Anspruch. Er sei, wenn es sich bei ihm nicht bereits um einen konsularisch tätigen Mitarbeiter handele, jedenfalls ein Mitarbeiter des technischen Personals der Botschaft Brasiliens, und als solcher ebenfalls von der Verpflichtung zur Entrichtung von Steuern befreit. Da er nunmehr in den Beamtenstatus erhoben sei, gelte auch für ihn der regelmäßige Versetzungsturnus, so dass er, anders als bei Ortskräften, nach WÜK und WÜD jedenfalls nicht als im Inland ansässig angesehen werden könne.
22Das Außenministerium Brasiliens klassifiziere ihn aufgrund der zum 12.12.1990 erfolgten Verbeamtung seit diesem Zeitpunkt als Mitglied des Verwaltungs- und technischen Personals der Botschaft Brasiliens in Deutschland. Damit unterliege er seit dem 12.12.1990 dem Anwendungsbereich der Steuerimmunität gemäß Art. 34 WÜD. Ebenso wie die rückwirkende Verbeamtung und die darauf basierende ebenfalls rückwirkende Qualifizierung als Mitglied des technischen Personals der Botschaft Brasiliens in Deutschland hätten auch die Bestimmungen des WÜD rückwirkend Anwendung zu finden, so dass kein Besteuerungsrecht des Beklagten bestanden habe. Die Entscheidung darüber, in welcher Eigenschaft er als Mitarbeiter eines Konsulats oder einer diplomatischen Mission tätig sei, stehe allein dem Entsendestaat zu. Nach demselben Grundsatz sei im Hinblick auf die Wiener Übereinkommen und die dort enthaltenen Ausnahmen von den Steuerbefreiungen unter dem Gesichtspunkt der Ansässigkeit zu verfahren. Werde, wie in seinem Fall, eine im Empfangsstaat als ständig ansässig geltende Ortskraft rückwirkend in den Beamtenstatus erhoben, für den der Grundsatz der jederzeitigen Versetzbarkeit gelte, sei dies vom Empfangsstaat zu respektieren. Die Ortsansässigkeit als Ausnahme von der vorgesehenen Steuerbefreiung müsse ausdrücklich festgestellt werden. Mit seiner rückwirkenden Verbeamtung sei die Grundlage für eine solche Vermutung, nämlich der Stellung als Ortskraft, jedoch entfallen. Im Übrigen habe die brasilianische Botschaft mit Schreiben vom 14.9.2010 (Bl. 127 der Akte) bestätigt, ihn sofort aus Deutschland abzuberufen, sofern er in den Beamtenstand übernommen werde. Auf das Merkmal der ständigen Ansässigkeit könne es nicht ankommen, da er zu Unrecht von Brasilien als Ortskraft qualifiziert worden sei. Die Dauerhaftigkeit seines Aufenthalts in Deutschland sei durch diese rechtswidrige Statusentscheidung bestimmt worden, nicht aber von seiner eigenständigen Entscheidung. Als Ortskraft sei er ganz unabhängig von seinem eigenen Willen von dem turnusmäßigen Versetzungsrhythmus des diplomatischen Personals ausgeschlossen gewesen. Seine langwierige gerichtliche Auseinandersetzung in Brasilien dokumentiere, dass sein dauerhafter Verbleib in Deutschland nicht von seinem Willen getragen gewesen sei.
23Der Kläger beantragt,
24den Einkommensteuerbescheid 2007 vom 14.12.2010, den Einkommensteuerbescheid 2008 vom 14.12.2010, den Einkommensteuerbescheid 2009 vom 28.1.2011 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 4.9.2012 aufzuheben.
25hilfsweise,
26die Revision zuzulassen.
27Der Beklagte beantragt,
28die Klage abzuweisen.
29Er beruft sich auf die in der Einspruchsentscheidung dargelegten Gründe und trägt darüber hinausgehend vor, nach Kündigung des DBA mit Brasilien zum 1.1.2006 unterliege der Kläger in den Streitjahren der unbeschränkten Einkommensteuerpflicht. Eine Steuerbefreiung der Einnahmen nach § 3 Nr. 29 EStG komme nicht in Betracht. Der Kläger sei als Ortskraft ständig ansässig im Sinne des WÜD bzw. WÜK. Die Zuteilung des Beamtenstatus in Brasilien ändere an dieser rechtlichen Einordnung nichts. Als Ortskraft habe er nicht über den Dienstsitz hinaus eingesetzt werden können. Entscheidungserheblich sei und bleibe der Status bei Aufnahme des Dienst- und Arbeitsverhältnisses bei der berufskonsularischen Vertretung im Inland. Dieser sei „Ortskraft“ gewesen und führe zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht in Deutschland.
30Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.6.2016 verwiesen.
31Der Kläger hat nach Schluss der mündlichen Verhandlung noch mit Schriftsatz vom 29.6.2016 in der Sache Stellung genommen. Auf den Schriftsatz wird Bezug genommen.
32Entscheidungsgründe
33Die Klage ist unbegründet.
34Die angefochtenen Einkommensteuerbescheide und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (vergl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-).
35Der Beklagte ist zu Recht von einer unbeschränkten Einkommensteuerpflicht des Klägers in den Streitjahren ausgegangen. Das Gehalt des Klägers ist auch nicht gemäß § 3 Nr. 29 EStG steuerbefreit.
361.
37Der Kläger erfüllte mit seinem Wohnsitz in B die Voraussetzungen der unbeschränkten Steuerpflicht des § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG. Seine unbeschränkte Steuerpflicht ist nicht durch bi- bzw. multilaterale Verträge eingeschränkt.
38a.
39Unabhängig davon, ob der Konsularvertrag zwischen dem Deutschen Reich und Brasilien vom 10.1.1882 – dem klägerischen Vortrag entsprechend – tatsächlich noch gültig ist, ist die in Art. 3 des Konsularvertrag vorgesehene Steuerbefreiung subjektiv nicht auf den Kläger anwendbar.
40Nach Art. 3 Satz 2 des Konsularvertrag sind Generalkonsuln, Konsuln, Vizekonsuln und Konsularagenten, welche Angehörige des vertragschließenden Teiles sind, der sie ernannt hat, von allen persönlichen Steuern befreit, welche die Natur direkter oder persönlicher Auflagen haben.
41Aus der vorzunehmenden vertragsautonomen Auslegung ergibt sich jedoch, dass der Konsularvertrag nur einem sehr eng umgrenzten Personenkreis eine Steuerbefreiung einräumt, zu dem der Kläger nicht gehört.
42Dem Wortlaut nach gilt die Steuerbefreiung in Art. 3 Satz 2 des Konsularvertrags nur für Generalkonsuln, Konsuln, Vizekonsuln und Konsularagenten. Eine eigenständige Definition der Begriffe enthält der Vertrag nicht. Da die Begriffe des Konsularvertrags vertragsautonom auszulegen sind, kann nicht auf eine Beschreibung in einem zeitgenössischen deutschen Lexikon zurückgegriffen werden. Aus der maßgeblichen Systematik des Vertrages kann jedoch entnommen werden, dass es sich bei dem in Art 3 des Konsularvertrags genannten Konsularagent um eine Person in leitender Funktion handelt, da dem Vertrag noch weitere in einem Konsulat arbeitende Personen bekannt sind, die dem Konsularagenten untergeordnet sind und zudem nicht jeder Konsularagent unter die Steuerbefreiung fällt.
43Nach Art. 2 des Konsularvertrags sollen die für das Deutsche Reich und Brasilien ernannten Generalkonsuln, Konsuln, Vizekonsuln und Konsularagenten ihre amtliche Tätigkeit nicht beginnen können, ohne zuvor für ihre Ernennung das Exequatur in der Form nachgesucht zu haben, die in dem Lande, in welchem sie ihren Amtssitz haben, vorgeschrieben ist. Nach Art. 6 des Konsularvertrag dürfen Konsularagenten an der Außenseite des Konsulatsgebäudes das Nationalwappen mit der Umschrift: „Konsularagentur“ anbringen, sowie die Nationalflagge an Tagen öffentlicher Festlichkeiten, je nach dem Landesbrauch, von ihren Häusern hissen. In Art. 8 Abs. 1 des Konsularvertrags sind Kanzler, Sekretäre und Konsulareleven aufgeführt, denen im Falle der Verhinderung des Generalkonsuls, Konsuls, Vizekonsuls oder Konsularagenten zur einstweiligen Ausübung bestimmte Amtsbefugnisse eingeräumt werden. Gemäß Art. 9 Abs. 1 des Konsularvertrags können Generalkonsuln und Konsuln unter Umständen selbst Vizekonsuln und Konsularagenten in allen Städten, Häfen und Plätzen ihres Amtsbezirks ernennen. Gemäß Abs. 3 der Vorschrift stehen diesen Vizekonsuln und Konsularagenten dann zwar die im Vertrag verabredeten Vorrechte und Befreiungen ebenfalls zu, allerdings mit Ausnahme derjenigen, von denen die Artikel 3 und 4 handeln, also insbesondere auch mit Ausnahme der Steuerbefreiung. Gemäß Art. 45 können Generalkonsuln, Konsuln, Vizekonsuln und Konsularagenten die Rechte und Befugnisse, welche ihnen nach dem gegenwärtigen Vertrag zustehen, ganz oder teilweise auf andere übertragen. Auch diesen Personen kommt gemäß Art. 45 gerade das Vorrecht der Steuerbefreiung des Art. 3 nicht zu.
44Eine Auswertung dieser Vorschriften ergibt:
45Die Regelungen der Art. 2 und 6 beziehen sich ersichtlich nur auf wenige Personen in leitender Position, zu denen der Kläger nicht gehört. Der Kläger ist – auch nach seiner Verbeamtung – weiterhin nicht von Brasilien als Konsularagent benannt, auch wurde ihm kein Exequatur erteilt. Art. 8 zeigt zudem auf, dass die Aufzählung der Personen in Art. 2 nur einige wenige in einem Konsulat tätige Personen bezeichnet und nicht etwa alle heute in einem Konsulat tätige Beamte unter die dort genannten vier Begriffe „Generalkonsul, Konsul, Vizekonsul und Konsularagent“ zu fassen sind. Die Regelungen der Art. 9 und 45 zeigt darüber hinaus, dass die Vertragsparteien nur einem sehr eng umgrenzten Personenkreis überhaupt das Steuerprivileg zukommen lassen wollten. Der Kläger gehört jedenfalls nicht zu diesem Kreis.
46b.
47Der Kläger kann sich auch nicht auf das WÜK berufen, da es auf ihn nicht anwendbar ist.
48Gemäß Art. 3 Satz 2 WÜK ist es möglich, konsularische Aufgaben auch von einer diplomatischen Mission wahrnehmen zu lassen. Gemäß Art. 70 Abs. 1 WÜK ist in einem solchen Fall das WÜK zwar grundsätzlich anwendbar. Der Anwendungsbereich des WÜK ist in diesen Fällen allerdings durch Art. 70 Abs. 4 WÜK dahingehend begrenzt, dass sich die Vorrechte und Immunitäten (siehe Kapitel II Abschnitt II WÜK Art. 40-57), u.a. also auch die Steuerbefreiung nach dem WÜD (dort Art. 29-36) richten.
49Der Kläger war in den Streitjahren in der Botschaft Brasiliens in Berlin tätig. Die Botschaft Brasiliens nahm in einem Teil Deutschlands auch konsularische Aufgaben wahr.
50Selbst wenn man Art. 70 Abs. 4 WÜK so auslegen wollte, dass die Vorrechte des WÜK neben denen des WÜD gelten würden – was der Senat für nicht zutreffend hält –, würde dem Kläger das in Art. 49 Abs. 1 Satz 1 WÜK vorgesehene Vorrecht der „Steuerbefreiung“ nicht zugutekommen, da er i.S.d. WÜK im Inland ansässig ist (siehe dazu unten unter 1.c.). Die Ansässigkeit im Inland schließt sowohl gemäß Art. 71 Abs. 1 WÜK bei Konsularbeamten als auch gemäß Art. 71 Abs. 2 WÜK bei anderen Mitgliedern konsularischer Vertretungen die Anwendung von Art. 49 WÜK aus.
51c.
52Die unbeschränkte Steuerpflicht des Klägers ist auch nicht durch Art. 37 Abs. 2 i.V.m. Art. 34 WÜD eingeschränkt, da der Kläger im Inland ansässig i.S.d. WÜD ist.
53Gemäß Art. 34 WÜD ist ein Diplomat von allen staatlichen Personalsteuern befreit. Gemäß Art. 37 Abs. 2 WÜD gilt das in Art. 34 WÜD bezeichnete Vorrecht auch für Mitglieder des Verwaltungs- und technischen Personals der Mission, wenn sie weder Angehörige des Empfangsstaats noch in demselben ständig ansässig sind.
54Was unter ständig ansässig zu verstehen ist, ist im WÜD nicht definiert. Nach Rechtsprechung und Literatur sind „ständig ansässig" im Sinne des WÜD alle Personen, die zum Zeitpunkt ihrer Anstellung von der Mission bereits längere Zeit im Empfangsstaat ihren Wohnsitz hatten. Darüber hinaus sind u.a. nach der Verwaltungspraxis des Auswärtigen Amtes in den Streitjahren alle von fremden Botschaften „am Ort" eingestellten Bediensteten (sog. Ortskräfte) ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit in der Bundesrepublik ständig ansässig. Ortskräfte haben im Gegensatz zu den entsandten Bediensteten ihr Dienstverhältnis mit der diplomatischen Vertretung (oder dem Entsendestaat) in der Regel erstmals in der Bundesrepublik begründet und werden – anders als entsandte Bedienstete – nicht turnusmäßig an andere ausländische Dienstorte des Entsendestaates versetzt. In der Praxis wird eine Ortskraft daher nur dann als nicht ständig ansässig behandelt, wenn der ausländische Staat im Einzelfall verbindlich zusichert, die betreffende Ortskraft in absehbarer Frist in den Entsendestaat oder in ein drittes Land zu versetzen (BFH-Urteil vom 25.7.2007, III R 81/03, BFH/NV 2008, 196; Richtsteig, Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, 2. Auflage 2010, Art. 37 Anm. 3 Buchst b, Art. 38 Anm. 2 und 3 Buchst a). Selbst entsandte Personen (also andere als Ortskräfte) können unter gewissen Umständen als „ständig ansässig" angesehen werden, nämlich wenn nicht mehr die Entsendung das dominierende Element ihres Aufenthalts ist, sondern wenn sie offenkundig nicht oder nicht mehr dem üblichen Versetzungsturnus unterliegen. Wesentliche Indizien hierfür sind ein übermäßig langer Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, die Eheschließung mit einem Inländer oder andere Faktoren, die auf die Absicht des ständigen Verbleibs im Empfangsstaat schließen lassen (Richtsteig, Wiener Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehungen, 2. Auflage 2010, Art. 37 Anm. 3 Buchst b, Art. 38 Anm. 3 Buchst a).
55Der Kläger hat zwar ein Schreiben seiner Botschaft vorgelegt, in dem diese ihm bescheinigt, dass er im Falle seiner Verbeamtung sofort zurück nach Brasilien oder in ein anderes Land versetzt werden soll. Dieses Schreiben ist aber erst nach Ablauf der Streitjahre ausgestellt worden, so dass ihm für die Beurteilung der Ansässigkeit in den Streitjahren keine abschließende Aussage entnommen werden kann. Zudem ist der Kläger erst im Jahr 2015 tatsächlich verbeamtet worden, so dass frühestens ab dem Jahr 2015 die konkrete Absicht der Botschaft bestanden hat, ihn zu versetzen. Tatsächlich ist der Kläger auch ein Jahr nach der Verbeamtung immer noch nicht zurück nach Brasilien oder in ein anderes Land versetzt worden. Dass dies ggf. nicht auf seine eigene Intervention zurückzuführen ist, ist unmaßgeblich.
56Hinsichtlich der Einordnung der Ortskräfte hat sich mit dem Jahr 2010 die Verwaltungspraxis des Auswärtigen Amtes zwar dahingehend geändert, dass Ortskräfte maximal für 5 Jahre beschäftigt werden dürfen und danach wieder ausreisen müssen. Sofern dies erfüllt ist, geht das Auswärtige Amt davon aus, dass auch diese Ortskräfte grundsätzlich als nicht im Inland ansässig gelten sollen (vergl. Rauch in Blümich, EStG, 131. Auflage 2016, § 1 Rn. 188). Die Regelung betrifft aber zum einen nicht die Streitjahre und zum anderen nicht den Fall des Klägers, der bereits seit 1980 als Ortskraft beschäftigt war (vergl. insoweit auch BFH-Urteil vom 19.2.2013, XI R 9/12, BFH/NV 2013, 1077).
57An der Ansässigkeit des Klägers im Inland ändert auch die – jedenfalls nach brasilianischem Recht – rückwirkende Verbeamtung des Klägers im Jahr 2015 nichts. Gemäß Art. 39 Abs. 1 Variante 1 WÜD gelten die Vorrechte zwar bereits ab dem Zeitpunkt der Einreise. Die Verbeamtung des Klägers wirkt jedoch selbst nach brasilianischem Recht lediglich auf den 12.12.1990 zurück und nicht bis zum Zeitpunkt seiner Einreise im Jahr 1980. Nach der Einreise gelten die Vorrechte gemäß Art. 39 Abs. 1 Variante 2 WÜD aber erst ab Notifikation der Ernennung zum Beamten gegenüber dem Auswärtige Amt. Die Notifikation erfolgte im Jahr 2015.
58Aber selbst wenn der Kläger für die Streitjahre als entsandte Person anzusehen wäre, wäre er aufgrund der Umstände seines Einzelfalles im Inland ständig ansässig. Der Kläger lebt bereits seit 1980 ununterbrochen in Deutschland, also mehr als 35 Jahre. Er ist während dieses Zeitraumes weder nach Brasilien noch in ein drittes Land versetzt worden. Er ist mit einer Deutschen verheiratet, mit der er auch seit spätestens 1993 eine gemeinsame Wohnung teilt und zwei inzwischen erwachsene Kinder hat. Im Übrigen ist er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis und zahlt in die inländische Sozialversicherung ein.
592.
60Das Gehalt des Klägers ist auch nicht nach § 3 Nr. 29 EStG steuerfrei. Sowohl Buchst. a als auch b der Vorschrift gelten nicht für Personen, die im Inland ständig ansässig sind. Wie bereits unter 1.c. ausgeführt, ist der Kläger jedoch in den Streitjahren ständig im Inland ansässig.
613.
62Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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