Urteil vom Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 K 198/04

Tatbestand

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Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/ 2002 vorgenommene Änderung in § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG (Berücksichtigung von Verlusten vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen) verfassungswidrig ist.

2

Der im Jahr 1941 geborene Kläger ist von Beruf Rechtsanwalt und Steuerberater. Er erzielte im Jahr 2001 Einkünfte aus selbständiger Arbeit, Einkünfte aus Kapitalvermögen und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (VuV).

3

Der Beklagte stellte gegenüber dem Kläger mit dem Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer zum 31. Dezember 2000 vom  Januar 2002 einen verbleibenden Verlustvortrag für die Einkünfte aus selbständiger Arbeit auf 19.911,00 DM und für die Einkünfte aus VuV auf 142.987,00 DM fest. Mit dem Bescheid vom selben Tag setzte er für das Jahr 2000 eine Einkommensteuer von 0,00 DM fest. Der zum 31. Dezember 2000 für den Kläger festgestellte verbleibende Verlustvortrag zur Einkommensteuer ergab sich im Wesentlichen aus der Inanspruchnahme von Sonderabschreibungen nach dem Fördergebietsgesetz (FördergebietsG).

4

Der Kläger besaß in ... zwei Eigentumswohnungen, für die er seit 1996 Sonderabschreibungen in unterschiedlicher Höhe in Anspruch genommen hatte. Auf das Jahr 2000 entfielen dabei 56.094,00 DM und 38.304,00 DM. Aus der Beteiligung des Klägers an der GbR ... in ... entfielen auf den Kläger im Jahr 2000 Sonderabschreibungen nach dem FördergebietsG von 37.058,16 DM.

5

Der Kläger gab am ... Januar 2003 seine Einkommensteuererklärung für das Jahr 2001 beim Beklagten ab. Mit dem Bescheid vom ... März 2003 setzte der Beklagte eine Einkommensteuer von 0,00 € fest. Die verbleibenden Verlustvorträge zur Einkommensteuer stellte der Beklagte zum 31. Dezember 2001 mit 11.261,00 DM bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit und 102.853,00 DM bei den Einkünften aus VuV fest. Bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens ermittelte der Beklagte aufgrund von Einkünften des Klägers aus selbständiger Arbeit von 7.304,00 DM, Einkünften aus Kapitalvermögen von 13.635,00 DM und Einkünften aus VuV von 27.845,00 DM einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 48.784,00 DM. Unter Berücksichtigung eines Verlustvortrags in gleicher Höhe sowie unter Abzug von Sonderausgaben und Ausbildungskosten nach § 33 a Abs. 2 EStG ermittelte der Beklagte ein zu versteuerndes Einkommen von - 13.885,00 DM.

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Gegen beide Steuerbescheide legte der Kläger am ... April 2003 Einsprüche ein. Er führte zur Begründung an, dass der Abzug des Verlustvortrags vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen rechtswidrig sei, weil § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG in der ab 1999 geltenden Fassung verfassungswidrig sei.

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Mit den Bescheiden vom ... September 2003 änderte der Beklagte die angefochtenen Bescheide aus anderen, hier nicht streitigen Gründen. Bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens berücksichtigte er einen Gesamtbetrag der Einkünfte von 48.908,00 DM und einen Verlustvortrag von 48.908,00 DM und gab das zu versteuernde Einkommen mit -13.885,00 DM an. Die festgesetzte Einkommensteuer betrug weiterhin 0,00 €. Die verbleibenden Verlustvorträge zur Einkommensteuer stellte der Beklagte zum 31. Dezember 2001 mit 11.249,00 DM bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit und 102.741,00 DM bei den Einkünften aus VuV fest.

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Eine weitere Begründung der Einsprüche erfolgte nicht, so dass der Beklagte mit seinen Einspruchsentscheidungen vom ... Februar 2004 und ... März 2004 die Einsprüche als unbegründet zurückwies.

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Der Kläger hat am ... März 2004 Klage erhoben.

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Zur Begründung trägt der Kläger im Wesentlichen vor, der nach § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG vorgeschriebene Abzug des Verlustvortrags vom positiven Gesamtbetrag der Einkünfte verstoße gegen das Leistungsfähigkeitsprinzip, weil sämtliche gezahlten Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträge nicht mehr steuerwirksam seien. Der Gesetzgeber verstoße gegen Art. 3 GG, weil beim Verlustrücktrag der Steuerpflichtige die Möglichkeit habe, Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen und sonstige Abzugsbeträge steuerwirksam werden zu lassen. Dies ergebe sich aus § 10 d Abs. 1 Satz 8 EStG 1999.

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Der Gesetzgeber sei gehalten, beim Verlustvortrag ein gleichgelagertes Wahlrecht zu schaffen. Auch der Grundfreibetrag bleibe im Verlustvortragsjahr ohne steuerliche Wirkung. Die Regelung in § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG 1999 verstoße gegen das Rückwirkungsverbot, da die mit den Sonderabschreibungen nach dem FördergebietsG erzielbaren Steuervorteile insoweit rückgängig gemacht würden, als im Verlustvortragsjahr der Grundfreibetrag und Sonderausgaben gleichheitswidrig unberücksichtigt blieben. Durch das FördergebietsG gewährte Investitionsanreize würden so rückgängig gemacht. Soweit der BFH in seinem Beschluss vom 09. Mai 2001 zu § 2 Abs. 3 EStG 1999 (Mindestbesteuerung) auf zwingende Gründe des gemeinen Wohls verweise, die den Gesetzgeber berechtigt hätten, das Vertrauen des Einzelnen in die Aufrechterhaltung seiner Rechtsposition durchbrechen zu dürfen, differenziere er unsachlich, da er die Ausgabeseite der öffentlichen Haushalte nicht prüfe. Solange die Rechtsprechung die Güterabwägung zwischen Steuereinnahmen und Haushaltsdisziplin nicht vornehme, sei der Abbau von in der Vergangenheit gewährten Steuervergünstigungen verfassungswidrig. Eine verfassungsrechtlich einwandfreie Regelung des Verlustvortrags nach § 10 d Abs. 2 EStG erfordere, dass der Verlustvortrag nach und nicht vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen zu berücksichtigen sei und dem Steuerpflichtigen ein Antragsrecht darüber, in welcher Höhe er den Verlust vortragen wolle, eingeräumt werde. Nach seiner Auffassung hätte der Beklagte nur einen Verlustvortrag von 20.930,00 DM berücksichtigen dürfen. Zu der Frage, ob es dem Gesetzgeber durch die Verfassung gestattet sei, während der fünfjährigen Laufzeit für die Inanspruchnahme der Sonderabschreibungen nach dem FördergebietsG die Gesetze ab einem bestimmten Zeitpunkt dieses gestreckten Steuertatbestandes so zu ändern, dass die ursprünglich nach Recht und Gesetz entstandene Möglichkeit der Inanspruchnahme der Sonderabschreibungen in ihren steuerlichen Auswirkungen weitestgehend ausgeschaltet werde, verweist der Kläger auf den Vorlagebeschluss des IX. Senats des BFH vom 16. Dezember 2003 (IX R 46/02, BStBl II 2004, 284). Mit dem Bau seiner Objekte in ... und ... habe er eine wirtschaftlich motivierte Disposition getroffen. Er habe auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Sonder-AfA nach dem FördergebietsG während des gesamten Fünf-Jahres-Zeitraums ohne irgendwelche steuerlichen Einschränkungen vertraut.

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Sein Vertrauen sei besonders schutzwürdig, da er mit steuerlichen Änderungen, die die Inanspruchnahme von Sonder-AfA weitgehend annullierten, im Investitionszeitpunkt nicht habe rechnen müssen. Von diesem Vertrauen werde auch sein Unterlassen erfasst, nicht vor dem 01. Januar 1999 die gesamte Sonder-AfA in Anspruch genommen zu haben. Der Gesetzgeber hätte seinem schützenswerten Vertrauen mit einer Übergangsregelung hinreichend Rechnung tragen müssen. Der Gesetzgeber habe in den veröffentlichten Gesetzesmaterialien keine Begründung für die hier streitige Gesetzesänderung abgegeben.

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Mit seinem Urteil vom 09. Dezember 2008 zur Pendlerpauschale habe das BVerfG bestätigt, dass ein rein fiskalischer Einnahmeerhöhungszweck kein rechtfertigender besonderer Rechtsgrund für einen Steuereingriff sein dürfe. Die Berücksichtigung von Verlusten nach § 10 d Abs. 2 EStG 1999 vor Sonderausgaben sei offenbar nicht folgerichtig, da das BVerfG zum objektiven Nettoprinzip ausgeführt habe, dass Sonderausgaben grundsätzlich steuerlich abziehbar sein müssten. Ebenso sei die Frage zu stellen, ob die Eliminierung der Wirkung des Grundfreibetrages durch die Verlustvortragsregelung ab 1999 folgerichtig sei. Deshalb müsse bei dieser tragenden Wertentscheidung der Verlustvortrag vom Steuerpflichtigen so begrenzt werden können, dass ihm der Grundfreibetrag im Vortragsjahr erhalten bleibe. Die Fehlentscheidung des Gesetzgebers von 1999 müsse korrigiert werden.

14

Auf den vom Kläger mit seinem Schreiben vom ... April 2009 vorgelegten Aufsatz in EStB 2009, 109 wird Bezug genommen.

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Der Kläger beantragt, die Klage gemäß Art. 100 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, den Verlustvortrag aus 2000 vom Gesamtbetrag der Einkünfte 2001 nach Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen i. H. v. nur 20.930,00 DM abzuziehen, vom verbleibenden Verlustvortrag zum 31. Dezember 2000 zum 31. Dezember 2001 lediglich 20.930,00 DM abzuziehen und die Revision zuzulassen.

16

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

17

Zur Begründung trägt der Beklagte im Wesentlichen vor, dass die Voraussetzungen für eine Vorlage an das BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht gegeben seien. Die Regelung des § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes von 1999/2000/2002 sei nicht verfassungswidrig. Die Vorschrift widerspreche nicht dem Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in der Ausprägung des Nettoprinzips. Die Steuer bleibe hier bei 0,00 DM/€, unabhängig davon, an welcher Stelle der Verlust abgezogen werde. Das objektive Nettoprinzip sei nicht notwendigerweise in jedem Veranlagungszeitraum zu verwirklichen. Die grundsätzliche Abziehbarkeit der entstandenen Verluste werde nicht in Frage gestellt. Durch die zulässige Einschränkung des objektiven Nettoprinzips durch die Festlegung der Reihenfolge des Verlustabzugs werde der Abzug erwerbssichernden Aufwandes nicht verhindert. Der Gesetzgeber sei nicht zu einer Regelung verpflichtet, nach der Verluste sofort und vollständig ausgeglichen werden können. Ein einmal entstandenes Verlustvolumen könne z. B. in späteren Veranlagungszeiträumen gekappt werden. Zur Begründung bezieht sich der Beklagte im Einzelnen auf die Gründe des BFH-Beschlusses vom 09. Mai 2001 (XI B 151/00, BStBl II 2001, 552).

18

Der Kläger werde auch nicht schlechter als andere Steuerpflichtige gestellt, da nach Art. 3 GG nur wesentlich Gleiches nicht willkürlich ungleich behandelt werden dürfe. Eine willkürliche Ungleichbehandlung gleicher Lebenssachverhalte liege nicht vor. § 10 d EStG räume allen Steuerpflichtigen, bei denen der Verlustabzug zum Tragen komme, rückwirkend ein Antragsrecht ein und beim Verlustvortrag nicht.

19

Die Regelung verstoße nicht gegen das Verbot, rückwirkend belastende Steuergesetze zu erlassen. Im Streitfall überwiege das Interesse an der Herstellung der Belastungsgleichheit und am Steueraufkommen das Interesse Einzelner an der Aufrechterhaltung eines bestimmten Verlustvolumens. Der dadurch entstehende Nachteil sei angesichts der Bedeutung des Anliegens des Gesetzgebers in Kauf zu nehmen. Der Rechtsgedanke einer Korrektur-, Nachbesserungs- und Beobachtungspflicht des Gesetzgebers hinsichtlich seiner eigenen Regelungen sei in der Rechtsprechung des BVerfG für unterschiedliche Rechtsgebiete entschieden. Daraus resultiere die Befugnis des Gesetzgebers, seine Entscheidungen in Anbetracht sich verschärfender Umstände (wachsende Staatsverschuldung, Belastung zukünftiger Generationen) zu überprüfen und folgerichtig zu ändern.

20

Das Gericht hat nach Anhörung der Beteiligten die Verfahren 1 K 199/04 und 1 K 198/04 mit dem Beschluss vom ... Mai 2004 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden.

21

Nach Bekanntwerden des Vorlagebeschlusses des FG Köln an das BVerfG vom 22. September 2005 (10 K 1880/05, EFG 2005, 1878) hat der Kläger im Hinblick auf seine im Veranlagungszeitraum 2001 erzielten Einkünfte aus Kapitalvermögen von 13.759,00 DM mit seinem Schreiben vom ... November 2006 sein Einverständnis zur Verfahrensruhe bis zur Entscheidung des BVerfG erklärt. Der Beklagte hatte ebenfalls sein Einverständnis erklärt, so dass das Gericht mit dem Beschluss vom ... Januar 2006 das Ruhen des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem beim BVerfG anhängigen Verfahren zum Az. 2 BvL 14/05 anordnete. Die Verfahrensruhe endete mit dem Beschluss des BVerfG vom 25. Februar 2008. Das teilte das Gericht den Beteiligten mit dem Schreiben vom ... Dezember 2008 mit.

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Dem Gericht lag ein Band Einkommensteuerakten und die Verfahrensakte 1 K 199/04 vor.

Entscheidungsgründe

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Die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 2001 in der geänderten Fassung vom ... September 2003 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom ... Februar 2004 ist zulässig. Zwar kann ein auf null DM/€ lautender Einkommensteuerbescheid grundsätzlich nicht angefochten werden, da er den Kläger nicht beschwert (vgl. BFH-Urteile vom 14. Juni 2000 - XI R 4/00, BFH/NV 2000, 1465 und vom 17. Februar 1998 - VIII R 21/95, BFH/NV 1998, 1356). Im Streitfall bindet der Einkommensteuerbescheid 2001 als Grundlagenbescheid hinsichtlich der in § 10 d Abs. 4 Satz 2 EStG 1999 aufgeführten Beträge die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags am Schluss des Veranlagungszeitraum 2001 (vgl. Schmidt/Heinicke, EStG, 28. Aufl., § 10 d Rdnr. 48). Der Einkommensteuerbescheid 2001 trifft nach der Ermittlung eines positiven Gesamtbetrags der Einkünfte i. H. v. 48.908,00 DM die Aussage, dass der zum 31. Dezember 2000 festgestellte verbleibende Verlustvortrag i. H. v. insgesamt 48.908,00 DM verbraucht ist. Im Hinblick auf die besonderen Korrekturregelungen des § 10 d Abs. 4 Satz 4 und 5 EStG 1999 hat der Kläger bezüglich der nach seiner Rechtsauffassung vorzunehmenden Änderungen bei den nach § 10 d Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigenden Beträgen zu Recht den Einkommensteuerbescheid 2001 angefochten, da von ihm trotz Null-Festsetzung insoweit eine Beschwer ausgeht.

24

Eine Aussetzung des Verfahrens und Einholung einer Entscheidung des BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 GG kommt nicht in Betracht. Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat in seinen Bescheiden vom ... September 2003 zu Recht bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens einen Verlustvortrag in Höhe von 48.908,00 DM berücksichtigt.

25

Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht in seinen Rechten verletzt (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).

26

Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen und, wenn es sich um die Verletzung des Grundgesetzes handelt, die Entscheidung des BVerfG einzuholen.

27

Verfassungswidrig ist jede Norm, soweit sie in irgendeiner Hinsicht dem Grundgesetz widerspricht, ohne dass eine verfassungskonforme Auslegung möglich ist. Das Grundgesetz verlangt, dass das vorlegende Gericht sich eine Überzeugung vom Inhalt der geprüften Norm, von dem der (verfassungsrechtlichen) Maßstabsnorm, von der Unvereinbarkeit beider und von der Unmöglichkeit einer anderen, maßstabskonformen (verfassungskonformen) Auslegung der geprüften Norm bildet (vgl. Wolfgang Meyer in: von Münch/Kunig, GGK III, 5. Aufl., Rn. 21 f. zur Art. 100).

28

§ 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (BGBl. I S. 402) ist verfassungsgemäß.

29

Danach sind nicht ausgeglichene negative Einkünfte, die nicht nach Absatz 1 abgezogen worden sind, in den folgenden Veranlagungszeiträumen vom Gesamtbetrag der Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustvortrag).

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Indem der Gesetzgeber dem Steuerpflichtigen keine Möglichkeit einräumt, im Falle eines Verlustvortrags durch einen Antrag des Steuerpflichtigen den Verlustvortrag hinsichtlich der Höhe so zu begrenzen, dass dem Steuerpflichtigen im Vortragsjahr die Wirkung des Grundfreibetrages erhalten bleibt, bestehen keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002. Die von Verfassungs wegen gebotene einkommensteuerrechtliche Freistellung des Existenzminimums betrifft nur den Verlustausgleich im Verlustentstehungsjahr. Aus der Natur der verfassungsrechtlichen Garantie des Existenzminimums ist "nur" zu folgern, dass dem Steuerpflichtigen von seinem erworbenen in jedem Jahr das für seinen Lebensunterhalt tatsächlich und unabweisbar Benötigte steuerfrei belassen werden muss, mithin insoweit keine Veranlagungszeitraum übergreifende Betrachtung Platz greift (vgl. BFH-Beschluss vom 29. April 2005 - XI B 127/04, BStBl II 2005, 609, 610 unter II. 2. d). Der Sinn der Rechtsprechung des BVerfG zur Steuerfreiheit des Existenzminimums beschränkt sich auf die Freiheit im jeweiligen Kalenderjahr. Er liegt nicht darin, Steuerpflichtigen, die in der Vergangenheit die Freibeträge nicht ausnutzen konnten für die Zukunft ein umfangreiches Freibetragspotential zu verschaffen (BFH-Beschluss vom 26. Juli 2005 - XI B 93/03, BFH/NV 2005, 2001). Entsprechendes gilt für die hier streitige Forderung des Klägers, durch die Beschränkung des jährlich abziehbaren Verlustvortrags die steuerlichen Wirkungen des Grundfreibetrags (§ 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG 1999) in jedem Vortragsjahr zu erhalten, indem das Grundfreibetragspotential in einen verbleibenden Verlustvortrag überführt und progressionsbedingt sogar noch erhöht wird. Da die festgesetzte Einkommensteuer des Klägers im Jahr 2001 0,00 DM/€ betrug, ist das für seinen Lebensunterhalt tatsächlich und unabweisbar Benötigte steuerfrei belassen worden.

31

Eine folgerichtige Umsetzung der einkommensteuerrechtlichen Freistellung des Existenzminimums erfordert in Verlustvortragsjahren kein Antragsrecht des Steuerpflichtigen, den Verlustvortrag zur Erhaltung der steuerlichen Wirkungen des Grundfreibetrages begrenzen zu können.

32

§ 10 d Abs. 2 EStG in der Fassung des StEntlG 1999/2000/2002 verstößt nicht gegen Art. 3 GG. Der Kläger sieht einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz darin, dass der in § 10 d Abs. 2 EStG 1999 geregelte Verlustvortrag keine dem § 10 d Abs. 1 Satz 8 EStG 1999 entsprechende Regelung enthält. Der Gesetzgeber sei nach Auffassung des Klägers nach Art. 3 GG beim Verlustvortrag gehalten, ein gleichgelagertes Wahlrecht zu schaffen.

33

Diese Überlegungen des Klägers greifen nicht durch.

34

Der allgemeine Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG vom 21. Juni 2006, 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164, 180). Der allgemeine Gleichheitssatz ist verletzt, wenn der Staat eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Daraus folgt für das Gebiet des Steuerrechts, dass die Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet werden muss.

35

Das gilt insbesondere im Einkommensteuerrecht, das auf die Leistungsfähigkeit des einzelnen Steuerpflichtigen hin angelegt ist (vgl. BVerfG-Beschluss vom 29. Mai 1990 - 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BStBl II 1990, 653, 658).

36

Durch die gesetzlichen Regelungen zum Verlustrück- und -vortrag werden nicht bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen schlechter gestellt als andere. Lediglich durch zufällige Schwankungen in der Gewinn -und Verlustentwicklung sowie bei der Höhe der vom Einkommen abziehbaren Beträge kann es dazu kommen, dass in einem Extremfall der Verlustabzug volle steuerliche Wirkung entfaltet und in einem anderen Extremfall sich als wirkungslos erweist. Ein von den Regelungen des § 10 d EStG 1999 betroffener Steuerpflichtiger kann in einem Jahr ein Begünstigter, in einem Folgejahr ein Benachteiligter sein (vgl. BFH-Urteil vom 18. Dezember 1990 - VIII R 7/87, BFH/NV 1991, 520).

37

Die gesetzliche Ausgestaltung des Verlustrücktrags unterscheidet sich im Streitjahr vom Verlustvortrag wesentlich darin, dass der Verlust der Höhe nach beschränkt nur auf den unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum zurückgetragen werden kann, während der Verlustvortrag grundsätzlich unbegrenzt erfolgt. Der Abzug erfolgt sowohl beim Rücktrag als auch beim Vortrag stets vom Gesamtbetrag der Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen. Darüber hinaus kann auf Antrag des Steuerpflichtigen vom Rücktrag ganz oder teilweise abgesehen werden (§ 10 d Abs. 1 Satz 7 EStG 1999). Aufgrund der differenzierten unterschiedlichen Ausgestaltung des Verlustrück- und -vortrags war der Gesetzgeber nicht verpflichtet, auch für den Vortrag eine dem § 10 d Abs. 1 Satz 8 EStG 1999 entsprechende Regelung aufzunehmen.

38

Auch das sogenannte Nettoprinzip als Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips ist durch die hier streitige Regelung in § 10 d Abs. 2 EStG 1999 nicht verletzt. Leistungsfähigkeit zur Steuerzahlung setzt erst nach der Berücksichtigung des erwerbs- und existenzsichernden Aufwandes ein. Nur der Betrag, der dem Steuerpflichtigen nach Abzug notwendiger Ausgaben - netto - verbleibt, ist geeignete Grundlage zur Bemessung der Steuer. Das objektive Nettoprinzip gebietet den Abzug von (erwerbssichernden) Aufwendungen, die mit der Einkunftserzielung in einem unmittelbaren Sachzusammenhang stehen. Es ist von Verfassungs wegen nicht notwendigerweise in jedem einzelnen - aus rein erhebungstechnischen Gründen gewählten - Veranlagungszeitraum zu verwirklichen (vgl. BFH-Beschluss vom 09. Mai 2001 - XI B 151/00, BStBl II 2001, 552, 554). Der Gesetzgeber respektiert in § 10 d Abs. 2 EStG 1999 das objektive Nettoprinzip, indem er die grundsätzliche Abziehbarkeit entstandener Verluste nicht in Frage stellt. Der Abzug der vorgetragenen Verluste unmittelbar vom Gesamtbetrag der Einkünfte berücksichtigt den unmittelbaren rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit den Einkunftsarten. Wenn bei der Ermittlung der negativen Einkünfte im Verlustentstehungsjahr, die ggf. vortragsfähig sind, in die Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) keine Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstige Abzugsbeträge (§ 2 Abs. 4 und 5 EStG 1999) einzubeziehen sind, ist es folgerichtig, den vortragsfähigen Verlust im Vortragsjahr in Höhe des in diesem Jahr ermittelten positiven Gesamtbetrags der Einkünfte vorrangig vor den anderen in § 2 Abs. 4 und 5 EStG 1999 genannten Beträgen vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen. Dementsprechend hat der BFH in seinem Beschluss vom 14. März 2008 (IX B 247/07, BFH/NV 2008, 1147) ausgeführt, dass der Verlustabzug vom Gesamtbetrag der Einkünfte vor Sonderausgaben und sonstigen dem subjektiven Leistungsfähigkeitsprinzip Rechnung tragenden Beträgen der im geltenden Einkommensteuerrecht angelegten Differenzierung zwischen einem Aufwandsabzug nach Maßgabe des objektiven Nettoprinzips (§ 4 Abs. 4, § 9 Abs. 1 EStG) einerseits und solchen des subjektiven Nettoprinzips andererseits entspreche. Der Verlustabzug zählt zum objektiven Nettoprinzip, der Abzug von Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen zum subjektiven Nettoprinzip.

39

Soweit der Kläger die in § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG 1999 vorgeschriebene Berücksichtigung von Verlusten vor Sonderausgaben für verfassungswidrig hält und sich auf das Urteil des BVerfG vom 09. Dezember 2008 (2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08; DStR 2008, 2460, "Pendlerpauschale") bezieht, ist ihm nicht zu folgen.

40

Zwar trifft es zu, dass das BVerfG in Tz. 62 der Urteilsgründe ausgeführt hat, dass "Aufwendungen für die Erwerbstätigkeit gemäß §§ 4, 9 EStG und existenzsichernde Aufwendungen im Rahmen von Sonderausgaben, Familienleistungsausgleich und außergewöhnlichen Belastungen gemäß §§ 10 ff., 31 f., 33 ff. EStG grundsätzlich steuerlich abziehbar" sind.

41

Der Abzug von Sonderausgaben findet aber nach dem zitierten Urteil des BVerfG und entgegen der Auffassung des Klägers nicht in dem objektiven Nettoprinzip, sondern in dem subjektiven Nettoprinzip seine systematische Grundlage. Das objektive Nettoprinzip wird bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte in § 2 Abs. 1 bis 3 EStG berücksichtigt und besagt, dass Einkünfte Unterschiedsbeträge zwischen Erwerbsbezügen und Erwerbsaufwendungen sind, die durch eine bestimmte mit Gewinn-/Überschussabsicht ausgeübte Erwerbstätigkeit veranlasst sind. Das objektive Nettoprinzip gebietet die uneingeschränkte Berücksichtigung der Erwerbsaufwendungen und folglich auch der Verluste (vgl. Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., § 9 Rdnr. 54).

42

Nach dem subjektiven Nettoprinzip ist der für den notwendigen Lebensbedarf verwendete und demnach für die Steuerzahlung nicht verfügbare Teil des Erwerbseinkommens aus der Bemessungsgrundlage auszuscheiden. Dem trägt das Einkommensteuerrecht bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage in § 2 Abs. 4 und 5 EStG Rechnung.

43

Vor diesem Hintergrund ist der vom Gesetzgeber in § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG 1999 angeordnete Abzug nicht ausgeglichener negativer Einkünfte, die nicht nach Abs. 1 abgezogen worden sind, in den folgenden Veranlagungszeiträumen vom Gesamtbetrag der Einkünfte vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen eine konsequente Konkretisierung und folgerichtige Beachtung des dem Einkommensteuerrecht zugrundeliegenden objektiven Nettoprinzips. Nach dem objektiven Nettoprinzip haben Verluste die Bemessungsgrundlage zu mindern. Dies gilt insbesondere für den Verlustabzug, der die nach dem Nettoprinzip gebotene Verlustverrechnung überperiodisch fortführt (vgl. Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., § 9 Rdnr. 60 ff.). Da das Gesetz vor dem Jahr 1999 keine Rangfolge des Verlustabzugs innerhalb der Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen vorgesehen hat, hat der BFH mit Bezug auf Abschnitt 115 Abs. 3 EStR festgestellt, dass bei gesetzeskonformem Verständnis dieser Richtlinienregelung davon auszugehen ist, dass nur im Bereich des § 2 Abs. 4 EStG ein Abzug an günstigster Stelle vorzunehmen ist (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1990 - VIII R 7/87, BFH/NV 1991, 520). Diese frühere Streitfrage ist ab 1999 durch den Gesetzgeber eindeutig und folgerichtig durch eine Konkretisierung gelöst worden. Dieses Ergebnis widerlegt auch die Behauptung des Klägers, der Gesetzgeber differenziere unsachlich, wenn er beim Verlustrücktrag einen Begrenzungsantrag zulasse, beim Verlustvortrag aber nicht. Bereits aus systematischen Gründen ist der vorrangige uneingeschränkte Abzug des Verlustvortrags bis zur Höhe des positiven Gesamtbetrags der Einkünfte im Vortragsjahr geboten. Über die Rechtmäßigkeit der den Steuerpflichtigen begünstigenden Regelung in § 10 d Abs. 1 Satz 8 EStG 1999 ist in diesem Verfahren nicht zu entscheiden.

44

Die Anwendung des § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG 1999 begegnet im Hinblick auf das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende grundsätzliche Verbot, rückwirkend belastende Steuergesetze zu erlassen, keinen verfassungsrechtlichen Zweifeln.

45

Nach der Rechtsprechung des BVerfG bedarf es vor dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) einer besonderen Rechtfertigung, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolgen eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens nachträglich belastend ändert. Der Bürger wird in seinem Vertrauen auf die Verlässlichkeit der Rechtsordnung enttäuscht und in seiner Freiheit erheblich gefährdet, wenn der Gesetzgeber an bereits abgeschlossene Tatbestände im Nachhinein ungünstigere Folgen knüpft als diejenigen, von denen der Bürger bei seinen Dispositionen ausgehen durfte. Der Staatsbürger muss die ihm gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2003 IX R 46/02, BStBl II 2004, 284, 289 m. w. N.).

46

Nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ist zwischen echter und unechter Rückwirkung bzw. Rückbewirkung der Rechtsfolgen und tatbestandlicher Rückanknüpfung zu unterscheiden. Erstere, die vorliegt, wenn der Eintritt nachteiliger Rechtsfolgen auf einen Zeitraum vor der Verkündung des Gesetzes erstreckt wird, ist nur in ganz engen Grenzen zulässig. Demgegenüber unterliegt die tatbestandliche Rückanknüpfung, d. h. die Einwirkung eines Gesetzes auf in der Vergangenheit begründete, aber noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft weniger strengen Beschränkungen (BFH-Beschluss vom 09. Mai 2001 XI B 151/00, BStBl II 2001, 552, 555 m. w. N.).

47

Im Falle des Klägers handelt es sich um eine unechte Rückwirkung bzw. tatbestandliche Rückanknüpfung im Sinne dieser Rechtsprechung. Der Kläger hat seine Investitionsentscheidungen betreffend die Eigentumswohnungen und die GbR ... im Jahr 1996 getroffen. Nach dem FördergebietsG in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. September 1993 (BGBl. I S. 1654) konnte und hat er Sonderabschreibungen nach § 4 FördergebietsG in Anspruch genommen. Sonderabschreibungen können im Jahr des Investitionsabschlusses und in den folgenden vier Jahren in Anspruch genommen werden (§ 4 Abs. 1 Satz 2 FördergebietsG).

48

Der Kläger hat für seine Eigentumswohnungen zuletzt im Jahr 2000 Sonderabschreibungen   i. H. v. 94.398,00 DM in Anspruch genommen. Aufgrund seiner Beteiligung an der GbR ... entfielen im Jahr 2000 auf ihn Sonder-AfA i. H. v. 37.058,16 DM.

49

Durch die - das Fördergebiets G nicht verändernde - Regelung des vorrangigen Abzugs nicht ausgeglichener und nicht zurückgetragener negativer Einkünfte in § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG 1999 ist beim Kläger im Streitjahr durch den vorrangig berücksichtigten Verlustvortrag der Abzug von Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastung im Hinblick auf die Steuerfestsetzung ohne steuerliche Auswirkung geblieben. Die steuerrechtlichen Folgen aus der vorrangigen Berücksichtigung des zum 31. Dezember 2000 festgestellten verbleibenden Verlustvortrags betrafen nicht nachträglich bereits abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Sachverhalte. Eine dem § 52 Abs. 25 EStG 1999 vergleichbare Anwendungsregelung für den zum 31. Dezember 2000 festgestellten verbleibenden Verlustabzug ist im Gesetz nicht vorgesehen.

50

Die bei einer unechten Rückwirkung bzw. tatbestandlichen Rückanknüpfung gebotene Abwägung zwischen einem schutzwürdigen Vertrauen des Klägers in eine bestehende Rechtsposition und dem gesetzgeberischen Anliegen für das Gemeinwohl führt nicht zu einer unzulässigen Rückwirkung der in § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG 1999 getroffenen Regelung.

51

Ein schutzwürdiges Vertrauen in das Fortbestehen der zu § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG 1996 ("Nicht ausgeglichene Verluste, die nicht nach Abs. 1 abgezogen worden sind, sind in den folgenden Veranlagungszeiträumen wie Sonderausgaben vom Gesamtbetrag der Einkünfte abzuziehen.") durch R 3 der EStR 1996 geschaffenen Rechtslage ist nicht gegeben. Durch die Anweisung in R 3 EStR 1996 ergab sich, dass vom Gesamtbetrag der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) in der Reihenfolge Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen, Steuerbegünstigung der zu Wohnzwecken genutzten Wohnungen, Gebäude und Baudenkmale sowie der schutzwürdigen Kulturgüter und Verlustabzug abzuziehen waren.

52

Die EStR stellen nur allgemeine Verwaltungsanweisungen dar, die eine möglichst gleichmäßige Gesetzesanwendung durch die Finanzämter sicherstellen sollen, die Gerichte dagegen nicht binden können (BFH-Urteil BFH/NV 1991, 520).

53

Das Vertrauen des Klägers in die durch das FördergebietsG getroffene Möglichkeit, in einem fünfjährigen Zeitraum Sonder-AfA in Anspruch zu nehmen, ist gesetzgeberisch nicht beeinträchtigt worden. Auch die durch die Inanspruchnahme von Sonder-AfA im Einzelfall eintretende Folge, dass am Schluss eines Veranlagungszeitraums ein verbleibender Verlustabzug bzw. verbleibender Verlustvortrag gesondert festzustellen war, ist hinsichtlich der nominellen Höhe der durch die Sonder-AfA begründeten Verluste nicht verändert worden.

54

Das Vertrauen des Klägers in die Beibehaltung der gesetzlichen Regelung in § 10 d Abs. 1 Satz 1 EStG 1996 i. V. m. R 3 EStR 1996 könnte dann schutzwürdig sein, wenn seine Entscheidung zum Erwerb der Immobilien bzw. Beteiligung an der GbR von der vorgenannten Regelung in Gesetz und Richtlinien beeinflusst war. Das ist nicht der Fall.

55

Der Kläger hat vorgetragen, dass er auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Sonder-AfA nach dem FördergebietsG während des gesamten Fünf-Jahres-Zeitraums ohne irgendwelche steuerlichen Einschränkungen vertraut habe (Bl. 30 StrA). Der Senat ist nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens der Überzeugung, dass die Entscheidung zum Erwerb der Immobilien im Wesentlichen durch das insoweit unverändert gebliebene FördergebietsG beeinflusst worden ist. Dass die außerhalb des FördergebietsG liegende Regelung zum Verlustvortrag derart bestimmend für die Investitionsentscheidung im Jahr 1996 gewesen ist, wie es der Kläger behauptet, hat er nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht. Diese Überlegung setzt voraus, dass es wegen fehlender positiver Einkünfte und fehlender Rücktragsmöglichkeit überhaupt zum Verlustvortrag kommt. Da die konkreten Auswirkungen einer Veränderung der Abzugsreihenfolge im Hinblick auf § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG 1999 je nach Einzelfall unterschiedlich ausfallen und weil das GG nicht die bloße Erwartung schützt, das geltende Recht werde unverändert fortbestehen, gebührt dem Anliegen des Gesetzgebers, erstmalig und - wie oben ausgeführt - in systematisch folgerichtiger Umsetzung des objektiven Nettoprinzips die Abzugsreihenfolge von negativen, nicht ausgeglichenen Einkünften in Vor- und Rücktragsfällen zu bestimmen, der Vorrang vor den vom Kläger behaupteten Interessen. Mit der gesetzlichen Regelung in § 10 d Abs. 2 Satz 1 EStG 1999 hat der Gesetzgeber erstmalig zur Rangfolge des Verlustabzugs im Verhältnis zu Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen klar und eindeutig Stellung genommen.

56

Für eine über § 52 Abs. 25 EStG 1999 hinausgehende Anwendungsregelung bzw. Übergangsregelung besteht kein verfassungsrechtlich zwingender Grund. Hierzu ist im Wesentlichen auf die o. a. Ausführungen zum objektiven Nettoprinzip zu verweisen. Einer einheitlichen Regelung zur Rangfolge des Verlustabzugs ab dem Veranlagungszeitraum 1999 für alle Steuerpflichtigen ist auch aus Praktikabilitätsgründen der Vorzug vor einer unter Umständen auf die Ursachen des jeweiligen Verlustes, z. B. bedingt durch Sonder-AfA, abstellenden, auf den Einzelfall bezogenen Übergangsregelung zu geben.

57

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

58

Die Revision war nicht zuzulassen. Insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 115

59

Abs. 2 Nr. 1 FGO nicht vor.

60

Der Streitwert war nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG) in der bis zum 30. Juni 2004 geltenden Fassung zu bestimmen.

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