Beschluss vom Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern (1. Senat) - 1 V 29/15
Tenor
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beschwerde wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf … € festgesetzt.
Tatbestand
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I. Streitig ist, ob ein Kind, das eine „Ausbildung zum Offizier Truppendienst nach Studium“ bei der Bundeswehr durchläuft, i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a Einkommensteuergesetz (EStG) berücksichtigungsfähig ist.
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Der am …1990 geb. Sohn (S) der Antragstellerin legte 2008 die Abiturprüfung ab und leistete ab dem … 2009 Wehrdienst. Mit Wirkung vom … 2009 übernahm ihn die Bundeswehr als Anwärter für die Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes im Dienstverhältnis eines Soldaten auf Zeit (14 Jahre). In der Verfügung vom … 2009 wurden Einzelheiten zur Übernahme festgelegt, u.a. die Teilstreitkraft Luftwaffe, die Studienfachrichtung, der vorgesehene Studienort und der Studienbeginn. Zu einer konkreten militärfachlichen Ausbildung nach dem Studium enthielt die Verfügung keine Regelung. Vom … 2010 bis zum … 2013 studierte S an der Universität der Bundeswehr in … erfolgreich Betriebswirtschaftslehre (Bachelor), zwischenzeitlich war er mit Wirkung vom … 2012 zum Leutnant ernannt worden. Mit Wirkung ab dem … 2013 wurde S mit Verfügung vom … 2013 von der Bundeswehrhochschule zur Nachschubtransportstaffel des Luftgeschwaders … zur „Ausbildung Offizier Truppendienst nach Studium“ nach A. bzw. O. versetzt. Ab dem … 2014 nahm S für 2 Monate an einem Lehrgang „Führungstraining Luftwaffe“ in F. teil. Die militärfachliche Ausbildung, die nach der Ausbildungsplanung der Bundeswehr im Anschluss an das Studium vorgesehen ist und auf eine konkrete Dienstpostenverwendung abzielt, im Falle des S zum „Transportoffizier Streitkräfte“, dauerte vom … 2014 bis zum … 2014. Bundeswehrintern wurde S als „Schüler“ bezeichnet.
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Ausbildungsinhalte (Lernfächer) waren das Ausbilden eines Zuges, Grundlagen der Logistik, Schießausbildung, Einsatz vorbereitender Ausbildung für Konfliktverhütung und Krisenbewältigung (EAKK), Methodik der Ausbildung, Führen und Erziehen eines Zuges, Betriebsorganisation im Geschäftsprozess Verkehr und Transport, logistische Unterstützung Einsatz Bundeswehr, Erkundung einer logistischen Einrichtung, Einsatzgrundsätze logistische Kräfte/Lagevortrag Unterrichtung/Lagevortrag Entscheidungsfindung. Im Rahmen dieser militärfachlichen Ausbildung erhielt S die Zuerkennung der Qualifikationen „Zugführer Streitkräfte“, „Logistikoffizier Streitkräfte“, „Transportoffizier Streitkräfte“ und „Einsatzoffizier Transport Streitkräfte“.
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Unter dem … 2012 hatte die Antragstellerin für die Zeit ab dem 01.01.2012 erfolgreich die (Neu-) Festsetzung von Kindergeld für S unter Hinweis auf dessen Studium an der Bundeswehrhochschule beantragt. Mit Bescheid vom …2014 hob die Antragsgegnerin die Kindergeldfestsetzung für S ab September 2014 mit der Begründung auf, dass S nach ihren Unterlagen die Hochschulausbildung im August 2010 beende. Daraufhin reichte die Antragstellerin verschiedene Unterlagen bei der Antragsgegnerin ein, u.a. eine ausdrücklich angeforderte Erklärung zur Hochschulausbildung vom … 2014. In Letzterer gab die Antragstellerin unter Hinweis und Beifügung der Versetzungsverfügung vom … 2013 an, dass die Hochschulausbildung voraussichtlich Ende 2014 ende. Die militärfachliche Ausbildung ende Ende 2014 und sei Teil des Studiums. Sodann teilte sie durch Ankreuzen entsprechender Kästchen mit, dass S noch keine Berufsausbildung und noch kein Studium abgeschlossen habe, ihm aber der akademische Grad „Bachelor“ verliehen worden sei.
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Mit Bescheid vom … setzte die Antragsgegnerin Kindergeld für S ab September 2014 mit der Begründung neu fest, dass S berücksichtigungsfähig sei, weil er sich in Hochschulausbildung befinde. Mit Bescheid vom … 2014 hob die Antragsgegnerin die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2015 unter Hinweis auf die Beendigung der Hochschulausbildung des S im Dezember 2014 auf und forderte die Antragstellerin auf, das Ende der Hochschulausbildung nachzuweisen. Daraufhin reichte die Antragstellerin wiederum verschiedene Unterlagen, Versetzungsverfügungen und Ausbildungsnachweise für die erfolgreiche Teilnahme des S an der militärfachlichen Ausbildung nach dem Studium ein, insbesondere auch die Ernennungsurkunde des S zum Leutnant vom … 2012 und die Exmatrikulationsbescheinigung der Bundeswehruniversität zum ... 2013.
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Mit Bescheid vom … 2015 hob die Antragsgegnerin die Kindergeldfestsetzung für S von Oktober 2013 bis einschließlich Dezember 2014 auf und forderte überzahltes Kindergeld i.H.v. … € zurück. Zur Begründung war angegeben, dass S das Studium und die militärische Ausbildung beendet habe und sich nicht mehr in Ausbildung befinde.
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Dagegen legte die Antragstellerin am … 2015 Einspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung des Kindergeldaufhebungsbescheides. Zur Begründung machte sie geltend, dass es sich bei der militärfachlichen Ausbildung nach dem Studium des S in der Zeit von September 2013 bis Dezember 2014 ausweislich der vorgelegten Bescheinigungen der Bundeswehr noch um eine gem. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG berücksichtigungsfähige Ausbildung handele.
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Die Antragsgegnerin hat den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom … 2015 zurückgewiesen und parallel dazu den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abgelehnt. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass S mit Wirkung zum … 2012 zum Leutnant ernannt worden sei und zu diesem Zeitpunkt das Anwärterverhältnis, das die Ausbildung zum Offizier kennzeichne, geendet habe. Da S im Rahmen der Offiziersausbildung einen zivilen Beruf studiert habe, sei dieses Studium kindergeldrechtlich noch berücksichtigungsfähig. Die militärfachliche Ausbildung nach dem Studium sei auf Grund des rein militärischen Charakters und auf Grund des fehlenden Ausbildungsdienstverhältnisses als Fortbildung zu werten, welche keinen Anspruch auf Kindergeld begründe.
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Die Antragstellerin hat am … 2015 bei Gericht die Aussetzung der Vollziehung des Kindergeldbescheides vom … 2015 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … 2015 beantragt und zugleich Klage erhoben (1 K 113/15). Zur Begründung trägt sie vor, dass die von ihrem Sohn absolvierte militärische Ausbildung von der Rechtsprechung des BFH als Ausbildung, für die Kindergeld bezogen werden könne, anerkannt worden sei.
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Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Kindergeldaufhebungs- und des Rückforderungsbescheides vom … 2015 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung ab Fälligkeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache auszusetzen, sowie,
soweit Aussetzung der Vollziehung gewährt werde, die Verwirkung von Säumniszuschlägen bis zum Ergehen der gerichtlichen Entscheidung über den Aussetzungsantrag auszusetzen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
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Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, dass eine weitere Berufsausbildung des S nach dem Studium nicht ersichtlich sei. Soweit nach dem Studium noch Offizierslehrgänge absolviert worden seien, sei eine kindergeldrechtliche Berücksichtigung ausgeschlossen, weil keine Berufsausbildung mehr vorgelegen habe, sondern militärfachliche Lehrgänge als Qualifizierungsmaßnahmen. Das Berufsziel „Offizier“ habe S spätestens mit dem Beenden des Studiums erreicht.
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Dem Senat lag 1 Band Kindergeldakten vor.
Entscheidungsgründe
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II. Der Antrag ist zulässig, insbesondere hat die Antragsgegnerin einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung mit Bescheid vom … 2015 abgelehnt (§ 69 Abs. 4 Satz 1 Finanzgerichtsordnung – FGO -).
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Der Antrag ist unbegründet.
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Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 bis 6 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegenden öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
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An der Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung gem. § 70 Abs. 2 EStG sowie der Geltendmachung der Erstattungsforderung i.H.v. … € gem. § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) bestehen keine ernstlichen Zweifel.
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Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 i. V. m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG wird ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und für einen Beruf ausgebildet wird. Berufsausbildung ist jede ernstlich betriebene Vorbereitung auf einen künftigen Beruf. Erfasst werden alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, 33. Aufl. § 32 Tz. 26 mit Nachweisen auf einschlägige BFH-Rechtsprechung).
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S erfüllt diese Voraussetzungen seit dem Abschluss des Studiums mit der Exmatrikulation am … 2013 nicht mehr. Die Ausbildung für den Beruf des Offiziers im Truppendienst ist in den §§ 23 und 24 der Soldatenlaufbahnverordnung (SLV) gesetzlich geregelt. Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 SLV dauert die Ausbildung zum Offizier mindestens drei Jahre. Nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SLV endet die Ausbildung mit der Beförderung zum Leutnant. Sie endet auch dann, wenn die Anwärterin oder der Anwärter zur Wiederholung der Prüfung nicht zugelassen wird oder die Wiederholungsprüfung nicht besteht (§ 24 Abs. 3 Satz 2 SLV). Mit der Ernennung zum Leutnant am … 2012 hatte S den in der Soldatenlaufbahnverordnung geregelten Beruf “Offizier im Truppendienst“ folglich erreicht. Das in der SLV geregelte Ausbildungsverhältnis war mit der Ernennung des S zum Leutnant unmittelbar von Gesetzes wegen beendet (vgl. BFH-Urteil vom 16.04.2002 VIII R 58/01, BStBl II 2002, 523; FG Sachsen, Urteil vom 19.05.2015, 6 K 1766/14 (KG) (juris GmbH). Kindergeldrechtlich lag mit dem BWL-Studium des S gleichwohl noch ein Ausbildungs(dienst)verhältnis für einen zivilen Beruf vor, das innerhalb des fortbestehenden Dienstverhältnisses mit der Bundeswehr ausgeübt wurde und als solches berücksichtigungsfähig war. Die zivile Ausbildung endete mit der Exmatrikulation des S am … 2013.
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Die militärfachliche Ausbildung des S nach dem Studium fand demzufolge nicht mehr für einen – künftigen - Beruf, sondern in einem – bereits ausgeübten - Beruf statt und dürfte daher, wie von der Antragsgegnerin angenommen, lediglich als Fortbildungsmaßnahme während der Berufsausübung und nicht mehr als Berufsausbildung i.S.d § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG zu qualifizieren sein. Letzteres unterscheidet den Fall von Maßnahmen zur weiteren Qualifizierung im Anschluss an eine abgeschlossene Ausbildung, die vor dem Ergreifen eines Berufs durchgeführt werden (vgl. BFH-Urteil vom 24.02.2010 III R 80/08, BFH/NV 2010, 1431).
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Soweit sich die Antragstellerin auf Rechtsprechung stützt, insbesondere das Urteil des FG Münster vom 22.08.2014, 4 K 4131/13 Kg (EFG 2014, 1966), wonach einer Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG der Dienstgrad eines Soldaten (auf Zeit) nicht entgegensteht (vgl. auch FG Münster, Urteil vom 24.07.2015, 4 K 3069/14 Kg, juris GmbH), weil allein der Ausbildungscharakter einer Tätigkeit und nicht der (Einstellungs-) Dienstgrad maßgeblich für die Frage der Berufsausbildung sei, ist diese Rechtsprechung auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die zitierte Rechtsprechung ist zu Soldaten auf Zeit ergangen, die im Dienstrang eines Unteroffiziers bzw. Stabsunteroffiziers standen und noch in Ausbildungsplänen der Bundeswehr vorgesehene Ausbildungsstationen für den bereits erreichten Dienstgrad durchliefen.
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Die Soldatenlaufbahnverordnung sieht für die Laufbahngruppe der Unteroffiziere das Ende der Ausbildung zum Unteroffizier (§ 12 Abs. 2 SLV) oder zum Feldwebel (§ 16 Abs. 2 SLV) mit der Beförderung zum Unteroffizier oder zum Feldwebel auch nicht ausdrücklich vor. Anders - und für den vorliegenden Fall entscheidend - ist es für die Laufbahngruppe der Offiziere in § 24 Abs. 3 Satz 1 SLV. Dort ist unmissverständlich geregelt, dass die Ausbildung (zum Offizier im Truppendienst) mit der Beförderung zum Leutnant endet.
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Aus diesem Grund ist auch die Entscheidung des BFH im Urteil vom 10.05.2012 VI R 72/11 (BStBl II 2012, 895) auf den Streitfall nicht übertragbar, in welchem es um die Dienstpostenausbildung eines Soldaten auf Zeit in der Laufbahngruppe der Mannschaften ging, die als Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG qualifiziert wurde. Die Vorschriften über die Laufbahngruppe der Mannschaften (§§ 8 ff. SLV) sehen die Beendigung einer Ausbildung ebenfalls nicht ausdrücklich vor.
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Auf die Frage, ob die militärfachliche „Ausbildung zum Offizier im Truppendienst nach Studium“ ein nach dem Absolvieren des Erststudiums unschädliches Ausbildungsdienstverhältnis i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 3 EStG ist, kommt es nicht an.
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Die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab September 2013 und die Rückforderung überzahlten Kindergeldes i.H.v. … € ist danach nicht zu beanstanden.
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Die Voraussetzungen einer unbilligen Härte i.S.d. § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind weder ersichtlich noch vorgetragen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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Der Senat hat die Beschwerde zur Fortbildung des Rechts i.S.d. § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alt. FGO zugelassen. Die Rechtsfrage, ob § 24 Abs. 3 Satz 1 SLV der Qualifizierung einer militärfachlichen Offiziersausbildung für eine konkrete Dienstpostenverwendung als Berufsausbildung i.S.d. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 a EStG nach der Beförderung eines Soldaten auf Zeit zum Leutnant entgegensteht, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden.
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Die Streitwertfestsetzung (1/10 des Hauptsachestreitwertes) beruht auf § 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
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Referenzen
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