Urteil vom Finanzgericht München - 13 K 629/17

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Materiell streitig ist im anhängigen Rechtsstreit die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheides in Form eines Rückforderungsbescheides gem. §§ 218 Abs. 2, 130 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 AO.

Das Finanzamt –FAhatte am 11. Juli 2016 den streitgegenständlichen Abrechnungsbescheid erlassen, um eine nach seiner Ansicht unzutreffende Anrechnungsverfügung zu korrigieren, die mit der Einkommensteuerfestsetzung 2013 vom 16. Juli 2014 erfolgt war. Der Kläger hat gegen den Rückforderungsbescheid am 21. Juli 2016 Einspruch eingelegt.

Der Kläger hat zum 20. August 2016 – nach eigenem Bekunden mit Schreiben an den Beklagten vom 7. Oktober 2016 - die Aufenthaltsmöglichkeit bei seiner damaligen Lebensgefährtin im Ort P, welcher zum Finanzamtsbezirk des FA zählt, aufgegeben. Das FA hat hiervon im September 2016 Kenntnis erlangt und die Steuersache abgegeben.

Der Kläger geht davon aus, dass er seinen Untätigkeitseinspruch und die hierauf gründende streitgegenständliche Untätigkeitsklage wegen des Urteils des BFH vom 12. Juli 2011 VII R 69/10 BFH/NV 2011, 1936, BFHE 234,114 gegen das FA als der, den Abrechnungsbescheid ursprünglich erlassenden Behörde richten muss. Ergänzend verweist er auf das Urteil des FG Berlin-Brandenburg vom 18. Mai 2017, 12 K 15308/15.

Der Kläger beantragt,

das Finanzamt zu verpflichten, über den Einspruch vom 21. Juli 2016 zu entscheiden und den Abrechnungsbescheid vom 11. Juli 2016 aufzuheben.

Das Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das FA geht davon aus, dass eine Zuständigkeit für die Bearbeitung des Einspruchs mangels örtlicher Zuständigkeit nicht besteht.

II.

Die Klage ist nicht zulässig, weil es dem Beklagten an der Passivlegitimation im Sinne des § 63 FGO fehlt.

1. Das FA ist für die Streitsache nicht passiv legitimiert.

a) Da der Kläger Untätigkeitsklage erhoben hat, richtet sich die Passivlegitimation nach § 63 Abs. 2 Nr. 2 FGO.

Danach ist eine Klage, wenn über einen Einspruch ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist (§ 46), gegen die Behörde, die im Zeitpunkt der Klageerhebung für den Steuerfall örtlich zuständig ist, zu richten.

Nach Auffassung des Senats war das FA zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 13. Februar 2017 zu einer Entscheidung über den streitgegenständlichen Abrechnungsbescheid nicht mehr befugt, weil die Zuständigkeit insgesamt auf ein anderes Finanzamt übergegangen ist.

b) Die Gesamtzuständigkeit für die Einkommensbesteuerung 2013 ist im September 2016 nach §§ 19, 26 AO auf ein anderes Finanzamt übergegangen.

Der erkennende Senat vertritt wie die Kommentarliteratur (vgl. Sunder-Plassmann in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, 246. Lieferung 02.2018, § 19 AO Rz. 5; Drüen in Tipke/Kruse AO/FGO, 138. Lieferung 10.2014, § 19 AO Rz. 3, Rätke in Klein AO § 19 Rz. 2; Schmieszek in: Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 1. Aufl. 1995, 137. Lieferung, § 19 AO Rz. 7; Bergan/Martin DStR 12, 171; Rüsken in Klein AO § 218 Rz. 5) die Ansicht, dass entgegen der Entscheidung des BFH vom 12. Juli 2011 VII R 69/10, BFHE 234, 114 (nicht im BStBl II veröffentlicht) mit dem Wechsel des Wohnsitzes nicht nur die Zuständigkeit für das Festsetzungs- und Vollstreckungsverfahren, sondern auch für das Erhebungsverfahren übergeht.

Die Regelungen der §§ 17 – 29 AO sind allgemeine „vor die Klammer“ gezogene Regelungen zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit eines Finanzamts. Bereits deren systematische Stellung zeigt an, dass sie für sämtliche der folgenden Bestimmungen gelten sollen.

Eine Beschränkung der §§ 17 ff. AO nur auf das Festsetzungsverfahren lässt sich diesen Bestimmungen, nach Ansicht des erkennenden Senats, nicht entnehmen. Sie stehen im Ersten Teil der AO, der mit „Einleitende Vorschriften“ überschrieben ist, unter der Überschrift „Zuständigkeit der Finanzbehörden“. § 17 AO, der die Regelungen über die örtliche Zuständigkeit einleitet, bestimmt - ohne jede Einschränkung - dass sich die örtliche Zuständigkeit, soweit nicht vorgreifliche Sonderregelungen vorliegen, nach den „folgenden Vorschriften“, also nach §§ 18 bis 29 AO richtet. Der in §§ 19, 20 und 20a AO benutzte Begriff „Besteuerung“ hat nach Ansicht des erkennenden Senats nicht zur Folge, dass der Anwendungsbereich der Zuständigkeitsvorschriften auf die Vorschriften über die „Durchführung der Besteuerung“ (§§ 134 bis 217 AO) beschränkt wäre.

Außer Zweifel steht, dass sich die Zuständigkeit für das Vollstreckungsverfahren nach den allgemeinen Bestimmungen der §§ 17 ff. AO richtet.

Sowohl Vollstreckungs-, als auch Erhebungsverfahren sind Verfahren, die sich lediglich an das Verfahren der Steuerfestsetzung anschließen. Beide ergeben sich als Anschlussverfahren aus einer zuvor erfolgten Steuerfestsetzung. Als Annexverfahren zum Festsetzungsverfahren bilden sie letztlich mit dem Festsetzungsverfahren eine systematische Einheit, die insgesamt das „Besteuerungs“verfahren ausmacht.

Wie für das Vollstreckungsverfahren, wurden auch für das Erhebungsverfahren keine abweichenden „vorgreiflichen“ gesetzlichen Bestimmungen zu dessen örtlicher Zuständigkeit getroffen, so dass gesetzessystematisch auch hinsichtlich des Erhebungsverfahrens die allgemeinen Bestimmungen der §§ 16 ff. AO zur Anwendung zu bringen sind.

Zweckmäßigkeitserwägungen, wie sie in BFHE 234,114 angeführt wurden, vermögen eine fehlende gesetzliche Bestimmung nicht zu überlagern, da sie nicht zwingend sind und der Gesetzgeber derartigen Überlegungen im Sinne einer vorgreiflichen Sonderregelung gerade keinen Raum gegeben hat. So überzeugt insbesondere das Argument des BFH nicht, dass verhindert werden müsse, dass möglicherweise ein neues Bundesland gegebenenfalls über Steueransprüche eines anderen Bundeslandes entscheiden würde. Bei Wechsel der örtlichen Zuständigkeit über Bundesländer hinweg ergeben sich derartige Konstellationen zwangsläufig – bsp. § 163 AO, welcher zum Festsetzungsverfahren zählt - und wurden vom Gesetzgeber offensichtlich hingenommen.

c) Vorstehendes berücksichtigend fehlt es an einer Passivlegitimation des FA StA zum Zeitpunkt der Klageerhebung.

2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger nach § 135 Abs. 1 FGO zu tragen.

3. Die Revision wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.

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