Urteil vom Finanzgericht Münster - 2 K 5471/98 E
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden den Klägern auferlegt.
1
Tatbestand:
2Streitig ist die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer.
3Die Kl. werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kl. erzielt als Leiter der Ausland- und Wertpapierabteilung bei der Stadtsparkasse ... Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Sein Arbeitsplatz befindet sich in der Schalterhalle.
4Mit seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1996 machte der Kl. Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer iHv 5.169,15 DM geltend.
5Der Erklärung lag eine Bescheinigung seines Arbeitgebers bei, in der ihm insgesamt 550, davon 400 zu Hause geleistete Mehrarbeitsstunden bestätigt wurden. Das dafür gezahlte Überstundenentgelt von DM 18.724,- DM sei in dem steuerpflichtigen Bruttolohn enthalten. Desweiteren wurde bestätigt, daß der Kl. regelmäßig dienstliche Aufgaben von zu Hause aus wahrgenommen habe. Die entsprechenden Zeiten würden abteilungsintern über das persönliche Zeitkonto erfaßt und mit entsprechenden Fehlzeiten kompensiert bzw. im Rahmen des Freizeitausgleiches abgebaut. ..Außerdem habe sich der Kl. bereit erklärt, neben seiner hauptamtlichen Tätigkeit als Leiter der Wertpapier- und Auslandsabteilung als Dozent für den betriebsinternen Unterricht der Auszubildenden zur Verfügung zu stehen...Für diese freiwillig übernommenen Aufgaben, die nicht zu den dienstlichen Verpflichtungen gehörten, gewähre die Sparkasse eine zusätzliche, über den geschuldeten Arbeitslohn hinausgehende Vergütung, die ebenfalls in das steuerpflichtige Bruttoentgelt einfließe.
6Mit seinem Einkommensteuerbescheid vom 12.12.1997 berücksichtigte der Bekl. die geltend gemachten Aufwendungen zunächst iHv 2.400,- DM. Der weitergehende Antrag wurde unter Hinweis auf die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG abgelehnt.
7Der hiergegen eingelegte Einspruch ist, nach Hinweis auf eine mögliche Verböserung, mit Einspruchsentscheidung vom 15.07.1998 als unbegründet zurückgewiesen worden. Die geltendgemachten Aufwendungen könnten weder in vollem noch in dem bisher anerkannten Umfang von 2.400,- DM berücksichtigt werden. Im Streitfall komme allenfalls eine Anerkennung der begrenzten Aufwendungen in Betracht, wenn dem Kl. für seine berufliche Tätigkeit ein Arbeitsplatz nicht zur Verfügung stehe. Eine entsprechende Bescheinigung habe der Kl. nicht vorgelegt, und dies sei auch nach seinem Vortrag nicht der Fall. Nach den Voraussetzungen des dazu ergangenen BMF-Schreibens vom 22.01.1998 (BStBl. I 1998, 129) komme es nicht darauf an, wie sich die Situation am zur Verfügung stehenden Arbeitsplatz konkret darstelle. Es sei insbesondere unerheblich, daß dem Kl. kein Einzelbüro zur Verfügung stehe.
8Mit der hiergegen eingelegten Klage verfolgen die Kl. ihr Begehren weiter. Sie sind der Auffassung, daß es nicht darauf ankomme, ob der Arbeitgeber überhaupt einen Arbeitsplatz zur Verfügung stelle, sondern darauf, ob dies im konkreten Fall, d.h. für die konkret geleistete Tätigkeit, erfolge. Der dem Kl. in der Schalterhalle der Stadtsparkasse zur Verfügung gestellte Arbeitsplatz sei aufgrund der zu beachtenden Sicherheitsvorkehrungen nur von 7.00 - 19.00 Uhr zugänglich. Eine darüberhinausgehende Nutzung sei mit erheblichem Kostenaufwand verbunden. Aber auch während der arbeitstäglichen Öffnungszeiten seien die Arbeitsmöglichkeiten durch andere Störfaktoren (Anlaufen der Klimaanlage, Reinigungsarbeiten, Kundenverkehr) eingeschränkt. Unter Berücksichtigung dieser zusätzlichen Einschränkungen sei der Arbeitsplatz allein zeitllich betrachtet nur 42,5 Stunden pro Woche nutzbar. Bei 550 geleisteten Überstunden müßten diese zwangsläufig zu einem beträchtlichen Teil im häuslichen Arbeitszimmer erbracht werden. Hiervon abgesehen sei ein konzentriertes Arbeiten (Projekt- und Dozentenarbeit) angesichts des zeitweise herrschenden Geräuschpegels in der Schalterhalle ebenfalls nicht möglich.
9Dem Umstand des "fehlenden Arbeitsplatzes" habe der Arbeitgeber zwischenzeitlich dadurch Rechnung getragen, daß dem Kl. für seinen häuslichen Arbeitsplatz sowohl ein PC mit der betrieblich genutzten Software als auch der Zugang zu den benötigten Datennetzen (Intranet, Reuters) zur Verfügung gestellt worden sei. Zudem würden eingehende Telefonanrufe bei Abwesenheit des Kl. automatisch (auf Kosten des Arbeitgebers) zu dessen Mobiltelefon umgeleitet.
10Die auf die Erlaßlage gestützte Auffassung des Bekl. sei durch die erstinstanzliche Rechtsprechung bereits relativiert worden. Danach sei für die Frage, ob ein Arbeitsplatz zur Verfügung stehe, nicht auf die gesamte betriebliche oder berufliche Tätigkeit abzustellen, sondern nur auf die konkret im Arbeitszimmer verrichtete Tätigkeit. Außerdem sei auch die Annehmbarkeit des Arbeitsplatzes durchaus nicht belanglos. Zwar seien subjektive Erwägungen insofern nicht beachtlich, als diese nicht objektiv nachvollziehbar seien. Objektiv sei ein Arbeitsplatz aber schon dann nicht mehr akzeptabel, wenn die vom Arbeitsumfeld ausgehenden Störfaktoren eine konzentrierte Erledigung schwieriger Aufgaben nicht zulasse. So sei erstinstanzlich entschieden worden, daß das Dienstzimmer eines Schulleiters zur Erledigung der durch die Lehrertätigkeit anfallenden Aufgaben deshalb ungeeignet sei, weil wegen der dort eingesetzten Bürogeräte und der Mitbenutzung des Büroraumes durch die Sekretärin erhebliche, die außerunterrichtlichen Kerntätigkeiten beeinträchtigende Störfaktoren bestünden. Der Kl. sei vergleichbar einem Lehrer mit der Vor- und Nachbereitung des Unterrichtes im Rahmen der inner- und überbetrieblichen Dozententätigkeit befaßt.
11Die Kl. beantragen,
12unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1996 vom 12.12.1997 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15.07.1998 weitere Werbungskosten iHv 2.400,- DM bei den Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit steuermindernd zu berücksichtigen;
13hilfsweise die Revision zuzulassen.
14Der Bekl. beantragt,
15die Klage abzuweisen; hilfsweise die Revision zuzulassen.
16Zur Begründung verweist der Bekl. auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung. Die Beurteilung, ob ein Arbeitsplatz zur Verfügung stehe, sei tätigkeitsbezogen und nach objektiven Kriterien vorzunehmen. Im Streitfall stehe dem Kl. sowohl für seine Tätigkeit als Dozent als auch für die Tätigkeit als Leiter der Auslands- und Wertpapierabteilung ein Arbeitsplatz zur Verfügung.
17Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den zwischen den Beteiligten geführten Schriftwechsel, auf die den Streitfall betreffenden Steuerakten sowie auf das Protokoll des am 11.02.2000 durchgeführten Erörterungstermins Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Die Klage, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist nicht begründet.
20Nach § 9 Abs. 5 i.V.m. § 4 Abs. 5 Nr. 6b Einkommensteuergesetz (EStG) dürfen Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer grundsätzlich nicht als Werbungskosten berücksichtigt werden. Dies gilt nur dann nicht, wenn die betriebliche oder berufliche Nutzung des Arbeitszimmers mehr als 50 % der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit beträgt oder wenn für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung steht. In diesen Fällen wird die Höhe der abziehbaren Aufwendungen auf 2.400,- DM begrenzt.
21Diese durch das Jahressteuergesetz 1996 eingeführte Abzugsbeschränkung für das häusliche Arbeitszimmer betreffende Aufwendungen ist von der Rechtsprechung insbesondere auch im Hinblick auf den damit verfolgten Gesetzeszweck, die Nachprüfbarkeit dieser Aufwendungen zu vereinfachen, als mit der Verfassung vereinbar gebilligt worden,
22vgl. BVerfG-Urteil v. 7.12.1999 2 BvR 301/98, DB 1999, 2610 (2612f);
23BFH-Urteil v. 27.09.1996 VI R 47/96 BStBl. 1997 II 68 (69).
24So führt das BVerfG in seiner dazu ergangenen Entscheidung aus, daß der Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen und deren Abwicklung grundsätzlich einen Raum für generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen habe. Im Rahmen des im Einkommensteuerrecht als Ausprägung des Gleichheitssatzes zu beachtenden Nettoprinzips könne es genügen, daß für bestimmte Arten von Aufwendungen der Abzug eines in realitätsgerechter Höhe typisierten Betrages gestattet werde. Dies gelte insbesondere, wenn die Erwerbsaufwendungen die Kosten der allgemeinen Lebensführung i.S. des § 12 EStG berührten und deshalb zur Klarstellung und Vereinfachung in einem unwiderleglichen Regeltatbestand erfaßt würden. Dadurch könnten zugleich Ermittlungen im Privatbereich eingegrenzt werden.
25Nach der Entscheidung des BVerfG ist insbesondere die typisierende Begrenzung der abzugsfähigen Aufwendungen auf den Betrag von 2.400,- DM nicht zu beanstanden. Die in diesem Zusammenhang herangezogenen Grundsätze zur Rechtfertigung des begrenzten Werbungskostenabzuges haben in gleichem Maße Gültigkeit für die Versagung des Abzugs für den Fall, daß die Ausnahmetatbestände des § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG nicht eingreifen. Denn insbesondere aus dem Regelungszusammenhang der beiden Alternativen des Satzes 2 ist zu entnehmen, daß der Gesetzgeber zum einen der ausufernden Inanspruchnahme vor allem bei Arbeitnehmern begegnen wollte und zum anderen die Überprüfung der geltendgemachten Tatbestände vereinfachen, d.h. grundsätzlich auf vom "grünen Tisch" aus nachvollziehbare Aufzeichnungen und Bescheinigungen beschränken wollte.
26Dieser Zweck würde nach Auffassung des erkennenden Senates unterlaufen, wenn man für die hier entscheidende Frage, ob ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, eine Überprüfung dahingehend vornehmen müßte, in welchem Umfang tatsächlich Überstunden abgeleistet werden, in welchem Umfang diese Überstunden bzw. bestimmte Tätigkeiten angesichts der konkreten Umstände im Einzelfall (Öffnungszeiten, Arbeitsanfall, Art der Tätigkeit, Störfaktoren im Umfeld des Arbeitsplatzes) im häuslichen Arbeitszimmer erledigt werden müssen.
27Darüber hinaus ist angesichts der beiden Regelungsalternativen (50%-Grenze bzw. fehlender Arbeitsplatz) die Annahme gerechtfertigt, daß in den Fällen, in denen nur ein Arbeitsverhältnis vorliegt, der Sachverhalt in erster Linie nach der ersten Alternative zu beurteilen sein wird. So wird vertreten, daß z.B. die Situation eines Richters, Vertreters, Abgeordneten, Verlagslektors, Handwerkers, Künstlers, der seine eigentliche Berufstätigkeit teilweise an einem Arbeitsplatz außer Haus und teilweise in einem häuslichen Arbeitszimmer verrichtet, nur nach den Voraussetzungen der ersten Alternative des § 4 Abs. 5 Nr. 6b Satz 2 EStG zu beurteilen sei. Hiervon abzugrenzen sei die Konstellation, in der eine zweite nichtselbständige Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber oder eine andere selbständige Tätigkeit ausgeübt werde,
28vgl. Schmidt/Heinicke EStG § 4 Rz.592.
29Diese Auffassung wird von der erstinstanzlichen Rechtsprechung grundsätzlich geteilt. Auch diese will die Fälle, in denen der Steuerpflichtige wahlweise an dem für ihn bereitgestellten Arbeitsplatz oder zu Hause tätig sein darf, regelmäßig unter die 1. Alternative (50%-Grenze) subsumieren bzw. typisierend darauf abstellen, ob überhaupt ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht. Denn nach der gesetzlichen Konzeption des § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG solle die steuerliche Anerkennung eines Arbeitszimmers die Ausnahme bleiben. Eine zeitlich untergeordnete Einschränkung (Hinweis auf die 50 %-Grenze) der Nutzbarkeit eines "anderen Arbeitsplatzes" könne nicht dazu führen, daß ganzjährig ein häusliches Arbeitszimmer anzuerkennen sei,
30FG Köln v. 18.12.1997 8 K 6366/97 EFG 1998, 866 (867);
31FG Rheinl.-Pfalz v.14.7.1998 2 K 2013/97 EFG 1999,159 (160);
32FG Münster v. 17.08.1999 15 K 6627/97 E EFG 1999, 1278 (1279);
33FG Münster v. 31.05.1999 14 K 8293/98 E n. V.
34Anders zu entscheiden sei nur dann, wenn die im häuslichen Arbeitszimmer ausgeübte Tätigkeit aus objektiv nachvollziehbaren und zwingenden, d.h. aus in der Tätigkeit liegenden Gründen nicht am zur Verfügung stehenden Arbeitsplatz ausgeübt werden könne. Das Erfordernis "Fehlen eines anderen Arbeitsplatzes" beziehe sich nämlich auf die konkret im Arbeitszimmer verrichtete Tätigkeit,
35FG Köln v.18.12.1997 8 K 5063/97 aaO 867 Rev. eingel. (Az. des BFH 41/98)
36FG Brandenbg v.17.09.1998 5 K 1588/97 E EFG 1998,1678.
37Die Bereitschaftsdiensttätigkeit sei konkret betrachtet zu Zeiten auszuüben, in denen die Betriebsgebäude des Arbeitgebers geschlossen seien. Auch in dem Fall, in dem der Arbeitsplatz ausweislich der Bescheinigung des Arbeitgebers nicht für die im Zusammenhang mit einem Meisterlehrgang des Steuerpflichtigen notwendige Tätigkeit zur Verfügung stehe, wurde der Abzug der Arbeitszimmerkosten zugestanden.
38Ob im Fall eines Schuldirektors ein Arbeitsplatz auch dann nicht zur Verfügung steht, wenn dieser aufgrund der Mitbenutzung des Raumes durch Kollegen und einer Temperaturabsenkung in der kälteren Jahreszeit, möglicherweise nur eingeschränkt nutzbar ist,
39FG Münster v. 20.03.1998 4 K 2953/97 E EFG 1998, 1054 (1056);
40FG Münster v. 28.10.1998 13 K 2819/97 E EFG 1999, 543f;
41FG Bremen v. 20.10.1999 4 99 057 K 3 EFG 2000, 115 ,
42kann im Streitfall dahinstehen.
43Denn diese Sachverhaltskonstellation ist mit den im Streitfall vorliegenden Bedingungen ebensowenig vergleichbar wie die des FG Köln (Bereitschaftsdienst) und des FG Brandenburg (Meisterlehrgang). Der Kl. kann dieselben Tätigkeiten sowohl am Arbeitsplatz als auch im häuslichen Arbeitszimmer ausüben. Warum er diese Arbeiten im Einzelfall (Termindruck, Wochenende, Geräuschpegel) zu Hause erledigt, ist nicht nach objektiven, in der Tätigkeit als solcher liegenden Gründen festzustellen. Auch die Tatsache, daß der Kl. angesichts seiner Arbeitsbelastung Überstunden leisten und diese möglicherweise nicht innerhalb der üblichen Öffnungszeiten des Arbeitgebergebäudes absolvieren kann, ist kein in der Tätigkeit liegender, objektiv nachvollziehbarer Grund. Die Frage, ob und in welchem Umfang Überstunden geleistet werden bzw. geleistet werden müssen, ist ein im individuellen Arbeitsverhältnis liegender Umstand, der sich der typisierenden Betrachtung durch das Steuerrecht entzieht. Es wäre jedenfalls mit dem dargestellten Gesetzeszweck des § 4 Abs. 5 Nr. 6b EStG nicht vereinbar, bestimmte, auch subjektiv unterschiedlich zu bewertende Unzulänglichkeiten bei der Arbeitsbelastung und im Arbeitsumfeld ausreichen zu lassen, das Fehlen eines Arbeitsplatzes im Sinne der Vorschrift anzunehmen.
44Die Revision war nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO sind nicht erfüllt.
45Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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