Urteil vom Finanzgericht Münster - 3 K 7778/98 EW
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
1
Tatbestand:
2Streitig ist die Rechtmäßigkeit der Bedarfsbewertung für ein bebautes Grundstück gem. § 146 Bewertungsgesetz (BewG).
3Durch Vertrag vom 18.11.1996 hat Frau A. der Klägerin (Klin.) das bebaute Grundstück X-Straße in A-Stadt geschenkt. Entsprechend den Angaben der Klin. über die Sollmieteinnahmen des Grundstücks stellte des Finanzamt durch Bescheid vom 02.09.1998 den Grundstückswert zum Schenkungstag auf 400.000 DM fest. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf den Bescheid vom 02.09.1998 Bezug genommen.
4Mit dem Einspruch machte die Klin. geltend, die Bedarfsbewertung bebauter Grundstücke gem. § 146 BewG sei verfassungswidrig. Die pauschalierende Betrachtungsweise mache eine Differenzierung von bebauten Grundstücken unmöglich. Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung (EE) vom 18.11.1998 Bezug genommen.
5Die Klin. hat Klage erhoben. Sie meint, die Bedarfsbewertung nach § 146 BewG verstoße gegen den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung innerhalb der Vermögensart Grundvermögen nach Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz und sei deswegen verfassungswidrig. Nach der dem Gesetz zugrundeliegenden Bundestagsdrucksache sei das Ertragswertverfahren dergestalt ausgerichtet worden, daß im Durchschnitt die Grundstückswerte bebauter Grundstücke ca. 50 % des Kaufpreises erreichten. Der geschätzte Wert der Immobilie betrage laut der notariellen Schenkungsurkunde 420.000 DM. Die vom Gesetzgeber durch das Ertragswertverfahren angepeilte Hälfte des Kaufpreises betrage demnach 210.000 DM. Demgegenüber sei der Ertragswert durch das Finanzamt nach Maßgabe des § 146 BewG auf 400.000 DM festgesetzt worden. Damit werde eine Bemessungsgrundlage von 95,24 v.H. statt 50 v.H. des Kaufpreises erreicht.
6Es widerspreche dem Gleichheitssatz, wenn im vorliegenden Fall das vom Gesetzgeber gewollte Ziel mit einer Belastung von 35.700 DM Schenkungsteuer (420.000 DM zu 50 v.H. = 210.000 DM x 17 v.H. Steuersatz) um 28.900 DM Steuermehrbelastung (400.000 DM x 17 v.H. = 64.600 DM) aufgrund von Vereinfachungen bei der Berechnungsmethode abweiche und vorliegend zu nahezu der doppelten Steuerbelastung führe. Die Klin. beruft sich für ihre Auffassung auf Seer, Stuw 1997, 283, 289 f.; Tipke/Lang, Steuerrecht, 16. Auflage 1998, S. 557; Thiel, DB 1997, 64 ff., 66; Wolf, DStR 1997, 349 ff., 350, 352; Viskorf/Glier/Knobel, BewG, 4. Aufl. 1998, § 146 Rn 9. Auch das Finanzgericht Rheinland-Pfalz habe in einem Urteil zur Frage des Altersabschlags bei der Bedarfsbewertung auf die "weitgehend berechtigte Kritik an der Wahl dieser unerprobten methodisch nicht überzeugenden Bewertungsmethode" verwiesen (FG Rheinland-Pfalz vom 28.07.1998, 2 K 3388/97, EFG 1998, 1563).
7Um die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts einzuhalten, hätte der Gesetzgeber sein Ziel des hälftigen Verkehrswertansatzes bei bebauten Grundstücken durch die Ermittlung eines dem Verkehrswert angenäherten Wertes und dessen Halbierung verfassungsrechtlich innerhalb der Vermögensart Grundvermögen unbedenklich verwirklichen können. Alternativ hätte der Gesetzgeber die Öffnungsklausel des § 146 Abs. 7 BewG dergestalt formulieren müssen, daß bei Nachweis des Verkehrswerts derselbe zu 50 v.H. anzusetzen sei.
8Die Klin. beantragt,
9den Bescheid über Bedarfsbewertung vom 02.09.1998 aufzuheben,
10hilfsweise für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
11Das Finanzamt beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Das Finanzamt ist der Auffassung, daß Vorschriften, deren Verfassungsmäßigkeit im Zweifel gezogen würden, solange gültig seien, bis das Bundesverfassungsgericht ihre Verfassungswidrigkeit festgestellt habe. Der Individualanspruch auf vorläufigen Rechtsschutz hätte nur dann Vorrang vor "dem rechtsstaatlichen Anliegen eines allgemeinen Normenvollzugs", wenn durch die vorläufige Vollziehung "irreparable Nachteile" drohten. Diese seien im Streitfall aber nicht ersichtlich.
14Entscheidungsgründe:
15Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
16Der Gesetzgeber ist durch den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 22.06.1995 (2 BvR 552/91, BStBl. II 1995, 671) aufgefordert worden, die erbschaftsteuerliche Bemessungsgrundlage für die Übertragung von Grundvermögen neu zu regeln, weil die verfassungsrechtliche Überprüfung der bisherigen Regelung ergeben hatte, daß die erbschaftsteuerliche Belastung des Grundvermögens gegenüber der Belastung anderer Vermögensarten, insbesondere des Kapitalvermögens, in unvertretbarer Weise begünstigt war. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb gefordert, daß für die einzelnen vererblichen wirtschaftlichen Einheiten und Wirtschaftsgüter Bemessungsgrundlagen zu finden seien, die deren Wert in ihrer Relation zueinander realitätsgerecht wiedergeben.
17Um dieser Vorgabe zu entsprechen, hat der Gesetzgeber in einem kontrovers diskutierten Gesetzgebungsverfahren (vgl. Darstellung bei Rössler/Troll/Halaczinsky, § 138 BewG, Rdnr. 10, § 146 BewG, Rdnr. 1 - 4; Seer, a.a.O.; S. 289) die sogenannte Bedarfsbewertung eingeführt. Im Unterschied zur Einheitsbewertung ist der ermittelte Bedarfsgrundstückswert nicht an den Stichtag der letzten Hauptfeststellung - 01.01.1964 - gebunden, sondern durch seine zeitnähere Feststellung den aktuellen Verkehrswerten angenähert. Es ist jedoch nicht Ziel der neu eingeführten Bedarfsbewertung, einen Grundstückswert zu ermitteln, der dem gemeinen Wert im Sinne des § 9 BewG möglichst nahe kommt. Die Bedarfsbewertung ergibt vielmehr im pauschalierten Verfahren einen eigenständigen Steuerwert, der regelmäßig unter dem Verkehrswert des Grundstücks liegt. Damit wollte der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen, daß insbesondere das selbstbewohnte, aber auch das bewirtschaftete Grundvermögen regelmäßig nicht - wie z.B. das Kapitalvermögen - zur freien wirtschaftlichen Disposition steht, sondern mit seiner Substanz oder mit seinem Ertragswert auf Dauer genutzt wird.
18Bei der Neugestaltung der erbschaftsteuerlichen Erfassung des Grundvermögens hatte der Gesetzgeber demnach zu beachten, daß bei einer Bewertung des jeweiligen Grundvermögens einerseits der nach objektiven Merkmalen annäherungsweise zu bestimmende Verkehrswert nicht überschritten werde, andererseits Garantien des Erbrechts und Eigentums ausreichend Beachtung finden.
19Die vom Gesetzgeber eingeführte und im Streitfall hinsichtlich des der Klin. geschenkten Grundstücks zu beurteilende Bedarfsbewertung hält sich nach Auffassung des Senats innerhalb dieser verfassungsrechtlich vorgezeichneten Grenzen. Der Grenzziehung durch den Verkehrswert hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, daß er dem Steuerpflichtigen in § 146 Abs. 7 BewG die Möglichkeit einräumt nachzuweisen, daß die in Anwendung der Abs. 2 - 6 getroffene Wertfeststellung über dem Verkehrswert liegt. Nach den eigenen Angaben der Klin. liegt der festgestellte Bedarfswert unter dem Verkehrswert des Grundstücks.
20Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, daß der Gesetzgeber bei der Regelung der Bedarfsbewertung für bebaute Grundstücke das Ertragswertverfahren gewählt hat, um im Durchschnitt einen Wert in Höhe von nur ca. 50 % des Verkehrswerts zu erhalten (vgl. Zweiten Bericht des Finanzausschusses vom 05.11.1996, Bundestagsdrucksache 13/5952, 28). Die Regelung in § 146 Abs. 7 BewG zeigt unzweifelhaft, daß der Gesetzgeber einen Wert bis zur Höhe des Verkehrswerts als zutreffenden Bedarfswert akzeptiert.
21Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Bedarfsbewertung gem. § 146 BewG können sich allerdings aus einer Ungleichbehandlung verschiedener Steuerpflichtiger bei Werten von einerseits nur 50 % und andererseits bis zu 100 % des Verkehrswertes ergeben. Es fragt sich, ob derartige Bewertungsdifferenzen noch durch das Recht des Gesetzgebers abgedeckt werden, im Steuerrecht als Massenverfahrensrecht typisierende und pauschalierende Regelungen zu finden. Diese Frage braucht jedoch im Streitfall nicht entschieden werden, ebensowenig wie die von den Kritikern der Bedarfsbewertung (vgl. die von der Klin. genannten Autoren) insbesondere geltend gemachte Ungleichbehandlung, die darin liegt, daß bebaute Grundstücke im Verhältnis zum Kapitalvermögen wiederum privilegiert seien und die Werte verschiedenartiger Grundstücke auch in ihrer Relation zueinander nicht realitätsgerecht festgestellt würden. Da der festgestellte Bedarfswert im Streitfall unstreitig unter dem Verkehrswert liegt, bedeutet die Feststellung unzweifelhaft eine Privilegierung der Klin. gegenüber den Empfängern anderer Wirtschaftsgütern. Bei Wegfall des § 146 BewG wegen Verfassungswidrigkeit wäre der Verkehrswert anzusetzen.
22Im übrigen schließt sich der Senat der Auffassung des FG Rheinland-Pfalz an, das im Urteil vom 28.07.1998 (a.a.O.; ebenso Beschluß des Hessischen Finanzgerichts vom 11.09.1998 3 V 4925/98, StE 1998, 802) trotz der Kritik an der Bedarfsbewertungsmethode diese mit Rücksicht auf die weitgehende Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers für verfassungsmäßig hält. Die Anwendung des Ertragswertverfahrens gem. § 146 BewG erscheint deshalb noch als sachgerecht und nicht als willkürlich, weil der Ertragswert nach oben durch den Nachweis eines niedrigeren Verkehrswerts (§ 146 Abs. 7 BewG) und nach unten durch den Mindestwert (§ 146 Abs. 6 i.V.m. § 145 Abs. 3 BewG) begrenzt wird. Auch Seer (a.a.O., S. 289) weist darauf hin, daß gerade in Fällen der Grundstücksbewertung "die konsequente Umsetzung des Belastungsgrundes für jeden Einzelfall insgesamt zu einem unverhältnismäßigen Vollzugsaufwand führen würde. Es gibt für ein Grundstück keinen absolut zutreffenden Marktwert, sondern allenfalls ein Marktwertniveau auf dem sich mit mehr oder weniger großen Abweichungen vertretbare Verkehrswerte bilden."
23Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO). Eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs ist auch weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
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