Urteil vom Finanzgericht Münster - 1 K 3470/98 E
Tenor
1. Der Haftungsbescheid vom 26.08.1997 in Form der Einspruchs-
scheidung vom 28.04.1998 wid aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
2. Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d:
2Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheids nach § 71 AO.
3Der Kläger (Kl.) war in den Jahren 1987 bis 1992 zusammen mit D*** ******und R********************Kommanditist der Firma F***************** GmbH und Co. KG (F-KG) in B********. Komplementärin der F-KG war die F*****************GmbH, deren Geschäftsführer der Kl. und D********* waren. Die F-KG betrieb den ursprünglich von P***** ******gegründeten Großhandel mit Lebensmitteln für asiatische Restaurants fort. 1987 erwarben die Genannten den Großhandel und führten ihn in der Rechtsform einer GmbH &Co. KG fort. 1988 wurde als weiterer Kommanditist N*******O** aufgenommen. N*******O***war noch von P************als Geschäftsführer eingestellt worden. Er blieb auch nach seiner Aufnahme als Kommanditist Geschäftsführer nur der F-KG, Geschäftsführer der F*****************GmbH wurde er nicht.
4Der Kl. war für den kaufmännischen Bereich (finanzielle, buchhalterische und steuerliche Angelegenheiten) der F-KG, N****** O***für den operativen Bereich (Vertrieb und Kundenbetreuung) zuständig. Daneben war der Kl. auch Geschäftsführer der J***************************GmbH (J-GmbH) mit Sitz in H******. Der Kl. hielt sich überwiegend in seinem Büro bei der J-GmbH auf. Deren Stammkapital hielten der Kl. zu 30 v.H., D********* und R********************zu je 35 v.H. Der Kl. war kaufmännischer Leiter der J-GmbH, die einen Teil der Buchhaltung der F-KG übernahm. Die Buchhaltungsarbeiten wurden in der Form geteilt, dass die Debitorenbuchungen zunächst die F-KG vornahm. Die weitere Buchhaltung - u.a. Verbuchung des Zahlungsverkehrs und Erstellung der Jahresabschlüsse - erfolgte durch die J-GmbH. Dafür erhielt sie von der F-KG ein Entgelt.
5Die F-KG belieferte u. a. auch C**************, der in P**********, *****************, ein China-Restaurant betrieb. C************** gab - wie zahlreiche andere Kunden - gleich bei den Bestellungen an, über welche Waren er eine Rechnung mit seinem vollen Namen und Adresse wünschte, und über welche Waren eine Rechnung ohne Namen und Adresse (Barverkaufsrechnung) ausgestellt werden sollte. Die F-KG nahm die Bestellungen mittels eines Formulars an, in dem die Ware gleich getrennt nach Lieferung auf Rechnungen mit Empfängernamen und Lieferungen auf Barverkaufsrechnungen notiert wurde. Die Rechnungserstellung für die Lieferungen an C************** und andere Kunden erfolgte in Form des so genannten Rechnungssplittings. Entsprechend der jeweiligen Bestellung des C************** wurde über einen Teil der gelieferten Waren eine Rechnung erteilt, in der dieser als Empfänger der Ware mit Namen und vollständiger Adresse offen ausgewiesen wurde. Über den weiteren Teil der Warenlieferung wurde eine Barverkaufsrechnung erstellt. Intern ordnete die F-KG die ohne Namen und Adresse des C************** ausgestellten Rechnungen anhand einer Kundennummer, die nach einem bestimmten System vergeben wurde, diesem wieder zu. Das Rechnungssplitting wurde bereits praktiziert, als das Unternehmen noch von P*********** geführt wurde. Das Kundenummernsystem wurde in den Jahren 1988 bis 1992 mehrfach geändert. Von 1988 bis Anfang 1990 wurde auf der Durchschrift der Barverkaufsrechnungen die Kundennummer handschriftlich vermerkt. Teilweise wurden die Nummern 88/89 hinzugefügt. Diese Nummern bezeichneten interne Barverkaufskonten, über welche die Barverkaufsrechnungen zunächst verbucht wurden. Von Anfang 1990 bis Mitte 1993 wurde in den Barverkaufsrechnungen im Anschriftenfeld das Bestelldatum und die Kundennummer vermerkt, beispielsweise bei einer Bestellung des C************** am 20. Februar 1990 "Barverkauf 2002010". Ab Mitte 1993 wurde durch die F-KG für jeden Kunden eine eigene Barverkaufsnummer vergeben. Der Kundennummer wurde die Zahl 65 vorangestellt, für den C************** wiesen die Barverkaufsrechnungen die Kundennummer 65.010 aus. Ab Dezember 1993 enthielten auch die Barverkaufsrechnungen die Bezeichnung "China-Restaurant P**********".
6Anlässlich einer Steuerfahndungsprüfung bei C************** wurde festgestellt, dass dieser von 1988 bis Mai 1994 in erheblichem Umfang Einnahmen sowie die über Barverkaufsrechnungen von der F-KG bezogenen Waren nicht verbucht hatte. Nach Geschäftsschluss hatte er einen Teil der Einnahmen aus der Kasse genommen und mit dem Managerschlüssel nach außen nicht ohne weiteres erkennbare Stornobuchungen durchgeführt. In seinen ESt- Umsatzsteuer- (USt) und Gewerbesteuer- (GewSt) -erklärungen für 1988 bis 1992 sowie in den Umsatzsteuervoranmeldungen für Januar 1993 bis Mai 1994 hatte er Gewinne und Umsätze in erheblichem Umfang geringer angegeben, als diese tatsächlich angefallen waren. Die Steuerfahndungsprüfer schätzten die von 1988 bis Mai 1994 erzielten Mehrumsätze und die von 1988 bis 1992 erzielten Mehrgewinne allein auf Grund der Wareneinkäufe, über welche die F-KG Barverkaufsrechnungen ausgestellt hatte. C************** hat die Feststellungen der Steuerfahndungsprüfer gegenüber diesen als richtig zugestanden und eingeräumt, dass die Schätzungen der nicht gebuchten und erklärten Umsätze und Gewinne in etwa zutreffend seien. Nach den Berechnungen der Steuerfahndungsprüfer beliefen sich die noch festzusetzenden Umsatzsteuernachzahlungen auf 243.607 DM, die Einkommensteuernachzahlungen auf 262.932 DM. Bei der Berechnung der Umsatzsteuernachzahlungen wurde die Vorsteuer aus den Barverkaufsrechnungen nicht gem. § 15 Abs. 1 S.1 Nr. 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) abgezogen, da diese Rechnungen mangels vollständiger Empfängerbezeichnung nicht alle Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 S. 2 UStG erfüllten.
7Der Beklagte (Bekl.) setzte gegen C************** Umsatz- und Einkommensteuer sowie Gewerbesteuermessbeträge entsprechend den Feststellungen der Steuerfahndung fest. C************** hat den Betrieb des China-Restaurants Mitte 1996 aufgegeben und das Geschäftslokal und eine Wohnung verkauft. Er hat im März 1995 200.000 DM an den Bekl. gezahlt. Daneben leistete er Ratenzahlungen von 5.000 DM monatlich. Die Vollstreckung gegen C************** führt zu einer weiteren erheblichen Reduzierung der Steuerschulden. Unter anderem erhielt der Bekl. aus der Pfändung eines Notaranderkontos rund 221.000 DM. Die eidesstattliche Versicherung wurde C************** nicht abgenommen, da er unbekannt ins Ausland verzogen ist. Seine Adresse konnte durch den Bekl. bisher nicht ermittelt werden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Vollstreckungsakte Bezug genommen.
8Das Strafverfahren gegen den Kl. wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung des C************** ist gem. § 153 a der Strafprozessordnung gegen Zahlung einer Geldbuße von 150.000 DM eingestellt worden.
9Der Bekl. nahm den Kl. nach Anhörung durch Haftungsbescheid vom 26. August 1997 für noch offene ESt des C************** aus 1992 i. H. v. 47.452 DM sowie Säumniszuschläge i. H. v. 19.586 DM gem. § 71 und § 191 der Abgabenordnung (AO) in Haftung. Der Kl. habe zu der Steuerhinterziehung des C************** Beihilfe geleistet. Daher hafte er für die von C************** nicht beglichenen Steuern. N****** O***erhielt einen gleich lautenden Haftungsbescheid. Von weiteren Finanzämtern wurde der Kläger ebenfalls für Steuerschulden weiterer Kunden der F-KG über mehrere Hunderttausend DM in Haftung genommen.
10Im Einspruchsverfahren änderte der Bekl. den Haftungsbescheid durch Einspruchsentscheidung (EE) vom 28. April 1998 dahin ab, dass der Kl. nur für die rückständigen ESt 1992 in Haftung genommen wurde. Im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
11Mit der Klage wird die ersatzlose Aufhebung des Haftungsbescheides in Form der EE begehrt. Der Kl. trägt vor, der objektive Sachverhalt sei zutreffend, es liege jedoch keine Beihilfe zur Steuerhinterziehung vor. Sinn des Rechnungssplittings sei gewesen, dass die Auslieferungsfahrer der F-KG die in den Barverkaufsrechnungen ausgewiesenen Beträge unmittelbar vereinnahmen konnten. Dies habe für die F-KG den Vorteil des unmittelbaren Geldeingangs gehabt. Die mit vollem Namensausweis erstellten Rechnungen seien nicht sofort beglichen worden. Erst nach mehreren Tagen, teilweise erst erheblich später sei der Geldeingang zu verzeichnen gewesen. Dadurch sei es zu Zinsverlusten für die F-KG gekommen und es habe ein Inkassorisiko bestanden. Sowohl der Zinsverlust als auch das Inkassorisiko entfielen bei den Barverkäufen. Daher habe die F-KG durchaus ein wirtschaftliches Interesse daran gehabt, Barverkaufsrechnungen auszustellen.
12Es sei auch zweifelhaft, ob in einer neutralen Handlung, wie dem Ausstellen einer Rechnung, überhaupt eine Beihilfehandlung gesehen werden könne. Denn auch der Wareneinkauf, über den der Lieferant eine ordnungsgemäße Rechnung erteilt habe, könne verschleiert und die ordnungsgemäße Rechnung vernichtet werden. Die Erteilung von Barverkaufsrechnungen durch die F-KG sei daher schon objektiv nicht geeignet, eine Steuerhinterziehung eines Kunden zu fördern.
13Der Kl. behauptet, es sei ihm nicht bewusst gewesen, dass die von der F-KG belieferten Gastwirte unter Umständen die Barverkaufsrechnungen dazu nutzen könnten, Betriebseinnahmen zu verschleiern. Er habe nicht die Absicht gehabt, ein solches Verhalten zu fördern. Dies ergebe sich auch daraus, dass er als Geschäftsführer der J-GmbH im Bereich des operativen Geschäfts der F-KG nicht tätig gewesen sei. Er habe als kaufmännischer Leiter der J-GmbH nur Einfluss auf das Rechnungswesen der F-KG gehabt. Ihm habe nur die zentrale Überwachung des Rechnungswesen obliegen. Das operative Geschäft der F-KG sei von N****** O** als Geschäftsführer verantwortet worden. Auf die Rechnungsstellung im Einzelfall habe er - der Kl. - keinen Einfluss gehabt. Da er die einzelnen Abnehmer der F-KG nicht persönlich gekannt habe, und auch in die Rechnungserstellung der F-KG nicht einbezogen war, habe er schon mangels Kenntnis des einzelnen Abnehmers keinen Vorsatz zu einer eventuellen Steuerhinterziehung eines einzelnen oder mehrerer Abnehmer(s) haben können. Er habe auch das Rechnungssplitting nicht erfunden. Es sei bereits vor dem Erwerb des Unternehmens so gehandhabt worden. Nach Übernahme des Unternehmens sei die bisherige Art der Kundenbetreuung - auch der Rechnungserteilung - beibehalten worden. Er habe sich daher keine Gedanken über mögliche Gesetzesverstöße gemacht.
14Überdies sei den Finanzbehörden diese über lange Jahre praktizierte Rechnungserteilung bekannt gewesen, sie sei von den Finanzbehörden nicht beanstandet worden. Es habe zwar ein Verstoß gegen die formelle Ordnungsvorschrift des § 144 AO vorgelegen, dieser sei aber bei einer Betriebsprüfung (Bp) bei der F-KG im Dezember 1991 bzw. im August 1992 durch den damaligen Betriebsprüfer nicht beanstandet worden. Gegenüber dem Buchhalter der J-GmbH, Herrn K**************, habe der Betriebsprüfer geäußert, dass aus der Rechnung der Empfänger der Ware hervorgehen müsse. Auf Grund der Kundennummer sei aber eine eindeutige Zuordnung des Empfängers der Ware möglich. Auch seien alle Geschäftsvorfälle nach dem Ergebnis der Prüfung aufgezeichnet und die Belege zu allen Geschäftsvorfällen leicht aufzufinden und zuzuordnen gewesen. Wenn in dem Rechnungssplitting durch die Finanzbehörden nunmehr eine Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung gesehen werde, hätte der Prüfer gem. § 9 der Betriebsprüfungsordnung (BpO) darauf hinweisen müssen.
15Der Kl. trägt weiter vor, seine Haftungsinanspruchnahme sei auch deswegen nicht ermessensgerecht, weil er der Einstellung des Strafverfahrens gegen eine Geldauflage nur zugestimmt habe, weil ihm signalisiert worden sei, eine Haftungsinanspruchnahme werde nicht erfolgen. Schließlich sei nicht geklärt, ob der C***************seinen gesamten Wareneinkauf über die F-KG abgewickelt habe. Er könnte auch von anderen Lieferanten Waren bezogen und diesen Wareneinsatz verschleiert haben. Für Zuschätzungen auf Grund eines solchen Wareneinsatzes könne er - der Kl. - nicht in Haftung genommen werden. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass er 1992 für längere Zeit infolge einer schweren Erkrankung seine Aufgaben bei der F-KG und der J-GmbH nicht habe wahrnehmen können.
16Der Kl. beantragt,
17den Haftungsbescheid vom 26. August 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. April 1998 aufzuheben,
18im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
19Der Bekl. beantragt,
20die Klage abzuweisen,
21im Unterliegensfall die Revision zuzulassen.
22Er trägt vor, der Kl. hafte gem. § 71 AO für die rückständigen Steuern des C**************, da er als Gehilfe an dessen Steuerhinterziehungen teilgenommen habe. Daher sei er zu Recht gem. § 191 AO in Haftung genommen worden.
23Als kaufmännischer Leiter (Geschäftsführer) der J-GmbH und der F-KG habe der Kl. die Verantwortung für die Rechnungsstellung durch die F-KG gehabt. Er habe gewusst, dass den Kunden - und damit auch dem C************** - Rechnungen mit vollem Namen und Barverkaufsrechnungen erteilt worden seien. Ebenfalls habe er von dem System der Zuordnung der Rechnungen anhand von Kundennummern Kenntnis gehabt und dies gefördert. Durch die Erteilung von Barverkaufsrechnungen sei bei den Kunden der Eindruck erweckt oder bestätigt worden, dass die so getätigten Einkäufe und die damit erzielten Einnahmen für die Finanzbehörden nicht ohne Weiteres erkennbar seien. Auch durch die Verbuchung der Barverkaufsrechnungen über anonyme Barverkaufskonten seien die Warenverkäufe weiter verschleiert worden. Durch die Eintragung der Kundennummer auf der Durchschrift der Barverkaufsrechnung habe bei einer Bp der F-KG andererseits der Eindruck erweckt werden können, auch die Originale der Barverkaufsrechnungen seien mit einer Kundennummer versehen und daher für eine Steuerhinterziehung ungeeignet.
24Die F-KG habe durch diese Rechnungsstellung keinen wirtschaftlichen Vorteil gehabt. Denn auch eine mit Namen und vollständiger Adresse ausgestellte Rechnung könne beim Empfänger sofort bar kassiert werden. Daher sei dem Kl. bewusst gewesen, dass Sinn dieses Rechnungssplittings nur der sein könne, den Kunden Gelegenheit zu geben, Wareneinkäufe nicht in die Buchführung zu übernehmen und so in Relation zu den nicht verbuchten Wareneinkäufen Betriebseinnahmen zu verschleiern. Daher habe er die Steuerhinterziehung der Kunden der F-KG und damit auch die des C************** jedenfalls billigend in Kauf genommen und zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt.
25Wegen der weiteren Einzelheiten nimmt der Bekl. auf die EE vom 28. April 1998 Bezug.
26Der Senat hat den Beweismittelordner "AB-Nr. 204/94, ***** C**********************" und die Vollstreckungsakte des Bekl. beigezogen. Er hat am 21. August und am 11. Dezember 2001 mündlich verhandelt. Er hat Beweis erhoben durch die Vernehmung der Zeugen D************* B*****, U******L***, D***** K*** und P*****D*****. Auf die Sitzungsniederschriften wird Bezug genommen.
27E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
28Die Klage ist begründet.
29Der Haftungsbescheid vom 26. August 1997 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28. April 1998 war aufzuheben, weil der Bekl. sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat.
301. Dem Grunde nach haftet der Kl. als Teilnehmer an der Steuerhinterziehung des C************** gem. § 71 AO. Danach haftet derjenige, der an einer Steuerhinterziehung teilnimmt, für die verkürzten Steuern. Er kann gem. § 191 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden.
31a) Aufgrund der Feststellungen der Steuerfahndung sowie dem gegenüber der Steuerfahndung gemachten Zugeständnis des C************** steht fest, dass dieser u. a. im Jahr 1992 ESt hinterzogen hat. Der Kl. hat nicht bestritten, dass C************** in der Zeit von 1988 bis Mai 1994 Steuer hinterzogen hat.
32b) Zu der Steuerhinterziehung des C***************hat der Kl. sowohl objektiv als auch subjektiv Beihilfe geleistet und damit i. S. v. § 71 AO an dessen Tat teilgenommen.
33Beihilfe leistet, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe leistet, § 27 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB).
34aa) Hilfeleisten ist objektiv ein für die Begehung der Haupttat kausaler oder wenigstens deren Chancen erhöhender Tatbeitrag. Das Schaffen günstiger Voraussetzungen, wie die Erleichterung der Tatausführung, reicht aus. Die Beihilfe kann auch bereits bei einer noch straflosen Vorbereitungshandlung geleistet werden (Bundesgerichtshof (BGH) vom 25.09.1985, 3 StR 209/85, HFR 1987, 208; Tröndle, Kommentar zum StGB, 46. Aufl. § 27 Rn. 2 m.w.N.). Sie kann auch durch psychische Unterstützung des Täters geleistet werden (Tröndle, § 27 Rn. 7 m.w.N.; Schwarz/Dumke, Kommentar zur AO § 370 Rn. 33; Bundesfinanzhof (BFH) vom 30.12.1998, VII B 160/98, BFH/NV 1999, 902), auch dann, wenn der Täter bereits zur Tat entschlossen ist (BGH vom 29.03.1951, 3 StR 82/51, NJW 1951, 451). Eine Beihilfe ist auch schon dann möglich, wenn der Gehilfe nicht sicher weiß, ob der Täter schon zur Haupttat entschlossen ist. Es reicht aus, wenn der Gehilfe seinen Tatbeitrag "für alle Fälle" zur Verfügung stellt (Cramer in Schönke/Schröder, Kommentar zum StGB, 25. Aufl., § 27 Rn. 12). Nicht erforderlich ist, dass zwischen dem Täter und dem Gehilfen eine Willensübereinstimmung besteht. Eine Beihilfe kann auch dann vorliegen, wenn der Gehilfe den Haupttäter ohne dessen Wissen unterstützt (Cramer, a.a.O. § 27 Rn. 14). Eine Beihilfe ist auch durch äußerlich neutrale Handlungen möglich, sofern dadurch die Tat in ihrer konkreten Gestalt gefördert und erleichtert wird (BGH vom 23.01.1985, 3 StR 515/84, HFR 1985, 429).
35Die Steuerhinterziehungen des C************** wurden durch den Kl. objektiv gefördert. Den Kunden der F-KG wurde systematisch die Möglichkeit eingeräumt, eine Warenbestellung in zwei Teillieferungen aufzuteilen. Schon die bei der Annahme der Bestellungen vorgenommene Aufteilung der Warenlieferung mittels des Formulars in "Weiß-" und "Schwarzeinkäufe" war für sich genommen geeignet, bei den Kunden den Eindruck hervorzurufen, die "Schwarzbestellung" könne nicht in den Büchern der F-KG nachvollzogen werden. Dieser Eindruck wurde verstärkt durch die Ausstellung einer Barverkaufsrechnung, deren Original bis Anfang 1990 entgegen § 144 Abs. 3, 4 AO keinen Namen, keine Adresse und keine Kundennummer erhielt. Dadurch wurde gegenüber den Kunden der Eindruck erweckt oder bestärkt, dass der so getätigte Einkauf und die damit erzielten Einnahmen für die Finanzbehörde nicht ohne weiteres erkennbar und eine Steuerhinterziehung damit möglich sei. Auch die Barverkaufsrechnungen, die ab Anfang 1990 bis Mitte 1993, also auch 1992, die Kundennummer und in verschlüsselter Form das Bestelldatum enthielten, waren geeignet, bei den Kunden diesen Eindruck zu erwecken. Denn welche Bedeutung die Nummer in dem Adressfeld hatte, wird den meisten Kunden verborgen geblieben sein. Sie allein reichte auch nicht aus, um den Kunden sofort zu identifizieren. Für eine Identifikation des Kunden war weiter erforderlich, dass die Zuordnung der Kundennummer durch die F-KG bekannt war. Außerdem verblieb auf Grund der Bestellung zusammen mit der Rechnung der Eindruck, die Bestellung des Kunden könne in den Büchern der F-KG nicht nachvollzogen werden und werde daher bei Überprüfungen auch den Finanzbehörden nicht bekannt bzw. nicht mitgeteilt.
36Auch die Verbuchung der Barverkäufe auf einem Sammelkonto war objektiv geeignet, die Steuerhinterziehung der Kunden zu fördern. Denn bei einer Überprüfung der F-KG durch die Finanzbehörden konnte der Eindruck erweckt werden, auch die Originale der Barverkaufsrechnungen seien mit der Kundennummer versehen. Da somit eine Zuordnung der Barverkaufsrechnungen zu dem Kunden in der Buchführung der F-KG nach Verbuchung auf den Sammelkonten erfolgte, konnte bei einer Prüfung der F-KG der Eindruck erweckt werden, dass die Barverkaufsrechnungen zur Förderung einer Steuerhinterziehung ungeeignet seien, da der kundenbezogene Umsatz in der Buchführung der F-KG jederzeit feststellbar war und die Finanzbehörde diesen zur Kenntnis nehmen konnte.
37Die vom Kl. vorgetragenen Gründe für die Ausstellung von Barverkaufsrechnungen vermögen an der objektiven Förderung der Steuerhinterziehung des C************** keine Zweifel zu begründen. Selbst wenn die F-KG die Barverkaufsrechnungen ausgestellt hat, um durch sofortiges Inkasso ihre Außenstände gering zu halten und das Inkassorisiko zu minimieren, war dies kein Grund, die Barverkaufsrechnungen nicht mit vollständiger Empfängerbezeichnung auszustellen. Auch der Betrag einer solchen gem. § 144 Abs. 3 und 4 AO ordnungsgemäßen Rechnung konnte von dem Auslieferungsfahrer sofort kassiert werden.
38Ebenso wird die Annahme einer objektiven Beihilfehandlung durch den Kl. nicht dadurch gehindert, dass die Nichtverbuchung der Barverkaufsrechnungen eine bloße Vorbereitungshandlung war. Denn auch dazu kann Beihilfe geleistet werden. Damit die Steuerhinterziehung des Haupttäters zumindest das Versuchsstadium erreichte, war die Einreichung einer Steuererklärung notwendig. Die Einkommensteuer-Erklärung 1992 hat der C************** erst beim Beklagten eingereicht, nachdem die F-KG die Barverkaufsrechnungen für Lieferungen in 1992 ausgestellt hat. Der Bezug von "Schwarzlieferungen" des C************** stellte daher zunächst nur eine Vorbereitungshandlung dar. Allerdings ist diese Vorbereitungshandlung des C************** mit der Abgabe der Steuererklärung in das Versuchsstadium eingetreten und mit der Festsetzung der Einkommensteuer auf Grund der Erklärung des C***************ist die Tat vollendet worden. Um die Einnahmen ohne das Risiko einer sofortigen Entdeckung bei einer Bp verkürzen zu können, musste C************** den Wareneinsatz entsprechend verringern. Die Verschleierung des Wareneinsatzes durch C***************wurde durch die Aufteilung der Bestellung und die Ausstellung der Barverkaufsrechnungen gefördert, weil bei ihm der Eindruck entstand, die "Schwarzlieferung" könne durch die Finanzbehörden nicht nachvollzogen werden. Die Kausalität der objektiven Förderung der Steuerhinterziehungen des C***************entfällt auch nicht deswegen, weil dieser möglicherweise auch ohne die "Schwarzlieferungen" den Wareneinsatz verschleiert und die Einnahmen verkürzt hätte. Denn der Tatbeitrag des Kl. hat zumindest dazu beigetragen, dass C************** und die weiteren Kunden meinten, mit einer Entdeckung ihrer Taten bei einer Außenprüfung nicht rechnen zu müssen. Allein die darin liegende psychische Unterstützung reicht für eine Beihilfehandlung aus.
39Der Kl. kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Ausstellung einer Rechnung eine neutrale, im Geschäftsleben übliche Handlung sei, die keine Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung begründen könne. Ihm ist zwar darin zuzustimmen, dass allein die Ausstellung einer Rechnung keine objektive Beihilfehandlung darstellt. Das gilt allerdings nur, wenn die Rechnung gemäß den gesetzlichen Anforderungen ausgestellt wird. Dann läge keine objektive Beihilfe vor, auch wenn der Kl. vermutet oder sicher gewusst hätte, dass der Haupttäter eine Steuerhinterziehung plant. Denn allein die Belieferung eines anderen unter Ausstellung einer § 144 Abs. 3 und 4 AO entsprechenden Rechnung unter Beachtung der Aufzeichnungspflichten des § 144 Abs. 1 und 2 AO stellt ein sozialadäquates Verhalten dar, welches keine Beihilfe begründen kann (vergl. dazu Cramer, a.a.O. § 27 Rn. 10 a.E.). Um solche neutralen Handlungen handelte es sich aber bei der Ausstellung der Barverkaufsrechnungen gerade nicht. Denn diese enthielten auch 1992 keinen Namen und keine Adresse. Die Ausstellung von Barverkaufsrechnungen muss auch im Zusammenhang mit der Aufteilung der Warenlieferung bereits bei der Bestellung gesehen werden. Diese Aufteilung zusammen mit den Barverkaufsrechnungen war - wie dargelegt - objektiv geeignet, bei den Kunden den Eindruck zu erwecken, die "Schwarzlieferung" könne in den Büchern der F-KG nicht nachvollzogen werden. Schließlich war nicht erforderlich, dass C************** und der Kl. sich kannten, denn eine Willensübereinstimmung zwischen dem Haupttäter und dem Gehilfen ist nicht erforderlich.
40bb) Die Beihilfehandlung muss vorsätzlich begangen werden, bedingter Vorsatz genügt. Ausreichend ist, dass der Gehilfe den Erfolg der Haupttat als möglich in Kauf nimmt (Tröndle, StGB § 27 Rn. 8). Die Tat und der Täter, deren Unterstützung der Gehilfe anstrebt, muss in gewissen Umrissen bestimmt sein (vgl. Tröndle § 27 Rn. 9). Einzelheiten der Tat braucht der Gehilfe nicht zu kennen, es genügt, wenn er die wesentlichen Merkmale des vom Täter verwirklichten Tuns erkennt (BFH vom 30.12.1998, VII B 160/98, a.a.O.; BGH vom 12.07.2000, 1 StR 269/00, juris Dokument Nr. KORE570522000; vom 18.04.1996, 1 StR 14/96; BGHSt 42,135; vom 15.06.1994 3 StR 54/94, juris Dokument Nr. KORE509979400; Cramer, a.a.O., § 27 Rn 19). Auch braucht der Gehilfe keine genaue Kenntnis von der Person des Täter zu haben (Cramer a.a.O. § 27 Rn. 19). Nach der Rechtsprechung des BGH liegt selbst dann Vorsatz des Gehilfen vor, wenn dieser bei so genannten neutralen Handlungen nicht genau weiß, wie der von ihm geleistete Beitrag vom Haupttäter verwendet wird, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens aber derart hoch war, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters angelegen sein ließ (BGH vom 20.09.1999, 5 StR 729/98, juris Dokument Nr. KORE766599900).
41Der Kl. handelte mit - zumindest bedingtem - Vorsatz. Er hat die Steuerhinterziehungen einzelner oder mehrerer Kunden - und damit auch die des C************** - zumindest billigend in Kauf genommen. Der Kl. hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, spätestens 1992 von dem Rechnungssplitting Kenntnis gehabt zu haben. Der Kl. ist auch für die Annahme der geteilten Bestellung und die Ausstellung der Barverkaufsrechnungen verantwortlich. Er kann sich nicht darauf berufen, in das laufende Geschäft nicht eingebunden gewesen zu sein, insbesondere die Bestellungen nicht angenommen und die Barverkaufsrechnungen nicht ausgestellt zu haben. Denn der Kl. war als (mittelbarer) kaufmännischer Geschäftsführer der F-KG für die Buchführung und für das Rechnungswesen einschließlich der Rechnungserstellung verantwortlich. Der Senat folgt dem Kl., so weit er vorträgt, neue Kundenkonten konnten auch ohne seine Einschaltung eröffnet werden und die Rechnungserteilung erfolgte ohne seine Kenntnis im Einzelfall. Der Senat ist aber der Überzeugung, dass der Kl. von der Praxis der geteilten Bestellungen und des Rechnungssplittings genaue Kenntnis hatte. Die Kenntnis des Kl. vom Rechnungssplitting ergibt sich schon daraus, dass das System der Zuordnung der Barverkaufsrechnungen und damit das System der Kundennummern Anfang 1990 geändert wurde. Der Senat hält es für ausgeschlossen, dass eine solche Änderung der internen Kundennummern ohne Kenntnis und Billigung des Kl. als für das Rechnungswesen Zuständigem erfolgte. Damit hatte der Kl. jedenfalls auch neben den anderen (mittelbaren) Geschäftsführern die geteilte Annahme der Bestellung und das Rechnungssplitting zu verantworten. Er hat auch den einzig denkbaren Zweck der geteilten Bestellung und des Rechnungssplittings gekannt. Der Kl. hatte umfangreiche Erfahrung im Geschäftsleben. Er hat sich erfolgreich dort betätigt, sonst wäre er nicht Gesellschafter und Geschäftsführer der F-KG und weiterer Unternehmen geworden. Als erfahrener Geschäftsmann ist ihm nicht verborgen geblieben, dass zur Verkürzung von ESt und USt nur ein reduzierter Wareneinkauf in der Buchführung erscheinen darf, da ansonsten das Verhältnis zwischen dem Wareneinkauf und den erklärten Umsätzen nicht plausibel ist. Ihm war auf Grund seiner langjährigen Tätigkeit bekannt, dass die Finanzbehörden zur Überprüfung der ordnungsgemäßen Verbuchung des Wareneinkaufs Kontrollmitteilungen versenden oder auch Anfragen beim Lieferanten vornehmen. Durch die Ausstellung von Barverkaufsrechnungen ohne vollständige Empfängerbezeichnung und die Verbuchung des bar eingenommenen Betrags auf einem Sammelkonto war innerhalb der Buchführung der F-KG eine unmittelbare Zuordnung des Umsatzes zu dem einzelnen Abnehmer nicht möglich. Ebenfalls war sichergestellt, dass bei Anfragen von Finanzbehörden nur der Wareneinkauf mitgeteilt wurde, über den eine im Sinne des § 144 Abs. 3, 4 AO ordnungsgemäße Rechnung erteilt worden war. Da der vom Kl. behauptete Zweck, die Außenstände zu minimieren auch durch Barverkaufsrechnungen mit vollständiger Empfängerbezeichnung erreicht werden konnte, war ihm als erfahrenem Geschäftsmann klar, dass der Sinn des Rechnungssplittings nur die Möglichkeit war, den Kunden eine Verschleierung ihres Wareneinkaufes und in Konsequenz daraus eine Verschleierung der tatsächlichen Umsätze zu ermöglichen.
42Die konkrete Tat, an welcher der Kl. teilgenommen hat, war auch hinreichend bestimmt vom seinem Vorsatz umfasst. Wie oben dargelegt, war ihm der Zweck des Rechnungssplittings, die Ermöglichung von Steuerhinterziehung, bewusst. Zwar wusste er im Einzelfall möglicherweise nicht, ob der einzelne Abnehmer - so auch C************** - tatsächlich Umsätze verschleierte und Steuern hinterzog, er rechnete aber damit, dass eine Vielzahl der Abnehmer, die Barverkaufsrechnungen erhielten, sich so verhielten. Damit war die Tat und der Täter jedenfalls hinreichend konkretisiert, denn der Kl. nahm jedenfalls billigend in Kauf, dass auch der C************** seinen Wareneinkauf verschleierte und Umsätze in geringerer Höhe erklärte, als sie tatsächlich angefallen sind. An der Haftung dem Grunde nach ändert auch nichts, dass der Kl. 1992 längere Zeit auf Grund einer Erkrankung nicht berufstätig sein konnte. Denn es war gerade nicht erforderlich, dass er jeden einzelnen Verkaufsfall und jeden Abnehmer kannte.
43c) Schließlich ist die Haftung des Kl. dem Grunde nach nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Betriebsprüfer bei der Betriebsprüfung im Dezember 1991 und im August 1992 das Rechnungssplitting bemerkt, aber nicht auf eine in Betracht kommende Beihilfe zur Steuerhinterziehung hingewiesen hat. Nach § 9 S. 2 der BpO, bei der es sich um eine Verwaltungsvorschrift handelt, dürfen die Ermittlungen, wenn sich während einer Bp der Verdacht einer Straftat ergibt, erst fortgesetzt werden, wenn der Steuerpflichtige über die Einleitung eines Strafverfahrens in Kenntnis gesetzt wurde. Der Senat konnte nicht feststellen, dass sich während der Prüfung der F-KG der Verdacht einer Straftat der verantwortlich für die F-KG handelnden Personen hinsichtlich der steuerlichen Pflichten der F-KG ergeben hat. Der Kl. hat im Gegenteil selbst vorgetragen, dass der Betriebsprüfer festgestellt hat, bei der F-KG sei der kundenbezogene Umsatz festgehalten worden und die zugehörigen Belege seien leicht aufzufinden gewesen. Den Verdacht einer Steuerstraftat oder einer steuerlichen Ordnungswidrigkeit hinsichtlich der steuerlichen Pflichten der F-KG hatte der Betriebsprüfer also schon nach dem Vortrag des Kl. nicht. Der Senat verkennt nicht, dass bei den für die F-KG verantwortlich Handelnden auf Grund des fehlenden Hinweises des Betriebsprüfers ein "Gefühl der Sicherheit" vor weiteren Maßnahmen der Finanzbehörden entstehen konnte. Ein solcher Eindruck der Handelnden würde jedoch nur dann zu einem Ausschluss der Haftung dem Grunde nach führen, wenn der Betriebsprüfer insoweit einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Das ist aber nicht der Fall gewesen. Denn der Betriebsprüfer hat das Rechnungssplitting aufgegriffen und zum Gegenstand einer Besprechung zumindest mit dem Buchhalter der J-GmbH gemacht. Darüber wurde der Kl. unterrichtet. Dem Kl. war ebenfalls bekannt, dass der Betriebsprüfer mehrere Kontrollmitteilungen geschrieben hat. Auf Grund der oben unter Gliederungspunkt b) näher dargelegten Kenntnisse des Kl., welchen Zweck die geteilte Bestellung und das Rechnungssplitting nur haben konnte, hat der Betriebsprüfer jedenfalls bei dem Kl. keinen schützenswerten Vertrauenstatbestand dahin geschaffen, dass eine Beihilfe zu Steuerhinterziehungen nicht vorliegen kann und eine Haftungsinanspruchnahme für Steuerschulden der Kunden der F-KG nicht erfolgen werde.
442. Der Haftungsbescheid war jedoch wegen fehlerhafter Ermessensausübung aufzuheben. Der Bekl. hat von seinem Ermessen nicht in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht, § 102 2. Alt. FGO. Er hat sein Ermessen unterschritten. Da der Senat nicht befugt ist, sein Ermessen an die Stelle des Ermessens des Bekl. zu setzen (BFH vom 25.04.1986, VI S 3/86, BFH/NV 1988, 518; vom 18.09.1981, VI R 44/77, BStBl. II 1981, 801; Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, Stand Nov. 2001, § 102 FGO Tz. 4 ff und 9 ff m.w.N.; von Groll in Gräber, Kommentar zur FGO, § 102 Rn. 14) war der Haftungsbescheid vom 26. August 1997 in Form der Einspruchsentscheidung vom 28. April 1998 aufzuheben.
45Gem. § 191 Abs. 1 S. 1 AO kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Die Inanspruchnahme des Haftenden steht im pflichtgemäßen Entschließungs- und Auswahlermessen der Finanzbehörde (Tipke/Kruse, § 191 AO, Rn. 36). Gem. § 5 AO hat die Finanzbehörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Ein Ermessensfehlgebrauch in Form der so genannten Ermessensunterschreitung liegt vor, wenn die Finanzbehörde bei der Ermessensausübung nicht alle gebotenen Erwägungen anstellt und keine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt (Tipke/Kruse § 5 AO Tz. 40).
46Das Entschließungsermessen räumt der Finanzbehörde die Befugnis ein, über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners dem Grunde nach zu befinden, sie hat aber auch darüber zu entscheiden, ob sie diesen nur für einen Teilbetrag der Summe, für die er gesetzlich haftet, in Anspruch nimmt (BFH vom 8.11.1988, VII R 78/85, BStBl. II 1989, 118 (119); Tipke/Kruse, § 5 AO Tz. 14, § 191 AO Tz. 40). Ein Auswahlermessen der Finanzbehörde besteht, wenn eine von mehreren Rechtsfolgen zu setzen ist und der Entschluss über die Auswahl der Einzelnen zugelassenen Rechtsfolgen ihr überlassen ist, wie die Auswahl unter mehreren Haftenden als Gesamtschuldner gem. § 44 AO (BFH vom 25. Juli 1991, V R 89/88, BStBl. II 1992, 3; Tipke/Kruse, § 5 AO Tz. 14).
47a) Bei der Ausübung des Entschließungsermessens hat der Bekl. nicht alle Umstände gewürdigt, die nach Auffassung des erkennenden Senats in die Erwägungen mit einzubeziehen waren. Im Haftungsbescheid vom 26. August 1997 und in der Einspruchsentscheidung vom 28. April 1998 führt der Bekl. im Wesentlichen aus, warum er den Kl. als Gehilfen der Steuerhinterziehung des C************** ansieht und deshalb in Haftung nimmt. Zu der Nichtbeanstandung der Rechnungslegung der F-KG durch den Betriebsprüfer führt er aus, dies könne vielerlei Gründe haben. Diese Erwägungen im Rahmen des Entschließungsermessen reichen nicht aus.
48aa) Eine Ermessensreduzierung auf Null wegen einer Zusage, keinen Haftungsbescheid zu erlassen, war nicht gegeben, da die Beweisaufnahme ergeben hat, dass eine solche Zusage weder gegeben wurde, noch in Aussicht gestellt worden ist. Da der Bekl. seine Zuschätzungen allein auf Grund des von der F-KG über Barverkaufsrechnungen bezogenen Wareneinsatzes vornahm, kommt grundsätzlich auch eine Haftung des Kl. für die sich aus den Zuschätzungen ergebenden Mehrsteuern in Betracht.
49bb) Keine Bedenken bestehen dagegen, dass der Bekl. den Kl. dem Grunde nach als Haftenden in Anspruch nimmt, da dieser an der Steuerhinterziehung des C************** teilgenommen hat. Insoweit besteht nach der ständigen Rechtsprechung des BFH eine Ermessensvorprägung dahin, dass ein Gehilfe in der Regel als Haftender in Anspruch zu nehmen ist. Nähere Darlegungen im Haftungsbescheid sind daher nicht unbedingt erforderlich (vergl. BFH vom 5. März 1998, VII B 36/97, BFH/NV 1998,1325; vom 26. Februar 1991, VII R 3/90, BFH/NV 1991, 504; vom 12.04.1983, VII R 3/80, DStR 1983, 454). Da gegen C************** auch nicht weiter vollstreckt werden kann, weil er sich an einem unbekannten Ort im Ausland aufhält, war der Bekl. auch nicht mehr gehalten, sich wegen der Befriedigung seiner Forderungen zunächst an diesen zu halten.
50cc) Hinsichtlich der Höhe der Haftung fehlen jedoch Ausführungen des Bekl., warum er eine Haftung in voller Höhe der noch offenen Einkommensteuer 1992 für ermessensgerecht hält. Bei der Ausübung des Entschließungsermessens ist der Grad der Pflichtverletzung und das Maß des Verschuldens zu berücksichtigen (Tipke/Kruse § 191 Tz. 40; BFH vom 05.03.1998, VII B 36/97, a.a.O.). Es ist ebenfalls zu berücksichtigen, in welcher Höhe letztlich ein Steuerschaden entstanden ist. Ist dieser geringer als die Höhe der Steuerhinterziehung, ist dies bei der Ermessensausübung für eine Haftungsinanspruchnahme zu berücksichtigen (BFH vom 8. November 1988, VII R 78/85, a.a.O. (120)). Dies folgt für die Inanspruchnahme eines Teilnehmers nach § 71 AO auch aus dem Schadensersatzcharakter dieser Norm, einen Strafcharakter hat die Inanspruchnahme nach § 71 AO nicht (Urteil des BFH vom 26. Februar 1991, VII R 3/90, a.a.O; Tipke/Kruse § 71 Tz. 1 m.w.N.). Die Begründung des Haftungsbescheids muss die die Entscheidung der Finanzbehörde tragenden Gründe erkennen lassen, floskelhafte Wendungen und vorgefertigt erscheinende Formulierungen genügen nicht (BFH vom 18.09.1981, VI R 44/77, a.a.O.).
51Im Rahmen der Ermessensausübung war das Vorbringen des Kl. zu berücksichtigen, anlässlich der Bp bei der F-KG hätte der Betriebsprüfer die Praxis des Rechnungssplittings bemerkt, aber keinen Hinweis erteilt, darin könne eine Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung liegen. Zwar hat der Betriebsprüfer, wie unter 1. c) dargelegt, keinen Vertrauenstatbestand dahin geschaffen, eine Beihilfe zu Steuerhinterziehungen der Kunden liege nicht vor. Dennoch hätte ein Hinweis des Prüfers Auswirkungen auf die Höhe der Schuld haben können, für die der Kl. in Haftung genommen wurde. Die Wendung, die Nichtbeanstandung der Rechnungslegung durch den Prüfer könne vielerlei Gründe haben, genügt nicht den Anforderungen an eine Ermessensausübung. Denn der Bekl. darf seine Ermessensausübung nicht mit floskelhaften Wendungen und vorgefertigten Argumenten begründen. Diese vom Bekl. verwandte Formulierung erweckt einen floskelhaften Eindruck und lässt nicht erkennen, ob und wie der Bekl. sich mit diesem Vorbringen des Kl. auseinander gesetzt hat. Der Bekl. hat nicht bestritten, dass die Praxis des Rechnungssplittings zumindest von dem Betriebsprüfer der im Dezember 1991 und im August 1992 durchgeführten BP bemerkt worden ist. Er hat zu diesem, vom Kl. weiter substantiierten, Vorbringen nicht vertiefend Stellung genommen, sondern sich auf die genannte pauschale Äußerung beschränkt. Der Senat schließt daraus, dass der Bekl. dem Vorbringen des Kl. zum tatsächlichen Geschehen folgt. Da jedoch auf Seiten der für die F-KG handelnden Personen der Eindruck entstehen konnte, das Rechnungssplitting sei jedenfalls auf der Ebene der F-KG und damit auch für die für die F-KG handelnden Personen steuerlich korrekt, weil ein Betriebsprüfer das Rechnungssplitting bemerkt, aber im Ergebnis nicht beanstandet und nicht auf eine mögliche Beihilfe zu einer Steuerhinterziehung hingewiesen hat, war eine vertiefende Auseinandersetzung mit diesem Vorbringen notwendig. Denn die für die F-KG Handelnden konnten eine besondere Sach- und Rechtskunde des Betriebsprüfers unterstellen. Auch der Kl. durfte darauf vertrauen, dass der Betriebsprüfer als mit der Prüfung betrauter Amtsträger in dem von ihm zu prüfenden Bereich besondere Kenntnisse hatte. Die Betriebsprüfung fand im Dezember 1991 und im August 1992 statt. Wäre ein Hinweis, in dem Rechnungssplitting könne möglicherweise eine Beihilfe zur Steuerhinterziehung liegen, zu den genannten Zeitpunkten erfolgt, und wäre im Dezember 1991 bzw. im August 1992 diese Praxis beendet worden, und nunmehr Rechnungen erteilt worden, die den Anforderungen des § 144 AO und § 14 Abs. 1 UStG entsprachen, hätten sich ebenfalls Auswirkungen auf Höhe der Haftung des Kl. für die Einkommensteuerschuld 1992 des C************** ergeben. Denn selbst wenn C************** weiter den Wareneinkauf und die Umsätze verkürzt hätte, hätte der Kl. wegen der nunmehr ordnungsgemäßen Rechnungen nicht mehr in Anspruch genommen werden können. Obwohl kein Vertrauenstatbestand durch den Betriebsprüfer geschaffen wurde, hatte der Bekl. das durch den fehlenden Hinweis auf eine mögliche Beihilfe zur Steuerhinterziehung unter Umständen erzeugte "Gefühl der Sicherheit" vor weiteren Maßnahmen der Finanzbehörden im Rahmen der Ausübung des Entschließungsermessens zur Höhe der Haftungsinanspruchnahme zu würdigen.
52Ebenfalls war in die Abwägung zur Höhe der Inanspruchnahme des Kl. einzubeziehen, dass der Kl. als Geschäftsführer auch der J-GmbH die meiste Zeit in deren Räumlichkeiten in H****** verbrachte und daher wegen seiner räumlichen Abwesenheit unter Umständen eine geringere Haftungshöhe im Verhältnis zu dem weiteren - für den Vertrieb und damit auch für die Annahme der Bestellungen zuerst verantwortlichen - Geschäftsführer N****** O** gerechtfertigt war. Weiter ist der Bekl. nicht auf das Vorbringen des Kl., er sei in 1992 schwer erkrankt gewesen, eingegangen. Es ist zwar fraglich, ob dieser Gesichtspunkt Auswirkungen auf die Höhe der Haftung haben kann, da der Kl. für das Prinzip der geteilten Bestellungen und des Rechnungssplittings verantwortlich ist, er war jedoch zu würdigen.
53Der Bekl. ist in seinen Ermessenserwägungen nicht darauf eingegangen, dass zwar bei C************** die Vorsteuer aus den Barverkaufsrechnungen der F-KG nicht zum Abzug zugelassen wurde, aber die F-KG diese Umsatzsteuer im Rahmen ihrer Umsatzsteuervoranmeldungen und -erklärungen erklärt und abgeführt hat. Gem. § 15 Abs. 1 UStG kann ein Unternehmer u.a. die Vorsteuerbeträge abziehen, die in Rechnungen i.S.d. § 14 UStG für Lieferungen für sein Unternehmen gesondert ausgewiesen sind. Gem. § 14 Abs. 1 Nr. 2 UStG muss eine Rechnung neben weiteren Angaben den Namen und die Anschrift des Leistungsempfängers enthalten. Diesen Anforderungen genügten jedenfalls die im Zeitraum der Steuerfahndungsprüfung 1988 bis November 1993 ausgestellte Rechnungen nicht. Die ab Dezember 1993 ausgestellten Rechnungen enthielten die Bezeichnung "China-Restaurant P**********". Ob diese Bezeichnung des Leistungsempfängers für einen Vorsteuerabzug ausreicht, lässt der Senat dahinstehen. Der BFH hat mehrfach entschieden, dass auch bei der Inhaftungnahme nach § 71 AO auf die Höhe des entstandenen Steuerschadens abzustellen ist und die Haftung für USt entfällt, wenn die geschuldete USt zu berichtigen ist (vgl. BFH vom 26.08.1992, VIII R 50/91, BStBl. II 1993, 8; vom 25.07.1989, VII R 54/98, BStBl. II 1990, 284 und vom 02.04.1981, V R 39/79, BStBl. II 1981, 627). Zwar haftet der Kl. nicht wegen USt, dennoch musste der Bekl. bei der Ausübung des Entschließungsermessens folgende Überlegungen berücksichtigen. Die durch Barverkaufsrechnungen abgewickelten Lieferungen wiesen die auf die Lieferung entfallende Umsatzsteuer offen aus. Die F-KG hat auch die Umsätze auf Grund von Barverkaufsrechnungen in die Buchführung übernommen. Auch die von C************** vereinnahmte Umsatzsteuer wurde ordnungsgemäß verbucht und in den Umsatzsteuervoranmeldungen und -erklärungen der F-KG berücksichtigt. Ein Steuerschaden ist daher in Höhe der bei C***************nicht abgezogenen Vorsteuer nicht entstanden. Es war nach Auffassung des erkennenden Senats im Rahmen der Ermessenserwägungen zu berücksichtigen, dass der C************** zumindest nach einem entsprechenden Hinweis der Steuerfahndungsprüfer oder des Bekl. von der F-KG berichtigte Rechnungen hätte anfordern können, und so u.U. den Vorsteuerabzug zu einem späteren Zeitpunkt erlangt hätte.
54Zwar wurde der Kl. für ESt 1992 des C************** in Haftung genommen, nicht für USt- Schulden. Es können sich jedoch dadurch Auswirkungen auf die Höhe der noch offenen Einkommensteuerschuld für 1992 des C************** ergeben, dass die auf die Umsatzsteuerschulden des C************** gezahlten oder verbuchten Beträge bei einer um die nicht abgezogene Vorsteuer niedrigeren USt-Schuld die Einkommensteuerschuld 1992, für die der Kl. in Haftung genommen wurde, gemindert hätte. Wäre die USt-Schuld des C************** um die Vorsteuerbeträge verringert festgesetzt worden, hätte der Bekl. die auf diese Beträge verbuchten Gelder - ggfls. durch Aufrechnung gem. § 226 Abs. 1 AO - zur (teilweisen) Tilgung der noch offenen Einkommensteuer 1992 verwenden können.
55Da die Haftung nach § 71 AO den Zweck hat, den eingetretenen Steuerschaden zu verringern oder zu beseitigen, kann nicht allein auf die Höhe der Steuerhinterziehung des Haupttäters abgestellt werden. Im Rahmen der Ermessensausübung ist auch auf die Höhe des tatsächlichen Steuerschadens einzugehen. Würde bei der Inhaftungnahme des Kl. allein auf die Höhe der Steuerhinterziehungen des C************** abgestellt, bekäme die Inhaftungnahme auch den Charakter einer Strafmaßnahme. Eine solche stellt aber die Haftung nach § 71 AO nicht dar. Es hätten sich auch Auswirkungen auf die Höhe der Einkommensteuerschuld 1992 des C************** ergeben. Denn der Bekl. erhielt von C************** eine freiwillige Zahlung von 200.000 DM sowie Ratenzahlungen von 5.000 DM monatlich bis zur Betriebsaufgabe durch C**************. Zumindest weitere 221.000 DM konnten im Vollstreckungswege beigetrieben werden. Auf Grund der erheblichen Höhe der in Folge der Steuerfahndungsprüfung bei dem C************** gezahlten bzw. vollstreckten Beträge war nach Auffassung des erkennenden Senats für die Haftungsinanspruchnahme des Kl. erforderlich, in die Ermessenserwägung mit einzubeziehen, ob bei einer Berücksichtigung der bei C************** nicht abgezogenen Vorsteuern eine geringere Einkommensteuerschuld für 1992 verblieben wäre.
56Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass nach seiner Auffassung bei der Ausübung des Entschließungsermessens zur Höhe der Inanspruchnahme die Relation des durch die Beihilfe des Kl. entstandenen Steuerschadens zu dem Grad des Verschuldens des Kl. zu würdigen war. Anderenfalls droht eine Verletzung des Gebotes der Verhältnismäßigkeit, welches auch für den Erlass eines Haftungsbescheids gilt (vergl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, (H/H/Sp) Kommentar zur AO und FGO, § 191 Rz. 31), durch welchen ein Eingriff in das durch Art. 14 Grundgesetz geschützte Eigentum erfolgt (vergl. dazu Birk in H/H/Sp § 5 AO Rz. 163). Der BFH hat in seinem Urteil vom 26.02.1991 (VII R 3/90, a.a.O.) entschieden, dass eine Ermessensvorprägung auch der Höhe nach für die Inhaftungnahme eines Gehilfen nach § 71 AO gegeben sei. Diese Folge aus dem Schadensersatzcharakter der Norm. Begrenzt werde die Haftung des Gehilfen durch seinen Vorsatz, da er nur für den Steuerschaden in Anspruch genommen werden könne, der von seinem Tatvorsatz umfasst sei. Auf den Grad des Verschuldens komme es nicht an. Die für die Höhe der Strafzumessung nach § 46 StGB zu würdigende Schuld des Gehilfen und die weiteren in § 46 StGB genannten Tatbestandsmerkmale seien für die Höhe der Inanspruchnahme nicht heranzuziehen, da die Haftung nach § 71 AO Schadensersatzcharakter habe, nicht aber Strafcharakter. Auch sei für die Höhe der Inhaftungnahme nicht erheblich, ob der Gehilfe in der Lage sei, die Haftungssumme zu zahlen.
57Der Senat hat Zweifel, ob diesen Ausführungen auch im vorliegenden Fall uneingeschränkt gefolgt werden kann. Denn der Kl. war als (mittelbarer) Geschäftsführer der F-KG relativ weit von der Tathandlung des C************** und auch der anderen Kunden der F-KG entfernt und er hatte nur bedingten Vorsatz. Zwar folgt der erkennende Senat dem BFH darin, dass § 71 AO keinen Strafcharakter habe. Er ist aber nicht der Auffassung, daraus könne abgeleitet werden, die Höhe der Schuld und die Tatnähe des Gehilfen hätten keine Auswirkungen auf die Höhe der Haftungsinanspruchnahme. Es darf nicht verkannt werden, dass die Haftungsinanspruchnahme vom Grad der Eingriffsintensität weit über eine aus der Beihilfehandlung folgende strafrechtliche Sanktion hinausgehen kann. Dies verdeutlicht sich im vorliegenden Fall. Das gegen den Kl. eingeleitete Strafverfahren wurden gegen eine Geldbuße von 150.000 DM eingestellt. Gleichzeitig wird er von mehreren Finanzämtern über eine Gesamtsumme, welche die Geldbuße um ein Mehrfaches übersteigt, in Haftung genommen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Inhaftungnahme des Kl. für die Steuerschulden der Kunden der F-KG zum Verlust seiner wirtschaftlichen Existenz führt. Damit ist evident, dass die Eingriffsintensität der gesamten Haftungsinanspruchnahmen erheblich über der der strafrechtlichen Sanktion liegt.
58In dem dem Urteil des BFH vom 26.02.1991 (VII R 3/90, a.a.O.) zu Grunde liegenden Sachverhalt bestand zwischen den dortigen Kl. und dem Täter eine persönliche (verwandtschaftliche) Beziehung und eine relativ genaue Kenntnis des von dem Haupttäter bezweckten wirtschaftlichen Erfolgs. Auf Grund der verwandtschaftlichen Beziehung zum Haupttäter war Motiv der Gehilfen, dem Haupttäter bei der Erreichung des vom diesem erstrebten Erfolgs behilflich zu sein. Eine solche Motivlage kann dem Kl. nicht unterstellt werden. Sein Motiv war der wirtschaftliche Erfolg der F-KG, an dem er als Gesellschafter und Geschäftsführer der Komplementär-GmbH unmittelbar partizipierte.
59Der Senat ist der Auffassung, dass in Fällen wie diesem, in dem keine persönliche Nähebeziehung zwischen dem Gehilfen und dem Täter besteht, der Gehilfe die Tat des Haupttäters nur billigend in Kauf nimmt und seine Schuld im Verhältnis zu der des Haupttäters erheblich geringer ist, die geringere Schuld und die Tatferne des Gehilfen im Rahmen der Ausübung des Entschließungsermessens zur Höhe der Inanspruchnahme zu berücksichtigen sind. Ein "Automatismus" dahin, dass die Beihilfehandlung die Ermessensausübung auch zur Höhe der Inanspruchnahme vorprägt, hält der Senat nicht für sachgerecht. Fälle der vorliegenden Art, in denen ein Gehilfe potentiell für eine Vielzahl von Steuerschuldnern haftet, sind eher selten und kommen regelmäßig auf Grund von Steuerfahndungsmaßnahmen zu Tage. Nach Auffassung des Senats hatte der BFH bei der Auslegung des § 71 i.V.m. § 191 Abs. 1 S. 1 AO eine solche Fallkonstellationen nicht vor Augen, diese sind erst in der jüngsten Zeit bekannt geworden. Eine Auslegung der Haftung nach § 71 i.V.m. § 191 Abs. 1 S. 1 AO dahin, dass eine Ermessensvorprägung dahin bestehe, den Gehilfen in voller Höhe der nicht beitreibbaren Steuerrückstände des Haupttäters in Anspruch zu nehmen, zielt eher auf die Beihilfehandlung zu der oder den Taten eines Haupttäters, nicht aber auf Beihilfen zu eine Vielzahl von möglichen Haupttätern ab. Einer solchen Auslegung liegt auch eine engere Definition des Vorsatzbegriffs zu Grunde, welchen der BFH ausdrücklich als haftungsbegrenzendes Kriterium nennt. Nach Auffassung des Senats ist im Ergebnis die erweiterte Definition des Vorsatzbegriffs zu berücksichtigen. Auch dieser Umstand spricht gegen eine Ermessensvorprägung der Inhaftungnahme auch der Höhe nach bei Beihilfehandlungen in Fällen der hier vorliegenden Art.
60Für die Höhe der Inanspruchnahme des Gehilfen ist nach Auffassung des Senats im vorliegende Fall der vom Kl. erzielte wirtschaftliche Vorteil aus der Beihilfehandlung als ein weiterer Maßstab im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensausübung heranzuziehen. Denn es kam dem Kl. nicht auf die Verwirklichung der Haupttat an, er bezweckte nur den Erfolg des von ihm geleiteten Unternehmens.
61Dabei braucht die Finanzbehörde den wirtschaftlichen Erfolg nicht bis ins Einzelne zu ermitteln. Ausreichend ist nach Auffassung des Senats, dass die gesamten Vermögensvorteile, die der Gehilfe aus der Tat erlangt hat, überschlägig ermittelt werden, beispielsweise anhand des kalkulatorischen Rohgewinnaufschlags, der in dem durch "Schwarzeinkäufe" der Kunden erzielten Umsatz der F-KG enthalten war. Den Gehilfen trifft diesbezüglich eine erhöhte Darlegungslast, deren Nichterfüllung zu seine Lasten berücksichtigt werden kann. Sind - wie im vorliegenden Fall - mehrere Finanzämter für den Erlass von Haftungsbescheiden zuständig, ist durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass die ungefähre Gesamtsumme der Inhaftungnahme überwacht wird. Der Senat verkennt nicht, dass es sich dabei um erhöhten Aufwand für die Finanzbehörden handelt, der aber mit vertretbarem Einsatz erbracht werden kann.
62Die vom Senat angestellten Erwägungen sind auch schon im Rahmen der Ermessensausübung zur Höhe der Inanspruchnahme zu berücksichtigen, nicht erst in einem späteren Billigkeitsverfahren, da dem Bekl. insoweit Ermessen eingeräumt ist und es sich nicht, wie bei der Steuerfestsetzung, um eine gebundene Entscheidung handelt.
63b) Schließlich hat der Bekl. im Rahmen der Ausübung seines Auswahlermessens keine Feststellungen dazu getroffen, ob der weitere Geschäftsführer der F**** ************GmbH, der Komplementärin der F-KG, D*********, vom Rechnungssplitting wusste und ggfls. ebenfalls in Haftung zu nehmen war. Haben mehrere Personen den Haftungstatbestand erfüllt, müssen die Ermessensgründe mitgeteilt werden, die zur Auswahl des Inanspruchgenommenen geführt haben (BFH vom 24.11.1987, VII R 82/87, BFH/NV 1988, 206). Der Bekl. hat zum Auswahlermessen nur ausgeführt, dass der C***************nicht weiter in Anspruch genommen werden kann, weil sein Aufenthalt nicht ermittelt werden kann und N****** O** ebenfalls in gleicher Höhe in Anspruch genommen worden sei. In Bezug auf die Genannten reichen diese Ausführungen nach Überzeugung des erkennenden Senats aus. Es fehlen aber Feststellungen des Bekl. dazu, inwieweit der weitere Geschäftsführer der F*****************GmbH, D*********, von der geteilten Bestellung und dem Rechnungssplitting Kenntnis hatte. Gleichfalls fehlen Erwägungen und Ausführungen dazu inwieweit eine Haftungsinanspruchnahme des D**********in Betracht zu ziehen ist. Auch insoweit hat der Bekl. das ihm eingeräumte Ermessen unterschritten.
64Da der Senat gem. § 102 FGO nicht sein Ermessen an die Stelle der Ermessenserwägungen des Bekl. setzen konnte, und der Bekl. auch im Klageverfahren die fehlende Ermessensausübung nicht nachholen konnte (§ 102 FGO wurde erst durch Art. 11 des Gesetzes vom 20. Dezember 2001 (BGBl. I 2001, 3794 (3810) geändert), war der Haftungsbescheid insgesamt aufzuheben.
653. Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
664. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
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