Urteil vom Finanzgericht Münster - 1 K 3882/00 E
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d
2Streitig ist, ob der Kläger (Kl.) seine freiberufliche ärztliche Tätigkeit auch in deren Schlussphase noch mit Einkunftserzielungsabsicht ausgeübt hat.
3Der am 03.11.1914 geborene Kl. war von 1964 bis 1998 als niedergelassener Arzt in H*** tätig. Das Gebäude, in dem sich die Praxis befand, stand im jeweils hälftigen Miteigentum der Kl. Von der Gesamtfläche entfielen 40% auf die Praxis, der Rest auf die Wohnung der Kl.
4Die am 20.04.1921 geborene Ehefrau des Kl., die Klägerin (Klin.), arbeitete seit Beginn in der Praxis mit. Ab dem 01.12.1966 war auch die gemeinsame Tochter der Kl. (geb. 10.09.1947) in der Praxis tätig.
5Seit 1991 erzielte der Kl. in allen Jahren Verluste aus seiner Tätigkeit, die er durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermittelte: Während die Einnahmen in diesem Zeitraum kontinuierlich von ca. 77.000 DM im Jahre 1991 auf durchschnittlich 16.000 DM in den Streitjahren zurückgingen, wiesen die Ausgaben nur einen leichten Rückgang von ca. 84.000 DM im Jahr 1991 auf durchschnittlich 70.000 DM in den Streitjahren auf.
6Die Personalkosten sind in den Jahren seit 1991 unverändert bei ca. 43.000 DM geblieben. Seit 1991 waren als Arbeitnehmer nur noch die Klin. und die Tochter der Kl. tätig. Die Klin. war im Rahmen eines geringfügig entlohnten Beschäftigungsverhältnisses (Jahresarbeitslohn ca. 6.000 DM) mit dem Geldverkehr sowie mit Reinigungsarbeiten befasst. Die Tochter bezog als Arzthelferin ein Bruttogehalt von ca. 2.000 DM monatlich. Nur in den Jahren 1991 bis 1993 waren noch zusätzliche Aushilfslöhne für Reinigungskräfte i.H.v. jeweils rund 4.000 DM angefallen.
7Im Einzelnen nahmen Einnahmen und Ausgaben die folgende Entwicklung:
8Einnahmen | Ausgaben | davon Personal- kosten | Verlust | |
1991 | 76.892,00 DM | 84.553,00 DM | 43.892,00 DM | 7.661,66 DM |
1992 | 74.562,00 DM | 93.132,00 DM | 44.255,00 DM | 18.569,47 DM |
1993 | 61.455,00 DM | 100.404,00 DM | 45.812,00 DM | 38.949,97 DM |
1994 | 46.720,00 DM | 80.730,00 DM | 42.534,00 DM | 34.009,40 DM |
1995 | 40.098,00 DM | 78.564,00 DM | 42.344,00 DM | 38.466,62 DM |
1996 | 34.242,00 DM | 81.846,00 DM | 42.372,00 DM | 47.603,12 DM |
1997 (Streitjahr) | 15.282,00 DM | 71.629,00 DM | 43.796,00 DM | 56.348,20 DM |
1998 (Streitjahr) | 17.360,00 DM | 67.597,00 DM | 43.216,36 DM | 50.236,74 DM |
1999 (nur nachträgl. Einnahmen/Ausgaben | 7.836,00 DM | 16.561,00 DM | 10.325,00 DM | 8.724,00 DM |
Ausweislich des Praxisschildes war die Praxis täglich von 9 bis 11 Uhr sowie nach Vereinbarung geöffnet. Der Kl. behandelte in den Streitjahren zwischen 31 und 50 Patienten pro Quartal. Bereits im Jahre 1982 hatte der Kl. einen Schlaganfall erlitten, war seither gesundheitlich beeinträchtigt und musste von seiner Tochter zu auswärtigen Terminen gefahren werden.
10Zum 31.12.1998 - im Alter von 84 Jahren - stellte der Kl. den Praxisbetrieb ein. Gleichzeitig schied die Klin. - im Alter von 77 Jahren - als Arbeitnehmerin aus. Die Tochter wurde erst zum 31.03.1999 entlassen, da sie noch Abwicklungsarbeiten durchführte. Zum 01.04.1999 wurde die Tochter von der Klin. angestellt und mit Hauswirtschaftsaufgaben betraut. In den verbleibenden neun Monaten des Jahres 1999 bezog sie ein Gehalt von 19.242 DM.
11Zwischen den Beteiligten ist mittlerweile unstreitig, dass ein etwaiger Aufgabegewinn den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) jedenfalls nicht übersteigen würde. Auch die Höhe der Betriebsausgaben ist unstreitig.
12Für die Jahre 1991 bis 1996 legte der Beklagte (Bekl.) die vom Kl. erklärten Verluste den Einkommensteuer-(ESt-)Festsetzungen ohne Beanstandungen zugrunde. Im Rahmen der ESt-Veranlagung 1997 bat der Bekl. um die Vorlage der Arbeitsverträge, um einen Nachweis der Lohnzahlungen und um Mitteilung, mit welchen Aufgaben das Personal in den Streitjahren noch befasst gewesen sei. Der Kl. erwiderte, er sehe keine Veranlassung, auf den Fragenkatalog einzugehen.
13Mit Bescheid vom 04.10.1999 setzte der Bekl. die ESt für 1997 auf 11.422 DM fest, ohne die geltend gemachten Verluste zu berücksichtigen. Gleichzeitig ergingen Vorauszahlungsbescheide für die Jahre ab 1998.
14In ihren Einsprüchen gegen den Steuerbescheid und die Vorauszahlungsbescheide vertraten die Kl. die Auffassung, es stelle einen Grundrechtseingriff dar, wenn die Behandlung älter gewordener Patienten durch einen schwächer werdenden Arzt der Privatsphäre zugeordnet werde. Die zum 31.12.1998 erfolgte Praxisaufgabe sei eine angemessene und rechtzeitige Reaktion auf die Verluste gewesen.
15Am 08.06.2000 wies der Bekl. die Einsprüche als unbegründet zurück. Der Kl. habe es trotz nachhaltiger Verluste unterlassen, geeignete Maßnahmen zur Herstellung und Steigerung der Rentabilität zu ergreifen. Die geringer werdenden Einnahmen seien auf erhebliche negative Umstrukturierungen zurückzuführen: Die Leistungsfähigkeit des Kl. sei schwächer geworden und der Patientenstamm habe sich fortlaufend verkleinert, während die Personalkosten trotz geringer werdender Einnahmen konstant geblieben seien. Das private Interesse an den Verlusten ergebe sich daraus, dass Gehaltszahlungen an Angehörige als Betriebsausgaben abgesetzt und mit anderen positiven Einkünften verrechnet werden könnten. Entfalle die Gewinnerzielungsabsicht erst zu einem späteren Zeitpunkt, komme es nicht darauf an, dass sich wärend der gesamten Tätigkeit des Kl. ein Totalgewinn ergeben habe.
16Mit der am 29.06.2000 eingegangenen Klage verfolgen die Kl. ihr Begehren weiter. Sie weisen darauf hin, dass § 18 Abs. 4 Satz 2 EStG nur auf die Sätze 2 und 3 des § 15 Abs. 2 EStG, nicht aber auf den Satz 1 verweise, in dem das Tatbestandsmerkmal der Gewinnerzielungsabsicht gefordert werde. Nach der Rechtsprechung (Rspr.) bestehe ein Anscheinsbeweis für das Vorliegen von Gewinnerzielungsabsicht, wenn die verlustbringende Betätigung die Haupttätigkeit des Steuerpflichtigen darstelle. Gerade die Beschäftigung von zwei Arbeitnehmern zeige die Ernsthaftigkeit der Betätigung. Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfe es nicht darauf ankommen, dass es sich bei diesen Arbeitnehmern um nahe Angehörige des Kl. handele.
17Während des Klageverfahrens ergingen die ESt-Bescheide für 1998 und 1999, die zum Gegenstand des Verfahrens wurden.
18Die Kl. beantragen sinngemäß,
19unter Abänderung der ESt-Bescheide für 1997 vom 04.10.1999, für 1998 vom 23.10.2000 und für 1999 vom 05.09.2001 sowie unter Aufhebung der Einspruchsentscheidungen vom 08.06.2000 Verluste des Kl. aus freiberuflicher Tätigkeit i.H.v. 56.349 DM für 1997, 50.237 DM für 1998 und 8.724 DM für 1999 zu berücksichtigen,
20hilfsweise, die Revision zuzulassen.
21Der Bekl. beantragt,
22die Klage abzuweisen,
23hilfsweise, die Revision zuzulassen.
24Er ist der Auffassung, dass die Gewinnerzielungsabsicht auch bei freiberuflichen Tätigkeiten zu den erforderlichen Tatbestandsmerkmalen gehöre. Vorliegend sei die Gewinnerzielungsabsicht erst im siebten aufeinanderfolgenden Verlustjahr verneint worden, als überdeutlich geworden sei, dass der Kl. die negative Entwicklung nicht mehr würde umkehren können. Es sei nicht nachzuvollziehen, weshalb der Kl. bei einem derart geringen Arbeitsumfang an der Anzahl, der zeitlichen Beschäftigungsdauer und der Entlohnung der Angestellten in vollem Umfang festgehalten habe. Die von den Kl. angeführten Entscheidungen zur Vermutung der Gewinnerzielungsabsicht bei Haupttätigkeiten könnten auf den Streitfall nicht angewendet werden, weil die Steuerpflichtigen in den Urteilsfällen wesentlich jünger und ihre Einnahmen höher gewesen seien als hier.
25Der Berichterstatter hat die Sache am 29.01.2002 mit den Beteiligten erörtert. Diese haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
26Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
27E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
28Der Senat entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung.
29Die Klage ist unbegründet.
30I. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Verluste des Kl. aus freiberuflicher Tätigkeit sind nicht zu berücksichtigen. Denn dem Kl. fehlte es bei seiner ärztlichen Tätigkeit in den Streitjahren an der erforderlichen Einkunftserzielungsabsicht.
31Auch bei den Einkünften aus selbständiger Arbeit (§ 18 EStG) gehört die Gewinnerzielungsabsicht - entgegen der Auffassung der Kl. - zu den Tatbestandsmerkmalen (BFH-Urteil vom 22.4.1998 XI R 10/97, BStBl. II 1998, 663). Dem steht der fehlende Verweis auf § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG in § 18 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht entgegen. Denn bereits aus § 2 Abs. 1 EStG ("Einkünfte erzielt") folgt für alle Einkunftsarten das Erfordernis der Einkunftserzielungsabsicht. Im Übrigen verweist § 18 Abs. 4 Satz 2 EStG auf § 15 Abs. 2 Sätze 2 und 3 EStG, in denen ebenfalls von der Gewinnerzielungsabsicht die Rede ist.
32Nach ständiger Rechtsprechung des BFH, der sich der Senat anschließt, kann das Fehlen von Gewinnerzielungsabsicht nur aufgrund einer zweistufigen Prüfung festgestellt werden (BFH-Urteil vom 22.4.1998 XI R 10/97, BStBl. II 1998, 663; BFH-Urteil vom 17.6.1998 XI R 64/97, BStBl. II 1998, 727; beide m.w.N.): Auf der ersten Stufe muss feststehen, dass aufgrund der konkreten betrieblichen Organisation auf Dauer objektiv kein Gewinn mehr erzielbar ist (dazu unten 1). Auf der zweiten Stufe kann das Vorliegen von Gewinnerzielungsabsicht aber nur dann verneint werden, wenn für die objektiv fehlende Gewinnerzielungsmöglichkeit Gründe maßgeblich sind, die im persönlichen Bereich liegen (dazu unten 2).
33Diese Rechtsprechung ist zwar zu Fallkonstellationen ergangen, in denen es um die Frage ging, ob die jeweiligen Steuerpflichtigen von Anfang an ohne Gewinnerzielungsabsicht tätig geworden waren. Der Senat ist aber der Auffassung, dass die Grundsätze dieser Rechtsprechung - mit den nachstehend angeführten Modifikationen - auch anzuwenden sind, wenn zu entscheiden ist, ob eine langjährige Tätigkeit in ihrer Schlussphase mit Gewinnerzielungsabsicht ausgeübt wird. Denn ansonsten müssten Verluste, die am Ende einer betrieblichen oder beruflichen Tätigkeit aus persönlichen Gründen hingenommen werden, nur deshalb einkommensteuerrechtlich berücksichtigt werden, weil in vorherigen Phasen Gewinne angefallen waren. Dies wäre aber weder ein sachgerechtes noch ein vor Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) standhaltendes Differenzierungskriterium.
341. Objektiv konnte der Kl. jedenfalls ab dem ersten Streitjahr (1997) aufgrund der Organisation seiner Praxis dauerhaft keinen Gewinn mehr erzielen.
35In den angeführten Entscheidungen zur von Anfang an fehlenden Gewinnerzielungsabsicht hat der BFH insoweit allerdings jeweils auf die Prognose des "Totalgewinns" von der erstmaligen Aufnahme bis zur endgültigen Einstellung der Tätigkeit abgestellt. In Fällen wie dem vorliegenden, in dem eine jahrzehntelang mit Gewinnerzielungsabsicht betriebene Tätigkeit allmählich ausläuft, kann es auf einen Totalgewinn aber nicht ankommen. Vielmehr ist für diesen objektiven Teil der Betrachtung dann maßgebend, ob ab dem Zeitpunkt des Auslaufenlassens der Tätigkeit über die Summe der verbleibenden Perioden noch ein Gesamtgewinn erzielt werden kann.
36Gegen diese Betrachtungsweise kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass sie zu einer unzulässigen Segmentierung einer einheitlichen betrieblichen Tätigkeit in Perioden mit bzw. ohne Gewinnerzielungsabsicht führe. Denn ein Wechsel in der Beurteilung der Gewinnerzielungsabsicht war schon nach der bisherigen Rspr. (BFH-Urteil vom 29.10.1981 IV R 138/78, BStBl. II 1982, 381) nicht ausgeschlossen und wird als "Beurteilungswandel" bezeichnet (Schmidt/Weber-Grellet, 20. Aufl. 2001, § 16 EStG Rn. 177). Die Betrachtungsweise des Senats führt auch nicht dazu, dass übliche Aufgabeverluste vom Abzug ausgeschlossen werden. Denn zum einen wird man schon auf der ersten Stufe der Prüfung für eine objektiv negative Gewinnprognose einen Zeitraum fordern müssen, dessen Dauer die für die Annahme einer Betriebsaufgabe geltenden Höchstgrenzen (bis zu 18 Monaten) deutlich übersteigt. Zum anderen würde die Verneinung der Gewinnerzielungsabsicht bei üblichen Aufgabevorgängen spätestens auf der zweiten Stufe der Prüfung daran scheitern, dass für solche Vorgänge keine privaten Gründe ersichtlich sind.
37Nach diesen Maßstäben folgt die objektiv negative Gewinnprognose im Streitfall bereits daraus, dass die Einnahmen aufgrund des kleiner werdenden Patientenstamms und dem zunehmenden Alter des Kl. kontinuierlich zurück gingen, die Ausgaben aber angesichts unterbleibender Umstrukturierungen nahezu konstant blieben. Allein die Personalkosten waren in den Streitjahren fast drei Mal so hoch wie die Einnahmen. Mit einer Steigerung der Einnahmen in den Folgejahren war angesichts der persönlichen Situation des Kl. nicht zu rechnen. Bei einer Zahl von lediglich zwischen 31 und 50 behandelten Patienten im Quartal (d.h. zwischen 0,5 und 0,8 Patienten je Arbeitstag) wären zudem auch Umstrukturierungsmaßnahmen kaum erfolgversprechend gewesen. Denn allein die notwendigen Betriebsausgaben für Raumkosten, Abschreibungen und Bedarfsmaterial überstiegen bereits die Einnahmen. Diese objektiv negative Gewinnprognose wird letztlich auch von den Kl. selbst nicht angegriffen.
382. Für die Hinnahme dieser dauerhaften Verluste waren im Streitfall persönliche Gründe maßgebend.
39Allerdings spricht bei Betrieben, die ihrer Art nach regelmäßig nicht zur Befriedigung persönlicher Neigungen bestimmt sind, ein Anscheinsbeweis für das Vorliegen von Gewinnerzielungsabsicht (BFH-Urteil vom 19.11.1985 VIII R 4/83, BStBl. II 1986, 289 - Getränkegroßhandel; BFH-Urteil vom 22.4.1998 XI R 10/97, BStBl. II 1998, 663 - Rechtsanwaltskanzlei). Dieser Anscheinsbeweis ist entkräftet, wenn der Bekl. die ernsthafte Möglichkeit persönlicher Motive für die Hinnahme der Verluste darlegt. In diesem Fall ist für die Entscheidung wieder die freie Überzeugung des Gerichts (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) maßgebend (BFH-Urteil vom 19.11.1985 VIII R 4/83, BStBl. II 1986, 289 (291) m.w.N.).
40So liegt es auch hier: Die ärztliche Tätigkeit wird regelmäßig zwar nicht zur Befriedigung persönlicher Neigungen ausgeübt. Jedoch hat der Bekl. die Möglichkeit persönlicher Motive (Abzug von Gehaltszahlungen an Angehörige) ernsthaft dargelegt.
41Vorliegend spricht für die Überzeugung des Senats, dass der Kl. die langjährigen Verluste aus im persönlichen Bereich liegenden Neigungen und Motiven hingenommen hat, zunächst, dass die Praxis trotz der erkennbar regelmäßig ansteigenden Verluste ohne jegliche organisatorische Änderung fortgeführt wurde. Bereits diese unterbleibende Reaktion ist ein Beweisanzeichen für das Vorliegen persönlicher Gründe (BFH-Urteil vom 19.11.1985 VIII R 4/83, BStBl. II 1986, 289 (292)).
42Entscheidend für die Überzeugungsbildung des Senats ist aber, dass der Kl. durch die Fortführung der Praxis Gehaltszahlungen an nächste Angehörige (Ehefrau bzw. Tochter) als Betriebsausgaben abziehen konnte. Im Rahmen dieses Verfahrens ist offen geblieben, ob diesen Gehaltszahlungen überhaupt eine angemessene - betrieblich und nicht etwa hauswirtschaftlich veranlasste - Arbeitsleistung der genannten Angehörigen gegenüber stand. Diese Unklarheit geht zu Lasten der Kl. Denn auf entsprechende Aufklärungsbemühungen hat die Klägerseite lediglich ausgeführt, dass die Arbeitnehmer nicht nach Erfolg, sondern nach dem Tarifvertrag bezahlt worden seien, aber weder Arbeitsverträge vorgelegt noch Angaben zum konkreten Tätigkeitsumfang gemacht. Auch die Tatsache, dass die Tochter der Kl. im unmittelbaren Anschluss an ihre Tätigkeit in der Praxis von den Kl. - mit unverändertem Gehalt - als Haushaltshilfe angestellt worden ist, deutet darauf hin, dass sie auch zuvor nicht ausschließlich mit betrieblichen Tätigkeiten befasst war.
43Diese Wertung ist dem Senat nicht - wie die Kl. meinen - aus verfassungsrechtlichen Gründen verwehrt. Denn Art. 6 Abs. 1 GG hindert Behörden und Gerichte nicht daran, im Einzelfall Feststellungen zu der Frage zu treffen, ob Vermögenszuwendungen zwischen nahen Angehörigen auf betrieblicher Veranlassung oder aber auf familiären Beziehungen beruhen (BVerfG-Beschluss vom 7.11.1995 2 BvR 802/90, BStBl. II 1996, 34 (36)).
44Ergänzend tritt das - nach der Rspr. (BFH-Urteil vom 22.4.1998 XI R 10/97, BStBl. II 1998, 663) allein für eine Bejahung privater Motive noch nicht ausreichende - Beweisanzeichen hinzu, dass die Kl. mit den Verlusten aus der Praxis ihre anderweitigen positiven Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Kapitalvermögen, Vermietung und Verpachtung sowie aus Leibrenten ausgleichen und die entsprechende Steuerlast mindern konnten.
45Die Kl. können sich nicht mit Erfolg auf das BFH-Urteil vom 22.4.1998 XI R 10/97, BStBl. II 1998, 663 berufen, mit dem der BFH bei einem Rechtsanwalt trotz einer Verlustphase von 22 Jahren Dauer das Vorliegen von Gewinnerzielungsabsicht bejaht hat. Denn in jenem Fall war der Berufsträger mit vollem persönlichen Einsatz tätig; die erwirtschafteten Einnahmen hätten objektiv ohne weiteres für die Erzielung regelmäßiger Gewinne ausgereicht. Es fehlte damit bereits - anders als im vorliegenden Fall - an der objektiv negativen Totalgewinnprognose.
46Ebensowenig kann eine Anwendung der Grundsätze des von den Kl. angeführten BFH-Urteils vom 15.11.1984 IV R 139/81, BStBl. II 1985, 205 der Klage zum Erfolg verhelfen. Denn in jenem Fall hatte der Steuerpflichtige auf die eintretenden Verluste sofort reagiert (Werbemaßnahmen, Veränderungen im Betriebsablauf, weitere Investitionen). Dass diese Reaktionen letztlich nicht zum erwünschten betriebswirtschaftlichen Erfolg führten und der Betrieb nach Vornahme mehrerer Umstrukturierungen nach acht Jahren endgültig eingestellt werden musste, konnte nicht zu Lasten des dortigen Steuerpflichtigen gehen. Im vorliegenden Fall ist aber eine Reaktion auf die Verluste in einem angemessenen Zeitraum nach deren Eintritt gerade nicht erfolgt. Allein die erst acht Jahre nach Auftreten der Verluste erfolgte Einstellung des bis dahin unverändert weitergeführten Betriebs ist noch keine ausreichende "Reaktion".
47Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob - wie der Bekl. meint - zusätzlich auch der Gesichtspunkt, dass der Kl. bestrebt war, seine mit ihm alt gewordenen Patienten weiterhin zu behandeln, als persönliches Motiv im Sinne der dargestellten Rechtsprechung in Betracht kommt.
48II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
49Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, weil der BFH über ein Auslaufen der Einkunftserzielungsabsicht nach langjähriger gewinnbringender Haupttätigkeit - soweit ersichtlich - noch nicht selbst entschieden hat. Dem BFH-Urteil vom 29.10.1981 IV R 138/78, BStBl. II 1982, 381 liegt zwar ebenfalls ein Wandel zuvor vorhandener Gewinnerzielungsabsicht zugrunde; dort war der BFH aber an die entsprechenden Feststellungen des FG gemäß § 118 Abs. 2 FGO gebunden.
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