Urteil vom Finanzgericht Münster - 10 K 7713/00 F
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger.
Die Revision wird zugelassen.
1
G r ü n d e:
2Zu entscheiden ist für die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.1990, ob die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) auch gewahrt ist, wenn der vor Ablauf der Feststellungsfrist abgeschickte Bescheid dem Empfänger tatsächlich nicht zugeht.
3Die Klägerin ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die bis zum Jahre 1992 einen gewerblichen Grundstückshandel betrieb und hieraus Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S.d. § 15 Einkommensteuergesetz (EStG) erzielte.
4Nach ihrer allein vom Mitgesellschafter L***** unterschriebenen Gewinnfeststellungserklärung für 1990 vom 17.06.1994, beim Beklagten eingegangen am 21.06.1994, ist als Empfangsbevollmächtigter R***** L***** aufgeführt.
5In ihren später vom damaligen Steuerberater P******* übersandten und von den beiden anderen Mitgesellschaftern H***** und M***** unterschriebenen Gewinnfeststellungserklärungen für die Jahre 1988 und 1989 vom 22.6.1994, beim Finanzamt eingegangen am 13.07.1994, ist als Empfangsbevollmächtigter Z****** M***** aufgeführt.
6Mit Bescheid vom 14.06.1995, der am gleichen Tag durch das RZF versandt wurde, stellte der Beklagte gegenüber Herrn L***** als "Empfangsbevollmächtigten für die L*****, H***** und M***** GbR" den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.1990 mit 93.568 DM fest. Hierbei berücksichtigte er die in den bestandskräftigen Gewinnfeststellungsbescheiden 1986 bis 1990 erklärungsgemäß festgestellten Verluste von 12.366 DM für 1986, 9.531 DM für 1987, 22.439 DM für 1988, 19.937 DM für 1989 und 29.295 DM für 1990.
7Am 02.10.1998 reichte die Klägerin erstmals Gewerbesteuererklärungen für die Jahre 1986 - 1991 ein, in denen sie Verluste von 217.748 DM für 1986, 76.023 DM für 1987, 59.708 DM für 1988, 72.158 DM für 1989, 32.262 DM für 1990 und 27.104 DM für 1991 angab und beantragte in dem inzwischen abgeschlossenen Klageverfahren 10 K 1056/99 G, F, diese Verluste bei der Festsetzung des Gewerbesteuer-Messbetrages 1992 zu berücksichtigen.
8Nach einem Hinweis des Berichterstatters u.a. auf den bereits mit Bescheid vom 14.06.1995 festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust trug der Mitgesellschafter L***** mit Schreiben vom 15.11.1999 erstmals vor, weder er noch die anderen Gesellschafter hätten einen Bescheid vom 14.06.1995 erhalten.
9Der Beklagte übersandte daraufhin dem Gericht mit Schreiben vom 30.11.1999 in dem Verfahren 10 K 1056/99 G, F u.a. eine Kopie des Bescheids vom 14.06.1995, die der Berichterstatter am 03.11.1999 getrennt an die Mitgesellschafter der Klägerin weiterleitete.
10Mit Schreiben vom 08.12.1999, das am 13.12.1999 beim Finanzgericht und -nach Weiterleitung- am 17.12.1999 beim Beklagten einging, erhob der Mitgesellschafter L***** Einspruch gegen den Bescheid vom 14.06.1995 und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
11Der Beklagte vertrat die Auffassung, die Festsetzungsfrist sei bereits am 31.12.1997 abgelaufen und wies den Einspruch mit Bescheid vom 22.11.2000, in dem als Einspruchsführer "L*****, H*****, M***** GbR: Gesellschafter R***** L*****" aufgeführt ist und der an die drei Gesellschafter getrennt bekannt gegeben wurde, als unbegründet zurück.
12Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin, den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.1990 auf 457.899 DM festzustellen.
13Sie ist der Ansicht, die Feststellungsfrist sei gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Ziffer 1 AO gewahrt, da der Bescheid vom 14.06.1995 innerhalb der Festsetzungsfrist erlassen und versandt und durch die Übersendung der Kopie im Dezember 1999 wirksam bekannt gegeben worden sei. Durch den hiergegen eingelegten Einspruch sei ihr wieder die Möglichkeit eröffnet worden, über den bereits anerkannten Verlust hinaus weitere Verluste geltend zu machen.
14Zwar seien Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen für die Jahre 1986 bis 1990 nicht erstellt worden. Die Höhe der entstandenen Verluste ergebe sich jedoch aus den mit Schreiben vom 06.02.2002 vorgelegten und den zu den Akten des Verfahrens 10 K 4773/95 F eingereichten Unterlagen.
15Die Klägerin beantragt,
16unter Änderung des Bescheids vom 14.06.1995 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 22.11.2000 den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.1990 mit 457.899 DM festzustellen.
17Der Beklagte beantragt,
18die Klage abzuweisen.
19Er ist der Auffassung, die begehrte Feststellung sei bereits wegen Ablaufs der Feststellungsfrist nicht mehr möglich. § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 AO greife nicht ein, da der am 14.06.1995 versandte Bescheid nach Vortrag der Kläger nicht zugegangen sei. Bei Versendung der Kopie des Bescheides im November 1999 sei die Festsetzungsfrist aber bereits abgelaufen gewesen.
20Zudem seien die zusätzlich geltend gemachten Verluste nicht nachgewiesen.
21Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die von den Klägern übersandte Kostenaufstellung und die in den Verfahren 10 K 4773/95 F und 10 K 1056/99 G, F eingereichten Schreiben und Unterlagen Bezug genommen.
22Die Klage ist nicht begründet.
23Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, über den mit Bescheid vom 14.06.1995 festgestellten vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.1990 von 93.568 DM hinaus weitere Verluste gemäß § 10a Satz 2 Gewerbesteuergesetz (GewStG) gesondert festzustellen.
24Der Berücksichtigung der streitigen weiteren Verluste steht der Ablauf der Feststellungsfrist entgegen.
25Nach dem gemäß § 181 Abs. 1 AO auf gesonderte Feststellungen sinngemäß anwendbaren § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO beträgt die regelmäßige Festsetzungsfrist 4 Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer bzw. der festzustellende Verlust entstanden ist (170 Abs. 1 AO), spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das dem Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer bzw. Verlust entstanden ist (§ 170 Abs. 2 Nr. 1 AO).
26Im Streitfall begann danach die Feststellungsfrist für die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.1990 mit Ablauf des Jahres 1993. Die vierjährige Verjährungsfrist lief damit am 31.12.1997 ab.
27Bis zum Ablauf dieser Feststellungsfrist (31.12.1997) hat die Klägerin weder Gewerbesteuererklärungen für die Jahre 1986 bis 1990 noch eine Erklärung zur gesonderten Feststellung des Gewerbeverlustes zum 31.12.1990 abgegeben bzw. einen Antrag auf Berücksichtigung/Feststellung von weiteren -über die bereits berücksichtigten 93.568 DM hinausgehenden- Verlusten gestellt.
28In den bis zu diesem Zeitpunkt abgegebenen Erklärungen zur einheitlichen und gesonderten Feststellung der Gewinns 1986 bis 1990 waren lediglich die im angegriffenen Bescheid bereits erfassten Verluste in Höhe von insgesamt 93.568 DM erklärt worden.
29Auch in dem Schreiben des damaligen Steuerberaters P******* vom 20.10.1995 im Einspruchsverfahren gegen den Gewerbesteuermessbescheid 1992 wurden noch keine höheren Verluste der Jahre 1986 bis 1990 geltend gemacht. Der dort angeführte Gesamtverlust beträgt zwar 265.526 DM; dieser Betrag umfasst aber u.a. einen Fehlbetrag von 693.126 DM des Jahres 1984, auf das § 10 a Satz 1 GewStG noch nicht anzuwenden (§ 36 Abs. 5 GewStG), und einen Fehlbetrag von 17.362 DM des Folgejahres 1991, der erst bei der Verlustfeststellung dieses Jahres zu berücksichtigen ist und auch berücksichtigt wurde.
30Die Feststellungsfrist ist auch nicht nach § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 Satz 1 AO gewahrt.
31Nach dieser Regelung ist die Frist gewahrt, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist der Steuerbescheid den Bereich der für die Steuerfestsetzung zuständigen Finanzbehörde verlassen hat. Diese Regelung setzt aber voraus, dass der rechtzeitig abgesandte Bescheid auch tatsächlich zugeht. Auf dieses Merkmal kann nach Ansicht des Senats nicht verzichtet werden. Die Absendung eines Bescheides vor Ablauf der Festsetzungsfrist, der -wie im Streitfall unwiderlegt von der Klägerin vorgetragen - dem Steuerpflichtigen tatsächlich nicht zugeht und später, nach Ablauf der Frist, ein zweites Mal in einem selbständigen Vorgang bekannt gegeben wird, kann die Festsetzungsfrist nicht wahren. Der Senat folgt damit der Rechtsansicht des 2. Senats des BFH (vgl. BFH-Beschluss vom 6.06.2001, II R 47/98, BFHE 195, 32, BStBl II 2001, 695 m.w.N. auch für die Gegenmeinung; ebenso: Finanzgericht Münster, Urteile vom 20.03.2002 8 K 3586/00 E, EFG 2002, 798 und 8 K 4391/01 GrE, EFG 2002, 799).
32Da bereits die Feststellungsfrist nicht gewahrt ist, braucht der Senat nicht darüber zu entscheiden, ob die Klägerin im Wege des Rechtsschutzes lediglich die Aufhebung des Bescheides vom 14.6.1995 verlangen kann oder ob sie darüber hinaus die Möglichkeit erhalten müßte, erstmals weitere Anträge zu stellen oder Umstände geltend zu machen, die sie ohne (erneute) Versendung der Bescheidkopie wegen Ablaufs der Feststellungsfrist nicht mehr hätte geltend machen können.
33Auch kommt es nicht mehr darauf an, ob der Mitgesellschafter L***** am 14.06.1995 Empfangsbevollmächtigter der Klägerin war und ob der Klägerin Verluste in der geltend gemachten Höhe entstanden sind.
34Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
35Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu § 169 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 AO eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert.
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